Deutscher Bundestag Rechtsfragen zur Funkzellenüberwachung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 252/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 2 Rechtsfragen zur Funkzellenüberwachung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 252/11 Abschluss der Arbeit: 27. Juli 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Juristischer Rahmen der Funkzellenüberwachung 4 2.1. Rechtsgrundlage 4 2.2. Voraussetzungen der Beantragung 5 2.3. Zulässigkeit der Erfassung von unverdächtigen Telekommunikationsteilnehmern 5 3. Telekommunikationsüberwachung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages 6 3.1. Zulässigkeit 6 3.2. Verwertungsverbot und Löschungspflicht 7 3.3. Rechte des Abgeordneten 7 4. Auskunftspflichten der Staatsanwaltschaft 8 4.1. Benachrichtigung nach § 101 Abs. 4 Nr. 6 StPO 8 4.2. Auskunftsanspruch nach § 491 StPO 9 4.3. Erweiterte Informationen für Abgeordnete? 10 5. Rechtswidrigkeit der Funkzellenabfrage 10 5.1. Rechtsmittel 10 5.2. Verwertbarkeit 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 4 1. Einleitung Bei der Funkzellenabfrage (FZA) handelt es sich um eine verdeckte polizeiliche Ermittlungsmethode , die Telekommunikationsdaten von Mobilfunkgeräten abfragt, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes und an einem begrenzten Ort eingeschaltet und möglicherweise benutzt worden sind. Wenn ein Mobilfunkgerät eingeschaltet ist, meldet es sich automatisch bei der jeweils nächsten Funkzelle an, um erreichbar zu sein. Die Provider erfassen und speichern die Daten der in einer Funkzelle benutzen Mobilfunkgeräte, die dann gegebenenfalls von den Strafverfolgungsbehörden abgefragt und ausgewertet werden können, um einen (bisher nicht bekannten) Beschuldigten ermitteln zu können. Die Ausarbeitung untersucht die Zulässigkeit der Telekommunikationsüberwachung in Form einer großflächigen Funkzellenabfrage. Die Rechtsgrundlagen für eine FZA werden ebenso dargestellt wie die Informations- und Auskunftsrechte der von einer FZA betroffenen Personen. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Rechte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die von einer großflächigen Telekommunikationsüberwachung erfasst werden, gelegt. 2. Juristischer Rahmen der Funkzellenüberwachung 2.1. Rechtsgrundlage § 100g StPO enthält eine allgemeine Befugnis zur Erhebung von Telekommunikations- Verkehrsdaten. Rechtsgrundlage für eine Funkzellenüberwachung ist § 100g Abs. 2 Satz 2 Strafprozessordnung (StPO)1: „Abweichend von § 100b Abs. 2 Satz 2 Nr. 22 genügt im Falle einer Straftat von erheblicher Bedeutung3 eine räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation , wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.“ § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmt mit Verweis auf den abschließenden Katalog des § 96 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG)4, welche Daten erhoben werden dürfen. 1 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 23. Juni 2011 (BGBl. I S. 1266) geändert worden ist. 2 Dieser fordert, dass die Rufnummer oder Kennung eines Mobilfunkgerätes bei der Anordnung der Maßnahme durch das Gericht angegeben wird. 3 Hervorhebung durch die Verfasserin. 4 Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 506) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 5 2.2. Voraussetzungen der Beantragung § 100g Abs. 2 i.V.m. § 100 b Abs. 1 StPO sieht einen richterlichen Beschluss vor, der von der Staatsanwaltschaft beantragt werden muss. Im Gegensatz zu § 100g Abs. 1 StPO muss die Staatsanwaltschaft nicht die Rufnummer oder die Kennung eines zu überwachenden Anschlusses angeben .5 Es genügt eine räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation .6 Voraussetzung ist, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (Subsidiaritätsklausel).7 Die Funkzellenabfrage ist nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung zulässig. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrags hängen von der Schwere der Straftat und der Anzahl der möglicherweise betroffenen unbeteiligten Dritten ab. Zudem muss eine hinreichend gesicherte Tatsachenbasis vorhanden sein, dass Mobiltelefone während des untersuchten Zeitraums benutzt wurden.8 Nach § 100 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 100a Abs. 3 StPO darf sich die Maßnahme nur gegen Beschuldigte und Nachrichtenmittler richten, nicht jedoch gegen Zeugen.9 2.3. Zulässigkeit der Erfassung von unverdächtigen Telekommunikationsteilnehmern Mit einer Funkzellenabfrage werden regelmäßig eine größere Zahl Unbeteiligter in die Überwachung mit einbezogen, die sich zum besagten Zeitpunkt räumlich in der Funkzelle aufgehalten haben. Verfassungsrechtlich liegt damit ein Eingriff in das nach Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Fernmeldegeheimnis dieser Personen vor.10 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die das Gericht bei der Anordnung der Maßnahme vornimmt, ist daher insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit dritte Personen von der Maßnahme betroffen sind. Entweder muss die Maßnahme zeitlich und örtlich eingegrenzt werden, oder sie muss unterbleiben, wenn der Eingriff in die Grundrechte Dritter als unangemessen erscheint.11 In der strafrechtlichen Literatur wird kritisiert, dass die Befugnis in Rechte Dritter einzugreifen mit der Änderung des § 100g StPO nicht ausdrücklich geregelt worden ist.12 5 BT-Drs. 16/5846, S. 55; Bär, TK-Überwachung, Kommentar, 2010, § 100g Rn. 24. 6 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, 54. Auflage 2011, § 100g Rn. 26. 7 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, 54. Auflage 2011, § 100g Rn. 27; Bär, TK-Überwachung, Kommentar , 2010, § 100g Rn. 24. 8 Bär, TK-Überwachung, Kommentar, 2010, § 100g Rn. 24. 9 Nack, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 100g Rn. 10; BT-Drs. 16/5846, S. 55. 10 Vgl. Rauschenberger, Die Funkzellenüberwachung, Kriminalistik 2009, 273 (274). 11 Vgl. BT-Drs. 16/5846, S. 55. 12 Wolter, in: SK-StPO, 4. Auflage 2010, § 100g Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 6 3. Telekommunikationsüberwachung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages 3.1. Zulässigkeit Gemäß § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO ist eine Ermittlungsmaßnahme, die sich u.a. gegen ein Mitglied des Deutschen Bundestages richtet und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO), unzulässig. Vom Zeugnisverweigerungsrecht umfasst werden die bei der Ausübung des Abgeordnetenmandats anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen,13 aber auch das, was der Abgeordnete anderen und wem er es anvertraut hat.14 Richtet sich die Maßnahme nicht gegen ein Mitglied des Deutschen Bundestages, sondern ist dieses lediglich zufällig „betroffen“ ohne Ziel der Maßnahme zu sein, so ist sie zulässig.15 Die Staatsanwaltschaft und die Ermittlungsgerichte müssen vor der zu treffenden Ermittlungsmaßnahme prüfen, ob diese unzulässig sein könnte, da der Adressat der Maßnahme ein Berufsgeheimnisträger ist und die Erkenntnisse auch von dem Schutzbereich des § 53 Abs. 1 StPO umfasst wären.16 Nach einer Auffassung in der Literatur „ist die weitere Erhebung nur dann unzulässig , wenn zweifelsfrei erkannt wird, dass schutzrelevante Inhalte Gegenstand der Erhebung sind“17. Für die Prognose müssten keine vorausgehenden Ermittlungen angestellt werden. Der Staatsanwaltschaft und dem Ermittlungsgericht stünde bei ihrer Prognoseentscheidung ein Beurteilungsspielraum zu.18 Nach der Gegenauffassung besteht kein Beurteilungsspielraum, sondern es müsste eine enge verfassungsrechtliche Auslegung vorgenommen werden. In der Regel sollte diese – wenn ein Abgeordneter gezielt betroffen ist – dazu führen, dass das Überwachungsverbot zum Zuge kommt.19 Für das Überwachungsverbot sei es auch unbeachtlich, ob die Gespräche der gezielt überwachten Abgeordneten neben den schutzrelevanten Inhalten auch nicht geschützte Passagen enthielten (sog. Mischgespräche).20 13 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, 54. Auflage 2011, § 53 Rn. 7. 14 Senge, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 53 Rn. 23. 15 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 160a Rn. 4. 16 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 160a Rn. 6. 17 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 160a Rn. 6. 18 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, 54. Auflage 2011, § 53 Rn. 3a; Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 160a Rn. 6. 19 Wolter, in: SK-StPO, 4. Auflage 2010, § 160a Rn. 20. 20 Wolter, in: SK-StPO, 4. Auflage 2010, § 160a Rn. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 7 3.2. Verwertungsverbot und Löschungspflicht Sind im Rahmen einer gezielten Ermittlungsmaßnahme dennoch Kenntnisse über ein Mitglied des Deutschen Bundestages erlangt worden, so besteht ein Verwertungsverbot gemäß § 160a Abs. 1 Satz 2 StPO. Dem schließt sich eine unverzügliche Löschungspflicht der erhobenen Daten gemäß § 160a Abs. 1 Satz 3 StPO an. Einschränkungen bestehen nach § 160 a Abs. 4 StPO, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt war. Das o.g. Verwertungsverbot und die Löschungspflicht finden entsprechende Anwendung gemäß § 160 a Abs. 1 Satz 5 StPO, wenn ein Mitglied des Deutschen Bundestag von einer Ermittlungsmaßnahme nur zufällig „betroffen“ ist und das Zeugnis verweigert werden darf.21 Die im Rahmen einer Funkzellenabfrage nicht zielgerichtet erhobenen Daten von „betroffenen“ Abgeordneten des Deutschen Bundestages, dürfen daher – soweit sie geschützte Inhalte umfassen – gemäß § 160 a Abs. 1 Satz 5 StPO i.V.m. § 160a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht verwertet werden und müssen unverzüglich gemäߧ 160 a Abs. 1 Satz 5 StPO i.V.m. § 160a Abs. 1 Satz 3 StPO gelöscht werden. 3.3. Rechte des Abgeordneten § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO gewährt einen umfassenden Schutz des mandatsbezogenen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Abgeordneten und Dritten, wie dies auch in Art. 47 GG vorgesehen ist.22 Geschützt ist nicht der Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern der öffentlichinstitutionelle Schutz der besonderen Vertrauensatmosphäre zwischen Abgeordneten und Drittem gemäß Art. 47, 46 GG.23 Gemäß Art. 46 Abs. 2 GG darf ein Abgeordneter wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, er wird bei der Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen. „Zur Verantwortung gezogen“ wird der Abgeordnete, wenn gegen ihn wegen einer strafbaren Handlung eine gerichtliche oder behördliche Untersuchung durchgeführt wird.24 Zu den genehmigungspflichtigen Maßnahmen gehören verwaltungsbehördliche, polizeiliche, staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Untersuchungshandlungen.25 So sind repressive Überwachungsmaßnahmen , wie z.B. die Telefonüberwachung gemäß § 100a Abs. 1 StPO, die sich gegen einen Abgeordneten richtet, nach Art. 46 Abs. 2 GG genehmigungspflichtig. Ist ein Abgeordneter jedoch von einer Überwachungsmaßnahme lediglich zufällig „betroffen“, aber nicht verdächtigt oder be- 21 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, 54. Auflage 2011, § 53 Rn. 7. 22 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 160a Rn. 3. 23 Wolter, in: SK-StPO, 4. Auflage 2010, § 160a Rn. 15. 24 Magiera, in: Sachs, GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 46 Rn. 15; Kretschmer, in: Schmidt- Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG Kommentar, 11. Auflage2008, Art. 46 Rn. 18. 25 Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG Kommentar, 11. Auflage2008, Art. 46 Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 8 schuldigt, so fehlt es an dem Merkmal des „zur Verantwortung ziehen“.26 Der Schutzbereich des Art. 46 Abs. 2 GG ist dann nicht einschlägig. Sobald dem Abgeordneten jedoch die Rolle des Beschuldigten „zugeschoben wird“, ist die Ermittlung genehmigungsbedürftig.27 Dies wäre bei einer nicht gegen Abgeordnete gerichteten Funkzellenüberwachung dann der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft nach der Abfrage der Telekommunikationsdaten Ermittlungen wegen Straftaten gegen einen Abgeordneten aufnimmt. Der Bundestag genehmigt zu Beginn jeder Legislaturperiode bis zur ihrem Ablauf die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Bundestages, außer es handelt sich um Beleidigungen politischen Charakters.28 Diese Genehmigung umfasst aber nicht freiheitsentziehende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren.29 Vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, und, soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung entgegenstehen, dem betroffenen Abgeordneten Mitteilung zu machen. Der Genehmigungsvorbehalt für die strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten dient vornehmlich der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jedoch in seinem „Pofalla-Urteil“ entschieden, dass der einzelne Abgeordnete aus Art. 46 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GG einen Anspruch darauf hat, dass sich das Parlament bei der Aufhebung der Immunität nicht von sachfremden, willkürlichen Motiven leiten lässt.30 Die Immunität (ebenso wie die Indemnität) flankiert den verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 GG. Weitergehende Rechte des Abgeordneten im Falle einer Überwachungsmaßnahme , wie der Funkzellenabfrage ergeben sich nicht aus Art. 38 Abs. 1 GG, Art. 46 Abs. 2 GG ist insofern das speziellere Recht. 4. Auskunftspflichten der Staatsanwaltschaft 4.1. Benachrichtigung nach § 101 Abs. 4 Nr. 6 StPO Gemäß § 101 Abs. 4 Nr. 6 StPO sind die im Rahmen der Maßnahme nach § 100g StPO Beteiligten der betroffenen Telekommunikation zu informieren. Es bestehen jedoch zahlreiche gesetzliche Ausnahmen: 26 Klein, in: Maunz-Dürig, GG Kommentar, Lfg. 52 Mai 2008, Art. 46 Rn. 78. 27 Klein, in: Maunz-Dürig, GG Kommentar, Lfg. 52 Mai 2008, Art. 46 Rn.65. 28 Siehe Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, in: Anlage 6 zur Geschäftsordnung Bundestag, in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980 (BGBl. I S. 237), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 6. Juli 2009 (BGBl. I S. 2128). 29 Anlage (siehe Fn. 28), Nr. 2c). 30 BVerfGE 104, 310 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 9 Die Benachrichtigung erfolgt gemäß § 101 Abs. 5 StPO erst, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten möglich ist. Erfolgt eine aus diesen Gründen zurückgestellte Benachrichtigung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, können weitere Zurückstellungen nach § 101 Abs. 6 Satz 1 StPO nur mit gerichtlicher Zustimmung vorgenommen werden. Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 6 Satz 2 StPO entweder die Dauer der weiteren Zurückstellung bestimmen, oder es kann gemäß § 101 Abs. 6 Satz 3 StPO dem endgültigen Absehen von der Benachrichtigung zustimmen, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten werden. 4.2. Auskunftsanspruch nach § 491 StPO § 491 StPO ist als Vorschrift für die Erteilung von Auskünften an den Betroffenen gemäß § 19 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)31 dann einschlägig, wenn keine der spezielleren Regelungen in der StPO32 anwendbar ist.33 Weder § 475 StPO noch eine der anderen Vorschriften der StPO zur Auskunftserteilung sind vorliegend einschlägig. § 475 StPO enthält Bestimmungen über die Informationsübermittlung an Privatpersonen, die Auskünfte aus Akten, die dem Gericht vorliegen, erlangen möchten. Auch § 147 StPO kommt nicht in Betracht, da es sich hierbei um ein Akteneinsichtsrecht für Beschuldigte handelt. Die von einer Funkzellenüberwachung Betroffenen, sind jedoch keine Beschuldigten, ihr Auskunftsbegehren bezieht sich auch nicht auf vom Gericht geführte Akten, sondern auf die von der Staatsanwaltschaft von den Telekommunikationsprovidern angeforderten und gespeicherten Handydaten. § 491 StPO eröffnet dem „Betroffenen“34 über die entsprechende Anwendung des § 19 BDSG einen Auskunftsanspruch gegenüber einer seine Daten speichernden Stelle. Jede natürliche Person, die wissen möchte, ob personenbezogene Daten über sie gespeichert sind, ist auskunftsberechtigt .35 § 491 StPO bezieht sich nur auf Daten, nicht auf Auskünfte in Akten. Auskunftspflichtig ist gemäß § 3 Abs. 7 BDSG die Stelle, die personenbezogene Daten aus einem Strafverfahren in einer Datei speichert. Auskunft muss erteilt werden über die zu der Person gespeicherten Daten sowie über den Zweck der Speicherung.36 31 Bundesdatenschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2003 (BGBl. I S. 66), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2814) geändert worden ist. 32 Auskunftsansprüche bestehen auch nach §§ 147, 385 Abs. 3, § 397 Abs. 1 Satz 2, §§ 406e, 475 StPO. 33 Meyer-Goßner, StPO-Kommentar, 54. Auflage 2011, § 491 Rn. 1; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO- Kommentar, § 491 Rn. 2. 34 „Betroffener“ wird in § 3 Abs. 1 BDSG folgendermaßen definiert: „Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“. 35 Weßlau, in: SK-StPO 2009, § 491 Rn. 10. 36 Weßlau, in: SK-StPO 2009, § 491 Rn. 11, 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 10 § 491 Abs. 1 Satz 2 StPO sieht jedoch eine Ausnahme von der Auskunftserteilung vor, wenn zum Zeitpunkt der Beantragung der Auskunft die Einleitung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft noch nicht mehr als sechs Monate zurückliegt. Es erfolgt keine Gefährdungs- oder Interessensprüfung durch die Staatsanwaltschaft, der Gefahr der Ausforschung von Daten wird durch eine zeitlich befristete Auskunftssperre begegnet.37 Die zuständige Staatsanwaltschaft kann aber auch von der Auskunftssperre absehen, wenn keine Bedenken gegen die Auskunftserteilung an den Betroffenen bestehen.38 Gemäß § 491 Abs. 1 Satz 3 StPO kann die zuständige Staatsanwaltschaft die Auskunftssperre auch auf bis zu 24 Monate verlängern, wenn wegen der Schwierigkeit oder des Umfangs der Ermittlungen im Einzelfall ein Geheimhaltungsbedürfnis fortbesteht. Die Staatsanwaltschaft muss keine Auskunft über die Methode der Datenerhebung erteilen,39 unabhängig davon, ob sie dem Betroffenen ansonsten über die Speicherung seiner Daten informiert oder ob eine Auskunftssperre greift. 4.3. Erweiterte Informationen für Abgeordnete? § 491 StPO sieht keine weitergehenden Rechte für Berufsgeheimnisträger, wie z.B. Abgeordnete, vor. Die Auskunftssperre gemäß § 491 Abs. 1 Satz 2 StPO gilt uneingeschränkt für alle „Betroffenen “. Erweiterte Informationsrechte ergeben sich auch nicht aus § 160a StPO. Neben dem Verwertungsverbot und dem Löschungsgebot40, umfasst § 160a StPO zwar auch ein Dokumentationsgebot . Dieser verpflichtet die Staatsanwaltschaft aber nur, die Tatsache der Erfassung von Daten geschützter Personen aktenkundig zu machen, um die Erlangung von Rechtsschutz gegen den Eingriff zu sichern.41 5. Rechtswidrigkeit der Funkzellenabfrage 5.1. Rechtsmittel Die von einer Funkzellenüberwachung betroffenen Personen können gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO bei dem für die Anordnung der Maßnahme zuständigen Gericht auch nach Beendigung der Maßnahme bis zu zwei Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Rechtmäßig- 37 Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO-Kommentar, 2010, § 491 Rn. 12. 38 Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO-Kommentar, 2010, § 491 Rn. 12. 39 Weßlau, in: SK-stopp 2009, § 491 Rn. 16; Hilger, in Löwe-Rosenberg, StPO-Kommentar, § 491 Rn. 8. 40 Siehe Prüfung oben unter Punkt 3.2. 41 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 160a Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 252/11 Seite 11 keit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragen. Für bereits beendete Maßnahmen bildet die Regelung des § 101 Abs. 7 StPO eine abschließende Sonderregelung.42 5.2. Verwertbarkeit Erweist sich die Anordnung der Funkzellenabfrage im Nachhinein als rechtswidrig, so kann es zu einem Beweisverwertungsverbot kommen. Die Missachtung der Subsidiaritätsklausel43 kann die Unverwertbarkeit zur Folge haben.44 Willkürlich angeordnete Maßnahmen begründen ebenfalls ein Verwertungsverbot.45 Im Rahmen der Funkzellenüberwachung gewonnenen Erkenntnisse über Berufsgeheimnisträger sind gemäß § 160a Abs. 1 Satz 2 StPO ebenfalls unverwertbar.46 42 Bär, TK-Überwachung, Kommentar, 2010, § 100g Rn. 41. 43 Siehe oben Punkt 2.2. 44 BGHSt 41, 30 m.w.N. 45 BGHSt 44, 28, 122, 124. 46 Siehe oben Punkt 3.2.