© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 253/17 Zum Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen und zur Aufnahme der Familienangehörigen von Spätaussiedlern Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 253/17 Seite 2 Zum Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen und zur Aufnahme der Familienangehörigen von Spätaussiedlern Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 253/17 Abschluss der Arbeit: 14.12.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 253/17 Seite 3 1. Einleitung Es wird berichtet, dass die Aufnahme der Familienangehörigen von Spätaussiedlern nicht selten an den strengen Vorgaben des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) scheitern würde. Konkret könnten Familienangehörige oft keine deutschen Vorfahren oder ausreichende deutsche Sprachkenntnisse nachweisen. Der Familiennachzug zu Flüchtlingen hingegen würde großzügiger gehandhabt bzw. solle erleichtert werden. Vor diesem Hintergrund wird darum gebeten, die wesentlichen Voraussetzungen des Familiennachzugs zu anerkannten Flüchtlingen und der Aufnahme der Familienangehörigen von Spätaussiedlern darzustellen. 2. Anerkannte Flüchtlinge Anerkannte Flüchtlinge gehören zu der Gruppe der asylrechtlich Schutzberechtigten.1 Die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus richtet sich nach den Vorschriften des Asylgesetzes (§ 3 und §§ 3a-e Asylgesetz – AsylG), die die unionsrechtlichen Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU umsetzen. Der Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen wiederum wird nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gewährt. Dabei kommen insbesondere die Vorgaben der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG zur Anwendung.2 2.1. Konzept des Familiennachzugs Der in den §§ 27 ff. AufenthG geregelte Familiennachzug ermöglicht den Nachzug von drittstaatsangehörigen Familienangehörigen zu einem sog. Stammberechtigten in Deutschland. Unterschieden wird zwischen dem Nachzug zu Deutschen (§ 28 AufenthG) und zu drittstaatsangehörigen Ausländern (§ 29 AufenthG). Der Familiennachzug wird durch eine Aufenthaltserlaubnis gewährt, deren Befristungsdauer an die Dauer des Aufenthaltstitels des Stammberechtigten gebunden ist, § 27 Abs. 4 AufenthG. Die Akzessorietät der Aufenthaltserlaubnis des Nachzugsberechtigten bleibt bis zum Entstehen eines eigenständigen Aufenthaltstitels bestehen.3 Die Voraussetzungen des Familiennachzugs hängen im Einzelnen davon ab, welchen Aufenthaltstitel der Stammberechtigte besitzt und welches Familienmitglied den Nachzug begehrt. Anerkannte Flüchtlinge verfügen über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 AufenthG. 1 Zu den verschiedenen asylrechtlichen Schutzberechtigungen siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Kategorien des asylrechtlichen Schutzes in Deutschland (Nr. 30/15), abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/399484/0eaad68b0a3fa65669f964738bac3f25/kategorien-des-asylrechtlichenschutzes -in-deutschland-data.pdf. 2 Ausführlich zu den unionsrechtlichen Vorgaben des Familiennachzugs zu anerkannten Flüchtlingen Deutscher Bundestag, Fachbereich Europa, Unionsvorgaben zum Familiennachzug (PE - 3000 - 148/16), 5 f., 16 ff., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/490514/6be84c6bf4dfc809ddd4c77f7731dd42/pe-6-148-16-pdfdata .pdf. 3 Dazu Tewocht, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht (Stand: August 2017), Rn. 33 zu § 27 AufenthG; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Einwanderung nach Deutschland – Bestandsaufnahme der geltenden ausländerrechtlichen Regelungen (WD 3 - 3000 - 111/16), 12, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/425288/278a4c179cf34727e2e6b5f6489bb7e3/wd-3-111-16-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 253/17 Seite 4 2.2. Voraussetzungen des Familiennachzugs Auf den Familiennachzug zu Flüchtlingen besteht für die sog. Kernfamilie, also Ehegatten (§ 30 AufenthG), minderjährige ledige Kinder (§ 32 AufenthG) und Eltern minderjähriger Kinder (§ 36 Abs. 1 AufenthG) unter bestimmten Umständen ein Anspruch. Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann der Familiennachzug gemäß § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG gewährt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Grundsätzlich setzt der Familiennachzug dabei nach § 29 Abs. 1, 2 AufenthG voraus, dass ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht und der Lebensunterhalt des Nachzugswilligen gesichert ist. Diese Voraussetzungen gelten für den Nachzug der Eltern zu einem minderjährigen Kind nach § 36 Abs. 1 AufenthG nicht. Für den Nachzug des Ehegatten und/oder minderjähriger lediger Kinder sind die Voraussetzungen des ausreichenden Wohnraums und der Lebensunterhaltssicherung nach § 29 Abs. 2 S. 2 AufenthG entbehrlich, wenn der Antrag auf Familiennachzug innerhalb von drei Monaten nach der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Zusammenführenden gestellt wird und die Familienzusammenführung in einem Drittstaat , zu dem der Ausländer oder seine Familienangehörigen eine besondere Bindung haben, nicht möglich ist. Die für den Ehegattennachzug und für den Kindernachzug ab Vollendung des 16. Lebensjahres gemäß §§ 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 32 Abs. 2 S. 1 AufenthG grundsätzlich erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache gelten für den Nachzug zu anerkannten Flüchtlingen nicht, §§ 30 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, 32 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AufenthG. Diese Erleichterung beruht auf unionsrechtlichen Vorgaben . Nach der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten von Familienangehörigen von Flüchtlingen erst nach der Familienzusammenführung Integrationsmaßnahmen verlangen.4 Die aktuelle Diskussion um die Erleichterung des Familiennachzugs betrifft nicht den Nachzug zu anerkannten Flüchtlingen, sondern zu international subsidiär Schutzberechtigten.5 Der Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Familiennachzug zu Flüchtlingen im Jahr 2015 zunächst gleichgestellt. Mit dem am 17.3.2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren wurde der Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten jedoch für einen Zeitraum von zwei Jahren ausgesetzt. Regelungstechnisch erfolgte die Aussetzung des Familiennachzugs durch eine Übergangsvorschrift in § 104 Abs. 13 AufenthG. Diese sieht vor, dass der Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten , die nach dem 17.3.2016 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, bis zum 16.3.2018 nicht gewährt wird. 4 Deutscher Bundestag, Fachbereich Europa (Fn. 2), 18; Tewocht (Fn. 3), Rn. 23 zu § 30 AufenthG. 5 Siehe nur den Gesetzentwurf zur Änderung des § 104 Abs. 13 AufenthG in BT-Drs. 19/241. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 253/17 Seite 5 3. Aufnahme von Spätaussiedlern Der deutsche Verfassungsgeber hat die Solidarität mit der Gruppe der (Spät-)Aussiedler in Art. 116 Abs. 1 GG verankert.6 Danach ist auch derjenige Deutscher im Sinne des Grundgesetzes, der als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden hat. Diese verfassungsrechtliche Bestimmung wird durch das 1953 erlassene Bundesvertriebenengesetz konkretisiert. Das Bundesvertriebenengesetz wird dabei anders als das Aufenthaltsgesetz nicht als Instrument zur Steuerung der Zuwanderung verstanden, sondern vielmehr als ein Instrument der Kriegsfolgenbewältigung. Es hat zahlreiche Änderungen erfahren.7 Vor dem Hintergrund des sprunghaften Anstiegs der Zahl der Aussiedlungen ab Mitte der 1980er Jahre wurde 1990 mit dem Aussiedleraufnahmegesetz8 ein förmliches Aufnahmeverfahren eingeführt. Das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz9 von 1992 hat die Aufnahmevoraussetzungen im Bundesvertriebenengesetz grundlegend neu geregelt: Die Aufnahme von Aussiedlern im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG wurde abgeschlossen und die Aufnahme von Spätaussiedlern nach § 4 BVFG eingeführt. Das 2004 erlassene Zuwanderungsgesetz10 stellte u.a. Sprachanforderungen für mitreisende nichtdeutsche Familienangehörige auf. Grundlegende Änderungen für die Aufnahme von Spätaussiedlern und deren Angehörige erfolgten zuletzt 2013 im Rahmen des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes.11 Ehegatten und Abkömmlinge können nunmehr nachträglich in einen Aufnahmebescheid einbezogen werden. Damit wurde der im Vertriebenenrecht bislang geltende Grundsatz der gemeinsamen Ausreise einer Familie aufgegeben. 3.1. Konzept der Aufnahme und Einbeziehung Das Verfahren zur Aufnahme von Spätaussiedlern und ihren Ehegatten und Abkömmlingen wird zunächst im Herkunftsland durchgeführt. Die Vorschrift des § 27 BVFG regelt in Absatz 1 die originäre Aufnahme von Spätaussiedlern und in Absatz 2 die akzessorische Aufnahme von Ehegatten und Abkömmlingen des Spätaussiedlers im Wege der Einbeziehung in den Aufnahmebescheid . Nach der Einreise in die Bundesrepublik erfolgt das Bescheinigungsverfahren mit der endgültigen Statusfeststellung, § 15 Abs. 1 und 2 BVFG. Mit der Statusfeststellung erwerben die Spätaussiedler und ihre Angehörigen zugleich die deutsche Staatsangehörigkeit, § 7 Staatsangehörigkeitsgesetz . Ihre Rechtsstellung unterscheidet sich damit grundlegend vom Status der anerkannten Flüchtlinge und ihren nachzugsberechtigten Familienangehörigen, denen zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, § 26 Abs. 1 S. 2 AufenthG. 6 Siehe Bundesministerium des Innern, Migration und Integration – Aufenthaltsrecht, Migrations- und Integrationspolitik in Deutschland, 2014, 133 ff., dort zum Folgenden. 7 Siehe hierzu Herzog/Westphal, Bundesvertriebenengesetz (2. Aufl., 2014), Einleitung, Rn. 2 ff., dort zum Folgenden . 8 BGBl. I S. 1247. 9 BGBl. I S. 2094. 10 BGBl. I S. 1950. 11 BGBl. I S. 3554. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 253/17 Seite 6 3.2. Voraussetzungen der Einbeziehung Wie beim Familiennachzug nach dem Aufenthaltsgesetz setzt die Einbeziehung eine berechtigte Bezugsperson – hier den Spätaussiedler – voraus. Nur der Spätaussiedler muss die Voraussetzungen des § 4 BVFG erfüllen und u.a. seine deutsche Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 BVFG nachweisen. Die Ehegatten und Abkömmlinge der Bezugsperson werden nach Maßgabe des § 27 Abs. 2 BVFG in den Aufnahmebescheid einbezogen. Die Einbeziehung von Ehegatten setzt nach § 27 Abs. 2 S. 1 BVFG voraus, dass die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht. Darüber hinaus müssen Ehegatten über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügen, § 27 Abs. 2 S. 2 BVFG. Die Einbeziehung der Abkömmlinge erfasst nicht nur – wie beim Familiennachzug im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes – minderjährige ledige Kinder, sondern auch volljährige oder verheiratete Kinder der Bezugsperson.12 Darüber hinaus erfasst der Begriff des Abkömmlings auch die Kindeskinder, so dass die Einbeziehung nicht auf eine Generation beschränkt ist. Über Grundkenntnisse der deutschen Sprache müssen allein die volljährigen Abkömmlinge des Spätaussiedlers verfügen, § 27 Abs. 2 S. 1 BVFG. Ehegatten und volljährige Abkömmlinge werden bei einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder bei einer Behinderung auch ohne die erforderlichen Deutschkenntnisse in den Aufnahmebescheid einbezogen, § 27 Abs. 2 S. 5 BVFG. Die Ehegatten und Abkömmlinge müssen zudem nicht (mehr) gemeinsam mit der Bezugsperson in die Bundesrepublik einreisen. Sie können auch zunächst im Aussiedlungsgebiet verbleiben und nachträglich ihre Einbeziehung in den Aufnahmebescheid beantragen, § 27 Abs. 2 S. 3 BVFG. Befinden sich Spätaussiedler, Ehegatten und Abkömmlinge ohne Aufnahmebescheid im Bundesgebiet, kommt die Erteilung eines Aufnahmebescheids und einer Einbeziehung nach § 27 Abs. 1 S. 2 BVFG in Härtefällen in Betracht. Für Familienangehörige, die nicht die Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 BVFG erfüllen, gelten die allgemeinen Voraussetzungen des Familiennachzugs von Drittstaatsangehörigen zu Deutschen nach dem Aufenthaltsgesetz. Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz von 2007 können bestimmte Familienangehörige, z.B. Stiefkinder, gleichwohl im Rahmen des vertriebenenrechtlichen Aufnahmeverfahrens aufgenommen werden.13 *** 12 Vgl. Herzog/Westphal (Fn. 7), Rn. 13 zu § 27, auch mit Hinweisen zur umstrittenen Frage nach der Einbeziehung der Adoptivkinder. 13 Herzog/Westphal (Fn. 7), Rn. 3 zu § 8.