© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 254/19 Fragen zum Weisungsrecht des Havariekommandos Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/19 Seite 2 Fragen zum Weisungsrecht des Havariekommandos Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 254/19 Abschluss der Arbeit: 8. November 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/19 Seite 3 1. Einleitung Zum Aufbau und zur Durchführung eines gemeinsamen Unfallmanagements auf Nord- und Ostsee haben der Bund und die Küstenländer Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein durch eine Bund-Küstenländer-Vereinbarung das Havariekommando als gemeinsame Einrichtung geschaffen. Nach § 1 Abs. 3 der Vereinbarung über die Errichtung des Havariekommandos1 (HKV) bündelt es die „Verantwortung für die Planung, Vorbereitung, Übung und Durchführung von Maßnahmen zur Menschenrettung, zur Schadstoffunfallbekämpfung, zur Brandbekämpfung, zur Hilfeleistung, sowie zur gefahrenabwehrbezogenen Bergung bei komplexen Schadenslagen auf See“. Der Sachstand beschäftigt sich mit der Rechtsverbindlichkeit und Rechtsnatur von in diesem Zusammenhang gegenüber Einsatzkräften und Privaten erteilten Anweisungen. 2. Weisungen gegenüber Einsatzkräften Die einheitliche Leitung des Havariekommandos übt gemäß § 5 HKV der Leiter des Havariekommandos als Beschäftigter des Bundes aus. Im Falle einer komplexen Schadenslage oder eines Ersuchens eines Küstenlandes oder eines Wasser- und Schifffahrtsamtes kann bzw. muss er nach § 9 Abs. 1 HKV die Einsatzleitung übernehmen (Einsatzfall). Gemäß § 9 Abs. 2 HKV führt er die Einsatzkräfte und -mittel, gibt Einsatzziele vor und erteilt den zuständigen Stellen entsprechende Aufträge. Nach § 3 Abs. 2 der das HKV flankierenden Kooperationsvereinbarung2 führt der Leiter des Havariekommandos die ihm zur Verfügung gestellten Vollzugskräfte im Wege der Auftragstaktik .3 Im Unterschied zur Befehlstaktik wird dabei nicht die konkrete Art der Ausführung, sondern das durch geeignete Maßnahmen zu erreichende Ziel vorgegeben.4 Auch wenn das HKV diese Begriffe nicht ausdrücklich verwendet, wird § 9 Abs. 2 als ein weitgehendes Weisungs- und Durchgriffsrecht des Leiters des Havariekommandos verstanden.5 Entsprechende Weisungen gegenüber Einsatzkräften von Bund und Küstenländern stellen mangels Außenwirkung keine Verwaltungsakte dar. Ausführende Behörden sind die Wasserschutzpolizeien der Länder und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Die Wasserschutzpolizeien der Länder werden insoweit doppelfunktional tätig, als sie die Schifffahrtspolizei in Organleihe für den Bund ausüben und dabei gleichzeitig 1 Bund/Küstenländer-Vereinbarung über die Errichtung des Havariekommandos vom 23. Dezember 2002, BAnz. 2003, 1170 f. 2 Kooperationsvereinbarung zwischen den Behörden des Koordinierungsverbundes Küstenwache und dem Havariekommando vom 4. Februar 2003. 3 Vgl. auch BT Drs. 15/2928, S. 2. 4 Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Auflage 2018, Stichwort „Auftrag“. 5 Herma, Die rechtliche Ausgestaltung maritimer Sicherheit in Deutschland, 2006, S. 130 f.; König, Schiffssicherheit auf der Ostsee: Nationales Recht, DÖV 2002, S. 639 (645); Scholz, Die Bund-/Länderzusammenarbeit im Bereich der maritimen Sicherheit, in: Zimmermann/Tams, Seesicherheit vor neuen Herausforderungen, 2008, S. 133 ff. (135); Tams, Seesicherheit im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Zimmermann/Tams, Seesicherheit vor neuen Herausforderungen, 2008, S. 103 ff. (126); Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 117 f.; a.A. Jenisch, Argumente für eine Deutsche Küstenwache, Hansa 2009 S. 66 (67). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/19 Seite 4 die Aufgabe der Gefahrenabwehr für das jeweilige Land wahrnehmen.6 Den Einsatzkräften kommt mit Blick auf Sinn und Zweck der Bestimmungen nach dem HKV kein Widerspruchsrecht gegen die Weisungen des Leiters des Havariekommandos zu.7 Allerdings bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Weisungsbefugnis des Leiters des Havariekommandos, sofern dieser im Bereich originärer Verwaltungskompetenzen der Küstenländer tätig wird.8 Der Leiter des Havariekommandos greift dabei als Bundesbeamter in die Entscheidungskompetenz der Länder ein. Manche sehen darin eine besondere Form der Organleihe, da der Havariekommandoleiter als Organ des Landes tätig werde.9 König äußert allerdings aufgrund der nicht eindeutigen Verantwortungszuweisung verfassungsrechtliche Bedenken an deren Zulässigkeit .10 Jenisch legt das HKV sogar so aus, dass gar keine Weisungsrechte des Leiters des Havariekommandos bestünden.11 Nach Ansicht weiterer Stimmen in der Literatur liege schon keine Organleihe vor.12 Überdies sei das verfassungsrechtliche Fremdbestimmungsverbot verletzt, welches die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung der nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zuständigen Körperschaft (hier: der Küstenländer) flankiert.13 Sofern die Aufteilung der Kompetenzen für die maritime Sicherheit auf Bund und Länder sowie die derzeitige Ausgestaltung des Havariekommandos als dennoch einheitlich zuständige und weisungsberechtigte Entscheidungsstelle beibehalten werden soll, stellt dies eine Durchbrechung der grundsätzlich in den Art. 83 ff. Grundgesetz vorgesehenen Trennung der Verwaltungsräume von Bund und Ländern dar. Den in dieser Hinsicht bestehenden verfassungsrechtlichen Unsicherheiten könnte durch eine entsprechende Grundgesetzänderung begegnet werden.14 Die Zulässigkeit einer 6 Vgl. dazu den Sachstand der Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages zum Thema „Wahrnehmung schifffahrtspolizeilicher Aufgaben“, WD 3 - 3000 - 099/19, S. 3 f. 7 Vgl. dazu bereits die Sachstände der Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages „Kompetenzen des Havariekommandos“, WD 3 - 3000 - 038/09 und „Weisungsbefugnis des Leiters des Havariekommandos gegenüber Einsatzkräften und Einsatzmitteln des Bundes“, WD 3 - 3000 - 066/09. 8 Tams, Seesicherheit im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Zimmermann/Tams, Seesicherheit vor neuen Herausforderungen, 2008, S. 103 ff. (126); Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 168 ff. 9 Jenisch, Argumente für eine Deutsche Küstenwache, Hansa 2009 S. 66 (67 – „Organleihe oder Amtshilfe“); König, Schiffssicherheit auf der Ostsee: Nationales Recht, DÖV 2002, S. 639 (646). 10 König, Schiffssicherheit auf der Ostsee: Nationales Recht, DÖV 2002, S. 639 (646 f.). 11 Jenisch, Argumente für eine Deutsche Küstenwache, Hansa 2009 S. 66. 12 Herma, Die rechtliche Ausgestaltung maritimer Sicherheit in Deutschland, 2006, S. 158 ff.; Tams, Seesicherheit im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Zimmermann/Tams, Seesicherheit vor neuen Herausforderungen , 2008, S. 103 ff. (127); Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 168 ff. 13 Herma, Die rechtliche Ausgestaltung maritimer Sicherheit in Deutschland, 2006, S. 186; Tams, Seesicherheit im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Zimmermann/Tams, Seesicherheit vor neuen Herausforderungen , 2008, S. 103 ff. (127); Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 173 m.w.N. 14 Dazu Herma, Die rechtliche Ausgestaltung maritimer Sicherheit in Deutschland, 2006, S. 192 ff.; zu Tams, Seesicherheit im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Zimmermann/Tams, Seesicherheit vor neuen Herausforderungen, 2008, S. 103 ff. (128 ff.). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/19 Seite 5 entsprechenden Sonderregelung dürfte mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere am Rechtsstaats- und Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG) zu messen sein, aus denen die Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit, und mithin der Verantwortungsklarheit, folgen.15 Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG hindere den verfassungsändernden Gesetzgeber jedoch nicht, in begrenzten Ausnahmefällen die konkreten Ausprägungen der dort verankerten Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren .16 So hat das Bundesverfassungsgericht die umfassende Sonderregelung für die Zulässigkeit der Zusammenwirkung von Bund und Ländern im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Art. 91e GG für zulässig erachtet. Dieser regelt allerdings nicht alle Fragen der Art und Weise des Zusammenwirkens unmittelbar, sondern sieht in Abs. 3 eine nähere Ausgestaltung durch ein Bundesgesetz vor, dass der Zustimmung des Bundesrates bedarf. 3. Anweisungen gegenüber Privaten Der Leiter des Havariekommandos führt gemäß § 9 Abs. 2 HKV im Einsatzfall die Einsatzkräfte und -mittel, gibt die Ziele zur Bekämpfung der komplexen Schadenslage vor und erteilt den insoweit zuständigen Stellen entsprechende Aufträge. Da dies in Form der Auftragstaktik erfolgt, verbleibt die Entscheidung darüber, mit welchen konkreten Maßnahmen die Ziele und Aufträge umgesetzt werden bei den Einsatzkräften. Gegenüber Privaten wie Reedereien und Betreibern von Seeschiffen werden Anweisungen damit grundsätzlich nicht vom Leiter des Havariekommandos, sondern von den ausführenden Einsatzkräften der zuständigen Stellen des Bundes oder der Küstenländer erteilt. Als hoheitliche Maßnahmen von Behörden gegenüber Privaten ergehen diese als Verwaltungsakte. Sofern keine Nichtigkeitsgründe vorliegen, sind diese rechtsverbindlich. *** 15 BVerfGE 137, 108 (144 m.w.N.). 16 BVerfGE 137, 108 (145).