Deutscher Bundestag Zustimmungsbedürftigkeit einer Regelung zum Schienenbonus im BImSchG Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 250/11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 250/11 Seite 2 Zustimmungsbedürftigkeit einer Regelung zum Schienenbonus im BImSchG Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 250/11 Abschluss der Arbeit: 14. Juli 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 250/11 Seite 3 1. Fragestellung In der 16. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz (16. BImSchV)1 ist für die Berechnung von Lärmpegeln an Schienenwegen ein Abschlag in Höhe von 5 Dezibel (A) vorgesehen, sog. Schienenbonus.2 Bedürfte eine Übernahme dieser Regelung in das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)3 der Zustimmung des Bundesrates? 2. Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen4 Gemäß Artikel 50 GG wirken die Bundesländer durch den Bundesrat unter anderem an der Gesetzgebung des Bundes mit. Hierzu verleiht das Grundgesetz dem Bundesrat eine Reihe unterschiedlicher Befugnisse , die sich für die einfache Gesetzgebung aus den Artikeln 76, 77 GG ergeben . Der Bundesrat hat das Recht, eigene Gesetzesvorlagen beim Bundestag einzubringen (Artikel 76 Abs. 1 GG) und zu Gesetzesvorlagen der Bundesregierung Stellung zu nehmen (Artikel 76 Abs. 2 GG). Er kann, wenn der Bundestag ein Gesetz beschlossen hat, den Vermittlungsausschuss anrufen (Artikel 77 Abs. 2 S. 1 GG). Nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens kann er gegen Gesetze, zu denen seine Zustimmung nicht erforderlich ist, Einspruch einlegen (Artikel 77 Abs. 3 S. 1 GG). Den Einspruch des Bundesrates kann der Bundestag mit qualifizierter Mehrheit (Artikel 77 Abs. 4 GG) zurückweisen und sich damit über den Willen des Bundesrates hinwegsetzen. Besonders weit reichend sind die Einflussmöglichkeiten des Bundesrates bei Gesetzen, die seiner Zustimmung bedürfen: Verweigert der Bundesrat in diesem Fall – ggf. nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens nach Artikel 77 Abs. 2 GG – die Zustimmung, so kommt das Gesetz nicht zustande. Anders als bei Einspruchsgesetzen, hat der Bundesrat bei Zustimmungsgesetzen die Möglichkeit, das vom Bundestag beschlossene Gesetz endgültig zu Fall zu bringen. 1.1. Zustimmungstatbestände Das Erfordernis einer Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz ist nach dem Grundgesetz die Ausnahme . Der Zustimmung bedürfen Gesetze, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich vorschreibt (Enumerationsprinzip) . Ungeschriebene Zustimmungserfordernisse gibt es nicht . Eine Zustimmungsbedürftigkeit wird auch nicht dadurch begründet, dass in Länderinteressen eingegriffen wird . Ausdrückliche Regelungen über die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen finden sich über das ganze Grundgesetz verteilt. Teils beziehen sie sich auf eng umgrenzte Gesetzgebungsmaterien (vgl. etwa Einzelheiten des Asylrechts nach Artikel 16a Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 GG oder die Staatshaftung nach Artikel 74 Abs. 2 GG), teils auf nach allgemeinen Merkma- 1 Verkehrslärmschutzverordnung vom 12. Juni 1990 (BGBl. I S. 1036), die durch Artikel 3 des Gesetzes vom 19. September 2006 (BGBl. I S. 2146) geändert worden ist. 2 Das Berechnungsverfahren wird in Anlage 2 zu § 3 16. BImSchV dargestellt. 3 Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002 (BGBl. I S. 3830), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 1. März 2011 (BGBl. I S. 282) geändert worden ist. 4 Darstellung übernommen aus , Bedarf das GKV-Zustimmungsgesetz (DRs. 581/10) der Zustimmung des Bundesrates? Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3-3000-401/10). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 250/11 Seite 4 len bestimmte Kategorien von Gesetzen (vgl. etwa Artikel 79 Abs. 2, 84 Abs. 1, 104a Abs. 3 S. 2 GG). Wird ein Gesetz von keinem dieser Fälle erfasst, ist es ein Einspruchsgesetz. Die Zustimmungstatbestände des Grundgesetzes 1. Artikel 16a Abs. 2 Asyl: sichere Drittstaaten 2. Artikel 16a Abs. 3 Asyl: sichere Herkunftsländer 3. Artikel 23 Abs. 1 Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU 4. Artikel 23 Abs. 1a Abweichung vom Mehrheitsprinzip bei der Wahrnehmung von Rechten aus den Europäischen Verträgen 5. Artikel 23 Abs. 7 Bundesratsbeteiligung an der Willensbildung des Bundes (Integrationsverantwortung ) 6. Artikel 29 Abs. 7 Neugliederung des Bundesgebietes 7. Artikel 59 Abs. 2 Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen, deren Vollzug eines Zustimmungsgesetzes bedarf 8. Artikel 72 Abs. 3 Satz 2 Früheres Inkrafttreten im Bereich der Abweichungsgesetzgebung 9. Artikel 73 Abs. 1 Nr. 9a Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt 10. Artikel 74 Abs. 2 Staatshaftung und Beamtenstatus 11. Artikel 79 Abs. 2 Grundgesetzänderung 12. Artikel 80 Abs. 2 Gesetze, die bestimmte Rechtsverordnungen ändern 13. Artikel 81 Abs. 1 und 2 Gesetzgebungsnotstand 14. Artikel 84 Abs. 1 Satz 3 Sofortiges Inkrafttreten von Regelungen der Einrichtung von Behörden und des Verwaltungsverfahrens 14. Artikel 84 Abs. 1 Satz 5 Ausschluss abweichender Landesregelung des Verwaltungsverfahrens in der Landeseigenverwaltung 15. Artikel 84 Abs. 5 Ermächtigung der Bundesregierung zum Erteilen von Einzelanweisungen 16. Artikel 85 Abs. 1 Einrichtung der Behörden bei Auftragsverwaltung 17. Artikel 87 Abs. 3 Einrichtung von bundeseigenen Mittel- und Unterbehörden 18. Artikel 87b Abs. 1 Satz 3 Übertragung der Beschädigtenversorgung und des Bauwesens auf die Bundeswehrverwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 250/11 Seite 5 19. Artikel 87b Abs. 1 Satz 4 Aufgabenübertragung an die Bundeswehrverwaltung und Ermächtigung der Bundeswehrverwaltung zu Eingriffen in Rechte Dritter 20. Artikel 87b Abs. 2 Satz 1 Bundeswehr-, Wehrersatz- und Zivilschutzverwaltung in bundeseigener oder in Auftragsverwaltung 21. Artikel 87b Abs. 2 Satz 2 Übertragung von Bundesaufsichtsbefugnissen auf Bundesoberbehörden und Befreiung des Erlasses von Verwaltungsvorschriften von der Zustimmungsbedürftigkeit 22. Artikel 87c Auftragsverwaltung für Kernenergie 23. Artikel 87d Abs. 2 Auftragsverwaltung für Luftverkehr 24. Artikel 87e Abs. 5 Auflösung, Verschmelzung und Aufspaltung von Bundeseisenbahnunternehmen , Übertragung und Stilllegung von Schienenwegen, Schienenpersonennahverkehr 25. Artikel 87f Abs. 1 Gewährleistung von Post- und Telekommunikationsdienstleistungen 26. Artikel 91a Abs. 2 Bestimmung und Koordinierung der Gemeinschaftsaufgaben 27. Artikel 91c Abs. 4 Verbindung der informationstechnischen Netze des Bundes und der Länder 28. Artikel 96 Abs. 5 Ausübung der Bundesgerichtsbarkeit für Völkerstraftaten durch die Länder 29. Artikel 104a Abs. 3 Zweckausgaben, die von den Ländern zu tragen sind 30. Artikel 104a Abs. 5 Tragung der Verwaltungsausgaben und Haftung 31. Artikel 104a Abs. 6 Lastentragung bei Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands 32. Artikel 104b Abs. 2 Finanzhilfe des Bundes 33. Artikel 105 Abs. 3 Landes- und Gemeinschaftssteuern 34. Artikel 106 Abs. 3 Verteilung der Anteile an der Umsatzsteuer 35. Artikel 106 Abs. 4 Ausgleich von Mehrbelastungen der Länder durch Finanzzuweisungen des Bundes 36. Artikel 106 Abs. 5 Gemeindeanteil an der Einkommensteuer 37. Artikel 106 Abs. 5a Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer 38. Artikel 106 Abs. 6 Gewerbesteuerumlage Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 250/11 Seite 6 39. Artikel 106a Steuerzuschuss für öffentlichen Personennahverkehr 40. Artikel 106b Länderanteil an der Kraftfahrzeugsteuer 41. Artikel 107 Abs. 1 Finanzausgleich 42. Artikel 108 Abs. 2, 4 und 5 Finanzverwaltung 43. Artikel 109 Abs. 4 Haushaltsgrundsätze 44. Artikel 109 Abs. 5 Aufteilung der Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft auf Bund und Länder 45. Artikel 109a Vermeidung von Haushaltsnotlagen 46. Artikel 115c Gesetzgebung im Verteidigungsfall 47. Artikel 115k Abs. 3 Überleitung von Gesetzen des Verteidigungsfalles 48. Artikel 115l Aufhebung von Gesetzen des Gemeinsamen Ausschusses 49. Artikel 120a Abs. 1 Lastenausgleich 50. Artikel 134 Abs. 4 Rechtsnachfolge in das Reichsvermögen 51. Artikel 135 Abs. 5 Rechtsnachfolge nicht mehr bestehender Länder und Körperschaften 52. Artikel 135a Alte Verbindlichkeiten 53. Artikel 143a Abs. 3 Eisenbahnverkehrsverwaltung 54. Artikel 143b Abs. 2 Umwandlung der Deutschen Bundespost 55. Artikel 143c Abs. 4 Übergangsvorschriften wegen des Wegfalls von Finanzhilfen des Bundes 56. Artikel 143d Übergangsvorschriften im Rahmen der Konsolidierungshilfen 2.1. Zustimmungsbedürftigkeit einer Regelung zum Schienenbonus Die 16. BImSchV wurde auf Grundlage des § 43 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erlassen, der ausdrücklich eine Zustimmung des Bundesrates vorsieht. Eine gesetzliche Regelung zum Schienenbonus fiele jedoch unter keinen der o.g. Zustimmungstatbestände des Grundgesetzes. In Betracht käme daher allenfalls eine Zustimmungsbedürftigkeit unter dem Aspekt der Überführung einer zustimmungsbedürftigen Regelung aus einer Rechtsverordnung in ein Gesetz. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 250/11 Seite 7 Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jedoch in einer Entscheidung zum Beitragssicherungsgesetz ausdrücklich abgelehnt.5 Danach bedürfen gesetzliche Regelungen nicht bereits deshalb der Zustimmung, weil sie zuvor durch (zustimmungsbedürftige) Rechtsverordnung geregelt waren. Vielmehr ist die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes, dessen Inhalt auch auf Grund einer bestehenden Ermächtigungsgrundlage als Verordnung hätte ergehen können, allein nach den Regeln über die Zustimmungsbedürftigkeit förmlicher Gesetze zu beurteilen. Zudem begebe sich der parlamentarische Gesetzgeber durch eine Verordnungsermächtigung nicht seiner Regelungskompetenz ; er bleibe weiter regelungsbefugt und behalte sein Zugriffsrecht auf die von der Verordnungsermächtigung umfasste Materie.6 3. Ergebnis Der Gesetzgeber könnte eine Regelung zum Schienenbonus in das BImSchG überführen, ohne dass dies der Zustimmung des Bundesrates bedürfte. 5 BVerfGE 114, 196 ff; a.A. Lenz, Die Umgehung des Bundesrats bei der Verordnungsänderung durch Parlamentsgesetz , NVwZ 2006, 296, 297. 6 BVerfGE 114, 196, 231 ff.