© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 255/20 Datenübermittlung durch den Verfassungsschutz an Private Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 255/20 Seite 2 Datenübermittlung durch den Verfassungsschutz an Private Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 255/20 Abschluss der Arbeit: 15. Dezember 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 255/20 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand befasst sich mit der Frage, ob Behörden einzelne Online-Zahlungsdienstleister darüber informieren dürfen, dass ein Kunde als extremistisch eingestuft wird. Des Weiteren wurde gefragt, ob dabei auch Verwandtschaftsverhältnisse der Person offengelegt werden dürfen. Zuständigkeitshalber wird im Folgenden die Möglichkeit einer Datenübermittlung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dargestellt.1 2. Übermittlung an nichtöffentliche Stellen nach § 19 Abs. 4 BVerfSchG § 19 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)2 normiert in seinen Absätzen 1 bis 4 die Befugnis des BfV zur Übermittlung personenbezogener Daten an unterschiedliche Stellen. So ist nach Absatz 1 eine Übermittlung an inländische öffentliche Stellen möglich, Absatz 2 erlaubt die Weitergabe an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte und Absatz 3 diejenige an ausländische öffentliche Stellen sowie über- und zwischenstaatliche Stellen. 2.1. Mögliche Adressaten der Übermittlung nach § 19 Abs. 4 BVerfSchG § 19 Abs. 4 BVerfSchG erlaubt unter bestimmten Umständen die Übermittlung personenbezogener Daten an „andere Stellen“. Die Verfassungsschutzgesetze der Länder haben ähnliche Regelungen.3 „Andere Stellen“ im Sinne der Norm sind in Abgrenzung zu den Absätzen 1 bis 3 privatrechtliche Stellen. Insbesondere fallen darunter Parteien, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände sowie Träger kritischer Infrastrukturen.4 In der Literatur wird allerdings zum Teil angenommen, dass Adressaten der Übermittlung im Kern gesellschaftlich relevante Organisationen sein müssen, die in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet sind und denen daher ein staatstragender Charakter unterstellt wird.5 Die Entstehungsgeschichte erlaubt aber eine weite Auslegung des Begriffs „andere Stellen“. So heißt es in der Gesetzesbegründung von 1989 zur (als § 14 BVerfSchG vorgesehenen) damaligen Fassung des § 19 BVerfSchG ausdrücklich, dass der Absatz 4 die Weitergabe personenbezogener Informationen an Private zulasse.6 Auch spätere Gesetzesbegründungen zu § 19 Abs. 4 BVerfSchG 1 Zur Zulässigkeit der Datenübermittlung nach dem Geldwäschegesetz siehe den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Informations- und Unterrichtungsbefugnisse staatlicher Institutionen gegenüber Online-Zahlungsdienstleistern nach ZAG und GwG, WD 4 - 3000 - 125/20. 2 Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Artikel 16 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 3 Siehe etwa § 23 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. 2001, 235), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.6.2018 (GVBl. 2018 S. 418). 4 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 19 BVerfSchG Rn. 36. 5 Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts. 1. Aufl. 2007, 8. Kapitel S. 535. 6 BT-Drs. 11/4306, S. 63. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 255/20 Seite 4 sprechen ohne weitere Einschränkung von einer Übermittlung an Private.7 Der Gesetzgeber ist somit nicht davon ausgegangen, dass nur Private mit „staatstragendem Charakter“ erfasst sein sollen. Demnach können auch Online-Zahlungsdienstleister grundsätzlich „andere Stellen“ im Sinne der Vorschrift sein. 2.2. Zweck der Übermittlung § 19 Abs. 4 BVerfSchG sieht ein grundsätzliches Verbot der Übermittlungen mit Erlaubnisvorbehalt vor.8 Die Ausnahmetatbestände umfassen die Erforderlichkeit der Übermittlung zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zum Schutz des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach § 1 Abs. 4 Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG)9. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird in § 4 Abs. 2 BVerfSchG legaldefiniert, wonach unter anderem die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte dazu zählen. Der Schutz des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes umfasst die Summe der Normen, die präventiv und repressiv zum Schutz des Staates, seiner Einrichtungen und seiner Rechtsordnung aufgestellt worden sind.10 Die lebensbzw . verteidigungswichtigen Einrichtungen, für die § 19 Abs. 4 BVerfSchG auf § 1 Abs. 4 SÜG verweist, werden in § 1 Abs. 5 SÜG näher erläutert. Das BfV hat bei der Entscheidung, ob eine Übermittlung erforderlich ist, die Interessen des Adressaten der Übermittlung, der von der Datenübermittlung betroffenen Personen und des Staates abzuwägen.11 Ob die Information an einen Online-Zahlungsdienstleister, dass ein Kunde als extremistisch eingestuft wird, in Betracht kommt, ist demnach eine Frage des Einzelfalls. Gleiches gilt für die Frage, ob Verwandtschaftsverhältnisse der Person offengelegt werden dürfen. Wenn die verwandte Person nicht ebenfalls als extremistisch eingestuft wird, dürfte dies allerdings fernliegend sein. Anzumerken ist, dass gemäß § 19 Abs. 5 BVerfSchG die Regelungen des § 19 Abs. 4 BVerfSchG keine Anwendung finden, wenn personenbezogene Daten zum Zweck der Anfrage nach § 8 Abs. 1 7 BT-Drs. 16/2921, S. 17; BT-Drs. 14/7386, S. 41. 8 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 19 BVerfSchG Rn. 35. 9 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen (Sicherheitsüberprüfungsgesetz – SÜG) vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867), zuletzt geändert durch Artikel 20 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 10 BT-Drs. 11/4306, S. 63. 11 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 19 BVerfSchG Rn. 37; Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts. 1. Aufl. 2007, 8. Kapitel S. 517 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 255/20 Seite 5 S. 2 BVerfSchG12 übermittelt werden. Die Voraussetzungen der Norm gelten also nicht, wenn das BfV Daten erfragt und dabei die für die Anfrage erforderlichen personenbezogenen Daten übermittelt . In diesem Fall müssen nur die Voraussetzungen der Anfrage nach § 8 ff. BVerfSchG beachtet werden. 2.3. Formelles Nach § 19 Abs. 4 S. 2 BVerfSchG bedarf die Übermittlung der vorherigen Zustimmung durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Die Bekanntgabe der Informationen gegenüber der jeweiligen Stelle hat formell durch die Spitze des BfV oder eine von ihr besonders bevollmächtigte Person in schriftlicher oder mündlicher Form mit dem nach § 19 Abs. 4 S. 6 BVerfSchG erforderlichen Hinweis zu erfolgen.13 Der Empfänger ist danach darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie übermittelt wurden, und dass das BfV sich vorbehält, um Auskunft über die Verwendung der Daten zu bitten. Weiterhin hat nach § 19 Abs. 4 S. 3 BVerfSchG das BfV einen Nachweis über den Zweck, die Veranlassung, die Aktenfundstelle und die Empfänger der Übermittlungen zu führen. Diese Nachweise sind nach § 19 Abs. 4 S. 3 BVerfSchG gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. Der von der Übermittlung seiner personenbezogenen Daten Betroffene ist durch das BfV über die Übermittlung zu informieren, wenn durch die Information die Aufgabenerfüllung des BfV nicht mehr gefährdet werden kann (§ 19 Abs. 4 S. 3 BVerfSchG). Bei der Datenverarbeitung durch das BfV sind die bereichsspezifischen Datenschutzregeln der §§ 10 ff. BVerfSchG zu beachten. Nach § 27 BVerfSchG finden auch einzelne Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes entsprechende Anwendung. 3. Übermittlungsverbote nach § 23 BVerfSchG Bei jeder Übermittlung von Daten nach den §§ 17 bis 22c BVerfSchG hat das BfV zu prüfen, ob ein Übermittlungsverbot nach § 23 Nr. 1 bis 3 BVerfSchG eingreift.14 Dies ist der Fall, wenn eines der folgenden Tatbestandsmerkmale vorliegt: überwiegende schutzwürdige Interessen Betroffener (Nr. 1), überwiegende Sicherheitsinteressen (Nr. 2) oder entgegenstehende gesetzliche Übermittlungsregelungen (Nr. 3). Schutzwürdige Belange des Betroffenen ergeben sich aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Für die Frage, ob die Belange des Betroffenen 12 § 8 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG besagt: „Ein Ersuchen des Bundesamtes für Verfassungsschutz um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerlässlich sind.“ 13 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 19 BVerfSchG Rn. 39. 14 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 23 BVerfSchG Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 255/20 Seite 6 überwiegen, ist bei der vergleichenden Bewertung unter anderem einzubeziehen, mit welchen Mitteln die Daten erhoben worden sind und aus welchem Bereich sie stammen.15 Beim Tatbestandsmerkmal der überwiegenden Sicherheitsinteressen geht es vorrangig um den Quellenschutz,16 also um das Interesse daran, die verdeckte nachrichtendienstliche Arbeit und ihre Methoden vor Entdeckung zu schützen.17 Entgegenstehende gesetzliche Übermittlungsregelungen nach § 23 Nr. 3 BVerfSchG sind solche, die ein ausdrückliches Verbot der Übermittlung beinhalten.18 Beispielsweise enthält § 72 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch19 ein Verbot der Übermittlung von anderen als den dort angegebenen Sozialdaten zu Zwecken des Verfassungsschutzes. *** 15 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 23 BVerfSchG Rn. 5. 16 Bergemann, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. H Rn. 117c. 17 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 23 BVerfSchG Rn. 6. 18 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 23 BVerfSchG Rn. 9. 19 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 3. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2668).