Deutscher Bundestag Mandatsbezogenheit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 248/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 248/10 Seite 2 Mandatsbezogenheit Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 248/10 Abschluss der Arbeit: 17. Juni 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 248/10 Seite 3 1. Fragestellung Gilt es als mandatsbezogen, wenn ein Abgeordneter als Gewerkschafter und Bundestagsabgeordneter vergütet an einer Aufsichtsratssitzung teilnimmt oder als Bundestagsabgeordneter vergütet einen politischen Vortrag hält? 2. Tätigkeitssphären von Abgeordneten Abgeordnete haben einen besonderen verfassungsrechtlichen Status: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Diese Regelung wird von § 13 Abs. 1 GO-BT aufgenommen, wonach jedes Mitglied des Bundestages bei seinen Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen folgt. Welche Tätigkeiten eines Abgeordneten zur Ausübung seines Mandats gehören, wird im Grundgesetz nicht konkretisiert. Allgemein sind Abstimmungen und Äußerungen im Bundestag in Art. 46 Abs. 1 S. 1 GG angesprochen. Aus dem Abgeordnetengesetz (AbgG) folgt, dass es jedenfalls zwei Sphären gibt, in denen ein Abgeordneter tätig werden kann. Zum einen kann er in Ausübung seines Mandats (z.B. §§ 12 Abs. 2 Nr. 3; 16 Abs. 1 S. 2; 44a Abs. 1 S. 1 AbgG) handeln, zum anderen Tätigkeiten neben seinem Mandat (§ 44a Abs. 1 S. 2 AbgG) wahrnehmen. 2.1. Tätigkeiten in Ausübung des Mandats Die Wendung „in Ausübung des Mandats“ dürfte begrifflich alle Tätigkeiten erfassen, die aus dem Abgeordnetenstatus folgen bzw. hiermit zusammenhängen. Dies gilt etwa für die in § 13 Abs. 1 GO-BT genannten Tätigkeiten des Abgeordneten im Bundestag (Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sogenannten Diäten- Urteil den Umfang der Inanspruchnahme eines Abgeordneten durch sein Mandat beschrieben und verschiedene Tätigkeiten aufgezählt.1 Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Er wird im Parlament durch Plenar- und Ausschusssitzungen, in Fraktion und Partei durch Sitzungen und Arbeiten sowie im Wahlkreis durch Veranstaltungen der verschiedensten Art, nicht zuletzt durch Wahlvorbereitungen und Wahlversammlungen in Anspruch genommen.“ Zur Ausübung des Mandats zählt ferner die Arbeit in Gremien, in die ein Abgeordneter vom Bundestag entsandt wurde (z.B. Richterwahlausschuss, Rundfunkrat der Deutschen Welle). Eine abschließende Interpretation der Wendung „in Ausübung des Mandats“ bzw. die Erarbeitung einer enumerativen Liste mandatsbezogener Tätigkeiten ist mit Blick auf das verfassungsrechtlich gewährleistete freie Mandat nicht möglich. 1 BVerfGE 40, 296 (312), Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 248/10 Seite 4 2.2. Tätigkeiten neben dem Mandat Hiervon sind Tätigkeiten neben dem Mandat abzugrenzen. Diese sind nach § 44a Abs. 1 S. 2 AbgG grundsätzlich zulässig.2 Bestimmte Tätigkeiten neben dem Mandat sind nach Maßgabe der §§ 44a Abs. 4 S. 1, 44b AbgG sowie der danach beschlossenen Verhaltensregeln anzuzeigen. Aus dem Umstand, dass ein Abgeordneter für eine Tätigkeit eine Vergütung erhält, folgt jedoch nicht zwingend, dass es sich hierbei um eine Tätigkeit neben dem Mandat handelt. Auch für diese Tätigkeiten muss anhand inhaltlicher Kriterien festgestellt werden, ob es sich um Tätigkeiten neben dem Mandat oder in Ausübung des Mandats handelt. Der Begriff Tätigkeiten neben dem Mandat dürfte Tätigkeiten umfassen, bei denen ein Abgeordneter funktional nicht als Abgeordneter handelt. Bei Tätigkeiten, die ein Abgeordneter bereits vor seiner Mitgliedschaft im Bundestag wahrgenommen hat und diese nun weiterführt, dürfte regelmäßig anzunehmen sein, dass er diese nicht in seiner Funktion als Abgeordneter sondern daher neben dem Mandat ausübt. Ein Beispiel hierfür ist die Fortsetzung einer Tätigkeit als Rechtsanwalt. Bei Handlungen, die ein Abgeordneter in Ausübung dieser Tätigkeit durchführt, wird er wie jeder andere Rechtsanwalt und nicht in seiner Funktion als Abgeordneter tätig. Vergleichbares dürfte auch für den Fall gelten, dass ein Abgeordneter vor seiner Mitgliedschaft im Bundestag bereits Mitglied in einem Aufsichtsrat o.ä. war und diese Mitgliedschaft während des Mandats fortbesteht. Für die Tätigkeiten, die ein Abgeordneter erst nach Beginn seiner Mitgliedschaft im Bundestag übernimmt, dürfte die Feststellung, dass kein Mandatsbezug besteht, schwierig sein und auf die Umstände des Einzelfalls ankommen. Schließlich dürfte gerade der Status als Abgeordneter für die Übernahme bestimmter Tätigkeiten mit ursächlich sein. Ein Beispiel hierfür ist der Vortrag zu einem politischen Thema. Einen derartigen Vortrag können zwar sowohl Abgeordnete als auch Wissenschaftler und Journalisten halten. Für einen Abgeordneten dürfte ein derartiger Vortrag jedoch regelmäßig zur Ausübung seines Mandats gehören, da er in seiner Funktion als Abgeordneter über das politische Geschehen informiert. 2.3. Einschätzungsprärogative des Abgeordneten Wie die Sphären voneinander abzugrenzen sind, ist im Einzelnen durchaus schwierig. Literatur und Rechtsprechung sind zu dieser Frage nicht ergiebig. Auch mithilfe der Rechtsvergleichung (Abgeordnetengesetze der Länder) ließen sich keine relevanten Erkenntnisse gewinnen. Aus § 44a Abs. 1 S. 1 AbgG folgt lediglich, dass die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Abgeordneten steht.3 Damit soll die Wertigkeit verdeutlicht werden, die der Ver- 2 Vgl. zur Vorgängerregelung Braun, Werner/Jantsch, Monika/Klante, Elisabeth, Abgeordnetengesetz, 2002, S. 408 ff.; zur Neufassung des § 44a AbgG und den Verhaltensregeln Kässner, Anne, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, 2010. 3 Diese sogenannte Mittelpunktregelung ist nach dem Urteil des BVerfG zur Offenlegung der Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten verfassungskonform, BVerfGE 118, 277 – 401. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 248/10 Seite 5 tretung des Volkes zukommt.4 Die Arbeit des Parlaments soll ausdrücklich Vorrang vor mandatsfremden Interessen einzelner Abgeordneter haben.5 In diesem Sinne statuiert § 13 Abs. 2 S. 1 GO- BT eine Pflicht zur Teilnahme an den Arbeiten des Deutschen Bundestages. Es dürfte in erster Linie Aufgabe des Abgeordneten sein, eine bestimmte Tätigkeit einer bestimmten Sphäre zuzuordnen. Diese Einschätzungsprärogative folgt aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Das freie Mandat umfasst u.a. die Freiheit, über die Art und Weise der Mandatsausübung zu entscheiden , bspw. darüber, ob und wie intensiv ein Abgeordneter sich bestimmten politischen Themen bzw. Bürgeranliegen widmet. Bei der Zuordnung einzelner Tätigkeiten zur mandatsbezogenen Sphäre, z.B. für die Abrechnung von Mandatsreisen nach § 16 Abs. 1 AbgG, hat der Abgeordnete freilich zu berücksichtigen, dass bestimmte Tätigkeiten dieser Sphäre aus rechtlichen Gründen nicht zugeordnet werden dürfen. Zu denken ist etwa an Tätigkeiten, bei denen ein Abgeordneter einem Regelwerk unterworfen ist, nach dem er bei seinen Entscheidungen nicht frei und ausschließlich seinem Gewissen unterworfen ist, sondern sich an anderen (z.B. wirtschaftlichen oder religiösen) Gesichtspunkten zu orientieren hat. Ebenso wenig können rein private Tätigkeiten, z.B. ein Geburtstagbesuch bei Verwandten , der Mandatssphäre zugeordnet werden. Mit Blick auf die Problematik der Mandatsreisen ist anzumerken, dass dem Präsidenten bzw. in dessen Auftrag der Bundestagsverwaltung aufgrund der Einschätzungsprärogative der Abgeordneten im Rahmen des freien Mandats bei der Kostenerstattung von Mandatsreisen nach § 16 AbgG, solange keine besonderen Anhaltspunkte vorliegen, keine weitergehende Prüfungsverpflichtung zukommt, als von den Abgeordneten eine Erklärung zu verlangen, dass die zur Kostenerstattung eingereichte Reise in Ausübung des Mandats erfolgt ist. Mandatsbezogenheit wird auch in den Mischfällen zu bejahen sein, in denen ein Abgeordneter im Rahmen einer Reise verschiedene Termine wahrnimmt, von denen er jedenfalls bei einem in Ausübung des Mandats tätig wird. 3. Vergütung Sofern für eine Tätigkeit in Ausübung des Mandats eine Vergütung gezahlt wird, ist die Regelung des § 44a Abs. 2 AbgG zu beachten. Nach § 44a Abs. 2 S. 1 AbgG darf ein Abgeordneter für die Ausübung seines Mandats keine anderen als die gesetzlich vorgesehenen Zuwendungen oder anderen Vermögensvorteile annehmen. § 44a Abs. 2 S. 2 AbgG wird im folgenden Satz durch ein Beispiel konkretisiert. Danach ist insbesondere die Annahme von Vermögensvorteilen unzulässig, die in Erwartung einer Vertretung und Durchsetzung von Interessen geleistet wurden (sog. Interessentenzahlungen). Eine weitere Konkretisierung des Verbots aus § 44a Abs. 2 S. 1 AbgG folgt in § 44a Abs. 2 S. 3 AbgG, wonach 4 BT-Drs. 15/5671, S. 5. 5 BVerfGE 118, 277 (336). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 248/10 Seite 6 die Annahme von Vermögensvorteilen, die ohne angemessene Gegenleistung des Abgeordneten gewährt werden (sog. arbeitsloses Einkommen), unzulässig ist. 4. Ergebnis Die Feststellung, ob eine Tätigkeit Mandatsbezug aufweist, kann im Einzelfall schwierig sein. Politische Vorträge eines Abgeordneten dürften regelmäßig in Ausübung seines Mandats erfolgen , die Mitgliedschaft in einem Aufsichtsrat, sofern diese bereits vor der Mitgliedschaft im Bundestag bestand, dürfte hingegen im Regelfall eine Tätigkeit neben dem Mandat sein. Für Tätigkeiten , die ein Abgeordneter nach Beginn seiner Mitgliedschaft im Bundestag übernimmt, ist die Feststellung, dass diese keinen Mandatsbezug aufweisen, schwierig, da regelmäßig der Status als Abgeordneter mit ursächlich für die Übernahme der Tätigkeit sein dürfte. Sofern für eine Tätigkeit in Ausübung des Mandats eine Vergütung gezahlt wird, ist die Regelung des § 44a Abs. 2 AbgG zu beachten.