Deutscher Bundestag Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Sanktionsregelungen bei Leistungsbezug nach SGB II, SGB XII und AsylbLG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 260/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 2 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Sanktionsregelungen bei Leistungsbezug nach SGB II, SGB XII und AsylbLG Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 260/12 Abschluss der Arbeit: 24. Oktober 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Punkt 2 wurde unter Verwendung einer Zuarbeit des Fachbereichs WD 6 – Arbeit und Soziales – erstellt. Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. System der Sanktionen nach SGB II, SGB XII und AsylbLG 5 2.1. Sanktionen nach §§ 31 ff. SGB II 5 2.1.1. Pflichtverletzungen 5 2.1.2. Rechtsfolgen 5 2.1.3. Milderungsmöglichkeiten 6 2.1.4. Ersatzleistungen 6 2.2. Sanktionen nach dem SGB XII 7 2.3. Sanktionen nach dem AsylbLG 7 2.4. Meldeversäumnisse 8 3. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschwürdigen Existenzminimums 8 4. Vereinbarkeit der Sanktionsmöglichkeiten für über 25- Jährige mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum 10 4.1. Anspruchsvoraussetzungen – Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums auch ohne zumutbaren Einsatz der Arbeitskraft? 10 4.2. Ausgestaltung des Anspruchsinhalts - Sanktionen 11 4.2.1. Grundsätzliche Zulässigkeit von Sanktionen 12 4.2.2. Umfang der Sanktionen – Leistungshöhe 13 4.2.3. Verfahren zur Berechnung des Bedarfs 15 5. Verfassungsmäßigkeit der schärferen Sanktionen für unter 25 Jährige 16 5.1. Ungleichbehandlung 16 5.2. Rechtfertigungsmaßstab 16 5.3. Sachlicher Grund und Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung 17 6. Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen nach dem SGB XII 19 6.1. Einschränkung der Leistungen gem. § 26 SGB XII 19 6.2. Sanktionen nach § 39a SGB XII 20 7. Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen nach dem AsylbLG 21 7.1. Zulässigkeit von Sanktionen 21 7.2. Zulässiger Anknüpfungspunkt für Sanktionen gemäß § 1a AsylbLG 22 7.3. Umfang der Sanktionen 23 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 4 1. Einleitung Ziel des deutschen Sozialrechts ist es, Leistungsberechtigten zu ermöglichen, „ein Leben zu führen , das der Würde des Menschen entspricht.“1 Zugleich soll die jeweilige Hilfe den Einzelnen soweit wie möglich befähigen, unabhängig von der Sozialhilfe zu leben2 bzw. „die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können.“3 Ein Grundgedanke des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ist das „Fördern und Fordern“. Jeder Leistungsberechtigte in der Grundsicherung für Arbeitssuchende muss alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit ausschöpfen . Die Leistungsberechtigten sind nach dem Gesetz zur aktiven Mitwirkung an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung verpflichtet. Kommen sie ihren Pflichten nicht nach, treten Sanktionen ein. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren von Januar bis August 2011 im Monat durchschnittlich 90.000 erwerbsfähige, arbeitslos gemeldete Leistungsberechtigte mit mindestens einer Sanktion belegt. Im April 2012 (aktuellste Statistik der BA4) waren 151.449 erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit mindestens einer Sanktion belegt; Hauptgrund für die Sanktionen waren Meldeversäumnisse beim Träger. Auch in den Vorschriften zur Gewährung der Sozialhilfe nach SGB XII sowie für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)5 sind Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen. Die folgende Ausarbeitung befasst sich mit der Verfassungsmäßigkeit dieser Sanktionsmöglichkeiten , die teilweise bezweifelt wird.6 1 § 1 Abs. 1 SGB II - Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850 (2094)), das zuletzt durch Artikel 1a des Gesetzes vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3057) geändert worden ist sowie ähnlich § 1 Satz 1 SGB XII - Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022), das zuletzt durch Artikel 13 Absatz 28 des Gesetzes vom 12. April 2012 (BGBl. I S. 579) geändert worden ist. 2 § 1 SGB XII. 3 § 1 Abs. 1 und 2 SGB II. 4 Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt in Zahlen - Statistik der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Deutschland mit Ländern und Kreisen, April 2012, http://statistik.arbeitsagentur.de/nn_31998/SiteGlobals/Forms/Rubrikensuche/Rubrikensuche_Form.html?view=p rocessForm&resourceId=210368&input_=&pageLocale=de&topicId=17488&year_month=201204&year_month.GRO UP=1&search=Suchen (letzter Abruf für alle Internetseiten: 22.10.2012). 5 Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) geändert worden ist. 6 Antrag einzelner Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. vom 22.3.2011, BT-Drs. 17/5174, S. 2; Kleine Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. vom 8.10.21012, BT-Drs. 17/10938; Nachweise für das rechtswissenschaftliche Schrifttum im Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 5 2. System der Sanktionen nach SGB II, SGB XII und AsylbLG 2.1. Sanktionen nach §§ 31 ff. SGB II Durch die Sanktionen nach den §§ 31 ff. SGB II können die Leistungen nach dem SGB II vorübergehend abgesenkt werden oder wegfallen. Die Tatbestände der Pflichtverletzungen finden sich in § 31 SGB II. Die Rechtsfolgen sind in § 31a SGB II geregelt. Diese sind für Leistungsberechtigte unter 25 Jahren und Leistungsberechtigte über 25 Jahren unterschiedlich ausgestaltet. 2.1.1. Pflichtverletzungen Pflichtverletzungen von Empfängern von Leistungen nach dem SGB II sind in § 31 SGB II geregelt . Abs. 1 enthält folgende Tatbestände: - Verweigerung, Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung zu erfüllen (§ 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1); - Nichtaufnahme/Verweigerung der Fortführung zumutbarer Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit , etc. (§ 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2); - Nichtantritt, Abbruch oder Abbruchveranlassung einer Eingliederungsmaßnahme (§ 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 3). In diesen Fällen liegt eine Pflichtverletzung nur bei vorheriger Belehrung über die Rechtsfolgen oder Kenntnis der Rechtsfolgen vor. Eine Pflichtverletzung liegt auch dann nicht vor, wenn der Leistungsempfänger das Vorliegen eines wichtigen Grundes nachweisen kann. Nach Abs. 2 liegt zudem in folgenden Fällen eine Pflichtverletzung vor: - Absichtliche Herbeiführung der Hilfsbedürftigkeit (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 SGB II); - Fortsetzung unwirtschaftlichen Verhaltens trotz Belehrung (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 SGB II); - Ruhen oder Erlöschen des Alg I auf Grund einer Sperrzeit nach dem SGB III (§ 31 Abs. 2 Nr. 3); - Vorliegen der Voraussetzungen einer Sperrzeit nach dem SGB III (§ 31 Abs. 2 Nr. 4). 2.1.2. Rechtsfolgen Für Leistungsempfänger über 25 Jahren gelten nach § 31a Abs. 1 SGB II drei Sanktionsstufen: In der ersten Stufe wird bei einer ersten Pflichtverletzung i. S. d. § 31 SGB II der nach § 20 SGB II maßgebliche Regelbedarf des Arbeitslosengeldes II (Alg II) nach § 31a Abs. 1 SGB II um 30 Prozent gekürzt. Die zweite Stufe gilt bei einer erneuten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II innerhalb von einem Jahr seit Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraumes. Der nach § 20 SGB II maßgebende Regelbedarf wird dann um 60 Prozent gemindert. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 6 Die dritte Stufe sieht für erneute Pflichtverletzungen gem. § 31 SGB II innerhalb eines Jahres seit Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraumes das vollständige Entfallen des Alg II einschließlich der Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung gem. § 22 SGB II sowie der Mehrbedarfe gem. § 21 SGB II vor. Die Sanktionen für erwerbsfähige Leistungsberechtigte unter 25 Jahren sind nach § 31a Abs. 2 SGB II zweistufig ausgestaltet. Auf der ersten Stufe sieht § 31a Abs. 2 S. 1 SGB II bereits bei einer einmaligen Pflichtverletzung eine Beschränkung des Alg II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung vor. Diese sollen zudem direkt an den Vermieter oder sonstige Empfangsberechtigte gezahlt werden. Auf der zweiten Stufe entfällt bei einer wiederholten Pflichtverletzung der Anspruch nach § 31a Abs. 2 S. 2 SGB II gänzlich. Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt bei einer erneuten Pflichtverletzung innerhalb von einem Jahr nach Beginn des Minderungszeitraumes vor. Dauer und Beginn der Sanktionen richten sich nach § 31b Abs. 1 SGB II. Die Sanktionsdauer beträgt demnach sowohl für über als auch für unter 25-Jährige drei Monate. Für unter 25-Jährige kann der Zeitraum nach § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II auf sechs Wochen verkürzt werden, wenn diese sich bereit erklären, den Verpflichtungen nachträglich nachzukommen. 2.1.3. Milderungsmöglichkeiten Bei einem vollständigen Entfallen der Leistungen kann die Behörde sowohl für Leistungsempfänger über 25 Jahren als auch für Leistungsempfänger unter 25 Jahren die Sanktionen auf die nächstniedrigere Sanktionsstufe abmildern. Für über 25-jährige Leistungsempfänger bestimmt sich dies nach § 31a Abs. 1 S. 6, für unter 25-jährige Leistungsempfänger nach § 31a Abs. 2 S. 4 SGB II. 2.1.4. Ersatzleistungen Bei einer Kürzung um mehr als 30 Prozent können nach § 31a Abs. 2 S. 1 SGB II ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gewährt werden. Diese setzen einen Antrag des Betroffenen voraus. Die Gewährung von Ersatzleistungen steht im Ermessen des Leistungsträgers. Dieses kann jedoch im Einzelfall auf Null reduziert sein, wenn der Bedürftige keine andere Möglichkeit hat, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.7 Nach den Richtlinien der Arbeitsagentur werden Ersatzleistungen nur zur Deckung der Bedarfe für Ernährung, Gesundheitspflege, Hygiene und Körperpflege gewährt. Zudem werden Ersatzleistungen nur für den Teil der Sanktion gewährt, der über 30 Prozent hinausgeht. Dabei muss aber sichergestellt sein, dass die Bedarfe für Ernährung, Gesundheitspflege, Hygiene und Körperpflege zumindest mit Gutscheinen komplett abgedeckt sind.8 7 Lauterbach in: Gagel, SGB II/SGB III Kommentar, 46. EL 2012 (Stand: 42. EL 2011), § 31a Rn. 16a. 8 Fachliche Hinweise zum SGB II der Bundesagentur zur Arbeit, §§ 31, 31a, 31b, Abschnitt 4.5, S. 11 ff., abrufbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A01-Allgemein-Info/A015-Oeffentlichkeitsarbeit/ Publikation/pdf/Gesetzestext-31-31b-SGB-II-Sanktionen.pdf, zuletzt abgerufen am: 17.10.2012. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 7 2.2. Sanktionen nach dem SGB XII § 26 Abs. 1 SGB XII enthält zwei Sanktionstatbestände. Bei Vorliegen des Tatbestandes wird die Leistung auf das Unerlässliche abgesenkt. Dies ist zum einen nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII der Fall, wenn der Leistungsempfänger sein Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert hat, Leistungen zu erhalten oder zu erhöhen . § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII ist einschlägig, wenn der Leistungsempfänger sein unwirtschaftliches Verhalten trotz Belehrung fortsetzt. Die Leistungseinschränkung wirkt zeitlich unbegrenzt. Durch sie sollen Anreize vermieden werden , ohne Not Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.9 Nach § 39a SGB XII kann die Leistung um bis zu 25 Prozent abgesenkt werden, wenn der Leistungsempfänger , obwohl er dazu verpflichtet ist und er über die Rechtsfolgen belehrt wurde, die Aufnahme einer Tätigkeit oder die Teilnahme an einer Vorbereitungsmaßnahme ablehnt. Die Leistung kann bei jeder Pflichtverletzung erneut abgesenkt werden, so dass diese bei wiederholten Pflichtverstößen auch ganz entfallen kann.10 Nach § 39a i. V. m. § 26 Abs. 1 S. 2 SGB XII soll vermieden werden, dass andere Haushaltsangehörige durch die Sanktion ebenfalls betroffen werden.11 Der Behörde steht lediglich hinsichtlich des Umfangs der Kürzung ein Ermessen zu.12 Bei der Entscheidung , ob die Leistung gekürzt werden soll, handelt es sich um eine gebundene Entscheidung.13 2.3. Sanktionen nach dem AsylbLG § 1a AsylbLG findet auf geduldetete Ausländer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4), vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer sowie ihre Familienangehörigen ( §1 Abs. 1 Nr. 6) Anwendung. § 1a AsylbLG enthält zwei Tatbestände: Die Einreise nach Deutschland, um Sozialleistungen zu beziehen (Nr. 1) sowie die selbstverschuldete Nichtvollziehbarkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (Nr. 2). Ist einer dieser Tatbestände erfüllt, fordert § 1a AsylbLG zwingend die Reduzierung der Leistungen auf das unabweisbar Gebotene. Was davon umfasst ist, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu bestimmen.14 9 Holzhey in: Eicher/Coseriu (Hrsg.), juris Praxiskommentar SGB XII (juris pk-SGB XII), 1. Auflage 2010, § 26 SGB XII, Rn. 8. 10 Gebhardt in: Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), Edition 27, 2012 (BeckOK SGB XII), § 39a, Rn. 3. 11 Gebhardt (Fn. 10) in: BeckOK SGB XII, § 39a, Rn. 4. 12 Becker in: Juris pk-SGB XII, § 39a, Rn. 44. 13 Becker (Fn. 12) in: Juris pk-SGB XII, § 39a, Rn. 42. 14 Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII Kommentar, 4. Auflage 2012, § 1a AsylbLG, Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 8 2.4. Meldeversäumnisse Nach § 32 SGB II werden Verstöße gegen Meldepflichten sanktioniert. Nach § 59 SGB II sind die Meldepflichten aus § 309 und § 310 SGB III anwendbar.15 § 32 SGB II findet sowohl auf den Bezug von Alg II als auch auf Sozialgeld Anwendung. Für jeden Verstoß kann die Leistung um 10 Prozent gekürzt werden. Diese Kürzung tritt zu den Sanktionen nach § 31a SGB II hinzu. 3. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschwürdigen Existenzminimums In der Literatur ist die Begründung der Gewährung des staatlichen Existenzminimums umstritten . Ein Teil der Literatur leitet die objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zur Gewährung des staatlichen Existenzminimums allein aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) in verfassungsgewohnheitsrechtlicher Deutung ab. Diese Auffassung hält es daher grundsätzlich für mit dem Sozialstaatsprinzip vereinbar, allgemein staatliche Fürsorge nur unter der Bedingung zumutbarer Arbeitsleistungen zu gewähren. Ein subjektiv-öffentliches Recht des Einzelnen auf öffentliche Fürsorge werde nur einfachgesetzlich vermittelt.16 Andere Teile der Literatur sowie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) leiten das Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ab.17 Sie argumentieren wie folgt: Während Art. 1 Abs. 1 GG dieses Grundrecht als Menschenrecht begründet, verpflichtet das Sozialstaatsprinzip, niedergelegt in Art. 20 GG, den Gesetzgeber zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Der Leistungsanspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG ist dem Grunde nach von der Verfassung vorgegeben, der Umfang des Anspruchs kann jedoch im Hinblick auf den erforderlichen Bedarf nicht aus der Verfassung abgeleitet werden, sondern bedarf der einfachgesetzlichen Umsetzung.18 Bei der Bestimmung des Umfangs dieses Anspruchs kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu; dieser besteht vor allem im Hinblick auf die notwendigen Wertungen, um im Einzeln konkretisieren zu können, was zur Sicherung der physischen und sozialen Existenz eines Menschen erforderlich ist. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss dabei so ausgestaltet sein, dass er „stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt“.19 Al- 15 Lauterbach (Fn. 7) in: Gagel, SGB II § 32, Rn. 2. 16 Enders, Sozialstaatlichkeit im Spannungsfeld von Eigenverantwortung und Fürsorge, in: VVDStRL 64 (2005), 7, 39 f., 51 f. 17 St.Rspr., zuletzt und ausführlich in BVerfG, Urteil vom 18. 7.2012, 1 BvL 10/10, Rn. 88 und BVerfGE 125, 175, 222 m.w.N.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, 254, 382ff.; Dürig in: Maunz/Dürig, Grundgesetzkommentar, Erstbearbeitung 1953, Art. 1 Rn. 43, zit. nach Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S. 56; Starck in: von Mangoldt /Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl., Band 1, 2010, Art. 1 Rn. 41 m.w.N, zustimmend Burkiczak, Zwischenrufe – Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV, SGb 2012, 324, 325; Aubel, Das Gewährleistungsrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – erörtert von den wissenschaftliche Mitarbeitern, S. 273, 278. 18 BVerfGE 125, 175, 224. 19 BVerfG, Urteil vom 18. 7.2012 (Fn. 17), Rn. 91; BVerfGE 125, 175, 224 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 9 lerdings ist er als ganzheitlicher grundrechtlicher Leistungsanspruch auch nur auf diejenigen Mittel beschränkt, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind.20 Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Umfangs des Leistungsanspruchs ist unterschiedlich: „Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht.“21 Ferner liegt es auch im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob er die notwendigen Leistungen als Geld-, Sach- oder Dienstleistungen gewährt. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle des Gestaltungsspielraums reduziert sich im Ergebnis darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind22 sowie auf die Frage, ob er der Berechnung ein taugliches Berechnungsverfahren – auf Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren23 – zugrundegelegt hat. Das BVerfG hat die Höhe der Regelleistungen nach SGB II in der Fassung vom 24. Dezember 2003 nicht als evident unzureichend qualifiziert24; auf der anderen Seite führe ein Unterschreiten dieses Regelsatzes um 35 Prozent wie bei den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz jedoch zu einem evidenten Defizit in der Sicherung der menschenwürdigen Existenz.25 Zwar hat das BVerfG in einer weiteren Entscheidung26 – zur Frage der Anrechnung von Einkommen bei dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II – ausgeführt, die Verfassung gebiete nicht die Gewährleistung „von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen“. Hieraus wird in der Literatur und erstinstanzlichen Rechtsprechung27 die Möglichkeit abgeleitet, den Bezug von Sozialleistungen insbesondere im Rahmen des „Förderns und Forderns“ an eine Mitwirkung des Leistungsberechtigten zu knüpfen. Diese Entscheidung bezieht sich hingegen auf die Anrechnung von Einkommen, mithin auf die Bedarfsprüfung. Bei der Sanktionierung von Leistungsempfängern nach SGB II ist die Bedürftigkeit jedoch bereits festgestellt; es handelt sich also nicht mehr um den Bezug einer voraussetzungslosen Leistung. 20 BVerfGE 125, 175, 223. 21 BVerfGE 125, 175, 225. 22 BVerfGE 82, 60, 91 f.; BVerfGE 125, 175, 225. 23 BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 (Fn. 17), Rn. 105. 24 BVerfGE 125, 175, 229. Auch nach Kunig in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 1 Rn. 30 gewährt das derzeitige System der sozialen Sicherung Leistungen deutlich über der Schwelle zum Existenzminimum und sei daher auch nicht in allen Einzelheiten verfassungsrechtlich garantiert. 25 BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 (Fn. 17), Rn. 113. 26 BVerfG, Beschluss vom 7.7.2010, 1 BvR 2556/09 (Rn. 13) = NJW 2010, 2866. 27 SG Landshut, 10. Kammer, Beschluss vom 10.5.2012, S 10 AS 259/12 ER, Juris Rn. 32 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 10 4. Vereinbarkeit der Sanktionsmöglichkeiten für über 25-Jährige mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum Im Folgenden wird geprüft, ob die gesetzliche Ausgestaltung der Sanktionsmöglichkeiten für über 25-Jährige mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar ist. Da es sich hierbei nicht um ein Abwehrrecht, sondern um einen verfassungsrechtlichen Gewährleistungsanspruch handelt, werden zunächst die Anspruchsvoraussetzungen und danach die Anspruchsinhalte dargestellt und geprüft, ob der Gesetzgeber bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Sanktionsmöglichkeiten den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt hat.28 4.1. Anspruchsvoraussetzungen – Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums auch ohne zumutbaren Einsatz der Arbeitskraft? Wie bereits unter Punkt 3 ausgeführt, verpflichten Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG den Gesetzgeber zur Sicherung eines existenzwürdigen Existenzminimums . Die Voraussetzungen dieses Anspruches liegen vor, wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen Mittel fehlen, „weil er sie weder aus einer Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen, noch durch Zuwendungen Dritter erlangen kann“.29 Nach einer Auffassung lägen die Voraussetzungen für diesen grundrechtlichen Anspruch dann nicht vor, wenn der Betroffene nicht bereit ist, „sich durch den zumutbaren Einsatz seiner Arbeitskraft selbst zu helfen“.30 Hier müsse der Staat allenfalls aus anderen sozialstaatlichen oder gefahrenabwehrrechtlichen Gründen Abhilfe schaffen. Für diese Auffassung findet sich jedoch in der Rechtsprechung des BVerfG kein Anhaltspunkt. Das BVerfG stellt lediglich auf das Vorliegen der Hilfebedürftigkeit ab.31 Diese Hilfebedürftigkeit liegt auch dann weiter vor, wenn die zu unterstützende Person ein konkretes Arbeitsangebot ausschlägt , und damit die gegenwärtige Erwerbslosigkeit durch zurechenbares Verhalten verursacht hat.32 Denn der verfassungsrechtliche Anspruch auf Unterstützung ist unabhängig von den Ursachen der Hilfebedürftigkeit. Ob ein entsprechendes Verhalten aber sanktioniert werden darf, wird im Folgenden unter Punkt 4.2 geprüft werden. 28 Vgl. hierzu Aubel (Fn. 17), S. 286. 29 BVerfG 125, 175 (222). 30 Neumann, Ein neues Grundrecht für die Armen – Was das Bundesverfassungsgericht zum Anspruch auf ein Existenzminimum sagt, vorgänge 2012, S. 102, 103. Ähnlich SG Landshut, 10. Kammer, Beschluss vom 10.5.2012, S 10 AS 259/12 ER, Juris Rn. 32 f. 31 So auch Aubel (Fn. 17), S. 286. Gegen ein „Austauschverhältnis“ von Leistungen und Pflichten des Empfängers auch Lauterbach, Verfassungsrechtliche Probleme der Sanktionen im Grundsicherungsrecht, ZFSH SGB 2011, 584. 32 Aubel (Fn. 17), S. 289. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 11 Andere Stimmen in der Literatur werten die Sanktionen als Eingriff in das Recht auf Sicherung des Existenzminimums.33 Zwar müsse das Grundrecht einfachgesetzlich ausgestaltet werden. Habe der Gesetzgeber aber in Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung eine bestimmte Höhe des Existenzminimums festgelegt, sei das Grundrecht vollends ausgestaltet. Änderungen und Kürzungen wie etwa bei Sanktionen müssten als Eingriff in dieses Grundrecht gewertet werden.34 Da die Menschenwürde unverfügbar sei, sei ein entsprechender Eingriff nicht zu rechtfertigen, jede Kürzung daher verfassungswidrig.35 Diese Auslegung ist zumindest mit der Rechtsprechung des BVerfG kaum in Einklang zu bringen.36 Nach dem Ansatz des BVerfG handelt es sich um ein zweistufiges Grundrecht. Dem Grunde nach ergibt sich der Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums aus der Verfassung. Diese fordert den Gesetzgeber auf, diesen Anspruch einfachgesetzlich auszugestalten. Entsprechend hat das Gericht die seiner Entscheidung über die Höhe des Regelbedarfs zugrundeliegenden Normen des SGB II auch nicht für nichtig erklärt, da andernfalls eine Auszahlung der Leistungen ohne Gesetzesgrundlage nicht mehr möglich gewesen wäre.37 Gegen die dargelegte Auffassung spricht ferner, dass der Gesetzgeber mit der einmaligen einfachgesetzlichen Konkretisierung des Existenzminimums diese auf ewig festgeschrieben hätte und eine Änderung in der Zukunft – zumindest eine Minderung des Anspruchs angesichts veränderter Lebensumstände – verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre. Eine solche Festlegung widerspräche aber wohl dem Demokratieprinzip, da der einfache Gesetzgeber zukünftige Gesetzgeber nur über entsprechende Änderungen der Verfassung, nicht aber durch einfache Gesetze binden kann. Bei den durch die Sanktionen Betroffenen liegen demnach grundsätzlich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf die Gewährleistung des Existenzminimums vor. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob an ein bestimmtes Verhalten Sanktionen geknüpft werden können. 4.2. Ausgestaltung des Anspruchsinhalts – Sanktionen Im Folgenden ist daher zu prüfen, ob sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Sanktionen im Rahmen seines Gestaltungsspielraums bewegt, oder ob er hierbei verfassungsrechtliche Maßstäbe verletzt hat. Wie bereits ausgeführt, kommt dem Gesetzgeber bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Sicherung der Existenz ein Gestaltungsspielraum zu. Dieser betrifft den Umfang der Sicherung des Existenzminimums38 sowie die Art und Weise – etwa durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen.39 In dieser Hinsicht kontrolliert das 33 Nešković/Erdem, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV, in SGb 2012, S. 134; Nešković/Erdem, Für eine verfassungsrechtliche Diskussion über die Menschenwürde von Hartz IV-Betroffenen, SGb 2012, S. 324. 34 Nešković/Erdem (Fn. 33), SGb 2012, 327. 35 Nešković/Erdem (Fn. 33), SGb 2012, 140. 36 Vgl. auch Kritik bei Burkiczak (Fn. 17), SGb 2012, S. 324. 37 BVerfGE 125, 175 (255 f.). 38 BVerfGE 125, 175 (225). 39 BVerfGE 125, 175 (224). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 12 BVerfG lediglich, ob der Umfang der Leistungen evident unzureichend für die Sicherung des Existenzminimums ist. Bei der Berechnung des Umfangs hat sich der Gesetzgeber jedoch eines tauglichen und sachgerechten Verfahrens zu bedienen.40 4.2.1. Grundsätzliche Zulässigkeit von Sanktionen Soweit es um die Sanktionen geht, ist vorab zu klären, ob es verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig ist, die (vollständige) Gewährung von Leistungen an das Verhalten des Hilfsbedürftigen anzuknüpfen oder ob es verfassungsrechtlich geboten ist, jedem Leistungsbezieher das gleiche Maß an Leistungen je nach Hilfebedürftigkeit zu gewähren. Bislang liegt zu dieser Frage keine verfassungsgerichtliche Rechtsprechung vor.41 Zwar hat sich das Gericht mehrfach zur Zulässigkeit von unterschiedlichen Leistungshöhen im Bereich von Leistungen zur Existenzsicherung geäußert.42 Dabei ging es jedoch nicht um Sanktionen für Pflichtverletzungen. So ist die zeitweise Absenkung des Leistungsniveaus zur Rückzahlung eines Kredits, der zur Deckung eines einmaligen Bedarfs gewährt wurde, mit der Verfassung zu vereinbaren.43 Die Leistungen zur Deckung des Existenzminimums enthalten einen Teil, der zur Deckung unregelmäßig auftretender einmaliger Bedarfe vorgesehen ist. Kann der Leistungsempfänger diesen Bedarf zum Zeitpunkt der notwendigen Anschaffung nicht decken, so kann dazu ein Kredit gewährt werden. Die Leistungsminderung entspricht dabei einem nachträglichen Sparen zur Deckung des Bedarfs.44 Daher entspricht die Absenkung der Leistungshöhe einer bedarfsgerechten Ausgestaltung der Leistungen. Die sozialgerichtliche Rechtsprechung und der ganz überwiegende Teil der Literatur hält es für verfassungsrechtlich unbedenklich, bestimmtes Verhalten des Hilfebedürftigen zu sanktionieren .45 Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum stehe der Berücksichtigung des Prinzips des Förderns und Forderns nicht entgegen. Dies entspreche auch der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, nach der der Staat zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz nur verpflichtet sei, wenn Menschen diese „weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter“ erlangen könn- 40 BVerfGE 125, 175 (225). 41 Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Absenkung der Regelleistung um 30 Prozent gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. c SGB II a.F. hat der 1. Senat des BVerfG in einem Kammerbeschluss ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 12. Januar 2011 – 1 BvR 1570/10). 42 BVerfGE 125, 175 (229, 245); BVerfG 18. 7.2012 (Fn. 17), Rn. 120. 43 BVerfGE 125, 175 (229). 44 So auch Nešković/Erdem (Fn. 33), SGb 2012, S. 138 f. 45 BSG v. 9.11.2010 – B 4 AS 27/10 R; LSG Berlin-Brandenburg v. 8.10.2010 – L 29 AS 1420/10 B; LSG Niedersachsen -Bremen v. 21.4.2010 – L 13 AS 100/10 B ER; zuletzt SG Landshut v. 7.5.2012, S 10 AS 259/12 ER; Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der SPD, BT-Drs. 17/6833, S. 2; Lauterbach, (Fn. 31), ZFSH SGB 2010, S. 584; Davilla, Die schärferen Sanktionen im SGB II für Hilfebedürftige unter 25 Jahren - ein Plädoyer für ihre Abschaffung, SGb 2010, S. 557, 558; Aubel (Fn. 17), S. 290, 296. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 13 ten.46 Die Verfassung gebiete nicht die „Gewährung von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen“.47 Die Verpflichtung des Staates zur Sicherung des Existenzminimums stehe dem Vorrang der Selbsthilfe sowie der Subsidiarität staatlicher Leistungen nicht entgegen.48 Der Einzelne solle nach dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit primär selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen.49 Sanktionen, die zu einer Absenkung der Leistungen führten, seien daher zulässig, wenn der Betroffene seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkomme.50 Grundsätzlich dürften Sanktionen wohl zulässig sein, soweit sie sich in bestimmten, nachfolgend dargelegten Grenzen halten. Dem Gesetzgeber steht ein Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Gewährleistung des Existenzminimums zu; hierbei kann er sozialwidriges Verhalten – etwa die grundlose Ablehnung von angebotenen Arbeitsplätzen – in bestimmten Umfang berücksichtigen . Er ist verfassungsrechtlich nicht zur Gleichbehandlung aller Hilfsbedürftigen unabhängig von ihrem Verhalten verpflichtet. Allerdings müssten die Sanktionen wohl an ein steuerbares Verhalten des Hilfebedürftigen anknüpfen, zeitlich begrenzt sein und dem Hilfebedürftigen Perspektiven zur Änderung seiner Lage angeboten werden.51 4.2.2. Umfang der Sanktionen – Leistungshöhe Sofern man die grundsätzliche Zulässigkeit von Sanktionen bejaht, ist darüberhinaus der verfassungsrechtlich zulässige Umfang der Sanktionen zu bestimmen. Als einfachgesetzliche Ausgestaltung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum müssen diese daher die vom BVerfG ausgearbeiteten Anforderungen erfüllen. Die Sanktionen können daher nicht über den gesetzgeberischen Gestaltungsraum hinausgehen. Das BVerfG prüft hinsichtlich der absoluten Höhe der Leistungen lediglich, ob diese evident unzureichend sind.52 In seiner Entscheidung „Hartz IV“ hat das Gericht eine evidente Unterschreitung der gebotenen Leistungshöhe hinsichtlich des Regelbedarfs nach SGB II verneint.53 In seiner Entscheidung zu den Leistungen nach dem AsylbLG hat es jedoch bei einer Leistungshöhe, die 35 Prozent unter der Höhe der derzeitigen Regelleistungen nach dem SGB II liegt, eine evidente 46 BVerfGE 125, 175 (222). 47 BVerfG 7.7.2010 (Fn. 21), Rn. 13. 48 Schnath, Das neue Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums – Ein rechtspolitischer Ausblick nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010, NZS 2010, S. 301; Davilla (Fn. 45), SGb 2010, S.558. 49 Lauterbach (Fn. 31), ZFSH SGB 2011, S. 584; Neumann (Fn. 30), vorgänge 2012, S. 104; Berlit, info also 2011, S. 54 f.; Davilla (Fn. 45), SGB 2010, S. 558. Kritisch Richers/Köpp, DÖV 2010, 1000 f., die für eine Abwägung im Einzelfall plädieren. 50 Aubel (Fn. 17), S. 297; Lauterbach (Fn. 31), ZFSH SGB 2011, S. 584; Burkiczak in Beck OK, § 31a, Rn. 12; Berlit (Fn. 49), info also 2011, S. 54 f.; Davilla (Fn. 45), SGB 2010, S. 558. 51 Lauterbach (Fn. 31), ZFSH SGB 2011, S. 584. 52 BVerfGE 125, 175 (225 f.) 53 BVerfGE 125, 175 (229) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 14 Unterschreitung angenommen.54 Daher ist bereits zweifelhaft, ob die pauschale Minderung der Regelleistung um 30 Prozent ohne ausgleichende Sach- oder geldwerte Dienstleistungen verfassungsgemäß wäre,55 selbst wenn diese Absenkung – anders als bei den Leistungen nach dem AsylbLG – zunächst nur auf drei Monate befristet erfolgt und Betroffene in diesem Zeitraum auf Schonvermögen wie Erspartes zurückgreifen können.56 Bei einer Minderung der Geldleistungen von mehr als 30 Prozent, die nicht durch Sach- und Dienstleistungen ergänzt wird, werden die verfassungsrechtlichen Bedenken umso stärker.57 Dies gilt insbesondere, wenn in der dritten Sanktionsstufe die Geldleistungen des Alg II komplett gestrichen werden und Obdachlosigkeit droht, weil auch die Leistungen für Unterkunft nicht mehr übernommen werden.58 Die Erbringung ergänzender Sach- oder geldwerter Leistungen59 dürfte dann – anders als in der aktuellen Formulierung des § 31a SGB II – wohl nicht mehr in das Ermessen der Behörde gestellt werden.60 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 wies das Bundessozialgericht (BSG) mögliche verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich einer Kürzung von Leistungen um 20 oder 30 Prozent für den konkreten Fall mit dem Hinweis zurück, der Leistungsträger habe dem Berechtigten ergänzende Sachleistungen „in angemessenem Umfang“ angeboten und erbracht; die Verfassungsmäßigkeit der Regelung ließ es damals ausdrücklich offen .61 In der neueren Literatur wird hingegen aus der Tatsache, dass das BVerfG die Höhe der Regelleistung nicht für verfassungswidrig erklärt hat, geschlossen, dass eine Absenkung des Leistungsniveaus durch Sanktionen möglich sei.62 Hinsichtlich der Anforderungen an den Umfang der Gewährleistung des Existenzminimums außerhalb der Kontrolle des evident Unzureichenden herrscht in der Literatur weitestgehend Einigkeit , dass auch im Falle einer Sanktionierung das physische Existenzminimum des Bedürftigen gewahrt bleiben müsse.63 Aus dem engeren Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Bereich 54 BVerfG, Urteil vom 18. 7.2012 (Fn. 17), Rn. 13. 55 Zweifelnd auch Aubel (Fn. 17), S. 297 f. 56 Hierauf weisen Richers/Köpp (Fn. 49), DÖV 2010, S. 999 hin. 57 So auch Richers/Köpp (Fn. 49), DÖV 2010, S. 999 f.; Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 31 Rn. 51. 58 Sonnhoff, in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 31a Rn. 25, hält diese Sanktion für nicht praktikabel und widersprüchlich , weil aufgelaufene Mietschulden dann wieder beglichen werden müssten. 59 Kritisch zu den Sachleistungen, soweit sie den Betroffenen keine Wahlmöglichkeiten mehr lassen, Richers/Köpp (Fn. 49), DÖV 2010, S. 1000. 60 So auch Richers/Köpp (Fn. 49), DÖV 2010, S. 1000 und Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II Kommentar, § 31a, Rn. 39, die für den Fall drohender Obdachlosigkeit in verfassungskonformer Auslegung eine Ermessensreduzierung auf Null fordern. 61 BSG vom 9.11.2010, NJW 2011, 2073, 2077. 62 Davilla (Fn. 45), SGb 2010, 558. 63 Lauterbach (Fn. 31), ZFSH SGB 2011, S. 585; Berlit (Fn. 49), info also 2011, S. 55; Burkiczak (Fn. 50) in: Beck OK, § 31a, Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 15 des physischen Existenzminimums ergibt sich, dass bei einer Absenkung oder Streichung von Leistungen in diesem Bereich diese durch Ersatzleistungen ausgeglichen werden müssen.64 Umstritten ist, inwieweit durch die Sanktionen in das sozio-ökonomische Existenzminimum eingegriffen werden darf. Eine (vollständige) Kürzung des sozio-ökonomischen Existenzminimus wird zum Teil als zulässig angesehen, wenn das physische Existenzminimum gewahrt bleibt.65 Dies wirft allerdings vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG Fragen auf. Das Gericht sieht in dem Recht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums ein einheitliches Grundrecht, das sowohl das physische als auch das sozio-ökonomische Existenzminimum umfasst. „Der Mensch existiert notwendig in seinen sozialen Bezügen.“66 Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums müssen daher neben dem physischen Existenzminimum zumindest auch einen geringen Betrag zur Deckung des sozio-ökonomischen Existenzminimums vorsehen.67 Zwar hat der Gesetzgeber einen weiteren Gestaltungsspielraum als im Bereich des physischen Existenzminimums. Eine – auch zeitweilige – Absenkung des sozio-ökonomischen Existenzminimums auf Null wäre allerdings wohl kaum mit Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 GG zu vereinbaren. Auch hier wär an einen Ersatz durch Sach- oder geldwerte Dienstleistungen zu denken . Eine genaue Untergrenze ergibt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG jedoch nicht. 4.2.3. Verfahren zur Berechnung des Bedarfs Das BVerfG hat als Ausgleich für die bloß auf evidente Unterschreitungen beschränkte Kontrolle der Leistungshöhe eine genaue Überprüfung des Verfahrens zur Festsetzung der Leistungen durchgeführt. Daraus ergibt sich, dass das BVerfG das Verfahren zur Ausgestaltung genau kontrolliert . Dieses muss insbesondere nachvollziehbar und folgerichtig sein. Pauschale Schätzungen „ins Blaue“ hinein verbieten sich dabei. Das Sanktionssystem des SGB II sieht hingegen zwingend eine pauschale Absenkung der Leistungshöhe bei Pflichtverletzungen vor. Der Behörde kommt dabei lediglich bei der Milderung bzw. bei der Gewährung von Ersatzleistungen ein Ermessensspielraum zu. Der Gesetzgeber hat bislang nicht im Einzelnen dargelegt, wie bei einer Kürzung das Existenzminimum – im physischen oder sozio-ökonomischen Bereich – gewahrt bleibt.68 Es müsste sich aus den Gesetzesmaterialien eine klare Berechnungsmethode auf Grundlage der Sonderauswertung der Einkommensund Verbrauchsstichprobe ergeben.69 Bei der Berechnung könnten auch Besonderheiten Berück- 64 Lauterbach (Fn. 31), ZFSH SGB 2011, S. 585; Burkiczak (Fn. 50) in: Beck OK, § 31a, Rn. 12. 65 Lauterbach (Fn. 31), ZFSH SGB 2011, S. 585; Burkiczak (Fn. 50) in: Beck OK, § 31a, Rn. 12. 66 BVerfGE 125, 175 (223). 67 So auch Aubel (Fn. 17), S. 298. 68 Kritisch zum Verfahren insb. im Hinblick auf die Folgerichtigkeit und die Begründung der verschiedenen Sanktionsstufen auch Spellbrink, Zur Bedeutung der Menschenwürde für das Recht der Sozialleistungen, DVBl. 2011, 661, 664; Rixen, Verfassungsrecht ersetzt Sozialpolitik? – „Hartz IV“ auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts , SozR aktuell, 2010, 81, 87. 69 Hierzu Aubel (Fn. 17), S. 298. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 16 sichtigung finden, wie etwa die Unterscheidung zwischen unaufschiebbarem Bedarf und solchem , der nach Ende einer zeitigen Befristung zu erfüllen wäre. Ferner könnte dargelegt werden, wie weit existenzsichernde Leistungen durch Sach- und Dienstleistungen erbracht werden. Das derzeitige System stößt angesichts der Rechtsprechung des BVerfG auf verfassungsrechtliche Bedenken. 5. Verfassungsmäßigkeit der schärferen Sanktionen für unter 25-Jährige Das Sanktionssystem ist für unter 25-jährige Leistungsempfänger deutlich schärfer ausgestaltet als für über 25-Jährige. Bei Vorliegen der gleichen Pflichtverletzungen (siehe Punkt 2.1.1) erfolgt bei unter 25-jährigen Leistungsempfängern eine stärkere Kürzung der Leistungen (siehe Punkt 2.1.2). So entfällt etwa bei einer erstmaligen Pflichtverletzung der Leistungsanspruch bei unter 25-Jährigen komplett, während bei über 25-Jährigen lediglich eine 30 prozentige Kürzung eintritt. Die Verfassungsmäßigkeit der darin liegenden unterschiedlichen Behandlung ist an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. 5.1. Ungleichbehandlung Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich sowie wesentlich ungleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln.70 Für die beiden Vergleichsgruppen, Leistungsempfänger unter und Leistungsempfänger über 25 Jahren, werden an identische Sachverhalte unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft. Einziges Unterscheidungskriterium ist dabei das Alter der Leistungsempfänger. Somit liegt eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung vor. 5.2. Rechtfertigungsmaßstab Fraglich ist, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann. Dabei ist zunächst fraglich , welcher Rechtfertigungsmaßstab hier anzulegen ist. Das BVerfG ging in seiner früheren Rechtsprechung davon aus, dass Ungleichbehandlungen lediglich nicht willkürlich erfolgen dürfen . Dem ist dann Genüge getan, wenn ein vernünftiger Grund vorliegt.71 In der neueren Rechtsprechung wendet das BVerfG eine differenziertere Rechtfertigungsprüfung an. Je nach Regelungsgegenstand und Unterscheidungsmerkmal gelten unterschiedliche Anforderungen an die Rechtfertigung, die „vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen“.72 70 Kischel in: Beck’scher Online-Kommentar GG, Epping/Hillgruber (Hrsg.), Edition 15, Stand 1.7.2012,Art. 3 GG, Rn. 14. 71 Kischel (Fn. 70) in: Beck OK GG, Rn. 28; BVerfGE 1, 14 (52). 72 Kirchhof in: Handbuch des Staatsrechts, Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Band 8, 3. Aufl. 2010, § 181, Rn. 233; BVerfGE 124, 199 (219); Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 12. Aufl. 2012, Art. 3 GG, Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 17 Die Kontrolldichte ist dann geringer, wenn die unterschiedliche Behandlung an das Verhalten der Betroffenen anknüpft.73 Sie ist dann stärker, wenn an persönliche Merkmale angeknüpft wird.74 Sie ist dann besonders intensiv, wenn der Betroffene die Differenzierungsmerkmale nicht durch sein Verhalten beeinflussen kann, bzw. wenn die Kriterien den besonderen Diskriminierungsverboten aus Art. 3 Abs. 3 GG gleichen und die Diskriminierung einer Minderheit droht.75 Festzustellen ist, wie die Ungleichbehandlung auf Grund des Alters darin einzuordnen ist. Nach Teilen der Literatur ist bei der Ungleichbehandlung auf Grund des Alters ein strenger Maßstab anzulegen .76 Dies wird zum einen damit begründet, dass es sich bei dem Lebensalter um ein persönliches Merkmal handelt, auf das die Betroffenen keinen Einfluss nehmen können.77 Zum anderen soll es sich bei dem Lebensalter um ein Merkmal handeln, das den Merkmalen aus Art. 3 Abs. 3 GG besonders nahe steht.78 Dies wird insbesondere darauf gestützt, dass das Verbot der Altersdiskriminierung in den besonderen Diskriminierungsverboten des Art. 21 GRCh79 enthalten ist.80 Für Ungleichbehandlung aufgrund von Kriterien, die in Art 21 GRCh enthalten sind, soll ein besonders hoher Rechtfertigungsmaßstab anzulegen sein.81 Dem dürfte im Ergebnis zuzustimmen sein. Die Betroffenen können auf ihr Lebensalter keinen Einfluss nehmen. Auch dürfte die europäische Rechtsentwicklung zu berücksichtigen sein. Das BVerfG hat jedenfalls unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 21 GRCh einen besonders strengen Rechtfertigungsmaßstab für unterschiedliche Behandlungen auf Grund der sexuellen Orientierung angenommen.82 Es liegt daher nahe, diese Rechtsprechung auch auf die anderen in Art. 21 GRCh genannten Merkmale – und insbesondere das Alter – auszuweiten. 5.3. Sachlicher Grund und Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung Die Rechtmäßigkeitsprüfung der Ungleichbehandlung hat daher nach einem strengen Kontrollmaßstab zu erfolgen, der einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entspricht. Zunächst muss ein zulässiger Zweck verfolgt werden. Die schärfere Sanktionierung soll zum einen der Eingliederung der Leistungsempfänger in den Arbeitsmarkt dienen. Es soll verhindert werden, dass junge Arbeitslose „frühzeitig dauerhaft in der Langzeitarbeitslosigkeit ohne realisti- 73 Jarass (Fn. 72), Art. 3 GG, Rn. 20. 74 Jarass (Fn. 72), Art. 3 GG, Rn. 19. 75 BVerfGE 124, 199 (220); Jarass (Fn. 72), Art. 3 GG, Rn. 19. 76 Davilla (Fn. 45), SGB 2010, S. 560; Berlit, Die besondere Rechtsstellung der unter 25-Jährigen im SGBII (Teil 2), in: info also 2011, S. 124; Jarass (Fn. 72), Art. 3 GG, Rn. 19. 77 Davilla (Fn. 45), SGB 2010, S. 560; Berlit (Fn. 76), info also 2011, S. 124. 78 Davilla (Fn. 45), SGB 2010, S. 560; ihnen folgend Valgolio (Fn. 60), § 31a Rn. 43. 79 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 83/389 vom 30. März 2010. 80 Jarass (Fn. 72), Art. 3 GG, Rn. 19. 81 Jarass (Fn. 72), Art. 3 GG, Rn. 19. 82 BVerfGE 124, 199 (220). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 18 sche Vermittlungschancen am Arbeitsmarkt verharren.“83 Diese arbeitsmarktpolitischen Gründe stellen legitime Ziele dar. Ferner sollen die Sanktionen eine „erzieherische Wirkung“ auf die betroffenen Jugendlichen ausüben.84 Die Ungleichbehandlung müsste darüberhinaus geeignet, erforderlich und angemessen sein. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird in der Literatur zum Teil bezweifelt,85 während in der Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift unterstellt oder nicht weiter thematisiert wird. 86 In der Literatur werden die schärferen Sanktionen für nicht erforderlich gehalten, da die verfolgten Ziele ebenso gut bereits durch eine intensivere Betreuung der jungen Leistungsempfänger erreicht werden könnten.87 Nur im Zusammenspiel mit einer notwendig erhöhten Vermittlungsintensität für Jugendliche könnten diese schärferen Sanktionen überhaupt als geeignet angesehen werden.88 Entsprechend hat die „Gemeinsame Kommission der Justizministerkonferenz sowie der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister“ die Streichung dieser Regelung befürwortet.89 Sie nahm dabei auf die Empfehlungen der Länder-Arbeitsgruppe „Maßnahmen zur Verminderung der Belastung und zur Effizienzsteigerung der Sozialgerichte“ Bezug. Die Arbeitsgruppe sah die Regelung unter Gleichheitsaspekten als verfassungsrechtlich kaum haltbar an.90 Zudem seien positive verhaltenssteuernde Effekte auch nicht ohne weiteres zu erwarten.91 In der Literatur werden zum Teil sogar kontraproduktive Effekt befürchtet.92 Die Kommission fordert auch die gesetzliche Normierung eines Forschungsauftrages, um die Auswirkungen der Sonderregelungen für die unter 25-Jährigen empirisch zu überprüfen; nur 83 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN, BT-Drs. 15/1516, S. 61 zum damaligen Absatz 4. 84 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drs. 16/1696, S. 27. 85 Davilla (Fn. 45), SGB 2010, S. 560 ff.; Berlit (Fn. 76), info also 2011, S. 124; Lauterbach (Fn. 7) in: Gagel, SGB II § 31a, Rn. 14. 86 LSG Nordrhein-Westfalen v. 30.06.2006 - L 19 B 40/06 AS ER; LSG Nds-Bremen Beschl v 08.07.2009 - L 6 AS 335/09 B ER – Rn. 9, das den erzieherischen Effekt der Maßnahme unterstreicht; LSG Bayern v. 28.8.2012, L 7 AS 527/12 B ER. 87 Berlit in: LPK-SGB II, 2. Aufl., § 31 Rn. 17; Davilla (Fn. 45), SGB 2010, S. 561; Krahmer, Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Hartz-IV-Gesetze (SGB II und SGB XII), ZfF 2004, 178. 88 Sonnhoff (Fn. 58), § 31a Rn. 35. 89 Bericht der Gemeinsamen Kommission der Justizministerkonferenz sowie der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister zur Erarbeitung von Änderungsvorschlägen auf dem Gebiet des Sozialrechts vom 27. Oktober 2010, S. 41 f. 90 Empfehlungen der Länder-Arbeitsgruppe „Maßnahmen zur Verminderung der Belastung und zur Effizienzsteigerung der Sozialgerichte“ vom 19. Oktober 2009, S. 83. 91 Empfehlungen der Länder-Arbeitsgruppe „Maßnahmen zur Verminderung der Belastung und zur Effizienzsteigerung der Sozialgerichte“ vom 19. Oktober 2009, S. 80; Siehe auch Valgolio (Fn. 60), § 31a Rn. 44. 92 Valgolio (Fn. 60), § 31a Rn. 43; Berlit (76), info also 2011, 124. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 19 beim Nachweis einer entsprechenden Wirksamkeit seien sie wohl verfassungsrechtlich zu rechtfertigen .93 Ferner wird eingewandt, die verschärften Sanktionsregelungen widersprächen dem erzieherischen Gedanken, der bislang bspw. dem Jugendstrafrecht zugrundeliege: Verstöße gegen gesellschaftliche Konventionen und die Strafgesetze kämen bei Jugendlichen wegen deren Leichtsinns häufiger als bei Erwachsenen vor; ihnen sei daher anders zu begegnen. Auch in der Arbeitswelt und im Umgang mit Behörden könnten Jugendlichen solche Regelverstöße schneller unterlaufen .94 Es könne nicht ohne weiteres von einem Unrechtsbewusstsein der Jugendlichen ausgegangen werden.95 Zwar steht dem Gesetzgeber hinsichtlich der Eignung und Erforderlichkeit einer Maßnahme zur Erreichung eines legitimen Ziels ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Wenn sich allerdings in der Praxis die mangelnde praktische Eignung einer Maßnahme – hier die fehlenden verhaltenssteuernden Effekte der Kürzungen – zeigt, engt dies den Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers ein und er müsste die grundsätzliche Geeignetheit der Maßnahme mit guten Argumenten begründen. Darüberhinaus stellt sich im Rahmen der Angemessenheit die Frage, ob dem Einzelnen angesichts der teilweise nur beschränkten Vermittlungsaussichten solche unumstritten sehr tiefe Einschnitte in das Recht auf Gewährung eines Existenzminimums zugemutet werden können . Sofern sich positive verhaltenssteuerende Effekte nicht nachweisen lassen und Vermittlungsaussichten für unter 25-Jährige nicht in ausreichendem Maße bestehen, sprechen starke Argumente für die Unvereinbarkeit dieser verschärften Sanktionsregelung für unter 25-Jährige mit dem Gebot der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. 6. Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen nach dem SGB XII 6.1. Einschränkung der Leistungen gem. § 26 SGB XII § 26 SGB XII sieht die Absenkung der Leistungshöhe bei zurechenbarem Vorverhalten des Bedürftigen vor. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm ist bislang weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung behandelt worden. Die Bundesregierung hält diese Sanktionen für zulässig, da mit ihnen auf eine unrechtmäßige Inanspruchnahme reagiert werden soll, um rückwirkend das sogenannte Nachrangsprinzip zu wahren. Ferner sollen die Betroffenen im Rahmen des Förderns und Forderns möglichst aktiviert werden.96 93 Bericht der Gemeinsamen Kommission der Justizministerkonferenz sowie der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister (Fn. 89), S. 66 ff. 94 Sonnhoff (Fn. 58), § 31a Rn. 35. 95 Valgolio (Fn. 60), § 31a Rn. 44. 96 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion der SPD, BT-Drs. 17/6833, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 20 Wie auch die Sanktionsregeln im SGB II sind die Sanktionen nach § 26 SGB XII nur dann verfassungsgemäß , wenn sie eine zulässige Ausgestaltung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum darstellen. Entscheidend ist daher, ob die Verknüpfung der Leistungen zur Existenzsicherung an das Vorverhalten des Bedürftigen zulässig ist. In der Literatur werden teilweise Sanktionen für zulässig gehalten, die auf steuerbares Verhalten des Bedürftigen reagieren.97 Nach einer anderen Auffassung darf Vorverhalten bei der Bemessung der Leistungshöhe nicht berücksichtigt werden.98 Nach wiederum anderer Ansicht müsse allein die konkrete aktuelle Bedürftigkeit entscheidend sein.99 Für die verfassungsrechtliche Bedürftigkeit dürfe allein der gegenwärtige Zeitpunkt berücksichtigt werden.100 Ob die selbstverschuldete Bedürftigkeit im Rahmen der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts berücksichtigt werden darf, ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zweifelhaft. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 GG „erfordert eine Kontrolle der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung daraufhin, ob sie dem Ziel des Grundrechts gerecht werden.“101 Die Absenkung der Leistungen im Falle der schuldhaften Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit reagiert allein auf einen abgeschlossenen Vorgang. Auch durch ein zukünftiges regelkonformes Verhalten kann die bereits eingetretene und ggf. auch in Zukunft andauernde Hilfebedürftigkeit nicht beseitigt werden. Durch die Absenkung der Leistungen bei fortgesetztem unwirtschaftlichem Verhalten soll der Leistungsempfänger dazu bewogen werden, dass er die Leistungen so einsetzt, dass sie für den gesamten Leistungszeitraum ausreichen. Die Regelung wirkt also nicht darauf hin, dass der Leistungsempfänger seinen Lebensunterhalt in Zukunft selbst bestreiten kann. Der Leistungsempfänger hat vielmehr zeitweise nur eingeschränkte Mittel zur Verfügung. 6.2. Sanktionen nach § 39a SGB XII § 39a SGB XII sieht eine Minderung der Regelbedarfsstufe um 25 Prozent für Personen vor, die die Aufnahme einer Tätigkeit oder die Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung ablehnen. Im Wiederholungsfalle mindert sich der Bedarf um je weitere 25 Prozent. Die Sanktionen nach § 39a SGB XII ähneln denen des SGB II. Besonderheiten hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit bestehen dabei nicht. Daher kann auf die Ausführungen unter Punkt 4.2.1 verwiesen werden. 97 Lauterbach (Fn. 31), ZFSH SGB 2011, 584 98 Rothkegel, Ralf, Das Gericht wird’s richten - das AsylbLG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Ausstrahlungswirkungen , in: ZAR 10/2012, S. 357. 99 Aubel (Fn. 17), S. 288 ff. 100 Aubel (Fn. 17), S. 290. 101 BVerfGE 125, 175 (226). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 21 7. Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen nach dem AsylbLG Nach § 1a AsylbLG erhalten Bedürftige lediglich solche Leistungen, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. § 1a AsylbLG sieht zwei Tatbestandsalternativen für eine Kürzung der gewährten Leistungen vor: zum einen die Einreise in das Bundesgebiet, um entsprechende Leistungen zu erlangen (1. Alt), zum anderen vom Betreffenden zu vertretende Hindernisse, das Bundesgebiet wieder zu verlassen (2. Alt). Die Kürzung der Leistung betrifft auch Ansprüche der Familienangehörigen, also insbesondere auch von minderjährigen Kindern. Fraglich ist, ob diese Regelung mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar ist. Die derzeitige Ausgestaltung der Leistungen zur Existenzsicherung nach dem AsylbLG wurden vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt, da diese nicht mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 GG vereinbar sind.102 Zu der Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen im AsylbLG hat sich das BVerfG jedoch nicht geäußert. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine darauf gerichtete Kleine Anfrage lediglich auf das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung des entsprechenden Gerichtsurteils verwiesen.103 In der Literatur finden sich zum derzeitigen Zeitpunkt nur wenige Stellungnahmen, die bereits das Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 berücksichtigen. Diese sehen die Möglichkeit für die Kürzung der Leistungen nach § 1a AsylbLG überwiegend kritisch.104 Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen stellt sich auch hier wieder zunächst die Frage, ob Sanktionen grundsätzlich möglich sind, um dann zu überprüfen, ob sie aus den gesetzlich angeordneten Gründen und in dem angeordneten Umfang zulässig sind. 7.1. Zulässigkeit von Sanktionen In der zum Teil älteren Kommentarliteratur wurde die Zulässigkeit von Sanktionen entweder gar nicht thematisiert105 oder aber mit dem Hinweis bejaht106, der Bedürftige müsse sich bei einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen Einschränkungen gefallen lassen. Letztlich wird man aber mit den bereits unter 4.2.1 vorgetragenen Argumenten Sanktionen grundsätzlich für verfassungsrechtlich zulässig halten können, weil dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Rechts auf Sicherung des Existenzminimums auch die Möglichkeit zusteht, auf Verhalten des Bedürftigen zu reagieren. 102 BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 (Fn. 17). 103 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., BT-Drs. 17/10664, S. 8. 104 Classen, Georg, Das BVerfG-Urteil zur Verfassungswidrigkeit des AsylbLG, in: Asylmagazin 9/2012, S. 286; Rothkegel, Ralf, Das Gericht wird’s richten - das AsylbLG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Ausstrahlungswirkungen , in: ZAR 2012, S. 357; Öndül, Daniela Evrim, Verfassungswidrigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes und Rechtsfolgen bis zur Neureglung durch den Gesetzgeber, in: jurisPR-SozR 17/2012 Anm. 1. 105 Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 31. Aufl. Aug. 2012 (juris) – Erläuterungen zu § 1a AsylbLG. 106 Wahrendorf (Fn. 14), § 1a AylbLG Rn. 2; Hohm in: GK-AsylbLG (Stand Dezember 2004), Teil III, § 1a Rn. 158 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 22 7.2. Zulässiger Anknüpfungspunkt für Sanktionen gemäß § 1a AsylbLG Fraglich ist jedoch, ob die in § 1a AsylbLG genannten Anknüpfungspunkte für Sanktionen zulässig sind. So sei nach einer Ansicht eine Sanktionsregelung nur dann mit dem Recht auf Gewährung des Existenzminimums vereinbar, wenn es den – in diesem Grundrecht als Grundgedanken bereits enthaltenen – Grundsatz der Selbsthilfe umsetzen wolle. Könne der Betreffende aber an seiner Situation nichts ändern, etwa weil seine Ausreise nicht möglich oder zumutbar sei, sei auch eine Sanktionierung unzulässig.107 Damit wäre sowohl eine Sanktionierung wegen einer „leistungsmissbräuchlichen Einreiseabsicht“ als auch wegen der „missbräuchlichen Verhinderung der Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen“ nicht mit dem Recht auf Gewährung des Existenzminimums vereinbar.108 Dieser Gedanke wäre wohl auch auf die Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG – insbesondere Ehegatten und minderjährige Kinder – anwendbar, denen das Verhalten des Leistungsberechtigten zugerechnet wird, ohne dass sie hiergegen etwas unternehmen können.109 Ferner habe das BVerfG in seinem Urteil vom Juli 2012 deutlich gemacht, dass migrationspolitische Zwecke keine Rechtfertigung für die Einschränkung des Rechts auf Gewährung des Existenzminimums darstellten.110 Nach den bereits oben unter Punkt 4.2.1 dargestellten Grundsätzen darf der Gesetzgeber zwar an das Verhalten des Bedürftigen auch Rechtsfolgen wie Sanktionen anknüpfen. Diese müssen aber verhaltensbezogen und zeitlich begrenzt sein und der Person müssen Perspektiven für eine Verbesserung seiner Situation aufgezeigt werden. Diese Voraussetzungen treffen bei der Sanktionierung wegen einer leistungsmissbräuchlichen Einreiseabsicht nicht zu. Hier werden Rechtsfolgen an ein abgeschlossenes Verhalten des Betroffenen geknüpft, das dieser nicht mehr ändern kann. Eine Sanktionierung hätte keine Auswirkung auf das künftige Verhalten des Betroffenen, sondern allenfalls abschreckende Wirkung auf andere Personen. Migrationspolitische Gründe rechtfertigen solche Einschränkungen hingegen nicht.111 Sollte es sich um strafwürdiges Verhalten handeln , wäre eine Strafverfolgung wegen des Verdachts auf Betrug gemäß § 263 StGB112 angezeigt. Hier könnte und müsste entsprechend den strafprozessualen Vorschriften ein strafbares Verhalten nachgewiesen und mit strafrechtlichen Mitteln sanktioniert werden. Die Vorschriften des 107 Rothkegel, Das Gericht wird’s richten - das AsylbLG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Ausstrahlungswirkungen , in: ZAR 2012, S. 357, 360. 108 Rothkegel (Fn. 104), S. 360, will §1 AsylbLG verfassungskonform auslegen und um den ungeschrieben Tatbestand einer „möglichen und zumutbaren freiwilligen Ausreise“ ergänzen. 109 Ähnlich Classen, Verfassungsmäßigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes, info also 2010, S. 243, 247. 110 Classen (Fn. 104), Asylmagazin 2012, S. 292. 111 BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 (Fn. 17), Rn. 121. 112 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2012 (BGBl. I S. 1374) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 23 Sozialrechts, die dem Betroffenen das Existenzminimum gewähren sollen, wären hierfür wohl ungeeignet. Auch die Erstreckung der Sanktionen auf die Familienangehörigen, insbesondere die minderjährigen Kinder, scheint nur migrationspolitisch motiviert, da diese keine Möglichkeiten haben werden, auf das Verhalten des Leistungsbeziehers einzuwirken; diese Ausdehung ist daher wohl ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Soweit es sich um die Verhinderung der Vollziehung der Ausreise handelt, ist auch hier darauf abzustellen, ob dem Leistungsbezieher eine Änderung seines Verhaltens – also die Ausreise – möglich ist. Der Tatbestand müsste daher wohl entsprechend ausgelegt oder zur Verdeutlichung um die Merkmale „mögliche und zumutbare Ausreise“ ergänzt werden. 7.3. Umfang der Sanktionen Hinsichtlich der Kürzung ist ferner darauf hinzuweisen, dass bei einer Kürzung auf das unabweisbar Gebotene das Recht auf Gewährung des Existenzminimums ebenfalls Geltung beansprucht . Daher bestand in Literatur und Rechtsprechung bereits vor dem Urteil des BVerfG zu den Regelsätzen sowie zum AsylbLG Einigkeit, dass bei einer Kürzung mit Rücksicht auf das Sozialstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anzuwenden sei und der Behörde daher nur wenig Ermessenspielraum bliebe.113 In seiner Entscheidung zum AsylbLG erklärte das BVerfG die Höhe der bisherigen Geldleistungen nach dem AsylbLG für evident unzureichend und damit für verfassungswidrig und erließ eine Übergangsregelung, die sich an den Regelungen des Regelbedarfs -Ermittlungsgesetzes114 orientiert.115 Hierbei bleiben Abweichungen gegenüber den Regelbedarfen für die Bezieher von Alg II oder Sozialgeld zulässig, soweit sie sich bspw. auf die Anschaffung von Hausrat beziehen.116 Auch sind Sach- statt Geldleistungen zulässig. Allerdings lässt das BVerfG ausdrücklich offen, ob hierdurch abweichende Bedarfe für die Anspruchsberechtigten angemessen abgebildet werden und ob die Übertragung der Grundsätze dieser Leistungen auf die Berechtigten in anderen Fürsorgesystemen verfassungsrechtlich zulässig ist.117 Es betont jedoch, dass durch das nunmehr festgelegte vorübergehende System, in dem weiterhin der Vorrang von Sach- gegenüber Geldleistungen zulässig ist, die betroffenen Personen Leistungen entsprechend ihres jeweiligen Existenzminimums erhalten. Angesichts dieser Aussage erscheinen Spielräume für weitere Kürzungen äußerst gering. 113 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. 9. 2007, L 8 B 11/06b AY ER; Adolph (Fn. 105), § 1a Rn. 11; Wahrendorf (Fn. 14), § 1a AsylbLG Rn 2; Oppermann in: jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2010, § 1a AsylbLG, Rn. 78 ff. gibt Beispiele , welche Leistungen auf jeden Fall gewährt werden müssen (medizinische Notversorgung, Lebensunterhalt über die Ausreisekosten hinaus). 114 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453). 115 BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 (Fn. 17), Rn. 124 ff. 116 BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 (Fn. 17), Rn. 130. 117 BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 (Fn. 17), Rn. 126. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 260/12 Seite 24