Abgeordnetenkorruption und Nebentätigkeiten - Verfassungsrechtlicher Teil - - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 260/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Abgeordnetenkorruption und Nebentätigkeiten Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 260/08 Abschluss der Arbeit: 27. August 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - Zusammenfassung - Nebentätigkeiten der Abgeordneten fallen in die Freiheit des Mandats (Art. 38 Grundgesetz ) und können daher nicht unbegrenzt eingeschränkt oder reglementiert werden. Verfassungsrechtlich unzulässig wäre in jedem Fall ein völliges Verbot von Nebentätigkeiten . Verfassungsrechtlich zulässig ist es hingegen, dass übermäßig dotierte Nebentätigkeiten unter den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108e Strafgesetzbuch ) fallen können. Verhaltensregeln für Abgeordnete können auf Bundesebene nur für den Bundestag und nicht für die Länderparlamente erlassen werden. Dabei ist unerheblich, ob in den Länderparlamenten Halbtags- oder Berufsabgeordnete sitzen. Lediglich für strafrechtliche Korruptionsvorschriften besteht eine (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Da der Bund seine Kompetenz in Form des Strafgesetzbuchs wahrgenommen hat, können die Länder keine strafrechtlichen Korruptionsvorschriften erlassen. - 3 - Inhalt 1. Einleitung 4 2. § 108e StGB 4 2.1. Gesetzgebungskompetenz 4 2.2. Strafbarkeit von Nebentätigkeiten und Verfassung 4 3. Gesetzliches Verbot von Nebentätigkeiten 5 4. Verhaltensregeln bei Nebentätigkeiten 5 4.1. Normsetzungskompetenz 5 4.2. Rechtslage in Bund und Ländern 6 4.3. Künftige Änderungen 7 - 4 - 1. Einleitung Eine gesetzliche Definition für den Begriff „Korruption“ besteht nicht. Im weiten Sinne lässt sich Korruption verstehen als „Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Vorteil“1. Aus den hiernach möglichen korrupten Handlungen von Abgeordneten erfasst § 108e StGB lediglich einen Ausschnitt, nämlich Wahlen und Abstimmungen (ausführlich dazu die Ausarbeitung 148/08 von WD 7). Dabei kann auch z. B. eine übermäßig dotierte Nebentätigkeit die korrumpierende Gegenleistung im Sinne des § 108e StGB sein. Straflos bleiben jedoch insbesondere folgende, z. B. durch eine Nebentätigkeit erkaufte Handlungen von Abgeordneten: Unterstützung eines Gesetzgebungsvorschlags, Beeinflussung anderer Abgeordneter, Abstimmungen in der Fraktion. Diesen nicht von § 108e StGB erfassten korrupten Handlungen sollen Verhaltensregeln für Abgeordnete entgegenwirken (§ 44a AbgG, Anlage 1 zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ). Für eine Neuregelung von Nebentätigkeiten im Hinblick auf Korruption sind insbesondere folgende Möglichkeiten denkbar: - Erweiterung des Tatbestands des § 108e StGB (siehe hierzu WD 7 – 148/08) - Verbot von Nebentätigkeiten durch Bundes- und Landesgesetze - Änderung der Verhaltensregeln für Abgeordnete. 2. § 108e StGB 2.1. Gesetzgebungskompetenz Für das Strafrecht und damit für die Regelung des § 108e StGB2 ist nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz (GG) der Bund (konkurrierend) zuständig.3 2.2. Strafbarkeit von Nebentätigkeiten und Verfassung Nebentätigkeiten von Abgeordneten können unter den Tatbestand des § 108e StGB fallen . Beim „Zuschanzen“ lukrativer Nebentätigkeiten kommt eine Strafbarkeit jedenfalls dann in Betracht, wenn der Abgeordnete, abgesehen vom gewünschten Stimmver- 1 http://www.transparency.de/Stellungnahme-zum-Entwurf-des.1011.0.html. 2 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 8. April 2008 (BGBl. I S. 666). 3 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Auflage 2007, Art. 74 Rn. 5. - 5 - halten, de facto keine adäquate Gegenleistung zu erbringen hat.4 Dies ist dann der Fall, wenn die Leistung des Abgeordneten und die Gegenleistung nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen, die Leistung also im Vergleich zur Vergütung so wenig ins Gewicht fällt, dass ihre Bedeutung gegen Null tendiert. Nach der Wertung des Bundesverfassungsgerichts sind solche Einkünfte mit dem unabhängigen Status der Abgeordneten unvereinbar.5 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Strafbarkeit bestehen daher nicht. Der § 108 e StGB umfasst in seiner jetzigen Form nur Wahlen und Abstimmungen in einer Volksvertretung des Bundes und der Länder. Es bestehen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf weitere Handlungsformen auszudehnen, die mit der „zugeschanzten“ Nebentätigkeit intendiert seien können. 3. Gesetzliches Verbot von Nebentätigkeiten Abgeordnete haben grundsätzlich das Recht, einer Nebentätigkeit nachzugehen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Behinderungsverbot des Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG: „Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grunde ist unzulässig .“ Ferner ergibt sich dies aus der Freiheit des Mandats nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG: „[Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Ein Verbot von Nebentätigkeiten ist damit verfassungsrechtlich unzulässig. 4. Verhaltensregeln bei Nebentätigkeiten 4.1. Normsetzungskompetenz Die Rechtsgrundlage für Verhaltensregeln von Abgeordneten bildet nach überwiegender Auffassung Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG.6 Ermächtigungsgrundlage für Verhaltensregeln von Landesabgeordneten sind die jeweiligen Landesverfassungen. Eine Kompetenz des Bundes, das Verhalten der Abgeordneten der Länder zu regeln, besteht demnach nicht. 4 Bauer/Gmel in: Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, 12. Auflage 2006, § 108e, Rn. 10. 5 BVerfGE 40, 296, 319 = NJW 1975, 2331 ff. 6 Braun/Jantsch/Klante, Abgeordnetengesetz, 2002, § 44a Rn. 7. - 6 - Darüberhinaus ist auf Bundes- und Landesebene jeweils zu beachten, dass Verhaltensregeln für Abgeordnete der Geschäftsordnungsautonomie des Parlamentes unterfallen und damit jedenfalls zum Teil einer gesetzlichen Regelung entzogen sein können. 7 4.2. Rechtslage in Bund und Ländern Nebentätigkeiten für Abgeordnete im Bundestag sind in § 44a Abgeordnetengesetz (AbgG)8 geregelt: „(1) Die Ausübung des Mandats steht im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages. Unbeschadet dieser Verpflichtung bleiben Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art neben dem Mandat grundsätzlich zulässig. (2) Für die Ausübung des Mandats darf ein Mitglied des Bundestages keine anderen als die gesetzlich vorgesehenen Zuwendungen oder andere Vermögensvorteile annehmen. Unzulässig ist insbesondere die Annahme von Geld oder von geldwerten Zuwendungen, die nur deshalb gewährt werden, weil dafür die Vertretung und Durchsetzung der Interessen des Leistenden im Bundestag erwartet wird. Unzulässig ist ferner die Annahme von Geld oder von geldwerten Zuwendungen, wenn diese Leistung ohne angemessene Gegenleistung des Mitglieds des Bundestages gewährt wird. Die Entgegennahme von Spenden bleibt unberührt.“ Umgesetzt sind diese Vorgaben in Anlage 1 Geschäftsordnung des Bundestages (Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages)9. Schwerpunkt dieser Verhaltensregeln sind die Anzeigepflichten für neben dem Mandat ausgeübte Tätigkeiten und neben den Abgeordnetenentschädigungen bezogene Einkünfte, Interessenverknüpfungen (§ 1 Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages) und Spenden (§ 4 VR). § 2 VR enthält besondere Anzeigepflichten für Rechtsanwälte, und § 3 VR regelt die Veröffentlichungen dieser Angaben. Die Abgeordneten der Landtage haben eigene Verhaltensregeln erlassen, die mehr oder weniger den Regeln des Bundestages ähneln und auch untereinander vergleichbar sind.10 7 Vgl. Klein in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: Juni 2007, Art. 38 Rn. 76 f. 8 Abgeordnetengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 1996 (BGBl. I S. 326), zuletzt geändert durch Artikel 3 G. vom 17. März 2008 (BGBl. I S. 394). 9 Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages (Anlage 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, BGBl. I 1980, 1237) vom 25. Juni 1980 (BGBl. I S. 1237, 1255), zuletzt geändert durch die Bekanntmachung vom 12. Juli 2005 (BGBl. I S. 2512 i. V. m. Bek. v. 18.10.2005 I 3007). 10 Braun/Jantsch/Klante, Abgeordnetengesetz, 2002, § 44a Rn. 38. - 7 - 4.3. Künftige Änderungen Etwaige Neuregelungen sind an der Freiheit des Mandats nach Art. 38 GG zu messen, die einen hohen verfassungsrechtlichen Stellenwert hat. Dass eine Verschärfung der Verhaltensregeln zu Nebentätigkeiten daher problematisch ist, zeigt auch die Entsche idung des Bundesverfassungsgerichts zur Neuregelung der Offenlegungspflichten: vier der acht Richter kamen zu einem abweichenden Ergebnis.11 11 BVerfGE 118, 277 = NJW 2008, 49.