© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 250/20 Recht zur Äußerung und zum Beitritt des Deutschen Bundestages in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (sog. Triage) Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 250/20 Seite 2 Recht zur Äußerung und zum Beitritt des Deutschen Bundestages in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (sog. Triage) Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 250/20 Abschluss der Arbeit: 2. November 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 250/20 Seite 3 Zurzeit ist vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde anhängig, die dagegen gerichtet ist, dass der Gesetzgeber es bisher unterlassen hat, Vorgaben für die Durchführung einer sogenannten Triage zu erlassen, zu der es im Rahmen der Covid-19-Pandemie aufgrund von Kapazitätsengpässen kommen könne.1 Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um Personen, die unter Behinderungen oder bestimmten Vorerkrankungen leiden und daher in Bezug auf Covid-19- Erkrankungen nach der Definition des Robert Koch-Instituts zu der Risikogruppe gehören, bei der mit einem schweren Krankheitsverlauf zu rechnen sei. Zusammen mit der Verfassungsbeschwerde wurde von den Beschwerdeführern auch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dieser war darauf gerichtet, dass die Bundesregierung vorläufig ein Gremium einsetzen solle, das die Triage verbindlich regle. Der Antrag wurde durch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 16. Juli 2020 abgelehnt.2 Das Hauptsacheverfahren ist weiter anhängig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 16. Juli 2020 ausgeführt, dass die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens offen seien. Die Verfassungsbeschwerde sei nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet. Sie werfe die Frage auf, ob und wann ein Handeln des Gesetzgebers in Erfüllung einer Schutzpflicht gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten sei und wie weit der Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers reiche, wenn es um konkrete medizinische Priorisierungsentscheidungen gehe. Gefragt wird, inwieweit das Bundesverfassungsgericht verpflichtet ist, den Bundestag in das Verfassungsbeschwerdeverfahren einzubeziehen. § 94 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) regelt verschiedene Befugnisse, die dem Bundestag als Verfassungsorgan im Verfassungsbeschwerdeverfahren zukommen. Mit den Regelungen des § 94 BVerfGG erkennt der Gesetzgeber an, dass „ein bestimmter Kreis von Dritten ein so starkes Interesse an den Entscheidungen über die Verfassungsbeschwerde haben kann, dass er schon kraft Gesetzes zur Stellungnahme berechtigt ist“3. Gemäß § 94 Abs. 1 BVerfGG gibt das Bundesverfassungsgericht dem Verfassungsorgan des Bundes oder des Landes, dessen Handlung oder Unterlassung in der Verfassungsbeschwerde beanstandet wird, Gelegenheit, sich binnen einer durch das Gericht zu bestimmenden Frist zu äußern. Über das Recht zur Äußerung hinaus regelt § 94 Abs. 5 S. 1 BVerfGG das Recht eines Beitritts zum Verfassungsbeschwerdeverfahren für die nach § 94 Abs. 1 BVerfGG äußerungsberechtigten Verfassungsorgane . Mit dem wirksamen Beitritt erlangt der Beigetretene die Rechtsstellung eines Verfahrensbeteiligten mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten und kann beispielsweise Akteneinsicht verlangen und bei Verfassungsbeschwerden auf die Durchführung einer mündlichen 1 Ausführlich zum Inhalt der Verfassungsbeschwerde siehe den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Verfahren zur Triage vor dem Bundesverfassungsgericht, WD 3 - 3000 - 246/20 vom 15. Oktober 2020, Anlage. 2 Siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juli 2020, 1 BvR 1541/20. 3 Lenz/Hansel, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Auflage, 2015, § 94 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 250/20 Seite 4 Verhandlung bestehen.4 Die Inanspruchnahme der Äußerungsberechtigung nach § 94 Abs. 1 BVerfGG führt nicht automatisch zum Beitritt, dieser muss vielmehr als solcher ausdrücklich erklärt werden.5 Das Bundesverfassungsgericht hat mit Schreiben vom 28. September 2020 die Verfassungsbeschwerde zur Triage dem Bundestag samt einem Fragenkatalog zugeleitet; dieses ist im Präsidialbüro am 6. Oktober 2020 eingegangen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag gemäß § 94 Abs. 1 BVerfGG Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15. Dezember 2020 gegeben. Das Zuleitungsschreiben des Bundesverfassungsgerichts ist zuständigkeitshalber an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz weitergeleitet worden. Das Ausschusssekretariat hat am 12. Oktober 2020 die von den Fraktionen eingesetzten Berichterstatterinnen und Berichterstatter in Streitsachen (MdB Ansgar Heveling, MdB Fabian Jacobi, MdB Dr. Jürgen Martens, MdB Niema Movassat, MdB Dr. Manuela Rottman, MdB Sonja Steffen) über das Verfassungsbeschwerdeverfahren und die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme unterrichtet und um Rückmeldung bis zum 6. November 2020 zum weiteren Vorgehen gebeten. Die Berichterstatterinnen und Berichterstatter beraten, ob in dem Verfahren eine Stellungnahme abgegeben und/oder dem Verfahren beigetreten werden soll und schlagen dem Ausschuss einen entsprechenden Beschluss vor. Soweit nach dem Dafürhalten der Berichterstatterinnen und Berichterstatter von dem Äußerungsrecht und/oder vom dem Beitrittsrecht Gebrauch gemacht werden soll, wird eine Beschlussempfehlung auf die Tagesordnung des Rechtsausschusses gesetzt, wonach der Bundestag beschließen wolle, in dem Streitverfahren eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, eine Prozessbevollmächtigte bzw. einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Auf der Grundlage einer entsprechenden Plenarentscheidung beauftragt der Präsident in der Regel eine Hochschullehrerin oder einen Hochschullehrer, in Ausnahmefällen eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt, mit der Erarbeitung eines Entwurf für eine Stellungnahme. Dieser Entwurf wird im Rahmen eines Berichterstattergespräches diskutiert und gegebenenfalls nach einer weiteren Überarbeitung von der bzw. dem Prozessbevollmächtigten im Namen des Bundestages an das Bundesverfassungsgericht versandt. Findet sich keine Mehrheit für die Abgabe einer Stellungnahme und/oder für einen Beitritt zum Verfahren, wird das Verfahren in die sogenannte Streitsachenübersicht aufgenommen. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz beschließt in regelmäßigen Abständen, in diesen Verfahren von der Abgabe einer Stellungnahme abzusehen. Auch die Streitsachenübersichten werden dem Plenum als Beschlussempfehlung vorgelegt. Der Präsident informiert durch Übersendung der entsprechenden Drucksachen die Vorsitzenden der beiden Senate. *** 4 Ausführlich dazu siehe Hömig, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz , Werkstand: 60. EL Juli 2020, § 94 Rn. 32. 5 Vgl. BVerfGE 17, 319 (328); 31, 87 (91 f.), NJW 1971, 1171 (1172).