© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 250/18 Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/853 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/18 Seite 2 Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/853 Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 250/18 Abschluss der Arbeit: 11. Juli 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/18 Seite 3 1. Einleitung Die Richtlinie (EU) 2017/853 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 (EU-Feuerwaffenrichtlinie)1 ändert die Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen.2 Die Richtlinie hat unter anderem eine Neukategorisierung bestimmter Feuerwaffen und ein daraus folgendes Verbot dieser bisher erlaubnispflichtigen Waffen zum Inhalt. Die Umsetzung der Richtlinie muss größtenteils bis zum 14. September 2018 erfolgen.3 In diesem Zusammenhang wird nach den Umsetzungsmöglichkeiten des Gesetzgebers gefragt. Zu den dabei relevanten Rechtsfragen wird im Folgenden Stellung genommen. 2. Umsetzung der Richtlinie Die Umsetzung der Richtlinie müsste in Deutschland durch eine Änderung des Waffengesetzes4 und des Gesetzes zur Errichtung eines Nationalen Waffenregisters (Nationales-Waffenregister- Gesetz)5 erfolgen. Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten größtenteils konkrete Vorgaben, die von den nationalen Gesetzgebern umgesetzt werden müssen. In den folgenden Fällen bleibt dem Gesetzgeber durch die Richtlinie ein Gestaltungsspielraum überlassen: – Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 4: „Zu den Zwecken des Absatzes 1 und dieses Absatzes können die Mitgliedstaaten beschließen, die Bestimmungen des Übereinkommens über die gegenseitige Anerkennung von Beschusszeichen für Handfeuerwaffen vom 1. Juli 1969 anzuwenden.“ – Art. 6 Abs. 2: „Zum Schutz der Sicherheit kritischer Infrastruktur, der kommerziellen Schifffahrt und Werttransporte und sensibler Anlagen, zum Zwecke der nationalen Verteidigung sowie zu bildungsbezogenen, kulturellen, Forschungs- und historischen Zwecken können die nationalen zuständigen Behörden unbeschadet von Absatz 1 in Einzelfällen ausnahmsweise und unter hinreichender Begründung Genehmigungen für Feuerwaffen, wesentliche Bestandteile und Munition der Kategorie A erteilen, sofern dies der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht entgegensteht.“ – Art. 6 Abs. 3: „Die Mitgliedstaaten können Sammlern in besonderen Einzelfällen ausnahmsweise und unter hinreichender Begründung eine Genehmigung für den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen, wesentlichen Bestandteilen und Munition der Kategorie A unter Einhaltung strenger Sicherheitsvorschriften erteilen, wobei gegenüber den nationalen 1 ABl. L 137 vom 24. Mai 2017, 22 ff. 2 ABl. L 256 vom 13. September 1991, 51 ff. 3 Eine Ausnahme besteht gemäß Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 3 und 4 der Richtlinie für Vorgaben zur Tätigkeit von Waffenhändlern und Maklern sowie hinsichtlich des Waffenregisters. Diese Vorgaben müssen bis zum 14. Dezember 2019 umgesetzt werden. 4 Waffengesetz vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970, 4592; 2003 I S. 1957), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2133). 5 Nationales-Waffenregister-Gesetz vom 25. Juni 2012 (BGBl. I S. 1366), zuletzt geändert durch Artikel 11 Absatz 37 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/18 Seite 4 zuständigen Behörden auch nachzuweisen ist, dass Maßnahmen zur Verhinderung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung getroffen wurden und die Feuerwaffen, wesentlichen Bestandteile und die Munition so aufbewahrt werden, dass die gewährte Sicherheit in einem angemessenen Verhältnis zu den mit einem unbefugten Zugang zu diesen Gütern verbundenen Gefahren steht.“ – Art. 6 Abs. 4: „Die Mitgliedstaaten können Waffenhändlern und Maklern gestatten, jeweils im Rahmen ihrer Berufsausübung Feuerwaffen, wesentliche Bestandteile und Munition der Kategorie A unter Einhaltung strenger Sicherheitsvorschriften zu erwerben, herzustellen, zu deaktivieren, zu reparieren, zu liefern, zu verbringen und zu besitzen.“ – Art. 6 Abs. 5: „Die Mitgliedstaaten können Museen gestatten, Feuerwaffen, wesentliche Bestandteile und Munition der Kategorie A unter Einhaltung strenger Sicherheitsvorschriften zu erwerben und zu besitzen.“ – Art. 6 Abs. 6 Unterabs. 1: „Die Mitgliedstaaten können Sportschützen den Erwerb und Besitz von in Kategorie A Nummer 6 oder 7 eingestuften halbautomatischen Feuerwaffen unter folgenden Voraussetzungen gestatten: a) Es liegt eine zufriedenstellende Beurteilung der relevanten Angaben vor, die sich aus Artikel 5 Absatz 2 ergeben; b) es wird der Nachweis erbracht, dass der betreffende Sportschütze aktiv für Schießwettbewerbe , die von einer offiziellen Sportschützenorganisation des betreffenden Mitgliedstaats oder einem offiziell anerkannten internationalen Sportschützenverband anerkannt werden, trainiert bzw. an diesen teilnimmt, und c) es wird eine Bescheinigung einer offiziell anerkannten Sportschützenorganisation vorgelegt , in der bestätigt wird, dass i) der Sportschütze Mitglied eines Schützenvereins ist und in diesem Verein seit mindestens 12 Monaten regelmäßig den Schießsport trainiert und ii) die betreffende Feuerwaffe die Spezifikationen erfüllt, die für eine von einem offiziell anerkannten internationalen Sportschützenverband anerkannte Disziplin des Schießsports erforderlich ist.“ – Art. 6 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1: „In Bezug auf Feuerwaffen der Kategorie A Nummer 6 können Mitgliedstaaten, in denen allgemeine Wehrpflicht herrscht und in denen seit über 50 Jahren ein System der Weitergabe militärischer Feuerwaffen an Personen besteht, die die Armee nach Erfüllung ihrer Wehrpflicht verlassen, an diese Personen in ihrer Eigenschaft als Sportschützen eine Genehmigung erteilen, eine während des Wehrdienstes benutzte Feuerwaffe zu behalten.“ – Art. 7 Abs. 4a: „Die Mitgliedstaaten können beschließen, Genehmigungen für halbautomatische Feuerwaffen der Kategorie A Nummer 6, 7 oder 8 für eine Feuerwaffe, die in die Kategorie B eingeteilt war und die vor dem 13. Juni 2017 rechtmäßig erworben und eingetragen wurde, unter den sonstigen in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen zu bestätigen, zu erneuern oder zu verlängern. Sie können gestatten, dass solche Feuerwaffen von anderen Personen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/18 Seite 5 erworben werden, denen ein Mitgliedstaat gemäß dieser Richtlinie in der durch die Richtlinie (EU) 2017/853 des Europäischen Parlaments und des Rates geänderten Fassung die Genehmigung dazu erteilt hat.“ – Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2: „Der Erwerb von Ladevorrichtungen für halbautomatische Zentralfeuerwaffen , die mehr als 20 Patronen aufnehmen können, bzw. für Lang-Feuerwaffen, die mehr als zehn Patronen aufnehmen können, darf nur Personen gestattet werden, denen eine Genehmigung nach Artikel 6 erteilt wurde oder eine Genehmigung gemäß Artikel 7 Absatz 4a bestätigt, erneuert oder verlängert wurde.“ – Art. 10b Abs. 4: „Die Mitgliedstaaten können der Kommission innerhalb von zwei Monaten nach dem 13. Juni 2017 ihre nationalen Standards und Techniken zur Deaktivierung, die vor dem 8. April 2016 galten, mitteilen und begründen, inwiefern das Maß an Sicherheit, das durch diese nationalen Standards und Techniken zur Deaktivierung sichergestellt wird, dem durch die technischen Spezifikationen für die Deaktivierung von Feuerwaffen, die in Anhang I der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2403 der Kommission, in der am 8. April 2016 geltenden Fassung festgelegt sind, sichergestellten Maß an Sicherheit entsprechen.“ Gestaltungsspielräume müssen vom Gesetzgeber so ausgefüllt werden, dass die Ziele der Richtlinie vollständig erreicht werden.6 Ziele der Feuerwaffenrichtlinie sind etwa die Bekämpfung der Verwendung von Feuerwaffen für kriminelle Zwecke und damit einhergehend die Einführung strengerer Vorschriften für besonders gefährliche Feuerwaffen, um den Kauf, Verkauf und Besitz dieser Waffen zu verwehren.7 Auch Regelungen, die einen Gestaltungsspielraum eröffnen, können zwingende Vorgaben enthalten und den Spielraum dadurch beschränken. So eröffnet Art. 7 Abs. 4a Satz 1 der Richtlinie den Gesetzgebern die Möglichkeit, eine Genehmigung für bestimmte halbautomatische Feuerwaffen, die vor dem 13. Juni 2017 rechtmäßig erworben und eingetragen wurden, unter den sonstigen der Richtlinie festgelegten Bedingungen zu bestätigen, zu erneuern oder zu verlängern. Da die Einhaltung des Stichtags durch die Richtlinie vorgegeben ist, kann der Gesetzgeber in Bezug auf diejenigen der genannten Feuerwaffen, die nach dem Stichtag erworben wurden, den Umsetzungsspielraum nicht nutzen. Aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts unterliegen Regelungen des Umsetzungsgesetzes, die durch die Richtlinie vorgegeben wurden, nicht der verfassungsrechtlichen Kontrolle in den Mitgliedstaaten.8 In diesen Fällen ist es Aufgabe des Unionsgesetzgebers, die Einhaltung der Grundrechte in den Mitgliedsstaaten durch die Richtlinie zu gewährleisten.9 Wird der Gesetzgeber 6 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 AEUV Rn. 26 f.; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 288 AEUV Rn. 41. 7 Erwägungsgründe Nr. 2 und 15 der Richtlinie. 8 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 – 1 BvF 1/05, BVerfGE 118, 79 (95). 9 Vgl. Teetzmann, Grundrechtsbindung des Unionsgesetzgebers und Umsetzungsspielräume, in: Europarecht 1/2016, 90 ff. (98). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/18 Seite 6 hingegen innerhalb eines ihm überlassenen Umsetzungsspielraums tätig, so muss er die nationalen Grundrechte sowie die Grundrechte-Charta der Europäischen Union beachten.10 3. Beachtung des Vertrauensschutzes Bei einem Tätigwerden innerhalb eines Umsetzungsspielraums, muss der deutsche Gesetzgeber grundsätzlich auch den Vertrauensschutz wahren. Dieser wird aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip abgeleitet11 und hat besondere Bedeutung bei einer rückwirkenden Gesetzesänderung. Unzulässig ist grundsätzlich eine „echte“ Rückwirkung, die nachträglich ändernd in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreift.12 Eine „unechte“ Rückwirkung liegt dagegen vor, wenn in gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte eingegriffen wird.13 Dies betrifft etwa die in der Richtlinie vorgenommene Neukategorisierung bestimmter Feuerwaffen, die bisher bei Vorliegen einer Erlaubnis erworben werden durften, nun aber in die Kategorie der verbotenen Waffen fallen. Die nationalen Gesetzgeber dürfen gemäß Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie den Erwerb und Besitz einiger dieser Feuerwaffen für Sportschützen unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. Hinsichtlich des Erwerbs ist die Entscheidung des Gesetzgebers, ob er den Umsetzungsspielraum nutzen will, rein rechtspolitisch, da sie keine rückwirkende Wirkung entfaltet . In Bezug auf den bereits rechtmäßig begründeten Besitz läge hingegen im Falle einer nicht erfolgenden Einführung einer Sportschützenerlaubnis eine unechte Rückwirkung vor, da dieser aufgrund der Richtlinie unrechtmäßig wäre. Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig, soweit die Interessen des Gesetzgebers an einer Rechtsänderung das Vertrauen des Betroffenen auf einen Fortbestand der Rechtslage übersteigen .14 Mit der Ausgestaltung des Waffenrechts kommt der Gesetzgeber seinen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hinsichtlich Leben und körperlicher Unversehrtheit der Bürger nach.15 Aufgrund des besonderen Rangs dieser Schutzpflichten wird vertreten, dass derjenige, dem der Umgang mit Waffen erlaubt sei, regelmäßig nicht darauf vertrauen könne, dass die Anforderungen für den Umgang mit Waffen für alle Zukunft unverändert blieben.16 Andererseits wäre die von Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie ermöglichte Erlaubnis an strenge Voraussetzungen geknüpft, die geeignet scheinen, die Beschränkung auf den vorgesehenen Personenkreis sowie die größtmögliche Sorgsamkeit im Umgang mit den genannten Feuerwaffen sicherzustellen. Es erscheint daher auch verfassungsrechtlich unbedenklich, den Interessen der Betroffenen hier den Vorrang einzuräumen. *** 10 Siehe dazu vertiefend Teetzmann, Grundrechtsbindung des Unionsgesetzgebers und Umsetzungsspielräume, in: Europarecht 1/2016, 90 ff. 11 St. Rspr. des BVerfG, vgl. nur Beschluss vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 (242). 12 Vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 1961 – 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261 (271); Beschluss vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 (242). 13 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 82. EL Januar 2018, Art. 20 GG Rn. 76. 14 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 82. EL Januar 2018, Art. 20 GG Rn. 88. 15 Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. März 2015 – 6 C 31.14, NVwZ-RR 2015, 494 ff. 16 So Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. März 2015 – 6 C 31.14, NVwZ-RR 2015, 494 ff.