© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 250/14 Verfassungsmäßigkeit einer Frauenquote für die Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/14 Seite 2 Verfassungsmäßigkeit einer Frauenquote für die Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 250/14 Abschluss der Arbeit: 20.10.2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/14 Seite 3 1. Einleitung Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Frauenquoten bei der Besetzung von Positionen im öffentlichen Dienst wird kontrovers diskutiert. Im Vordergrund steht dabei die Vereinbarkeit entsprechender Regelungen mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 Grundgesetz (GG) sowie dem Recht auf gleichen Ämterzugang aus Art. 33 Abs. 2 GG. Ist für die Ämterbesetzung ein besonderes Verfahren vorgesehen, so können sich hieraus weitere Prüfungsmaßstäbe ergeben. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden die Frage erörtert, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Aufnahme einer Frauenquote in das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) für die Wahl der Richterinnen und Richter des Gerichts verfassungsrechtlich zulässig wäre. 2. Vorgaben des Art. 94 GG Die Regelung des Art. 94 GG gibt die Zusammensetzung und Organisation des Bundesverfassungsgerichts in groben Zügen vor und ermächtigt zu bestimmten Verfahrensregelungen und Rechtsfolgen.1 Art. 94 GG beschränkt sich dabei auf wenige Vorgaben, da sich CDU/CSU und SPD im Parlamentarischen Rat über grundlegende Organisationsfragen nicht einigen konnten und im Wesentlichen die Entscheidungen dem einfachen Gesetzgeber überlassen haben.2 Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG ermächtigt und verpflichtet den Bundesgesetzgeber die Verfassung und das Verfahren des Bundesverfassungsgerichts zu regeln. Der Gesetzgeber ist diesem Auftrag durch den Erlass des BVerfGG nachgekommen. Der Begriff der Verfassung i.S.d. Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG umfasst die Errichtung, Einrichtung, Organisation, Status und Geschäftsverteilung des Bundesverfassungsgerichts, inklusive der Bestimmungen über die Ernennung, Amtsbeendigung und Rechtsstellung seiner Richter.3 Damit besitzt der Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für die Aufnahme einer Frauenquote in das BVerfGG. Außerdem schreibt Art. 94 GG vor, dass das Gericht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern besteht (Art. 94 Abs. 1 S. 1 GG), die Mitglieder je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG) und die Mitglieder weder einem Organ der Legislative noch der Exekutive angehören dürfen (Art. 94 Abs. 1 S. 3 GG). Angesichts dieser geringen Vorgaben steht die Regelung des Art. 94 GG der Schaffung einer Frauenquote bei der Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen. 1 Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 94 Rn. 1. 2 Siehe Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 337 f.; Hopfauf, in: Schmidt- Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 94 Rn. 1; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band III, 2. Aufl. 2008, Art. 94 Rn. 7. 3 Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 94 Rn. 70. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/14 Seite 4 3. Rechtlicher Rahmen für Frauenquoten Unter dem Begriff der Frauenquote versteht man ganz allgemein eine geschlechterbezogene Regelung , die bezweckt, bestimmte Positionen in einem Gremium ausgewogen mit Personen beider Geschlechter zu besetzen. Eine Frauenquote kann dabei jedoch ganz unterschiedlich ausgestaltet und ausgeprägt sein. Aus diesem Grund ist zunächst der entsprechende rechtliche Rahmen aufzuzeigen . Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang noch nicht grundlegend in einer Senatsentscheidung zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Quotenregelungen geäußert.4 Die übrige Rechtsprechung in Deutschland wird maßgeblich durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geprägt.5 Nach dieser sind nur flexible Geschlechterquoten zulässig, die Öffnungsund Abwägungsklauseln für besondere Fallkonstellationen beinhalten. Eine Quote dürfe danach nicht so ausgestaltet sein, dass sie starr eine bestimmte Anzahl von Frauen und Männern in einem Gremium sicherstelle, ohne dass zunächst ein geschlechtsneutraler Vergleich der Bewerber aufgrund ihrer Qualifikation, Eignung und gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung besonderer personenbezogener Kriterien vorgenommen werde.6 Ein Verbot starrer Quoten ergibt sich nicht nur aus dem Unionsrecht, sondern auch aus der Zielsetzung des Gleichberechtigungsgebots aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG.7 Nach diesem fördert der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das Bundesverfassungsgericht hat aus diesem Gebot die Berechtigung des Gesetzgebers abgeleitet, faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen , durch begünstigende Regelungen auszugleichen.8 Eine Geschlechtergleichstellung um ihrer 4 Siehe Sacksofsky, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2002, Art. 3 II, III 1 Rn. 368; Boysen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 169. 5 Siehe die Nachweise bei Boysen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 169. 6 EuGH, Rs. C-450/93 – Kalanke, Slg. 1995, I-3051, Erwägungsgründe 21 ff.; EuGH, Rs. C-409/95 – Marschall, Slg. 1997, I-6363, Erwägungsgrund 33; EuGH, Rs. C-407/98 – Abrahamsson und Anderson, Slg. 2000, I-5539, Erwägungsgrund 52 f.; siehe zur Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Boysen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 171 ff. 7 Zur Unzulässigkeit starrer Quoten in Bezug auf Art. 33 Abs. 2 GG: Jachmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 33 Abs. 2 Rn. 21; OVG NRW, NVwZ 1991, 501 (502); weitere Nachweise bei Masing, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 52; vgl. hierzu auch BVerfG (Kammer), NVwZ 2008, 69 (70). 8 BVerfGE 92, 91 (109); BVerfGE 85, 191 (207). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/14 Seite 5 selbst willen bezweckt das Gebot jedoch nicht.9 So hat auch der Verfassungsänderungsgesetzgeber bei Schaffung des Gebots ausdrücklich klargestellt, „daß diese Bestimmung eine Frauenförderung in Gestalt sog. starrer Quoten nicht gestattet.“10 Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass starre Frauenquoten stets unzulässig sind, im Rahmen der Auswahlentscheidungen jedoch das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG berücksichtigt werden kann. 4. Maßstäbe für die Ausgestaltung einer Frauenquote Die Verfassungsmäßigkeit einer Frauenquote für die Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts hängt von ihrer konkreten Ausgestaltung ab. Hierbei sind insbesondere die Vorgaben aus dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, dem Recht auf gleichen Ämterzugang aus Art. 33 Abs. 2 GG sowie dem Grundsatz des freien Mandates aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zu berücksichtigen. 4.1. Vorgaben des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Zuvörderst ist bei der Ausgestaltung einer Frauenquote für die Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zu beachten. Dieses enthält unter anderem ein Verbot von Benachteiligungen oder Bevorzugungen, die an das Geschlecht anknüpfen.11 Dieses Verbot schließt jedoch Frauenfördermaßnahmen nicht von vornherein aus. Wie bereits oben festgestellt, darf der Gesetzgeber faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen ausgleichen. Dabei ist die Abgrenzung zwischen einer zulässigen Maßnahme zur Durchsetzung der Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) und einer verbotenen Diskriminierung (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz zu lösen.12 Das bedeutet, dass keinem Aspekt generell Vorrang eingeräumt werden darf, sondern im Rahmen der Abwägung beiden Aspekten bestmöglich zur Wirksamkeit verholfen wird. Im Rahmen der Abwägung ist unter anderem zu berücksichtigen, dass je geringer der Anteil von Frauen in den Senaten des Bundesverfassungsgerichts ist und je höher die vorgesehene Frauenquote festgelegt wird, desto größere Benachteiligungen die männlichen Bewerber in Kauf nehmen müssen, da sie dann ggf. auf Jahre keine Chance mehr auf Ernennung hätten.13 9 Vgl. Papier/Heidebach, ZGR 2011, 305 (318). 10 BT-Drs. 12/6000, S. 50. 11 Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 64. 12 BAG, NZA 2003, 1036 (1038); vgl. auch Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 113. 13 Vgl. Masing, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 52. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/14 Seite 6 4.2. Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG Weiter ist eine Frauenquote für die Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts am Maßstab des Rechts auf gleichen Ämterzugang aus Art. 33 Abs. 2 GG zu messen. Danach hat jeder Deutsche nach bestimmten Entscheidungskriterien (Eignung, Befähigung und fachliche Leistung) gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. Die Regelung stellt damit eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes dar.14 Der Begriff des öffentlichen Amtes i.S.d. Art. 33 Abs. 2 GG ist weit zu verstehen und erfasst auch die Ämter der Rechtsprechung in Bund und Ländern, die mit Richtern zu besetzen sind.15 Ob das Recht auf gleichen Ämterzugang durch das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG eingeschränkt werden kann, ist umstritten. Dies wird zum Teil mit dem Argument verneint , dass das Geschlecht in Art. 33 Abs. 2 GG gerade kein erlaubtes Differenzierungskriterium darstelle.16 Zum Teil wird eine Einschränkbarkeit von Art. 33 Abs. 2 GG durch das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG aber auch bejaht.17 Im Ergebnis ist wohl davon auszugehen , dass Art. 33 Abs. 2 GG als spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes in gleicher Weise durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann, wie Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.18 Dies bedeutet, dass bei der Ausgestaltung einer Frauenquote für die Wahl von Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts zwischen den Entscheidungskriterien aus dem Recht auf gleichen Ämterzugang aus Art. 33 Abs. 2 GG einerseits und dem Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG andererseits ein schonender Ausgleich herzustellen ist. 4.3. Vorgaben des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Aufgrund des Umstandes, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts zur Hälfte vom Bundestag gewählt werden (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG, §§ 5 und 6 BVerfGG), beurteilt sich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer entsprechenden Frauenquote nicht nur nach den Rechten der männlichen Mitbewerber, sondern auch nach den Rechten der Abgeordneten aus dem Status des freien Mandats aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG.19 Dieser schützt die Abgeordneten unter anderem vor 14 Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 33 Rn. 19. 15 Battis, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 33 Rn. 24. 16 Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 3 Abs. 2 Rn. 312; vgl. auch Höfling, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 168. EL Juli 2014, Stand der Kommentierung; 130. EL August 2007, Art. 33 Rn. 333 ff. 17 Masing, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 52; Kunig, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 33 Rn. 34. 18 Siehe hierzu oben unter 4.1. 19 Siehe hierzu auch , Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Vereinbarkeit der geplanten Novellierung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes mit der Freiheit des Abgeordnetenmandats , WD 3 - 3000 - 081/14, 2014. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 250/14 Seite 7 dem Verlust des Mandates und unzulässiger Einflussnahme auf die Art und Weise der Mandatsausübung .20 Die Rechte aus dem Status des freien Mandats werden jedoch nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang eingeschränkt werden.21 Beschränkungen können demnach auf das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG gestützt werden, so dass auch Frauenquoten für die Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht von vornherein mit dem Status der Freiheit des Mandats aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG unvereinbar sind. Bei der konkreten Ausgestaltung einer entsprechenden Frauenquote ist jedoch der besondere Schutz der Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten zu berücksichtigen und mit dem Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG abzuwägen.