© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 252/17 Zur Verfassungsmäßigkeit von § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft) Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Betroffene Grundrechte Das Grundgesetz formuliert in Art. 12 Abs. 1 die Berufsfreiheit wie folgt: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ § 219a StGB greift in die Berufsfreiheit von Ärzten und anderen durch den Tatbestand erfassten Berufsgruppen ein. Dieser Eingriff regelt die Berufsausübung. Damit lässt er sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) „durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls“ rechtfertigen.1 § 219a StGB kann darüber hinaus auch jede Person betreffen, die „Mittel, Gegenstände oder Verfahren , die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt“. Insoweit greift § 219a StGB auch in die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG ein. Dieser Eingriff muss auf Grundlage eines formellen Gesetzes erfolgen. Das Gesetz selbst muss verhältnismäßig sein. Insoweit die Tathandlung keinen Meinungsbezug mehr hat, sondern eine reine Tatsachenmitteilung ist,2 unterfällt sie der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. 2.2. Meinungsstand zur Rechtfertigung des Eingriffs 2.2.1. Rechtsprechung Eine Entscheidung des BVerfG zu § 219a StGB ist nicht bekannt. Das BVerfG hat über eine Verfassungsbeschwerde entschieden, die zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung der Verteilung von Flugblättern vor der Praxis eines Frauenarztes betraf („Stoppt rechtswidrige Abtreibungen in der Praxis Dr. K.“). Die Entscheidung enthält folgende Passage: „Der Kläger hat dem Beschwerdeführer keinen Anlass gegeben, aus der Gruppe der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, gerade ihn herauszustellen und ihn gezielt bei Dritten anzuprangern. Ein solcher Anlass folgt hier nicht schon aus dem Umstand, dass der Kläger seine Bereitschaft zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen öffentlich hatte erkennen lassen. Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf 1 Jarass/Pieroth, GG Kommentar, 14. Aufl. 2016, Art. 12 Rn. 45. 2 Zur Abgrenzung siehe Schemmer, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 34. Edition, Stand: 15.08.2017, Art. 5 GG, Rn. 5-7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 252/17 Seite 4 hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können. Fragen des Berufsrechts waren hier nicht zu beurteilen und wurden – worauf der Bundesgerichtshof hinwies – in dem Flugblatt auch nicht thematisiert.“3 Die Entscheidung betrifft allein zivilrechtliche Ansprüche. § 219a StGB erwähnt das Gericht nicht. „Negative Folgen“ meint in dieser Entscheidung die Prangerwirkung durch die verteilten Flugblätter .4 Einzelne Strafgerichte haben sich mit der Frage befasst, ob § 219a StGB verfassungsgemäß ist, und dies bejaht. Das Landgericht Bayreuth führt hierzu aus:5 „Diese Auslegung des § 219a Abs. 1 Satz 1 StGB verstößt auch nicht gegen Artikel 12 GG. Zwar hat ein Arzt grundsätzlich das Recht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welche Leistungen in seiner Praxis erbracht werden. Gemäß Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 GG darf die Ausübung des Berufes aber durch Gesetz geregelt werden. Dies ist in § 219a StGB geschehen. Eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift ist nicht veranlasst. Denn das Recht auf Berufsausübung tangiert im vorliegenden Fall das Recht des ungeborenen Lebens. Aus Artikel 1 Abs. 1 GG ergibt sich die Pflicht des Staates, dieses zu schützen. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist davon auszugehen, dass für die gesamte Dauer der Schwangerschaft die Abtreibung grundsätzlich Unrecht ist, da auch dem ungeborenen Leben Menschenwürde zukommt (BVerfGE, 88/203 ff.). § 218a Abs. 1 StGB stellt den Schwangerschaftsabbruch unter den dort genannten Voraussetzungen lediglich ausnahmsweise straflos. Das Verbot, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, wurde in § 219a StGB deshalb ausgesprochen und unter Strafe gestellt, um zu verhindern, dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas normales dargestellt und kommerzialisiert wird (Tröndle/Fischer,, StGB, 53. Auflage, § 219a, Rdnr. i). Mit dieser Vorschrift kommt der Staat seiner Verpflichtung nach, ungeborenes Leben zu schützen. Eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, dass sachliche Informationen eines Arztes über seine Bereitschaft zum Schwangerschaftsabbruch erlaubt sind, scheitert am eindeutigen Wortlaut des § 219a Abs. 1 StGB und dem Willen des Gesetzgebers. Wie sich aus § 219a Abs. 2 StGB ergibt, ist es dessen Wille, dass Frauen, die abtreiben und sich darüber kundig machen wollen, welche Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, über die anerkannten Beratungsstellen oder andere Ärzte, nicht aber über die Öffentlichkeit informiert werden.“ 3 BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24.5.2006, 1 BvR 1060/02, Rn. 35. 4 Goldbeck, ZfL 2007, 14 (15), http://www.juristen-vereinigung-lebensrecht.de/media/zfl_2007_1_1-36.pdf; Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch 5. Aufl. 2017, § 219a Rn. 3. 5 LG Bayreuth, Urteil vom 13.1.2006, 2 Ns 118 Js 12007/04, ZfL 2007, 16, http://www.juristen-vereinigung-lebensrecht .de/media/zfl_2007_1_1-36.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 252/17 Seite 5 Das Oberlandesgericht Bamberg hat eine Revision gegen dieses Urteil am 19. Oktober 2006 zurückgewiesen .6 Das Amtsgericht Gießen hat am 24. November 2017 eine Ärztin wegen Verstoßes gegen § 219a StGB verurteilt.7 Das Gericht bejaht Medienberichten zufolge, dass § 219a StGB verfassungsgemäß ist: „Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei der Embryo ein selbständiges Rechtsgut mit eigenem Lebensrecht, so dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig sei (BVerfG, Urteil v. 25.2.1975, 1 BvF 1-6/74; BVerfG Urteil v. 28.5.1993, 2 BvF 2/90). Deshalb dürfe der Gesetzgeber auch die eigentlich sachliche Information über einen Schwangerschaftsabbruch als Straftat qualifizieren, da solche Informationen dazu beitragen würden, den Schwangerschaftsabbruch in den Bereich der Normalität zu rücken, wo er aber nicht hin gehöre.“8 2.2.2. Literatur Die juristische Literatur enthält kaum Beiträge, die sich mit der Verfassungsmäßigkeit des § 219a StGB befassen. Eine ausführliche Besprechung des vorgenannten Urteils des Landgerichts Bayreuth stimmt dem Gericht zu.9 Vereinzelt finden sich in der strafrechtlichen Literatur auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 219a StGB.10 Eine ausführliche Begründung dieser Zweifel lautet wie folgt:11 „Es geht […] um eine Art gesellschaftlichen ‚Klimaschutz‘, also um ein Kollektivrechtsgut: um die Bekämpfung einer befürchteten Entwicklung der allgemeinen moralischen Indolenz, des kollektiven Wahrnehmungsverlustes gegenüber dem ethischen Problem, das jede, auch eine gerechtfertigte Abtreibung bedeutet. Die Formulierung der amtlichen Begründung (Verhinderung der Darstellung ‚als etwas Normales‘) zeigt das deutlich. Für das weitere offiziell genannte Schutzziel des Unterbindens einer ‚Kommerzialisierung‘ gilt etwas Ähnliches. Denn wenn die Kommerzialisierung der Haupttat, nämlich deren Bezahlung, fraglos erlaubte und 6 Entscheidung unveröffentlicht; erwähnt u.a. bei: Goldbeck, ZfL 2007, 14. 7 AG Gießen, Urteil v. 24.11.2017, 507 Ds - 501 Js 15031/15. 8 Haufe, Meldung vom 27.11.2017, Ärztin wegen Werbung für Abtreibung gem. § 219a StGB verurteilt, www.haufe.de/recht/weitere-rechtsgebiete/strafrecht-oeffentl-recht/aerztin-wegen-unerlaubter-abtreibungswerbung -verurteilt_204_432398.html. 9 Goldbeck, Zur Verfassungskonformität des § 219 a StGB, ZfL 2007, 14. Dem Ergebnis zustimmend: Rogall/Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 8. Aufl. (Loseblatt), § 219a Rn. 2 Fn. 2. 10 Arzt/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, 2000, § 5 Rn. 40: „Ob mit solchen Erwägungen die Verfassungsmäßigkeit des § 219a begründet werden kann, ist jedoch zweifelhaft. Die Kriminalisierung des Vorfelds einer rechtmäßigen Haupttat ist […] sachwidrig […], wenn die dazugehörige Haupttat erlaubt bleibt“; Schröder, ZRP 1992, 409 (410), äußert sich kritisch, ohne dies aber ausdrücklich auf das Grundgesetz zu beziehen: „Hier wird das bloße Erstreben eines Vermögensvorteils völlig systemwidrig zur Straftat erklärt. Völlig aus dem Rahmen der bisherigen Rechtsordnung fällt auch, dass ein grob anstößiges Anbieten eines rechtmäßigen Verhaltens eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren nach sich ziehen soll!“ 11 Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch 5. Aufl. 2017, § 219a Rn. 2-3 (weitere Nachweise ausgelassen). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 252/17 Seite 6 (zivil-)rechtlich garantierte Normalität ist, dann können kommerziell orientierte öffentliche Hinweise darauf kein strafwürdiges Unrecht sein. Ob die hier skizzierte Deutung als moralischer ‚Klimaschutz‘ die verfassungsrechtliche Legitimität der Vorschrift begründen kann, bleibt freilich höchst zweifelhaft, und umso mehr, wenn man erwägt, dass die Beteiligung staats- und kirchennaher Institutionen an jährlich weit über hunderttausend nicht indizierten Abtreibungen in dieser Gesellschaft zum Allgemeinwissen der Bürger gehört. Wenn ein Arzt, der in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorschriften Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, außerhalb von Fachpublikationen nicht auf seine Tätigkeit hinweisen darf, zugleich aber einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen den Abtreibungskritiker hat, der – genau in der Diktion des BVerfG, aber für den Laien angeblich missverständlich – öffentlich darauf hinweist, dass in der ärztlichen Praxis ‚rechtswidrige Abtreibungen ‘ vorgenommen werden […], so könnte der auf diesem Wege erzielte Klimaschutz am Ende darin bestehen, dass nur noch in Fachkreisen offen und unverstellt gesprochen wird. Ein solches Klima der gesellschaftlichen Kommunikation erinnert nicht nur an Zeiten der öffentlichen Tabuisierung des (heimlich vieltausendfach stattfindenden) Schwangerschaftsabbruchs, sondern ist im Licht des Grundrechts auf Meinungsfreiheit schwer erträglich. […] Andererseits steht außer Frage, dass eine frei betriebene öffentliche Propaganda für Mittel und Dienste auch zu straflosen Abbrüchen ein erhebliches öffentliches Ärgernis werden könnte. Nur ist das Strafrecht nicht das rechtsstaatlich angemessene Instrument zur Unterbindung solcher Dinge. Rechtspolitisch ist daher die Differenzierung zwischen der Werbung für strafbare und einer solchen für straflose Abbrüche sowie die Herausnahme der letzteren aus dem StGB zu fordern. In einem Ordnungswidrigkeits-Tatbestand mag sie ihren angemessenen Platz haben. Auch dies spricht gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 219 a.“ ***