© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 259/14 Art. 22 Abs. 1 S. 3 Grundgesetz – Hauptstadtgesetz Prozessuale Durchsetzbarkeit von Gesetzgebungsaufträgen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/14 Seite 2 Art. 22 Abs. 1 S. 3 Grundgesetz – Hauptstadtgesetz Prozessuale Durchsetzbarkeit von Gesetzgebungsaufträgen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 259/14 Abschluss der Arbeit: 07.11.2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/14 Seite 3 1. Einleitung Im Jahr 2006 wurde in Art. 22 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die sog. Hauptstadtklausel aufgenommen. In dieser wird Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland festgelegt und die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt als Aufgabe des Bundes normiert. Nach Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG wird das Nähere durch Bundesgesetz geregelt. Vor diesem Hintergrund wird um die Erstellung eines Gutachtens gebeten, dass sich mit dem Umstand auseinandersetzen soll, dass der Gesetzgeber seit dieser Verfassungsänderung kein entsprechendes Hauptstadtgesetz erlassen hat. Dabei soll insbesondere geklärt werden, ob es möglich ist, den Bundestag gerichtlich zur Verabschiedung eines Hauptstadtgesetzes zu verpflichten. 2. Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG als Gesetzgebungsauftrag? Nach Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG wird das Nähere zur Hauptstadtklausel durch Bundesgesetz geregelt. In der Literatur ist umstritten, ob hieraus lediglich ein Gesetzgebungsrecht des Bundesgesetzgebers folgt oder ob sich hieraus sogar ein Gesetzgebungsauftrag im Sinne einer Pflicht des Bundesgesetzgebers ergibt. Die Rechtsprechung hat sich mit dieser Thematik bisher noch nicht befasst. 2.1. Verneinung eines Gesetzgebungsauftrages Nach einer Ansicht stellt der Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG ein Gesetzgebungsrecht, jedoch keine Gesetzgebungspflicht dar.1 Diese Ansicht stellt dabei insbesondere auf die Begründung des verfassungsändernden Gesetzgebers zur Einfügung des Art. 22 Abs. 1 GG ab, die auf den Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom 18. November 2005 Bezug nimmt.2 Konkret geht es dabei um folgende Passage: „Das Berlin-Bonn-Gesetz, die bis 2010 laufende Kulturförderung des Bundes für die Bundesstadt Bonn sowie der vom Bund in Bonn getragenen oder geförderten Kultureinrichtungen […] bleiben unberührt.“ Hieraus wird geschlussfolgert, dass Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG sich in erster Linie auf das Berlin-Bonn- Gesetz beziehe und zum Ausdruck bringe, dass die Verfassungsergänzung am unterverfassungsrechtlichen Status quo nichts ändern wolle.3 Das Berlin-Bonn-Gesetz erfülle bereits die Anforderungen des Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG, so dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, ein weiteres Gesetz zu 1 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Grundgesetz, Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 22 Rn. 22; Klein, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 168. Aktualisierung 2014 (Kommentierung: 134. Aktualisierung 2008), Art. 22 Rn. 91; Heck, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 22 Rn. 16; Heintzen, Die Hauptstadt Berlin im Bonner Grundgesetz, LKV 2007, 49 (51); wohl auch Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 22 Rn. 3. 2 BT-Drs. 16/813, S. 10. 3 Heck, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 22 Rn. 16; Heintzen, Die Hauptstadt Berlin im Bonner Grundgesetz, LKV 2007, 49 (51); Klein, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 168. Aktualisierung 2014 (Kommentierung: 134. Aktualisierung 2008), Art. 22 Rn. 91. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/14 Seite 4 erlassen.4 Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG sei auch nicht zu entnehmen, dass nur der Verfassungsänderung nachfolgende Gesetze den Gesetzesvorbehalt erfüllen könnten.5 2.2. Bejahung eines Gesetzgebungsauftrages Andere Stimmen in der Literatur sehen hingegen in Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG einen Gesetzgebungsauftrag im Sinne einer Gesetzgebungspflicht des Bundes.6 Die Regelung verpflichte den Bundesgesetzgeber , jedenfalls die wesentlichen Punkte der Repräsentation Deutschlands in Berlin (bspw. Zuständigkeiten, Organisation und Verfahren) zu regeln.7 Zwar gebe es mit § 5 Berlin-Bonn- Gesetz bereits eine erste entsprechende gesetzliche Regelung. Diese regele allerdings nur sehr kursorisch die zu erbringenden Leistungen und stelle ergänzend auf eine vertragliche Regelung ab, weswegen ein ausführlicheres Gesetz folgen müsse.8 Der Gesetzgeber habe nämlich nach Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG ausdrücklich „das Nähere“ zu regeln. Hierin enthalten seien zum einen eine Verpflichtung zur Konkretisierung, zur Ausgestaltung des einfachen Rechtsrahmens, sowie zum anderen das Verbot, die Konkretisierungsbefugnis im Wege der Blankettermächtigung an die Exekutive weiterzureichen.9 Zumindest als Indiz für diese Ansicht lassen sich auch die Beratungen der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (sog. Föderalismuskommission I) anführen. In der Diskussion der verschiedenen Entwürfe zur Novellierung des Art. 22 GG geht der Großteil der Beteiligten davon aus, dass ein Hauptstadtgesetz zur Regelung der Detailfragen erst noch erlassen werden müsste.10 4 Klein, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 168. Aktualisierung 2014 (Kommentierung: 134. Aktualisierung 2008), Art. 22 Rn. 91. 5 Klein, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 168. Aktualisierung 2014 (Kommentierung: 134. Aktualisierung 2008), Art. 22 Rn. 91. 6 Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 22 Abs. 2 Rn. 18; ders., in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, 2007, S. 101 f.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Supplementum 2007, Art. 22 Rn. 35; Meinel, Berlin ist nicht Bonn, AöR 138 (2013), 584 (625); wohl auch Höfling/Burkiczak, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 43. Aktualisierung 2014 (Kommentierung: 18. Aktualisierung 2006), Art. 22 Rn. 49; Beilke, Die Hauptstadtklausel im Grundgesetz, NJ 2007, 297 (299). 7 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Supplementum 2007, Art. 22 Rn. 35. 8 Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 22 Abs. 2 Rn. 18; siehe auch ders., in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, 2007, S. 102. 9 Meinel, Berlin ist nicht Bonn, AöR 138 (2013), 584 (625). 10 Deutscher Bundestag (Hrsg.), Dokumentation der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, 2005, S. 948, 950, 952 und 954. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/14 Seite 5 3. Gerichtliche Durchsetzung eines Gesetzgebungsauftrages Folgt man der Ansicht, die in Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG einen Gesetzgebungsauftrag sieht, so stellt sich die Frage, ob Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung dieser Gesetzgebungspflicht des Bundes bestehen. 3.1. Durchsetzung auf dem Verwaltungsrechtsweg Die Durchsetzung von Gesetzgebungsaufträgen kann nicht im Rahmen des Verwaltungsrechtsweges verfolgt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Verfahren zur Entscheidung über die Rechtsgültigkeit eines förmlichen nachkonstitutionellen Bundes- oder Landesgesetzes grundsätzlich der Verfassungsgerichtsbarkeit und insoweit den Verfassungsgerichten des Bundes und der Länder vorbehalten.11 Dementsprechend kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch der Anspruch des Bürgers auf Erlass eines förmlichen Gesetzes nur vor den Verfassungsgerichten durchgesetzt werden.12 Bei einem solchen Rechtsbegehren handelt es sich nämlich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, für welche gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben ist.13 3.2. Durchsetzung vor dem Bundesverfassungsgericht Die prozessuale Durchsetzung eines Gesetzgebungsauftrages für den Bundesgesetzgeber ist nur vor dem Bundesverfassungsgericht möglich. Hierfür kommen mehrere Verfahrensarten in Betracht. 3.2.1. Normenkontrollverfahren Beim Bundesverfassungsgericht sind zwei Arten von Normenkontrollverfahren zu unterscheiden: Die abstrakte Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), mittels derer die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages die Verfassungsmäßigkeit einer Norm überprüfen lassen können, sowie die konkrete Normenkontrolle gemäß § 13 Nr. 11 BVerfGG bzw. Art. 100 Abs. 1 GG, mittels derer ein Gericht in einem laufenden Verfahren eine Norm zur Prüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit dem Bundesverfassungsgericht vorlegen kann. Ein Anspruch auf Rechtsetzung kann jedoch in beiden Verfahren nicht geltend gemacht werden.14 Prüfungsgegenstand einer abstrakten Normenkontrolle können nämlich nur rechtlich existente Normen sein.15 Und nach der herrschenden Meinung ist auch im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle ein unterlassener Gesetzgebungsakt 11 BVerfGE 70, 35 (55). 12 BVerwG, NJW 1989, 1495 (1495). 13 Sodan, Der Anspruch auf Rechtsetzung und seine prozessuale Durchsetzbarkeit, NVwZ 2000, 601 (607 f.). 14 Fischer, Rechtliche Qualifikationen von Verfassungsaufträgen, 2000, S. 139 f.; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu /Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand: 44. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 37. Aktualisierung 2012), § 64 Rn. 37. 15 Rozek, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand: 44. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 38. Aktualisierung 2012), § 76 Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/14 Seite 6 nicht vorlagefähig.16 Die Autorität des Gesetzgebers, der davor geschützt werden soll, dass seine Legislativakte bei der Fallanwendung außer Acht gelassen werden, wird insoweit nicht angezweifelt.17 3.2.2. Organstreitverfahren Weiter in Betracht kommt die Durchsetzung eines Gesetzgebungsauftrages im Rahmen eines Organstreitverfahrens nach § 13 Nr. 5 BVerfGG bzw. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Gegenstand eines solchen Verfahrens sind Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Parteifähig sind dabei unter anderem die obersten Bundesorgane, Parteien, Bundestagsfraktionen sowie der einzelne Bundestagsabgeordnete.18 Das Bundesverfassungsgericht hat bislang offen gelassen, ob die schlichte Untätigkeit des Gesetzgebers ein tauglicher Antragsgegenstand i.S.d. Organstreitverfahrens darstellen kann.19 In der Literatur wird dies teilweise bejaht20, teilweise abgelehnt.21 Diese Frage muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden, da jedenfalls keine Antragsbefugnis gegeben ist. Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG muss der Antragsteller für eine Antragsbefugnis geltend machen, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme bzw. Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis des Bundestages und des Bundesrates nebst der mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe sowie der Bundesregierung ist hier nicht ersichtlich.22 Bleibt es diesen Beteiligten doch unbenommen, selbst ein entsprechendes Hauptstadtgesetz einzubringen bzw. zu erlassen. Daher kann beispielsweise das Recht bzw. die Pflicht des Bundestages zur Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfes nicht dadurch verletzt werden, dass die Bundesregierung ihrerseits die Gesetzesinitiative unterlässt.23 16 Stern, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 167. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 18. Aktualisierung 1967), Art. 100 Rn. 100; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 24 Rn. 790; anderer Auffassung Kloepfer, in: Badura/Schulze (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens – Festschrift Lerche, 1993, S. 755 (768); Berkemann, Realitätsfremde Steuergesetzgebung und gesetzgeberisches Unterlassen, EuGRZ 1985, 137 (138). 17 Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 24 Rn. 790. 18 Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 328 ff. 19 BVerfGE 92, 80 (87); BVerfGE 107, 286 (294); BVerfGE 114, 107 (118); BVerfGE 120, 82 (97). 20 Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 361, unter Bezugnahme auf Pestalozza, Verfassungsprozessrecht , 3. Aufl. 1991, § 7 Rn. 22. 21 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl. 2012, Rn. 93. 22 Vgl. Wienholtz, Normative Verfassung und Gesetzgebung, 1968, S. 107. 23 Vgl. Wienholtz, Normative Verfassung und Gesetzgebung, 1968, S. 107. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/14 Seite 7 3.2.3. Bund-Länder-Streitverfahren Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, § 13 Nr. 7 BVerfGG entscheidet das Bundesverfassungsgericht „bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht “. Die Verfahrensregeln eines Bund-Länder-Streits finden sich in §§ 68-70 BVerfGG, wobei § 69 BVerfGG die entsprechende Geltung der Vorschriften für das Organstreitverfahren anordnet. Parteifähig sind im Bund-Länder-Streitverfahren nur der Bund und die Länder, wobei für den Bund nur die Bundesregierung und für die Länder nur die jeweilige Landesregierung wirksam Prozesshandlungen vornehmen kann.24 Auch im Rahmen eines Bund-Länder-Streitverfahrens erscheint fraglich, ob ein Unterlassen des Gesetzgebers einen tauglichen Antragsgegenstand darstellen kann. Dies könnte jedoch wiederum dahinstehen, wenn auch beim Bund-Länder-Streitverfahren das Vorliegen der Antragsbefugnis für den vorliegenden Fall zu verneinen ist. Antragsbefugt ist der Antragsteller gemäß § 69 i.V.m. § 64 Abs. 1 BVerfGG, wenn er geltend machen kann, durch die angegriffene Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Im konkreten Fall kommt nur ein Bund-Länder-Streitverfahren eines Landes gegen den Bund in Betracht, weil nur dieser ein entsprechendes Hauptstadtgesetz erlassen könnte. Entscheidend ist also, ob der Gesetzgebungsauftrag aus Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG – sofern man einen solchen annimmt – einem Land eine Rechtsposition einräumt, die gerade durch die Untätigkeit des Bundes verletzt sein könnte.25 Dies ist wohl abzulehnen. Anders als beispielsweise beim Gesetzgebungsauftrag aus Art. 6 Abs. 5 GG, der die Gleichstellung nichtehelicher Kinder zum Gegenstand hat, korrespondiert im Rahmen des Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG mit dem Unterlassen kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein Handeln des Gesetzgebers.26 Der Gesetzgebungsauftrag an sich – sofern man einen solchen annimmt – enthält keine besondere Schutzwirkung zugunsten der Länder, die diese in einem Bund-Länder-Streitverfahren geltend machen könnten. Eine solche Rechtsposition der Länder ergibt sich auch nicht aus einer Gesamtbetrachtung des Art. 22 Abs. 1 GG. Die Zuweisung der Aufgabe der Repräsentation des Gesamtstaates an den Bund in Art. 22 Abs. 1 S. 2 GG löst zwar dessen Ausgabenverantwortung gemäß Art. 104a Abs. 1 GG aus, ist jedoch rein deklaratorischer Natur, da diese Kompetenzverteilung bereits aus der Natur der Sache folgt.27 Auch aus der Festlegung Berlins als Hauptstadt in Art. 22 Abs. 1 S. 1 GG folgt kein Anspruch des Landes Berlin auf Unterstützung durch den Bund wegen hauptstadtbedingter Mehrkosten.28 24 Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 422. 25 Vgl. Wienholtz, Normative Verfassung und Gesetzgebung, 1968, S. 105 f. 26 Siehe zu Art. 6 Abs. 5 GG BVerfGE 25, 167 (173), vgl. ferner Badura, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts , Band VII, 1992, § 159 Rn. 18. 27 Heck, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 22 Rn. 12. 28 Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 22 Rn. 2 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/14 Seite 8 3.2.4. Verfassungsbeschwerde Schließlich kommt zur Durchsetzung eines Gesetzgebungsauftrages die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG in Betracht. Mittels dieses Rechtsbehelfs kann jedermann die Verletzung seiner Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte geltend machen. Grundsätzlich kann auch ein Unterlassen des Gesetzgebers tauglicher Angriffsgegenstand im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde sein, sofern ein materieller Verfassungsauftrag vorliegt, dem der Normgeber bislang noch nicht nachgekommen ist.29 Für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer die erforderliche Beschwerdebefugnis besitzen. Dies ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG der Fall, wenn er behaupten kann, durch den Angriffsgegenstand in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein.30 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Rüge gesetzgeberischen Unterlassens voraus, dass der Beschwerdeführer sich auf einen ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt.31 Ob dies im vorliegenden Fall bejaht werden kann, erscheint fraglich. Zum einen ist umstritten, ob Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG eine Gesetzgebungspflicht darstellt und zum anderen ist zweifelhaft, ob Inhalt und Umfang eines Hauptstadtgesetzes tatsächlich durch Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG im Wesentlichen umgrenzt sind. Erforderlich ist weiter, dass mit der Pflicht des Gesetzgebers eine hinreichend individualisierbare konkrete Rechtsposition des Beschwerdeführers korrespondiert.32 Der Beschwerdeführer ist nicht der Popularagent der objektiven Verfassungsrechtsordnung.33 Ein subjektiv einklagbarer globaler „Leistungsanspruch“ auf parlamentarische Gesetzgebung existiert nicht.34 Ein entsprechend konkretes Recht auf Erlass eines Hauptstadtgesetzes ist im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich. Abgeordnete können sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nicht auf ihre Position aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG berufen, da diese zwar ein subjektiv-öffentliches Recht 29 Siehe BVerfGE 6, 257 (263 ff.); BVerfGE 56, 54 (70); BVerfG (Kammer), NJW 2009, 1805 (1805); anders noch BVerf GE 1, 97 (100); siehe hierzu auch Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 549; Fischer, Rechtliche Qualifikationen von Verfassungsaufträgen, 2000, S. 144. 30 Vgl. Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 166. 31 BVerfG (Kammer), NJW 2009, 1805 (1805) m.w.N. 32 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand: 43. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 42. Aktualisierung 2013), § 90 Rn. 224, siehe auch Rn. 109; Schenke, Rechtsschutz gegen das Unterlassen von Rechtnormen, VerwArch 82 (1991), 307 (328); Fischer, Rechtliche Qualifikationen von Verfassungsaufträgen, 2000, S. 143; teilweise wird die Frage, ob ein subjektiver Rechtsanspruch auf Erfüllung des Gesetzgebungsauftrages besteht, als Teil der Begründetheitsprüfung angesehen, so bspw. bei Seufert, Die nicht erfüllten Gesetzgebungsgebote des Grundgesetzes und ihre verfassungsgerichtliche Durchsetzung, 1969, S. 266. 33 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand: 43. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 42. Aktualisierung 2013), § 90 Rn. 224; vgl. auch schon BVerfGE 13, 54 (96 f.). 34 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 95. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/14 Seite 9 darstellt, ihr jedoch das individualgrundrechtliche Substrat fehlt und sie damit rein organschaftlicher Natur ist.35 Ohnehin erscheint eine Verletzung der Abgeordneten in ihren Rechten fraglich, bleibt es ihnen doch unbenommen, selbst einen Gesetzentwurf zur Erfüllung des Gesetzgebungsauftrages einzubringen. Auch in Hinblick auf den Bürger ist keine subjektive Rechtsposition erkennbar, die mit der Regelung des Art. 22 Abs. 1 S. 3 GG korrespondieren könnte. Insbesondere ist auch nicht die allgemeine Handlungsfreiheit des Bürgers aus Art. 2 Abs. 1 GG als Auffangtatbestand betroffen.36 Andernfalls müsste man den Gesetzgebungsauftrag unter das Schrankenelement der verfassungsmäßigen Ordnung fassen und die Nichterfüllung des Gesetzgebungsauftrages zum Grundrechtsverstoß erklären. Diese Konstruktion begründet jedoch keine subjektive Rechtsposition des Bürgers, sondern setzt vielmehr voraus, dass der Bürger dem Schutzzweck des Gesetzgebungsauftrages zugeordnet werden kann.37 Hiervon ist jedoch im vorliegenden Fall nicht auszugehen. 35 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand: 43. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 42. Aktualisierung 2013), § 90 Rn. 84. 36 Ausführlich hierzu Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar , Stand: 43. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 42. Aktualisierung 2013), § 90 Rn. 109. 37 Vgl. BVerfGE 96, 375 (398).