© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 256/17 Verfassungsrechtliche Fragen zur sog. Mietpreisbremse Unter besonderer Berücksichtigung des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2017 (Az. 67 S 218/17) Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Diskussion in der übrigen Rechtsprechung und der Literatur 6 2.2. Bemessung der Neu- und Wiedervermietungsmieten anhand der ortsüblichen Vergleichsmiete 7 2.2.1. Argumentation der vorlegenden Kammer 7 2.2.2. Diskussion in der übrigen Rechtsprechung und der Literatur 8 2.3. Wiedervermietung unter Überschreitung der eigentlichen Mietobergrenze 8 2.3.1. Argumentation der vorlegenden Kammer 8 2.3.2. Diskussion in der übrigen Rechtsprechung und der Literatur 9 3. Diskussion der Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbremse im Übrigen 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 256/17 Seite 4 1. Einleitung Mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz vom 21. April 2015 wurden die Regelungen zur sog. Mietpreisbremse in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingefügt. Ziel des in §§ 556d ff. BGB verankerten Instruments ist es laut den Gesetzesmaterialien, dem starken Anstieg von Mieten bei der Wiedervermietung in angespannten Wohnungsmärkten zu begegnen.1 Unter anderem sehen die Regelungen zur Mietpreisbremse vor, dass bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen die zulässige Miete höchstens auf das Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete zuzüglich zehn Prozent steigen darf. Die Landesregierungen werden ermächtigt, bis zum 31. Dezember 2020 durch Rechtsverordnungen für höchsten fünf Jahre die Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten auszuweisen, in denen diese Mietpreisbegrenzung gelten soll. Mit Beschluss vom 7. Dezember 2017 hat das Landgericht Berlin – genauer dessen 67. Zivilkammer 2 – im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle einzelne Regelungen der Mietpreisbremse (§ 556d Abs. 1 und 2 BGB) dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vorgelegt.3 Gebeten wird nun um eine Bewertung des Vorlagebeschlusses des Gerichts sowie um eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Mietpreisbremse. In Anbetracht des laufenden Verfahrens und aufgrund des nach dem Gewaltenteilungsprinzip gebotenen Respekts vor Entscheidungen der Judikative kann an dieser Stelle weder eine abschließende Bewertung des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Berlin, noch eine abschließende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Mietpreisbremse vorgenommen werden. Im Folgenden sollen jedoch die vom Landgericht Berlin aufgeworfenen Rechtsfragen in Hinblick auf die insoweit von der rechtswissenschaftlichen Literatur und der sonstigen Rechtsprechung vertretenen Auffassungen eingeordnet werden (hierzu 2.) und ein Überblick über die im Übrigen insoweit diskutierten verfassungsrechtlichen Fragen gegeben werden (hierzu 3.). 2. Vorlagebeschluss des Landgerichts Berlin Die vorlegende Kammer des Landgerichts Berlin ist davon überzeugt, dass § 556d BGB verfassungswidrig ist. Die Kammer kritisiert dabei im Wesentlichen drei Aspekte: Erstens die bereits eingangs angesprochene Delegation der Regelungsbefugnis auf die Landesregierungen (hierzu unter 2.1.), zweitens die Bemessung der Neu- und Wiedervermietungsmieten anhand der ortsüblichen Vergleichsmiete (hierzu unter 2.2.) und drittens die Privilegierung von Vermietern, die die Mietsache vor der Wiedervermietung unter Überschreitung der nunmehr durch die Mietpreisbremse gezogenen Grenzen vermietet haben (hierzu unter 2.3.). 1 BT-Drs. 18/3121. 2 Wird im Folgenden allgemein vom Landgericht Berlin gesprochen, ist dessen 67. Zivilkammer gemeint. 3 LG Berlin, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – 67 S 218/17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 256/17 Seite 5 2.1. Delegation der Regelungsbefugnis auf die Landesregierungen Die Begrenzung der Miethöhe mittels der Mietpreisbremse gilt nach § 556d Abs. 1 und 2 BGB nur für Wohnraum, der in einem Gebiet liegt, das per Rechtsverordnung durch eine Landesregierung als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist. 2.1.1. Argumentation der vorlegenden Kammer Nach Auffassung der vorlegenden Kammer ist die Delegation der Regelungsbefugnis auf die Landesregierungen in § 556d Abs. 1 und 2 BGB nicht mit dem sog. Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vereinbar. Dieses Gebot enthält Anforderungen an eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung. Konkret müssen nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung in dem ermächtigenden Gesetz bestimmt werden. Das Bestimmtheitsgebot dient damit einerseits der parlamentarischen Steuerung der exekutiven Verordnungsgebung und andererseits der Begrenzung der exekutiven Befugnisse im Bereich der Rechtssetzung.4 Ferner nimmt die vorlegende Kammer insoweit auch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG an. Der Bundesgesetzgeber mache – so die Kammer – die staatliche Preisintervention nicht allein vom Vorliegen eines angespannten Wohnungsmarktes, sondern zusätzlich von der politischen Willensbildung auf Landesebene und der darauf beruhenden Entscheidung der jeweiligen Landesregierung , von der Ermächtigung zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung Gebrauch zu machen oder nicht, abhängig.5 Eine derart weit gefasste Delegation des Bundesgesetzgebers sei mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar. Da die Landesregierungen teilweise entsprechende Rechtsverordnungen erlassen hätten, teilweise aber trotz zumindest nicht auszuschließender Anspannung von Wohnungsmärkten auf den Erlass verzichten würden, liege auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Ein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 3 Abs. 1 GG liege nur dann nicht vor, wenn die § 556d Abs. 1 und 2 BGB bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 556d Abs. 2 BGB grundsätzlich die Landesregierungen verpflichteten, eine entsprechende Rechtsverordnung zur Ausweisung eines angespannten Wohnungsmarktes zu erlassen. Einen solchen Verpflichtungscharakter lehnt die Kammer jedoch ab. Der Gesetzgeber habe bewusst darauf verzichtet, das Umsetzungsermessen der Landesregierungen entweder im Wortlaut des § 556d Abs. 2 BGB oder in den Gesetzesmaterialien einzuschränken. Außerdem stünde ein Verpflichtungscharakter im Widerspruch zur Regelung des § 556d Abs. 2 S. 4 BGB, nach der die Landesregierungen entsprechende Rechtsverordnungen nach dem 31. Dezember 2020 nicht mehr erlassen dürfen. 4 Siehe hierzu nur Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, Stand: 35. Edition (15. November 2017), Art. 80 Rn. 18. 5 LG Berlin, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – 67 S 218/17, Rn. 34 ff. (zitiert nach juris) – dort zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 256/17 Seite 6 2.1.2. Diskussion in der übrigen Rechtsprechung und der Literatur Soweit ersichtlich geht die übrige Rechtsprechung von der Vereinbarkeit der Regelung des § 556d BGB mit den Vorgaben des Bestimmtheitsgebots aus Art. 80 Abs. 1 S. 1 und 2 GG aus. Das Amtsgericht Berlin-Neukölln sieht zwar wie die hier vorlegende Kammer die Problematik, dass der Gesetzgeber dem Delegationsempfänger nur das „Wie“, nicht aber das „Ob“ des Erlasses einer Verordnung überlassen könne, ohne dass es sich um eine unzulässige Inkraftsetzungsermächtigung handele.6 Anders als die Kammer im vorliegenden Fall geht das Amtsgericht Berlin- Neukölln jedoch davon aus, dass insoweit eine verfassungskonforme Auslegung des § 556d BGB möglich sei, nach der die Landesregierungen zum Erlass einer entsprechenden Verordnung verpflichtet seien, wenn ein angespannter Wohnungsmarkt vorliege. Die übrigen Gerichte befassen sich nicht ausdrücklich mit der Frage, ob der Erlass einer entsprechenden Verordnung unzulässiger Weise von der politischen Entscheidung auf Landesebene abhängt, gehen aber im Ergebnis von einer Vereinbarkeit mit Art. 80 Abs. 1 S. 1 und 2 GG aus. So stellt die 65. Zivilkammer des Landgerichts Berlin fest, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung hinreichend bestimmt seien.7 Insbesondere lasse sich der Regelungsgehalt der Norm, etwa die Kriterien für die Annahme eines angespannten Wohnungsmarktes, mithilfe der anerkannten Auslegungsmethoden ermitteln. Auch die Literatur geht überwiegend von der Vereinbarkeit des § 556d BGB mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 S. 1 und 2 GG aus.8 Sie spricht sich dabei wie das Amtsgericht Berlin-Neukölln für eine verfassungskonforme Auslegung von § 556d Abs. 2 BGB dahingehend aus, dass die Landesregierungen beim Vorliegen der Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung zum Erlass einer entsprechenden Verordnung verpflichtet seien, der Erlass also nicht in ihrem freien Ermessen liege. Teilweise wird in der Literatur aber auch betont, dass es – nicht zuletzt mit Rücksicht auf den Subsidiaritätsgrundsatz und die föderale Gliederung – sachgerecht sei, den Ländern die Möglichkeit zur Prüfung zur Entscheidung darüber zu eröffnen, ob und in welchen Regionen besondere, auf Knappheitszustände zugeschnittene Regelungen angewendet werden sollten.9 6 AG Berlin-Neukölln, Urteil vom 8. September 2016 – 11 C 414/15, NZM 2017, 31 (32). 7 LG Berlin (65. Zivilkammer), Urteil vom 29. März 2017 – 65 S 424/16, NZM 2017, 332 (333 f.); dem folgend AG Frankfurt am Main, Urteil vom 20. September 2017 – 33 C 3490/16, BeckRS 2017, 125834, Rn. 16. 8 Lange, Die „Mietpreisbremse“ auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, DVBl 2015, 1551 (1557); Schuldt, Mietpreisbremse, 2017, S. 244 ff.; Tietzsch/Raabe, Mietpreisbremse verfassungswidrig?, WuM 2017, 688 (689); im Ergebnis auch Lehmann-Richter, Voraussetzungen und Kontrolle einer Gebietsverordnung zur Mietpreisbremse , WuM 2015, 204 (205). Anders hingegen das im Auftrag von Haus & Grund Deutschland erstellte Gutachten zur Mietpreisbremse, das auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur veröffentlicht ist, Blankenagel /Schröder/Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, NZM 2015, 1 (22). 9 Tietzsch/Raabe, Mietpreisbremse verfassungswidrig?, WuM 2017, 688 (689). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 256/17 Seite 7 2.2. Bemessung der Neu- und Wiedervermietungsmieten anhand der ortsüblichen Vergleichsmiete Die nach der Mietpreisbremse in einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt zulässige Miethöhe bestimmt sich nach der ortsüblichen Vergleichsmiete, d.h. sie darf diese höchstens um zehn Prozent übersteigen. Die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete richtet sich nach den in § 558 Abs. 2 BGB aufgeführten Wohnwertmerkmalen. Die ortsübliche Vergleichsmiete wird danach im Wesentlichen gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten vier Jahren vereinbart oder geändert worden sind. 2.2.1. Argumentation der vorlegenden Kammer Nach Auffassung der vorlegenden Kammer verstößt die Bemessung der zulässigen Neu- und Wiedervermietungsmiete anhand der ortsüblichen Vergleichsmiete gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.10 Die Regelungen der Mietpreisbremse in § 556d Abs. 1 und 2 BGB enthielten eine typisierende Belastungsregelung, deren wirtschaftliche Folgen die Vermieter in Kommunen mit einer vergleichsweise niedrigen ortsüblichen Vergleichsmiete erheblich härter treffen würden, als die mit einer vergleichsweise hohen. Diese ungleichen Belastungsfolgen stünden in einem krassen Missverhältnis zu den mit der gesetzlichen Typisierung verbundenen Vorteilen und begründeten daher einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die vorliegende Kammer verweist darauf, dass die nach § 556d Abs. 1 BGB zulässige Grenze für Neu- und Wiedervermietungen regional und kommunal ganz erhebliche Unterschiede aufweise. Die durchschnittlich zulässige Neu- oder Wiedervermietungsmiete für Wohnraum unterscheide sich beispielsweise im Vergleich des hauptstädtischen Vermietungsmarktes (Berlin (West)) zum höchstpreisigen großstädtischen Vermietungsmarkt (München) um 72 Prozent. Diese ungleiche bundesweite Belastung der Mieter lasse sich durch den verfolgten Gesetzeszweck und den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen nicht rechtfertigen. Der Gesetzgeber verfolge mit der Mietpreisbremse das Ziel, einkommensschwächeren Haushalten und Durchschnittsverdienern in angespannten Wohnungsmärkten auch weiterhin die bezahlbare Anmietung von Wohnraum zu ermöglichen und gleichzeitig deren Verdrängung aus ihren bisherigen Mietverhältnissen entgegen zu wirken. Im Gesetzgebungsverfahren seien jedoch die insoweit für eine mögliche sachliche Rechtfertigung relevanten einkommensbezogenen Sozialdaten von Mietern nicht erhoben worden . Auch sonst seien keine Sachgründe für eine Rechtfertigung ersichtlich. Gerechtfertigt werden könnten die aufgezeigten Unterschiede zwar, wenn die einkommensschwächeren Haushalte und Durchschnittsverdiener in höherpreisen Mietmärkten wie München finanziell erheblich besser gestellt wären als die gleichen Zielgruppen in Berlin und die Mietpreisbremse daher in München erst bei einer deutlich höheren Neu- bzw. Wiedervermietungsmiete greifen müsste. Für eine solche Sachlage gebe es jedoch keine Anhaltspunkte. 10 LG Berlin, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – 67 S 218/17, Rn. 40 ff. (zitiert nach juris) – dort zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 256/17 Seite 8 2.2.2. Diskussion in der übrigen Rechtsprechung und der Literatur Die übrige Rechtsprechung geht soweit ersichtlich in Hinblick auf eine Ungleichbehandlung von Vermietern in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands von einer Vereinbarkeit von § 556d BGB mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG aus.11 Die Gerichte verweisen insoweit darauf, dass Vermieter, die auf den in der Ermächtigung beschriebenen Märkten agierten, gleichbehandelt würden. Auf die Frage der regional und kommunal unterschiedlichen Grenzen für Neu- und Wiedervermietungen wird dabei nicht vertieft eingegangen. Auch die rechtswissenschaftliche Literatur sieht überwiegend die Regelung des § 556d BGB insoweit als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar an.12 Der Ansatz, in den regional und kommunal unterschiedlichen Grenzen für Neu- und Wiedervermietungen eine unzulässige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen, gehe insbesondere deshalb fehl, weil die Vermietung von Wohnungen auf unterschiedlichen Wohnungsmärkten aufgrund der Heterogenität der lokalen Wohnungsmärkte keine vergleichbaren Sachverhalte betreffe. Aufgrund des Anknüpfens der Mietpreisbremse an die jeweilige ortsübliche Vergleichsmiete sei eine bundesweite Vergleichbarkeit in der Regelung des § 556d Abs. 1 BGB nicht angelegt. 2.3. Wiedervermietung unter Überschreitung der eigentlichen Mietobergrenze Nach § 556e Abs. 1 BGB werden solche Fälle von der Mietpreisbremse ausgenommen, in denen eine Mietsache vor der Wiedervermietung unter Überschreitung der nunmehr durch die Mietpreisbremse gezogene Mietobergrenze vermietet wurde. In diesen Konstellationen darf eine Miete bis zur Höhe der Vormiete vereinbart werden. 2.3.1. Argumentation der vorlegenden Kammer Die Regelung des § 556d BGB verstößt nach Ansicht der vorlegenden Kammer auch deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil die oben beschriebene Billigung einer Wiedervermietung unter Überschreitung der eigentlichen Mietobergrenze durch § 556e Abs. 1 BGB sachlich nicht gerechtfertigt sei.13 Die vorlegende Kammer verweist auf die Gesetzesmaterialien, nach denen der Gesetzgeber mit dem Instrument der Mietpreisbremse insgesamt „in erster Linie sozialpolitische Zwecke“ verfolge . Die Privilegierung des § 556e Abs. 1 BGB werde hingegen mit Erwägungen des Bestandsschutzes begründet. Gesetzeszweck sei insoweit laut den Gesetzesmaterialien nicht die „Absen- 11 Siehe etwa LG Berlin (65. Zivilkammer), Urteil vom 29. März 2017 – 65 S 424/16, NZM 2017, 332 (335 f.); LG München I, Urteil vom 6. Dezember 2017 – 14 S 10058/17, BeckRS 2017, 134107, Rn. 30; AG Berlin-Neukölln, Urteil vom 8. September 2016 – 11 C 414/15, NZM 2017, 31 (33); AG Frankfurt am Main, Urteil vom 20. September 2017 – 33 C 3490/16, BeckRS 2017, 125834, Rn. 23. 12 Schuldt, Mietpreisbremse, 2017, S. 234 f.; Tietzsch/Raabe, Mietpreisbremse verfassungswidrig?, WuM 2017, 688 (688 f.); im Ergebnis auch Lange, Die „Mietpreisbremse“ auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, DVBl 2015, 1551 (1558). 13 LG Berlin, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – 67 S 218/17, Rn. 51 ff. (zitiert nach juris) – dort zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 256/17 Seite 9 kung bereits vereinbarter Mietentgelte“, sondern die „Unterbindung unangemessener Preissprünge “ bei der Wiedervermietung. Nach Ansicht der Kammer hat die Begründung des Gesetzgebers zu § 556e Abs. 1 BGB das Ziel der Mietpreisbremse insgesamt aus dem Blick verloren. So seien nämlich gegenüber der Vormiete gesteigerte Wiedervermietungsmieten solange für das Gesetzesziel der Marktöffnung für einkommensschwächere Mieter unschädlich, solange die absolute Höhe der neu verlangten Miete der Anmietung durch die genannte Personengruppe nicht entgegenstehe. Gleichzeitig könnten auch stabile Wiedervermietungsmieten schädlich für den Gesetzeszweck seien; wenn sie wegen ihrer Höhe einkommensschwächere Mieter von Anmietung ausschlössen oder über ihren Einfluss auf die Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete zumindest mittelbar die Verdrängung von Bestandsmietern förderten. Daneben sei – so die vorlegende Kammer – die mit § 556e Abs. 1 BGB verbundene Ungleichbehandlung von Vermietern auch mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise schlichtweg unvereinbar. Diejenigen Vermieter, die bislang zu einer maßvollen Miete vermietet und damit dem Gesetzeszweck der Mietpreisbremse entsprochen hätten, würden gegenüber denjenigen Vermietern benachteiligt, die ihre Mietverträge unter maximaler Ausschöpfung der erzielbaren Miete abgeschlossen und damit zu einer Anspannung des betroffenen Wohnungsmarktes beigetragen hätten. Schließlich könnten auch Erwägungen des Bestandsschutzes diese Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Es fehle bereits an einem zu schützenden Bestand, da ein Vermieter auf den geschaffenen vertraglichen Bestand nach Beendigung des Vertrages nicht mehr berechtigt auch für die Zukunft vertrauen könne. Bei der Vermietung von Wohnraum könne auch nicht stets vom unveränderten Fortbestand der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgegangen werden. 2.3.2. Diskussion in der übrigen Rechtsprechung und der Literatur Die Zulässigkeit einer Wiedervermietung unter Überschreitung der nunmehr durch die Mietpreisbremse gezogenen Mietobergrenze nach § 556e Abs. 1 BGB wird durch die übrige Rechtsprechung nicht vertieft problematisiert. Zum Teil wird allgemein darauf verwiesen, dass die Ausnahmen auf einem sachlichen Grund beruhten14, zum Teil wird lediglich darauf verwiesen, dass die Ausnahme des § 556e Abs. 1 BGB durch Erwägungen des Bestandsschutzes gerechtfertigt werde, ohne diese näher zu erläutern15. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Regelung des § 556e Abs. 1 BGB und deren Begründung mit Erwägungen des Bestandsschutzes hingegen teilweise kritisch gesehen.16 Die kritischen Stimmen argumentieren insoweit damit, dass Bestandsschutzerwägungen zur Rechtfertigung hier nicht herangezogen werden könnten, da bei einer Wiedervermietung gerade der Be- 14 LG Berlin (65. Zivilkammer), Urteil vom 29. März 2017 – 65 S 424/16, NZM 2017, 332 (335 f.). 15 AG Berlin-Neukölln, Urteil vom 8. September 2016 – 11 C 414/15, NZM 2017, 31 (33). Siehe hierzu auch die Gesetzesmaterialien zu § 556e Abs. 1 BGB in BT-Drs. 18/3121, S. 29 f. 16 Artz, Die Mietpreisbremse, MDR 205, 549 (551); Tietzsch/Raabe, Mietpreisbremse verfassungswidrig?, WuM 2017, 688 (691). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 256/17 Seite 10 stand des Vertrages verlassen werde. Der Bestandsschutz beschränke sich auf das laufende Mietverhältnis und ende gemeinsam mit diesem. Eine Wiedervermietung unterliege den dann geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Habe ein Vermieter seine Investitionen in eine Immobilie auf der Grundlage weit über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegender Einnahmen kalkuliert, sei im Übrigen ein Bestandsschutz über das bestehende Mietverhältnis hinaus weder angezeigt, noch geboten. In der Literatur finden sich jedoch auch Stimmen, die § 556e Abs. 1 BGB als verfassungsgemäß ansehen.17 Argumentiert wird dabei unter anderem damit, dass es dem Gesetzgeber mit der Mietpreisbremse nicht um die Absenkung bereits vereinbarter Mieten, sondern um die Unterbindung unangemessener Preissprünge bei Wiedervermietungen gegangen sei. Ohne die Regelung des § 556e Abs. 1 BGB könne sich jedoch die Mietpreisbremse für bestimmte Mieten als Absenkung der bisherigen Miete auswirken. Um das Vertrauen des Vermieters in den Bestand der vormaligen Rechtslage nicht zu enttäuschen, erscheine es als gerechtfertigt, diesem den Vorteil aus dem vorherigen Rechtsverhältnis auch zukünftig zu erhalten. 3. Diskussion der Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbremse im Übrigen Im Mittelpunkt der Diskussion der Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbremse steht im Übrigen die Frage nach deren Vereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG.18 Die Rechtsprechung vertritt insoweit die Auffassung, dass es sich bei der Mietpreisbremse um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG handelt, die mit Blick auf den angestrebten Zweck zu einem angemessenen, die Belange der Vermieter hinreichend berücksichtigenden Interessenausgleich führt, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.19 In diesem Zusammenhang wird auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Begrenzung der Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete im Rahmen von Bestandsmietverträgen sowie die Rechtsprechung des Gerichts zur Einführung der Kappungsgrenze für das Mieterhöhungsverfahren bei Bestandsmieten und zur Verwendung von Mietspiegeln zur Feststellung der Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete Bezug genommen.20 In der rechtswissenschaftlichen Literatur sind die Ansichten insoweit geteilt. Teilweise wird von der Vereinbarkeit 17 Lange, Die „Mietpreisbremse“ auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, DVBl 2015, 1551 (1558). 18 Siehe etwa Schuldt, Mietpreisbremse, 2017, S. 216 ff.; Blankenagel/Schröder/Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, NZM 2015, 1 (12 ff.); sowie die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages mit dem Titel „Verfassungsrechtlicher Rahmen für die Einführung einer sogenannten Mietpreisbremse“, WD 3 - 3000 - 076/14, 2014. 19 LG Berlin (65. Zivilkammer), Urteil vom 29. März 2017 – 65 S 424/16, NZM 2017, 332 (334 f.); AG Berlin-Neukölln , Urteil vom 8. September 2016 – 11 C 414/15, NZM 2017, 31 (32 f.); AG Frankfurt am Main, Urteil vom 20. September 2017 – 33 C 3490/16, BeckRS 2017, 125834, Rn. 17 ff. 20 Siehe die Bezugnahme bei LG Berlin (65. Zivilkammer), Urteil vom 29. März 2017 – 65 S 424/16, NZM 2017, 332 (334), auf BVerfGE 37, 132; BVerfGE 71, 230 und BVerfG, Beschluss vom 3. April 1990 – 1 BvR 268/90 u.a., NJW 1992, 1377. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 256/17 Seite 11 der Mietpreisbremse mit Art. 14 Abs. 1 GG ausgegangen21, teilweise werden insoweit Zweifel geäußert ,22 teilweise wird die Vereinbarkeit der Mietpreisbremse mit Art. 14 Abs. 1 GG verneint23. Die Kritiker argumentieren dabei insbesondere mit Zweifeln an der Zweckmäßigkeit der Mietpreisbremse , einer Abkoppelung des Vergleichsmietensystems vom Marktpreis und der Unbestimmtheit der Rechtsgrundlagen. Eine ähnliche Diskussion findet sich auch in Hinblick auf die Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG.24 In Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG wird neben den vom Landgericht in seinem Vorlagebeschluss aufgegriffenen Aspekten insbesondere noch die Regelung des § 556f BGB problematisiert, die zwei Wohnungstypen von der Mietpreisbremse ausnimmt: Neubauten , die nach dem 1. Oktober 2014 bezugsfertig wurden sowie umfassend sanierte Wohnungen .25 Im Ergebnis wird dabei jedoch ganz überwiegend unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Stichtagsregelungen bzw. das legitime Ziel der Vermeidung von Fehlanreizen gegen Investitionen in den Wohnungsneubau von einer Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ausgegangen.26 *** 21 Siehe etwa Lange, Die „Mietpreisbremse“ auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, DVBl 2015, 1551 (1554 ff.); Theesfeld, in: Schach/Schultz/Schüller (Hrsg.), BeckOK Mietrecht, Stand: 10. Edition (Dezember 2017), § 556d BGB Rn. 7 ff.; trotz Zweifeln im Ergebnis auch Börstinghaus, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 556d BGB Rn. 9 ff. 22 Leuschner, Die „Mietpreisbremse“ – Unzweckmäßig und verfassungsrechtlich höchst bedenklich, NJW 2014, 1929 (1932 f.). 23 Blankenagel/Schröder/Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, NZM 2015, 1 (12 ff.); zumindest in Bezug auf § 556d Abs. 2 S. 2 BGB auch Schuldt, Mietpreisbremse, 2017, S. 227. 24 Blankenagel/Schröder/Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, NZM 2015, 1 (23 ff.); Leuschner, Die „Mietpreisbremse“ – Unzweckmäßig und verfassungsrechtlich höchst bedenklich, NJW 2014, 1929 (1932). 25 Siehe hierzu die Ausarbeitung „Vereinbarkeit einer Mietpreisbremse mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, WD 3 - 3000 - 177/14, 2014. 26 Gsell, Die gerechte Miete, WuM 2017, 305 (309 f.); Lange, Die „Mietpreisbremse“ auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, DVBl 2015, 1551 (1558 – Fn. 81); Schuldt, Mietpreisbremse, 2017, S. 231 ff.; zweifelnd hingegen Blankenagel/Schröder/Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Instituts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grundlage des MietNovGE, NZM 2015, 1 (27 – Fn. 258).