© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 249/20 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Online-Parteitagen und elektronischen Abstimmungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 249/20 Seite 2 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Online-Parteitagen und elektronischen Abstimmungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 249/20 Abschluss der Arbeit: 28. Oktober 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 249/20 Seite 3 1. Fragestellung und Ergebnis Die Ausarbeitung untersucht die rechtliche Zulässigkeit von Online-Parteitagen und dabei durchgeführten elektronischen Abstimmungen. Im Ergebnis lassen sich folgende Erkenntnisse festhalten: – Verfassungsrechtlich unproblematisch dürften Online-Parteitage sein, die ohne Abstimmungen auskommen. – Auch Online-Parteitage, bei denen Abstimmungen durchgeführt werden, können unter bestimmten Umständen verfassungsrechtlich zulässig sein. Das Bundesverfassungsgericht geht vom Leitbild der Urnenwahl aus. Es hält den Einsatz elektronischer Wahlverfahren aber für verfassungsgemäß, sofern die technischen Voraussetzungen die Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze ermöglichen. In der Literatur wird angemerkt, dass die Wahlrechtsgrundsätze nach Art. 38 Abs. 1 GG im vollen Umfang ohnehin nur für parlamentarische Wahlen gölten, für andere Wahlen – wie etwa parteiinterne – hingegen nur in abgeschwächter Form. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber auch in engen Grenzen Wahlrechtsgrundsätze einschränken könne, wenn dies anderen Wahlrechtsgrundsätzen , etwa der Allgemeinheit der Wahl, diene. 2. Zulässigkeit von Online-Parteitagen und elektronischen Abstimmungen Im Vereinsrecht wird eine Online-Versammlung weitgehend als rechtskonforme Alternative zur Präsenzversammlung angesehen. Ein Verein kann durch seine Satzung regeln, dass seine Mitgliederversammlung online durchgeführt werden kann.1 Eine Übertragung vereinsrechtlicher Regelungen auf Parteien ist zwar im Grundsatz zulässig, es müssen aber parteienrechtliche Besonderheiten beachtet werden, die sich vor allem aus dem Parteiengesetz und Art. 21 GG ergeben.2 Nach Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG muss die innere Ordnung von Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen. Aus diesem verfassungsrechtlichen Gebot der innerparteilichen Demokratie folgen Mindestanforderungen an die Binnenverfassung, die zwingend zu berücksichtigen sind. Die §§ 8 und 9 Parteiengesetz bestimmen den Parteitag als das zentrale Organ einer Partei. Es dürfte der überwiegenden Ansicht entsprechen, dass es den Parteien grundsätzlich möglich ist, Online-Parteitage, die ohne Abstimmungen auskommen, die also nur der Diskussion bzw. der Vorbereitung auf einen späteren Präsenzparteitag dienen, abzuhalten.3 Der Wortlaut der §§ 8 und 9 Parteiengesetz, der von „Versammlung“ spricht, deutet zwar grundsätzlich auf eine körperliche Zusammenkunft hin.4 Gegen dieses enge Verständnis des Wortlauts wird allerdings eingewandt, 1 OLG Hamm, Beschluss vom 27. September 9.2011, 27 W 106/11, NJW 2012, 940. 2 Siehe bereits die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, Online-Parteitage, WD 3 - 3000 - 178/20, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/412750/5df6998bf0f8908abeafb90ef17e9bea/WD-3-327-11-pdf-data.pdf. 3 Siehe zur allgemeinen Zulässigkeit von Online-Parteitagen die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, Online-Parteitage, WD 3 - 3000 - 178/20, abrufbar unter https://www.bundestag .de/resource/blob/412750/5df6998bf0f8908abeafb90ef17e9bea/WD-3-327-11-pdf-data.pdf. 4 Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 249/20 Seite 4 der Gesetzgeber habe bei der Einführung des Parteiengesetzes im Jahr 1967 noch keine anderen Instrumente für den innerparteilichen Diskurs kennen können. Bei der Auslegung der Normen müsse daher der technische Fortschritt einbezogen werden.5 Der Zweck der entsprechenden Normen des Parteiengesetzes, nämlich der gegenseitige Austausch der Parteimitglieder, lasse sich auch durch elektronische Möglichkeiten einhalten.6 Umstritten ist die Möglichkeit eines Online-Parteitages, bei dem Abstimmungen stattfinden. Das Problem wird in der Literatur vor allem in Bezug auf Parteitage, die der Aufstellung von Kandidaten für Wahlen dienen, diskutiert. Die Aufstellung der Wahlkreisbewerber ist in § 17 Parteiengesetz und § 21 Bundeswahlgesetz geregelt. Für die Aufstellung der Landeslisten gelten die Regelungen des § 21 Bundeswahlgesetz entsprechend (§ 27 Abs. 5 Bundeswahlgesetz). Danach muss – den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG entsprechend – eine parteiinterne Wahl demokratischen Grundsätzen genügen. Zum Teil wird die Durchführung eines Online-Parteitags zur Kandidatenaufstellung unter Bezug auf das einfache Recht vollständig abgelehnt. § 21 Bundeswahlgesetz mache deutlich, dass die Aufstellung der Bewerber in einer Versammlung mit Vorstellung der Kandidaten sowie mit Rede und Gegenrede stattfinden müsse.7 In der Literatur wird aber auch vertreten, dass Online-Parteitage und elektronische Abstimmungen bereits der geltenden Rechtslage nach dem Parteien- bzw. Bundeswahlgesetz entsprächen, sodass nur Satzungsänderungen der Parteien erforderlich seien.8 Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dürfte allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit in jedem Fall angezeigt sein. Dies gilt insbesondere, wenn der Gesetzgeber Wahlrechtsgrundsätze einschränkt. In bestimmtem Umfang sehen aktuelle, zeitlich begrenzte Rechtsänderungen, die zum Teil noch nicht in Kraft getreten sind (siehe dazu unter 3.), bereits elektronische Verfahren für Parteitage vor oder lassen diese im Wege der Rechtsverordnung zu. Überwiegend wird das Problem bei der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer elektronischen Abstimmung verortet, die in Bezug auf die Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 GG) problematisiert wird. In den Mittelpunkt wird insbesondere der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl gestellt. Von grundlegender Bedeutung dafür ist die „Wahlcomputer-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hat im Jahr 2009 den Einsatz bestimmter elektronischer Wahlgeräte für verfassungswidrig erklärt.9 Zur Begründung verwies das Gericht auf den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, der gebiete, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterlägen.10 Dabei komme der Kontrolle der Wahlhandlung und der Ermittlung des Wahlergebnisses eine besondere Bedeutung zu. Ein Wahlverfahren, in dem der Wähler nicht zuverlässig nachvollziehen könne, ob seine Stimme unverfälscht erfasst und in die Ermittlung des 5 Sadowski, Von der visuellen zur virtuellen Partei, in: MIP 2008/2009, 60 (64) 6 Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646). 7 Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 16. 8 Von Notz, Liquid Democracy, 1. Aufl. 2020, S. 276; Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646). 9 BVerfGE 123, 39. 10 BVerfGE 123, 39 (70). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 249/20 Seite 5 Wahlergebnisses einbezogen werde und wie die insgesamt abgegebenen Stimmen zugeordnet und gezählt würden, schließe zentrale Verfahrensbestandteile der Wahl von der öffentlichen Kontrolle aus und genüge daher nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.11 2.1. Technische Voraussetzungen für elektronische Wahlverfahren Das Bundesverfassungsgericht hat den Einsatz elektronischer Verfahren bei Wahlen nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern in bestimmten Grenzen erlaubt.12 Bei der Verwendung elektronischer Wahlgeräte müssten die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Wähler zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können. Der Gesetzgeber dürfte elektronische Wahlgeräte einsetzen, wenn die Möglichkeit einer zuverlässigen „Richtigkeitskontrolle “ gegeben sei. Es genüge dafür nicht, wenn der Wähler nur durch eine elektronische Anzeige darüber informiert werde, dass seine Stimme erfasst worden sei. Daraus folge, dass die Stimmen nach der Abgabe nicht ausschließlich auf einem elektronischen Speicher abgelegt werden dürften. Denkbar seien Wahlgeräte, bei denen die Stimmen neben der elektronischen Speicherung auch anderweitig erfasst würden, beispielsweise solche Geräte, die zusätzlich zur elektronischen Erfassung ein für den Wähler sichtbares Papierprotokoll ausdruckten, das vor der endgültigen Stimmabgabe überprüft werden könne und anschließend zur Ermöglichung der Nachprüfbarkeit aufbewahrt werden könne. Eine weitere Möglichkeit sei beispielsweise ein System, bei dem ein Stimmzettel ausgefüllt wird und die getroffene Entscheidung gleichzeitig oder nachträglich elektronisch erfasst werde, etwa mittels eines Stimmzettel-Scanners. Das Gericht betonte, dass es die Frage, ob es noch andere geeignete technische Möglichkeiten gebe, offen lasse. In der Literatur wird von mehreren Stimmen betont, dass ein Online-Parteitag mit elektronischer Stimmabgabe bei entsprechenden technischen Möglichkeiten zulässig wäre.13 Es müsse sichergestellt werden, dass alle Delegierten „über einen geeigneten Internet-Zugang verfügen, mit der zu verwendenden Software vertraut sind und die Software eine den Grundsätzen der geheimen Abstimmung genügende Technik enthält“.14 11 BVerfGE 123, 39 (70). 12 Siehe zum Folgenden BVerfGE 123, 39 (71 ff.). 13 Kluth, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, 44. Edition Stand: 15.8.2020, Art. 21 Rn. 163; Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646); Von Notz, Liquid Democracy, 1. Aufl. 2020, S. 226 ff., 264 ff.; Kersten/Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, 1. Aufl. 2020, S. 98 14 Kluth, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, 44. Edition Stand: 15.8.2020, Art. 21 Rn. 163. Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 249/20 Seite 6 In Bezug auf die Öffentlichkeit der Wahl (dazu 2.2.) wird betont, dass „ein Mindestmaß an Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit der wesentlichen Wahlschritte, vor allem der Ergebnisermittlung “ verlangt werden müsse.15 Vorgeschlagen wird etwa der Einsatz der sog. Blockchain- Technologie, mit der sich die Erfassung und Auswertung der Stimmen nachvollziehen lasse.16 2.2. Einschränkbarkeit der Wahlrechtsgrundsätze In Bezug auf die „Wahlcomputer-Entscheidung“ wird in der Literatur angemerkt, dass die Wahlrechtsgrundsätze nach Art. 38 Abs. 1 GG im vollen Umfang nur für parlamentarische Wahlen gölten, für andere Wahlen – wie etwa parteiinterne – hingegen nur in abgeschwächter Form.17 Das Bundesverfassungsgericht hat zudem in der Entscheidung darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber bei der Konkretisierung der Wahlrechtsgrundsätze ein Entscheidungsspielraum zustehe, innerhalb dessen er entscheiden müsse, „ob und inwieweit Abweichungen von einzelnen Wahlrechtsgrundsätzen im Interesse der Einheitlichkeit des ganzen Wahlsystems und zur Sicherung der mit ihm verfolgten staatspolitischen Ziele gerechtfertigt sind [...].“18 So könne der Gesetzgeber in begrenztem Umfang Ausnahmen vom Grundsatz der Öffentlichkeit zulassen, um anderen verfassungsrechtlichen Belangen, insbesondere den anderen Wahlrechtsgrundsätzen, Geltung zu verschaffen. Als Beispiel führt das Gericht an, dass sich bei der Briefwahl eine Beschränkung der öffentlichen Kontrolle der Stimmabgabe mit dem Ziel begründen ließe, eine möglichst umfangreiche Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen.19 Daraus wird in der Literatur zum Teil abgeleitet, dass generell eine unterschiedliche Gewichtung der Wahlrechtsgrundsätze möglich sei, wenn sie das Ziel habe, dass möglichst viele an der Wahl teilnehmen könnten: „Der Gesetzgeber und die Parteien können es im Parteiengesetz und in den Parteisatzungen stärker gewichten, dass eine möglichst große Zahl von Parteimitgliedern an Wahlen teilnehmen kann und dafür Einbußen an der Transparenz des Wahlprozederes in Kauf nehmen.“20 15 Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646). 16 Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646) Eine Erklärung der Blockchain-Technologie in Bezug auf Wahlverfahren findet sich bei Lukan, Europawahlen vom Wohnzimmer aus? Rechtlicher Rahmen für Distanzwahlen durch Blockchain- und andere E-Votingverfahren bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in Deutschland und Österreich, in: EuR 2019, 222 (224). 17 Vgl. Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646); Roßner/Gierling, Sind virtuelle Parteitage und Kandidatenaufstellungen undemokratisch?, Legal Tribune Online, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-parteitag-kommunalwahl-kandidatenaufstellung-wahlen-demokratie -vereinsrecht/. Vgl. zur eingeschränkten Wirkung außerhalb parlamentarischer Wahlen Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Band IV/2, 1. Aufl. 2011, S. 185. 18 BVerfGE 123, 39 (71). 19 BVerfGE 123, 39 (75). 20 Roßner/Gierling, Sind virtuelle Parteitage und Kandidatenaufstellungen undemokratisch?, Legal Tribune Online, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-parteitag-kommunalwahl-kandidatenaufstellung -wahlen-demokratie-vereinsrecht/. Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 249/20 Seite 7 3. Aktuelle zeitlich begrenzte Rechtsänderungen Mit § 5 Abs. 2, Abs. 3 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins -, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID- 19-Pandemie (COVMG)21 wurden für Vereine und Stiftungen Abweichungen vom Vereins- und Satzungsrecht zur Durchführung der vereinsrechtlichen Mitgliederversammlung (§ 32 BGB) zugelassen . Danach soll unter anderem die Teilnahme ohne Anwesenheit am Versammlungsort und die Ausübung der Mitgliederrechte im Wege elektronischer Kommunikation zulässig sein. Diese Sonderregel ist nach § 7 Abs. 5 COVMG nur auf im Jahr 2020 stattfindende Mitgliederversammlungen anzuwenden. Gemäß einer kürzlich beschlossenen, aber noch nicht in Kraft getretenen Änderung des COVMG ist die Sonderregel auch auf Mitglieder- und Vertreterversammlungen der Parteien und ihrer Gliederungen sowie ihrer sonstigen Organe entsprechend anwendbar.22 Dies gilt allerdings nicht für die Beschlussfassung über die Satzung und die Schlussabstimmung bei Wahlen nach § 9 Abs. 4 des Parteiengesetzes (unter anderem Vorstandwahlen). Abweichungen vom regulären Verfahren zur Aufstellung von Wahlbewerbern können in Zukunft gegebenenfalls aufgrund einer Rechtsverordnung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) möglich sein. Nach einem neu eingefügten § 52 Abs. 4 S. 1 Bundeswahlgesetz, der bereits beschlossen, aber noch nicht in Kraft getreten ist, soll das BMI ermächtigt werden, im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages von den Bestimmungen über die Aufstellung von Wahlbewerbern abweichende Regelungen zu treffen und Abweichungen der Parteien von entgegenstehenden Bestimmungen ihrer Satzungen zuzulassen, um die Benennung von Wahlbewerbern ohne Versammlungen , soweit erforderlich, zu ermöglichen, wenn der Deutsche Bundestag zu einem Zeitpunkt , der näher als neun Monate vor dem Beginn des nach Art. 39 Abs. 1 S. 3 des Grundgesetzes bestimmten Zeitraums liegt, feststellt, dass die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist.23 Stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Deutschen Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlussfähig, so entscheidet der nach § 3 des Wahlprüfungsgesetzes gebildete Ausschuss des Deutschen Bundestages über die Feststellung und die Zustimmung nach Satz 1 (§ 52 Abs. 4 S. 2 BWG n.F.). 21 Gesetz vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 569, 570). 22 Art. 2 Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts -, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19- Pandemie, Gesetzesbeschluss vom 9.10.2020, BR-Drs. 594/20; noch nicht in Kraft. 23 Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 9.10.2020 (Fn. 23), BR-Drs. 594/20, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 249/20 Seite 8 In § 52 Abs. 4 S. 3 BWG n.F. werden mögliche Inhalte der Rechtsverordnung beispielhaft aufgeführt . Danach kann die Rechtsverordnung beispielsweise Abweichungen vom Bundeswahlgesetz vorsehen, „3. um die Wahrnehmung des Vorschlagsrechts, des Vorstellungsrechts und der sonstigen Mitgliederrechte mit Ausnahme der Schlussabstimmung über einen Wahlvorschlag ausschließlich oder zusätzlich im Wege elektronischer Kommunikation ermöglichen zu können“ und „4. um die Wahl von Wahlbewerbern und Vertretern für die Vertreterversammlungen im Wege der Briefwahl oder einer Kombination aus Urnenwahl und Briefwahl durchführen zu können.“24 Anders als die oben aufgeführten Literaturstimmen geht der Innenausschuss des Bundestages in seiner Beschlussempfehlung davon aus, dass jedenfalls eine elektronische Schlussabstimmung bei innerparteilichen Wahlen verfassungsrechtlich unzulässig sei.25 Zur Begründung wird auf die Notwendigkeit der Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze verwiesen. Elektronische Verfahren könnten aber „zur Vorermittlung, Sammlung und Vorauswahl der Bewerber genutzt werden, das heißt im Vorfeld zur eigentlichen [...] Abstimmung der Stimmberechtigten über die Kandidaturen.“26 Die eigentliche Wahl müsse auf konventionellem Wege, notfalls durch Briefwahl, durchgeführt werden. *** 24 Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 9.10.2020 (Fn. 23), BR-Drs. 594/20, S. 2. Hervorhebung nur hier. 25 BT-Drs. 19/23197, S.16. 26 Ähnlich zur Möglichkeit eines elektronischen Vorverfahrens bereits die Begründung zum Gesetzentwurf zur Änderung des BWG in BT-Drs. 19/20596, S. 6.