© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 254/17 Direkte Demokratie in Österreich und in der Schweiz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/17 Seite 2 Direkte Demokratie in Österreich und in der Schweiz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 254/17 Abschluss der Arbeit: 03.01.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/17 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand stellt den Grundaufbau der direkten Demokratie in Österreich und in der Schweiz dar. 2. Direkte Demokratie in Österreich Österreich kennt auf Bundesebene verschiedene Instrumente direkter Demokratie (Volksbegehren, Bürgerinitiative, Volksabstimmung und Volksbefragung).1 Es gibt aber keine Volksgesetzgebung, d. h. ein Verfahren, das mit einem Gesetzesbeschluss (Volksentscheid) durch das Volk über einen durch Volksbegehren vorgelegten Gesetzentwurf endet. Vorgesehen ist allerdings die Möglichkeit eines Volksbegehrens über eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit, das in Form einer Gesetzesvorlage gestellt werden kann. Ist das erforderliche Quorum von 100.000 Stimmberechtigten oder je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder erreicht, so ist der Antrag dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen (Art. 41 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz-B-VG2). Es folgt also nicht der Volksentscheid, sondern lediglich die Beratung im Nationalrat.3 Weitere Verfahrensmodalitäten ergeben sich aus den Ausführungsbestimmungen (Volksbegehrensgesetz-VolksbegG4). Außerdem findet sich im Bundesverfassungsgesetz i. V. m. dem Volksabstimmungsgesetz (VAbstG)5 die Volksabstimmung in vier Varianten: 1. Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluss (Art. 43 B-VG), 2. obligatorische Volksabstimmung über eine Gesamtänderung der Bundesverfassung (Art. 44 Abs. 3 B-VG), 3. fakultative Volksabstimmung über eine Teiländerung der Verfassung (Art. 44 Abs. 3 B-VG) 4. Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten (Art. 60 Abs. 6 B-VG). Bei Variante 1 bis 3 werden Gesetzesbeschlüsse bzw. Verfassungsänderungen, die im regulären Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen sind, nachträglich einer Entscheidung durch das 1 Die nachfolgenden Ausführungen entstammen im Wesentlichen der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste zum Thema: Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene - Verfassungsrechtliche Situation im Hinblick auf die föderale Struktur Deutschlands und Rechtslage in Österreich und der Schweiz, Az. WD 3 - 3000 - 005/14, S. 11 f.; Siehe hierzu auch die Darstellung bei: Storr, Die Maßgaben der österreichischen Bundesverfassung für sachunmittelbare Demokratie in Bund und Ländern, in: Neumann/Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009, 2010, S. 96 ff. 2 BGBl. Nr. 1/1930 (WV), abzurufen unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen &Gesetzesnummer=10000138 (Stand: 02.01.2018). 3 Storr, in: Neumann/Renger (Hrsg.), S. 96 ff., S. 97. 4 Volksbegehrengesetz 1973 BGBl. Nr. 344/1973, abzurufen unter: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage =Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000532 (Stand: 02.01.2018). 5 Volksabstimmungsgesetz 1972, BGBl. Nr. 79/1973, abzurufen unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung .wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000530 (Stand: 02.01.2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/17 Seite 4 Volk unterzogen. Bei der Volksabstimmung entscheidet die unbedingte Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen (Art. 45 Abs. 1 B-VG). Der föderale Staatsaufbau Österreichs wird durch die direktdemokratischen Verfahren nicht berührt. So müssen auch Gesetzentwürfe, die vom Volk ausgehen (Volksbegehren) oder vom Volk bestätigt werden (Volksabstimmung), wie alle anderen Gesetze das Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung der Länderkammer (Bundesrat - Art. 42 B-VG) und ggf. der Länder selbst (bei Zustimmungsgesetzen nach Art. 42a BB-VG) durchlaufen. Zusätzlich besteht nach Art. 49b B-VG die Möglichkeit einer Volksbefragung. Eine solche findet statt, wenn der Nationalrat dies auf Antrag seiner Mitglieder oder der Bundesregierung beschließt. Gegenstand kann eine Angelegenheit von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung sein. Wahlen sowie Angelegenheiten, über die ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde zu entscheiden hat, können hingegen nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein. 3. Direkte Demokratie in der Schweiz In der Schweiz besteht eine lange Tradition direktdemokratischer Verfahren. Zentrale Volksrechte stellen dabei die Volksinitiative und das Volksreferendum dar.6 3.1. Überblick Die Volksinitiative verschafft einer bestimmten Zahl von Stimmberechtigten das Recht, mittels einer Unterschriftensammlung eine Volksabstimmung über die totale oder teilweise Revision der Bundesverfassung zu verlangen (vgl. Art. 138 u. 139 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft). Damit besteht auf der Bundesebene lediglich eine sog. Verfassungsinitiative, d.h. ein Antrag aus dem Volk an das Volk eine Totalrevision der Verfassung durchzuführen oder eine bestimmte Verfassungsbestimmung zu erlassen, abzuändern oder aufzuheben. Eine allgemeine Gesetzesinitiative zur Änderung oder Einführung einfachen Rechts besteht hingegen nicht. Die Initiative muss bestimmte formale Anforderungen erfüllen. Verletzt sie die Einheit der Form, die Einheit der Materie oder zwingende Bestimmungen des Völkerrechts, so kann das Parlament sie für ganz oder teilweise ungültig erklären. Erachtet das Parlament die Initiative als gültig, so empfiehlt es dem Volk die Initiative zur Annahme oder zur Ablehnung. Das Parlament kann dem Volk auch einen Gegenentwurf unterbreiten. Es gibt zudem zwei Arten von Referenden: das obligatorische und das fakultative Referendum. Als obligatorisches Referendum bezeichnet man Referenden, die von Amtes wegen durchzuführen sind. Fakultative Referenden bedürfen eines besonderen Anstoßes in Form eines Referendumsbegehrens (Unterschriftensammlung).7 6 Böhm, Die direkte Demokratie in der Schweiz, DÖV 2013, S. 1 ff. (3); die nachfolgenden Ausführungen entstammen im Wesentlichen dem Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste zum Thema: Volksabstimmungen in der Schweiz, Az. WD 3 - 3000 - 004/14. 7 Zu diesen Begriffen Hölscheidt/Menzenbach, Referenden in Deutschland und Europa, DÖV 2009, S. 777 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/17 Seite 5 Die Vorlagen, die dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden, sind angenommen, wenn die Mehrheit der Stimmenden sich dafür ausspricht. Die Vorlagen, die Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet werden, sind angenommen, wenn die Mehrheit der Stimmenden und die Mehrheit der Stände sich dafür aussprechen. Das Ergebnis der Volksabstimmung im Kanton gilt als dessen Standesstimme. Die Kantone Obwalden, Nidwalden, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden haben je eine halbe Standesstimme. Auf Bundesebene gibt es kein Finanzreferendum. In den Kantonen und vielen Gemeinden kann jedoch darüber abgestimmt werden, ob bestimmte Kosten für ein Vorhaben übernommen werden sollen oder wie dessen Gegenfinanzierung ausgestaltet werden soll.8 Neben den Finanzbeschlüssen gibt es noch weitere Akte des Parlaments, welche nicht dem Referendum unterstehen, wie etwa der Beschluss über die Gültigkeit von Volksinitiativen, die Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen, sofern diese nicht selbst referendumspflichtig sind. Nicht dem Referendum unterstehen ferner Verordnungen des Bundesrates oder des Parlaments. 3.2. Verfahrensschritte 3.2.1. Volksinitiative Die Voraussetzungen der Volksinitiative sind insbesondere in Artikel 139 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) geregelt. Über eine Volksinitiative kann die Bundesverfassung geändert oder totalrevidiert werden. Eine Änderung oder ein erstmaliger Beschluss eines Bundesgesetzes ist auf diesem Wege wie dargestellt nicht möglich.9 Zusammenfassend ergibt sich für eine Volksinitiative folgender Ablauf: Zunächst unterbreiten die Initianten der Bundeskanzlei einen Vorschlag zur Vorprüfung. Die Initiative wird dann im Bundesblatt publiziert. Im Anschluss müssen innerhalb von 18 Monaten 100.000 Unterschriften gesammelt werden. Die Bundeskanzlei stellt förmlich fest, ob die Initiative die vorgeschriebene Zahl gültiger Unterschriften aufweist. Der Bundesrat (Regierung der Schweiz) berät im Anschluss daran den Entwurf und unterbreitet der Bundesversammlung spätestens ein Jahr nach Einreichen einer zustande gekommenen Volksinitiative eine Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses für eine Stellungnahme der Bundesversammlung. Der Entwurf wird sodann im Parlament beraten. Die Bundesversammlung erklärt im Rahmen dieses Verfahrens eine Volksinitiative für ganz oder teilweise ungültig, wenn sie feststellt, dass die Erfordernisse von Artikel 139 Absatz 3 BV nicht erfüllt sind. Sie beschließt weiterhin binnen 30 Monaten nach Einreichung einer Volksinitiative in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs darüber, ob sie die Initiative Volk und Ständen zur Annahme oder Ablehnung empfiehlt. Erklärt die Bundesversammlung die Initiative für gültig, wird sie dem Volk zur Abstimmung unterbreitet. 8 Böhm, Die direkte Demokratie in der Schweiz, DÖV 2013, S. 1 ff. (4). 9 Vgl. die Darstellung auf dem Online-Portal der Schweizerischen Bundeskanzlei: https://www.ch.ch/de/demokratie /politische-rechte/volksinitiative/was-ist-eine-eidgenossische-volksinitiative/ (Stand: 02.01.2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 254/17 Seite 6 Bundesrat und Parlament können ihr einen direkten Gegenentwurf oder einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen. Die Initianten können ihre Initiative zu diesem Zeitpunkt noch zurückziehen . Die Initiative ist schließlich angenommen, wenn ihr die Mehrheit des Volkes (Volksmehr) und die Mehrheit der Kantone (Ständemehr) zustimmen (doppeltes Mehr).10 3.2.2. Fakultatives Referendum Im Rahmen eines fakultativen Referendums nach Art. 141 BV können dem Volk insbesondere Bundesgesetze zur Abstimmung vorgelegt werden. Es ist durchzuführen, wenn dies innerhalb von 100 Tagen seit der Veröffentlichung des Erlasses im Bundesblatt 50.000 Stimmberechtigte oder acht Kantone verlangen. Nach Ablauf der Referendumsfrist stellt die Bundeskanzlei fest, ob das Referendum die vorgeschriebene Zahl gültiger Unterschriften aufweist. Ist das Referendum zustande gekommen, ordnet der Bundesrat die Volksabstimmung an. 3.2.3. Obligatorisches Referendum Erlasse, die dem obligatorischen Referendum nach Art. 140 BV unterstehen, werden nach ihrer Annahme durch die Bundesversammlung veröffentlicht. Der Bundesrat ordnet dann die Abstimmung durch das Volk und die Stände an. Ein obligatorisches Referendum findet statt: bei Änderungen der Bundesverfassung; einem Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften; bei dringlich erklärten Bundesgesetzen, die keine Verfassungsgrundlage haben und deren Geltungsdauer ein Jahr übersteigt; diese Bundesgesetze müssen innerhalb eines Jahres nach Annahme durch die Bundesversammlung zur Abstimmung unterbreitet werden. 4. Statistische Angaben/Weitere Informationen Die Schweizerische Bundeskanzlei bietet auf dem Internetportal „Demokratie - Das politische System der Schweiz“ eine Reihe von Daten und Informationen zu Volksabstimmungen an. Verfügbar sind insbesondere Informationen zu aktuellen und früheren Volksabstimmungen sowie zu den Abstimmungsmodalitäten.11 *** 10 Vgl. die Darstellung auf dem Online-Portal der Schweizerischen Bundeskanzlei: https://www.ch.ch/de/demokratie /politische-rechte/volksinitiative/was-ist-eine-eidgenossische-volksinitiative/ (Stand: 02.01.2018). 11 https://www.ch.ch/de/demokratie/abstimmungen/ (Stand: 02.01.2018).