© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 253/20 Fragen zum Haber-Verfahren des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat Überprüfung von Nichtregierungsorganisationen durch den Verfassungsschutz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Februar 2017 den Ressorts bekannt gegeben. Ziel des Haber-Verfahrens ist es, durch eine frühzeitige Einbeziehung des BfV missbräuchliche Inanspruchnahme staatlicher Leistungen durch extremistische und terroristische Organisationen, Gruppierungen und Einzelpersonen „noch effektiver als bisher auszuschließen“2. Angaben der Bundesregierung zufolge überprüfte das BfV auf Anfrage von Bundesministerien in den Jahren 2018 und 2019 hunderte Nichtregierungsorganisationen (NGO).3 Gefragt wird, ob dem Haber-Verfahren verfassungsrechtliche Bedenken begegnen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine bewusst knapp gehaltene Positiv-Meldung des BfV ausschlaggebendes Kriterium für eine Förderabsage sein kann sowie dass die abgefragten NGO keine nachträgliche Information erhalten. Zudem wird gefragt, ob es für diese Praxis eine ausreichende gesetzliche Grundlage gibt. 2. Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017 In dem Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017 wird das sogenannte Haber-Verfahren beschrieben . Dieses sieht vor, dass die Ressorts zunächst die ihnen zugänglichen Erkenntnismöglichkeiten (bspw. die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder) ausnutzen . Soweit hiernach eine Klärung nicht möglich sein sollte, können die Ressorts ihre Anfragen zu möglichen verfassungsschutzrelevanten Erkenntnissen über Organisationen, Personen und Veranstaltungen, über deren materielle bzw. immaterielle Förderung das Ressort zu entscheiden hat, unmittelbar an das BfV und nachrichtlich an das BMI richten. Laut Schreiben des BMI vom 6. Februar 2017 geht dieses „dabei davon aus, dass die Ressorts Anfragen nur zu solchen Organisationen , Personen und Veranstaltungen stellen, die unbekannt sind (z. B. weil sie bislang noch nicht in Erscheinung getreten sind) oder deren Unbedenklichkeit sich nicht aus dem jeweiligen Kontext erschließt“4. Die Beantwortung durch das BfV auf die Anfrage des Ressorts soll sich im Regelfall auf die Aussagen beschränken, „verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse zu … liegen vor“ bzw. „es liegen keine Erkenntnisse vor“. Liegen verfassungsschutzrechtliche Erkenntnisse vor, empfiehlt das BMI, eine Förderung auszuschließen. Soweit dem Ressort im Einzelfall über die Antwort des BfV hinausgehende Präzisierungen notwendig erscheinen, soll es sich unmittelbar an 1 Vgl. Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Kleine Anfragen BT-Drs. 19/23525 (DIE LINKE.), BT-Drs. 19/21848 (DIE LINKE.), BT-Drs. 19/9152 (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN), BT-Drs. 19/3563 (DIE LINKE) und BT-Drs. 19/2086 (DIE LINKE.). 2 Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017, abrufbar unter: https://fragdenstaat.de/dokumente/2/ (letzter Abruf 25. November 2020). 3 BT-Drs. 19/23525, BT-Drs. 19/21848, BT-Drs. 19/2086; siehe auch Neue Osnabrücker Zeitung vom 29. Oktober 2020, abrufbar unter: https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/2153649/verfassungsschutz-prueftehunderte -nichtregierungsorganisationen (letzter Abruf 25. November 2020). 4 Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017, Fn. 2, 5 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 253/20 Seite 4 das BMI wenden. Die abgefragten Projekte und Personen werden weder vorab noch nachträglich über die Abfrage beim BfV informiert. Das Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017 wird zum Teil als „Haber-Erlass“ bezeichnet. Bei diesem Rundschreiben handelt es sich jedoch nicht um eine allgemeine Anordnung für den internen Dienstbetrieb einer oder mehrerer Behörden. Das Rundschreiben ist vielmehr explizit als Angebot des BMI formuliert; das BMI lädt darin dazu ein, dieses „ausgiebig zu nutzen“5. Darin wird zudem darauf hingewiesen, dass die Beratungen durch das BfV und das BMI die Entscheidungskompetenz der Ressorts nicht berühren.6 Dies alles macht deutlich, dass dem Rundschreiben keine Rechtsverbindlichkeit zukommt, sondern es lediglich einen mitteilenden Charakter hat. Es ist als solches nicht justiziabel. 3. Überprüfung von NGO durch das BfV auf Antrag von Bundesministerien Auch wenn das Rundschreiben als solches nicht justiziabel ist, kann doch die Praxis der Behörden auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Den Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Kleine Anfragen ist zu entnehmen, dass das Haber-Verfahren von verschiedenen Bundesministerien praktiziert wird.7 3.1. Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Die Abfrage von verfassungsschutzrelevanten Erkenntnissen beim BfV im Vorfeld einer Förderentscheidung ohne Wissen und Einwilligung der betroffenen natürlichen oder juristischen Personen könnte einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) darstellen. Der Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung erfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu entscheiden, auch wenn die Daten nicht die Privat- oder gar die Intimsphäre betreffen.8 Das Recht soll insbesondere einem Einschüchterungseffekt vorbeugen.9 Geschützt werden persönliche bzw. personenbezogene Daten zu den persönlichen oder sachlichen Verhältnissen einer bestimmten Person.10 Träger des Grundrechts können neben natürlichen Personen unter Umständen auch juristische Personen sein; 5 Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017, Fn. 2, 7. 6 Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017, Fn. 2, 5 und 7. 7 Siehe nur BT-Drs. 19/23525, 4. 8 BVerfGE 65, 1 (45). 9 BVerfGE 115, 166 (188). 10 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 16. Auflage 2020, Art. 2 Rn. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 253/20 Seite 5 eine Grundrechtsträgerschaft von juristischen Personen wird im Bereich des gesprochenen Worts und hinsichtlich der auf die juristische Person bezogenen Daten bejaht.11 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt „vor jeder Form der Erhebung, schlichter Kenntnisnahme, Speicherung, Verwendung, Weitergabe oder Veröffentlichung von persönlichen – d.h. individualisierten oder individualisierbaren – Informationen“12. Zumindest bei der Information , dass verfassungsschutzrelevante Informationen über die betroffene natürliche oder juristische Person vorliegen, handelt es sich um eine solche individualisierte Information. Dass das BfV angehalten ist, seine Antwort bewusst knapp zu halten, ändert daran nichts. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt es zwischen der Erhebung, Speicherung und Verwendung von personenbezogenen Daten zu unterscheiden, die jeweils einen Eingriff darstellen können.13 Durch die Praxis nach dem Haber-Verfahren wird auf verschiedene Weise in die informationelle Selbstbestimmung eingegriffen; sowohl die Datenverarbeitung und -übermittlung durch das BfV als auch der Abruf von Daten, ihre Verarbeitung und Speicherung durch die abfragenden Behörde greifen in das Grundrecht ein. 3.2. Gesetzliche Grundlagen Ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage.14 Für den Fall des Datenaustauschs hat das Bundesverfassungsgericht folgenden Maßstab aufgestellt: „Bei der Regelung eines Datenaustauschs zur staatlichen Aufgabenwahrnehmung ist darüber hinaus aber auch zwischen der Datenübermittlung seitens der auskunftserteilenden Stelle und dem Datenabruf seitens der auskunftsuchenden Stelle zu unterscheiden. Ein Datenaustausch vollzieht sich durch die einander korrespondierenden Eingriffe von Abfrage und Übermittlung, die jeweils einer eigenen Rechtsgrundlage bedürfen. Der Gesetzgeber muss, bildlich gesprochen, nicht nur die Tür zur Übermittlung von Daten öffnen, sondern auch die Tür zu deren Abfrage. Erst beide Rechtsgrundlagen gemeinsam, die wie eine Doppeltür zusammenwirken müssen, berechtigen zu einem Austausch personenbezogener Daten. Dies schließt – nach Maßgabe der Kompetenzordnung und den Anforderungen der Normenklarheit – nicht aus, dass beide Rechtsgrundlagen auch in einer Norm zusammengefasst werden können.“15 11 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 16. Auflage 2020, Art. 2 Rn. 52 mit Rechtsprechungsnachweisen. 12 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 91. EL April 2020, Art. 2 Rn. 176. 13 Vgl. BVerfGE 130, 151 (184) mit weiteren Rechtsprechungshinweisen. 14 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 91. EL April 2020, Art. 2 Rn. 179. 15 BVerfGE 130, 151 (184), Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 253/20 Seite 6 3.2.1. Gesetzliche Grundlagen für die Datenverarbeitung und -übermittlung durch das BfV Die Bundesregierung differenziert zwischen der Datenverarbeitung bei der Überprüfung der NGO und der Übermittlung von Informationen an die anfragenden Ressorts. Als Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung seitens des BfV bei der Überprüfung der NGO beruft sich die Bundesregierung auf § 3 i.V.m. § 8 Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG).16 Gemäß der Generalklausel des § 8 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG darf das BfV die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Die Aufgaben des BfV sind in § 3 BVerfSchG geregelt ; dazu gehört insbesondere die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen oder Tätigkeiten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG). § 3 Abs. 2 BVerfSchG regelt die Mitwirkungsbefugnisse des BfV – bei Überprüfungen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) zum vorbeugenden personellen Geheimschutz (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 BVerfSchG, § 1 Abs. 2 SÜG) und/oder – zum vorbeugenden personellen Sabotageschutz (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 BVerfSchG, § 1 Abs. 4, 5 SÜG), – bei Maßnahmen zum vorbeugenden materiellen Geheimschutz (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 BVerfSchG) oder – bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 BVerfSchG – dazu zählen bspw. Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach § 5 Abs. 5 Nr. 4 Waffengesetz17, § 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz18 oder § 12b Abs. 3 Nr. 2 Atomgesetz19). Soweit es sich bei den zu verarbeitenden Daten um personenbezogene Daten handelt, gilt es zudem die speziellen Anforderungen des § 10 BVerfSchG zu beachten. § 10 Abs. 1 BVerfSchG konkretisiert für personenbezogene Daten, dass diese durch das BfV zur Erfüllung seiner Aufgaben gespeichert, verändert und genutzt werden dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG vorliegen, dies für die Erforschung und Bewertung solcher Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist oder es nach § 3 Abs. 2 BVerfSchG tätig wird. 16 Siehe BT-Drs. 19/3563, 4. 17 Waffengesetz vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970, 4592; 2003 I S. 1957), zuletzt geändert durch Artikel 228 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 18 Sprengstoffgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. September 2002 (BGBl. I S. 3518), zuletzt geändert durch Artikel 232 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 19 Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch Artikel 239 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 253/20 Seite 7 Im Tätigkeitsbericht für das Jahr 2019 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) wird kritisiert, dass zum „Zeitpunkt der Anfrage eines Bundesministeriums an das BfV zwecks Überprüfung [...] aber gerade keine Anhaltspunkte dafür [bestehen], dass im Zusammenhang mit der jeweiligen Leistungsvergabe die freiheitlich demokratische Grundordnung oder der Bestand und die Sicherheit des Staates tatsächlich gefährdet sind. Das vorgesehene Verfahren liefert allenfalls als Endergebnis und auch nur in Bezug auf einzelne Überprüfte derartige tatsächliche Anhaltspunkte.“20 Der Bundesdatenschutzbeauftragte kommt daher zu dem Schluss, dass es an einer Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung auf Seiten des BfV fehle. Den Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Kleine Anfragen ist allerdings zu entnehmen, dass das BfV nur bereits vorhandene Informationen über die in der Abfrage bezeichnete natürliche oder juristische Person überprüft und die Anfrage nicht zum Anlass nimmt, weitergehende Informationen zu sammeln.21 Für eine solche, von der Anfrage im Vorfeld einer Leistungsvergabe unabhängige Überprüfung, können § 8 und § 10 BVerfSchG grundsätzlich als Rechtsgrundlage herangezogen werden. Als Rechtsgrundlage für die Übermittlung der Informationen durch das BfV beruft sich die Bundesregierung auf § 19 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG.22 Dieser lautet: „Im Übrigen darf es an inländische öffentliche Stellen personenbezogene Daten übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für erhebliche Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt.“ Im Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017 wird die Notwendigkeit einer Strategie der ganzheitlichen Bekämpfung von extremistischen und terroristischen Organisationen betont. Die Gewährung von Vorteilen an Organisationen und Personen, zu denen verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse vorliegen, stehe im Widerspruch zu dieser ganzheitlichen Strategie.23 In der Literatur wird das Haber-Verfahren als Anwendungsfall des § 19 BVerfSchG angesehen.24 Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Vergabe von staatlichen Leistungen an extremistische und terroristische Organisationen diesen in verschiedener Weise nutzt und diese stärken kann. Dies zu verhindern, dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 20 Tätigkeitsbericht für das Jahr 2019 zum Datenschutz – 28. Tätigkeitsbericht, 52, abrufbar unter: https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikationen/Taetigkeitsberichte/TB_BfDI/19TB_01_02.html (letzter Abruf 25. November 2020). 21 BT-Drs. 19/3563, 4. 22 BT-Drs. 19/23525, 8. 23 Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017, Fn. 2, 4 und 7. 24 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 19 BVerfSchG Rn. 17 mit Verweis auf BFH, Urteil vom 14. März 2018, V R 36/16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 253/20 Seite 8 3.2.2. Gesetzliche Grundlagen für die Abfrage, Verarbeitung und Speicherung durch die Bundesministerien Nach seinem Wortlaut ermächtigt § 19 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG allerdings nur das BfV zur Übermittlung von personenbezogenen Daten. In der Literatur wird nicht näher zwischen der Abfrage und der Übermittlung der Daten differenziert. Es wird darauf hingewiesen, dass die Behörden den Grundsatz zu beachten hätten, dass Organisationen und Personen, die extremistische Bestrebungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BVerfSchG verfolgen, keinen Anspruch auf staatliche Förderung und Unterstützung besitzen. Öffentliche Stellen seien daher berechtigt und gehalten, sich in Zweifelsfragen, die sich z.B. aufgrund der Wahrnehmung von Verfassungsschutzberichten ergeben können, an das BfV zu wenden, um es zu den genannten und weiteren Personen und Organisationen zu befragen, die staatliche Leistungen erhalten sollen oder die an Veranstaltungen der obersten Bundesbehörden oder ihrer Geschäftsbereiche beteiligt werden sollen.25 Es stellt sich insofern die Frage, ob die Befugnis der Übermittlung von Informationen gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG auch die Abfrage dieser Daten mitumfasst. Dagegen spricht aber der deutliche Wortlaut der Vorschrift, der nur auf das BfV als handelnde Behörde abstellt und allein den Vorgang der Übermittlung behandelt. Die Norm steht in einem Abschnitt, der verschiedene Vorschriften für die Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörden bzw. durch diese regelt. Auch aus der Gesetzesbegründung26 ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift auch eine Befugnis der auskunftsersuchenden Behörde mitregeln wollte. Andere spezialgesetzliche Vorschriften zeigen dagegen, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit gesehen hat, die Befugnis, beim BfV Auskünfte abzufragen, ausdrücklich zu regeln, vgl. bspw. § 5 Abs. 5 Nr. 4 Waffengesetz, § 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz oder § 12b Abs. 3 Nr. 2 Atomgesetz. Fraglich ist, ob sich eine Kompetenz aus den gesetzlichen Grundlagen für die Vergabe der staatlichen Leistungen ergibt. In der Regel erfolgt eine Fördermittelvergabe auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes sowie aufgrund von intern von der Exekutive formulierten Maßgaben.27 § 23 und § 44 Bundeshaushaltsordnung, die die grundlegenden Voraussetzungen für die Gewährung von Zuwendungen regeln, sehen keine Befugnis vor, personenbezogene Daten beim BfV anzufragen. Eine Rechtsgrundlage könnte schließlich in der Generalklausel des § 3 BDSG zu sehen sein. Danach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, erforderlich ist. Die Bundesministerien haben darauf zu achten, dass staatliche Leistungen keinen extremistischen und terroristischen Orga- 25 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 19 BVerfSchG Rn. 17 mit Verweis auf BFH, Urteil vom 14. März 2018, V R 36/16; siehe auch Bergmann, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, H. Nachrichtendienste und Polizei, Rn. 117. 26 BT-Drs. 11/4306, 63. 27 Ausführlich dazu siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, Neutralitätspflichten für Zuwendungsempfänger, WD 3 - 3000 - 117/18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 253/20 Seite 9 nisationen gewährt werden. In der Literatur wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Generalklausel des § 3 BDSG aufgrund des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatzes keine Grundlage für schwerwiegende Grundrechtseingriffe bilden kann.28 Ferner wird verschiedentlich betont, dass die Rechtsgrundlagen für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung „im Schatten von Terror und organisierter Kriminalität“ besonders intensiv dem Gebot der Normenklarheit entsprechen und die Verwendungszwecke der Daten bereichsspezifisch und präzise bestimmt sein müssen.29 Es bestehen daher große Bedenken, ob die Generalklausel des § 3 BDSG für eine Abfrage von personenbezogenen Daten, die ggfs. durch die Inanspruchnahme von verdeckten geheimdienstlichen Methoden gewonnen wurden und nicht bspw. im Verfassungsschutzbericht öffentlich zugänglich sind, ausreichend ist. 3.2.3. Zwischenfazit Beim Datenaustausch zwischen Behörden bedarf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl die Abfrage als auch die Übermittlung personenbezogener Daten einer eigenen Rechtsgrundlage. Für die Datenverarbeitung durch das BfV bestehen ausreichende Rechtsgrundlagen. Die Verarbeitung von Daten bei der Überprüfung von Organisationen und Personen durch das BfV ist in § 8 und § 10 BVerfSchG geregelt; die Übermittlung personenbezogener Daten an andere inländische Behörden erfolgt auf Grundlage des § 19 BVerfSchG. Zweifel bestehen dagegen, ob es für die Datenabfrage seitens der anfragenden Behörde eine Rechtsgrundlage gibt. Eine solche ergibt sich nicht aus dem BVerfSchG, auch fehlt es an einer spezialgesetzlichen Befugnis entsprechend z. B. der Regelungen im Luftsicherheitsgesetz, Atomgesetz oder Waffengesetz. Es bestehen große Bedenken, dass die Generalklausel des § 3 BDSG hierfür genügt. 3.3. Verhältnismäßigkeit Stellt man sich auf den Standpunkt, eine Abfragebefugnis läge vor, ist weiter zu prüfen, ob der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Dies setzt voraus, dass der Eingriff ein legitimes Ziel in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise verfolgt.30 Dem Haber-Verfahren liegt ein legitimes Ziel zu Grunde, da damit eine missbräuchliche Inanspruchnahme staatlicher Leistungen durch Extremisten verhindert werden und auf diese Weise Extremismus und Terrorismus bekämpft werden und die inneren Sicherheit und der gesellschaftlichen Zusammenhalt gestärkt werden sollen. 28 Wolff, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOK Datenschutzrecht, 33. Edition, Stand: 01.08.2020, § 3 Rn. 16 und 16a; Starnecker, in: Gola/Heckmann (Hrsg.), Bundesdatenschutzgesetz, 13. Auflage 2019, § 3 Rn. 22. 29 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 2 Rn. 81. 30 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 91. EL April 2020, Art. 20 Rn. 110. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 253/20 Seite 10 Die Abfrage beim BfV, ob verfassungsschutzrechtliche Informationen über die Person oder Organisation vorliegen, ist auch geeignet, da eine durch diese Information angereicherte Entscheidungsgrundlage förderlich ist, eine ggfs. missbräuchliche Inanspruchnahme besser beurteilen zu können. In der Auseinandersetzung mit dem Haber-Verfahren werden allerdings verschiede Argumente angeführt , die gegen eine Erforderlichkeit dieser Praxis sprechen. So wird eingewandt, dass bereits durch die Qualitätsstandards der Förderprogramme, die inhaltliche Festlegung der Verwendung der beantragten Förderung und die erforderlichen Verwendungsnachweisen im Tätigkeits- und Finanzplan den Bundesministerien mildere Mittel zur Verfügung stünden, die geförderten Projekte zu bewerten und sicherzustellen, dass die Förderung nicht für extremistische Zwecke eingesetzt wird.31 Allein über diese Mittel kann allerdings nicht das im Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017 dargelegte Problem ausgeschlossen werden, dass Extremisten z. T. gezielt vom Staat geförderte Veranstaltungen nutzen, „um mittels einer für die Öffentlichkeit wahrnehmbaren Nähe zu Bundesbehörden den Anschein staatlicher Akzeptanz zu erwecken“32. Es ist auch sonst kein milderes aber gleich wirksames Mittel ersichtlich, das die missbräuchliche Inanspruchnahme staatlicher Leistungen in all ihren Facetten verhindert. Die Angemessenheit ist gewahrt, wenn der Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.33 Mit dem Haber-Verfahren werden die Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus sowie die Stärkung der inneren Sicherheit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts bezweckt. Dies sind Rechtsgüter von enormer Bedeutung. Demgegenüber steht das Recht der NGO und den dahinter stehenden Personen, selbst über die Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten bestimmen zu können. Dieses Recht soll insbesondere auch einem Einschüchterungseffekt entgegenwirken. Es wird befürchtet, dass das Haber-Verfahren dazu führen könnte, dass Projekte sich nicht um eine staatliche Förderung bemühen.34 Eine abschlägige Förderentscheidung aufgrund des Vorliegens verfassungsschutzrelevanter Erkenntnisse führt zudem zu weiteren (finanziellen) Nachteilen für die betroffenen Organisationen und Personen. Allerdings können die Antragsteller ggfs. Klage gegen einen abschlägigen Förderbescheid einlegen. Gemäß § 39 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ist dieser zu begründen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen. Soweit die Auskunft über das Vorliegen von verfassungsschutzrelevanten Erkenntnissen wesentlich für die Ablehnung des Förderantrags gewesen sein sollte, wäre dies dem Antragsteller mitzuteilen und er könnte dagegen vorgehen. Zur Beurteilung der Eingriffsintensität sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere auch die Umstände der Datenerhebung für die Eingriffsintensität von 31 Luczak, Gutachten zur Verknüpfung staatlicher Förderleistungen mit „sicherheitsbehördlichen Überprüfungen“ der geförderten Träger*innen und deren Mitarbeiter*innen unter Einbeziehung von Verfassungsschutzbehörden, im Auftrag von Bundesverband Mobile Beratung e.V. u.a., 2018, abrufbar unter: https://www.bundesverbandmobile -beratung.de/2018/06/14/juristisches-gutachten-belegt%E2%80%A8-ueberpruefung-von-demokratieprojekten -ist-%E2%80%A8verfassungsrechtlich-bedenklich-und-nicht-verhaeltnismaessig/ (letzter Abruf 25. November 2020); so auch die Kritik der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 19/21848, 2. 32 Rundschreiben des BMI vom 6. Februar 2017, Fn. 2, 5. 33 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 91. EL April 2020, Art. 20 Rn. 117. 34 Vorbemerkung der der Fragesteller BT-Drs. 19/9152, 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 253/20 Seite 11 Bedeutung: Im Zusammenhang mit staatlichen Ermittlungsmaßnahmen hat es festgestellt, dass die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden staatlichen Ermittlungsmaßnahme zur Erhöhung des Gewichts der gesetzgeberischen Freiheitsbeeinträchtigung führt.35 Die Abfrage beim BfV erfolgt ohne Wissen der betroffenen Personen; dies spricht zunächst für einen intensiven Eingriff. Erschwerend kommt hinzu, dass die Praxis des Haber-Verfahrens darauf ausgelegt ist, gerade auch nicht öffentlich verfügbare Informationen in den Entscheidungsprozess einbeziehen zu können. Soweit auch mit Hilfe von verdeckten Methoden des Verfassungsschutzes gewonnene Daten verarbeitet werden, gilt es höhere Anforderungen an die Übermittlung zu beachten.36 Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass es hier letztlich um die Bewilligung einer staatlichen Leistung und damit um den Bereich der Leistungsverwaltung geht. Die Organisationen und Personen setzen selber den Anlass für eine Überprüfung, indem sie sich um eine Förderung bemühen. Dies steht ihnen aber grundsätzlich frei. Das BfV soll zudem nur bereits vorhandenen Informationen übermitteln und die Abfrage soll nicht generell, sondern anlassbezogen erfolgen.37 Die Bundesministerien sollen sich zunächst öffentlicher Informationen bedienen und nur in Zweifelsfällen, in denen diese Informationen für eine Beurteilung nicht ausreichen, das BfV anfragen. Aus diesen Vorgaben folgt eine eher beschränkte Streubreite der Datenabfrage. Den Angaben der Bundesregierung zufolge fand die Überprüfung aber in mehreren hundert Fällen statt;38 es wird nur von wenigen (drei) Fällen berichtet, in denen die Überprüfung zu einer Versagung der staatlichen Leistungen geführt hat.39 Dies lässt gewisse Zweifel an der Angemessenheit der Praxis in den konkreten Einzelfällen aufkommen. Möglicherweise wurden hier im Einzelfall zu geringe Anforderungen an die Prüfung des Anlasses für die Abfrage gestellt. *** 35 BVerfGE 107, 299 (321); 115, 166 (194); 115, 320 (353). 36 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 2 Rn. 81; siehe hierzu auch die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelabfrage bei Verfassungsschutzbehörden zur Prüfung der Zuverlässigkeit im Überwachungsgewerbe, WD 3 - 3000 - 021/16, 8. 37 BT-Drs. 19/21848, 5. 38 BT-Drs. 19/23525, 4. 39 BT-Drs. 19/21848, 3.