Vom BMI in Auftrag gegebenes Gutachten zu Fragen der Beschränkung des Familiennachzugs - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 3 - 248/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Vom BMI in Auftrag gegebenes Gutachten zu Fragen der Beschränkung des Familiennachzugs Ausarbeitung WD 3 - 248/06 Abschluss der Arbeit: 06.07.2006 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Das von Prof. Dr. Christian Hillgruber im Auftrage des Bundesministeriums des Innern erstellte Gutachten vom 22.03.2006 zu Fragen der Beschränkung des Ehegattennachzugs ist an mehreren Stellen diskussionswürdig. Hervorzuheben sind die nicht ausreichende Berücksichtigung der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Familiennachzug sowie die durchgängig im Gutachten zu findenden – und teilweise sogar untereinander abweichenden – Vermutungen über die Zahl von Zwangsehen, die statistisch nicht zu belegen sind. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Wesentliche Argumentation des Gutachtens 5 2.1. Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Festsetzung eines Mindestalters beider Ehegatten für den Ehegattennachzug 5 2.1.1. Alter von 21 Jahren als Nachzugsvoraussetzung bei rein ausländischer Ehe (Drittstaater) 6 2.1.1.1. Eignung 6 2.1.1.2. Erforderlichkeit 6 2.1.1.3. Angemessenheit 8 2.1.1.3.1. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und Anwendbarkeit auf die geplante Regelung des Referentenentwurfs 9 2.1.1.3.2. Wesentliche Gegenargumente des Gutachtens 10 2.1.2. Alter von 21 Jahren als Nachzugsvoraussetzung bei deutschausländischer Ehe 13 2.2. Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Festsetzung von Sprachkenntnissen als Voraussetzung für den Ehegattennachzug 15 2.2.1. Sprachkenntnisse als Nachzugsvoraussetzung bei rein ausländischer Ehe (Drittstaater) 15 2.2.2. Sprachkenntnisse als Nachzugsvoraussetzung bei deutschausländischer Ehe 17 3. Anzahl von Zwangsehen im Rahmen des Ehegattennachzugs bei Drittstaatern und Deutschen 19 3.1. Statistisches Material zu Zwangsehen in Deutschland und Schätzungen des Gutachtens 19 3.2. Rückschlüsse aus den Zahlen des Ehegatten- und Familiennachzugs von Drittstaatsangehörigen 21 3.3. Ehen zwischen Deutschen und Ausländern 22 - 4 - 1. Einleitung Gegenstand der Ausarbeitung ist das von Prof. Dr. Christian Hillgruber im Auftrag des Bundesministeriums des Innern (BMI) erstellte Gutachten vom 22.03.2006 zu Fragen der Beschränkung des Familiennachzugs (im Folgenden: Gutachten). Das BMI plant laut eines Referentenentwurfs u. a. folgende Verschärfung der Bestimmungen des Ehegattennachzugs von Drittstaatsangehörigen in Deutschland:1 - Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis erst zu erteilen, wenn er und der Ausländer das 21. Lebensjahr vollendet haben. Ausnahmen sollen nur zur Vermeidung einer besonderen Härte möglich sein. Mit dieser Regelung sollen Zwangsehen verhindert werden. - Ferner soll einem ausländischen Ehegatten der Nachzug erst dann gestattet werden, wenn er sich vor der Einreise in das Bundesgebiet zumindest auf einfache Weise in deutscher Sprache verständigen kann. Mit dieser Bestimmung soll vor allem die Integrationsfähigkeit erhöht werden. - Diese Regelungen sollen entsprechend auch für den Ehegattennachzug von Drittstaatsangehörigen zu Deutschen gelten. Vor dem Hintergrund der von verschiedenen Seiten geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken an diesen Regelungen2 kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass weder eine Heraufsetzung des Alters auf 21 Jahre noch Sprachkenntnisse als Voraussetzung für den Ehegattennachzug grundsätzlich gegen das Grundgesetz verstoßen würden. Im Hinblick auf die Sprachkenntnisse sei jedoch eine Härtefallklausel erforderlich. Nachfolgend werden die wesentlichen juristischen Argumente des Gutachtens untersucht . Dabei muss im Vorfeld betont werden, dass insbesondere bei juristischen Auslegungs - und Bewertungsfragen naturgemäß unterschiedliche Positionen möglich und vertretbar sind. Darüber hinaus stützt sich das Gutachten an verschiedenen Kernstellen auf die Behauptung , die Anzahl von Zwangsehen im Rahmen des Ehegattennachzugs von Drittstaatern sei im Verhältnis zu echten Ehen sehr hoch, wenn nicht sogar überwiegend. Dies gelte 1 Art. 1 Nr. 17 und Nr. 19 Buchst. a) des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts - und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union; zu den Details siehe das Gutachten, S. 3 f. 2 S. beispielsweise Berliner Zeitung vom 20.06.2006, „Besserer Schutz für Opfer von Zwangsehen“; vgl. auch die Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste WD 3 (frühere Bezeichnung: WF III G) 016/06, 059/06 und 100/06. - 5 - auch bei deutsch-ausländischen Ehen. Da es sich hierbei nicht um eine juristische Argumentation im eigentlichen Sinne, sondern um eine Tatsachenbehauptung handelt, wird darauf in einem besonderen Abschnitt (Punkt 3) näher eingegangen. 2. Wesentliche Argumentation des Gutachtens Der Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung des Gutachtens liegt auf der Frage , ob die geplanten Regelungen den Vorgaben von Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Ehe) als wertentscheidender Grundsatznorm gerecht werden.3 Hierbei ist die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von zentraler Bedeutung. Diese Schwerpunktsetzung entspricht auch dem Prüfungsmaßstab, den das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Grundsatzurteil zum Familiennachzug4 aufgestellt hat und ist nicht zu beanstanden. Der Kern der Argumentation widmet sich dabei der Frage, ob bei den geplanten Regelungen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.5 2.1. Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Festsetzung eines Mindestalters beider Ehegatten für den Ehegattennachzug Das Gutachten unterscheidet zutreffenderweise zwischen dem Nachzug bei rein ausländischer Ehe (Drittstaater) und dem Nachzug bei deutsch-ausländischer Ehe, da letztere aufgrund der Beteiligung eines Deutschen in besonderer Weise geschützt ist. In beiden Fällen ist zu prüfen, ob die vorgesehene Regelung verhältnismäßig ist, d. h. geeignet, erforderlich und angemessen. 3 Gutachten S. 9 ff. 4 BVerfGE 76, 1 57 ff. 5 Gutachten S. 12 ff. - 6 - 2.1.1. Alter von 21 Jahren als Nachzugsvoraussetzung bei rein ausländischer Ehe (Drittstaater) 2.1.1.1. Eignung Geeignet ist eine staatliche Maßnahme, wenn sie das angestrebte Ziel zumindest fördert, wenn auch vielleicht nicht vollständig erreicht. Die Aussage des Gutachtens, dass die geplante Maßnahme – Heraufsetzung des Nachzugsalters für Ehegatten – das angestrebte Ziel der Bekämpfung von Zwangsehen zumindest fördert6, ist nicht zu beanstanden. 2.1.1.2. Erforderlichkeit Diskussionswürdig sind die Bewertungen des Gutachtens, die zu einer eindeutigen Bejahung der Erforderlichkeit der geplanten Regelung führen. Zutreffend ist zunächst der Ansatzpunkt des Gutachtens, dass die Maßnahme erforderlich ist, wenn eine weniger stark belastende Maßnahme, die Zwangsehen in Deutschland gleich effektiv verhindern könnte, nicht vorhanden ist. Bei der weiteren Prüfung kommt das Gutachten jedoch zu folgender Bewertung:7 „Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Gesetzgeber ein Mittel zur Verfügung gestanden hätte oder verfügbar geworden wäre, welches es erlaubte, das Ziel der Regelung ohne beachtliche Nachteile für andere öffentliche oder private Belange in einer Ehe und Familie der Betroffenen weniger belastenden Art und Weise zu erreichen.“ Die Frage, ob das Ziel der Regelung nicht auf andere Weise mit mindestens ähnlicher Erfolgsaussicht erreicht werden kann, wird von zahlreichen Experten und Interessenverbänden anders beurteilt. Dabei wird vor allem bezweifelt, ob die Heraufsetzung des Nachzugsalters auf 21 Jahre überhaupt eine größere Wirkung bei der Bekämpfung von Zwangsehen entfalten kann. Nach Einschätzung von Experten sollten stattdessen andere 6 Gutachten S. 13 ff. 7 Gutachten S. 17. - 7 - straf-, zivil- und ausländerrechtliche Maßnahmen ergriffen werden, die zielgerichteter wirken und deren unmittelbarer Nutzen zu einem besseren Erfolg führen würde. Die von der Landesregierung Baden-Württemberg eingesetzte Fachkommission Zwangsheirat, die sich eingehend mit der Problematik der Zwangsehen auseinandergesetzt hat, spricht sich in ihrem Bericht vom Januar 2006 mehrheitlich gegen eine Anhebung der Alters für den Ehegattennachzug auf 21 Jahre aus8 und fordert stattdessen andere straf-, zivil- und ausländerrechtliche Maßnahmen. Dazu gehören im Bereich des Aufenthaltsgesetzes9 (AufenthG) beispielsweise ein klarstellendes eigenständiges Aufenthaltsrecht für das Zwangsheiratopfer (§ 31 AufenthG), ein späterer Verfall des Aufenthaltstitels (§ 51 AufenthG) und die Ermöglichung eines besonderen Rechts auf Wiederkehr , unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 37 AufenthG).10 Auch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration fordert im 6. Ausländerbericht zur Bekämpfung von Zwangsehen nicht die Begrenzung des Ehegattennachzugs durch Heraufsetzung des Alters auf 21 Jahre, sondern hält eine rechtliche Besserstellung der Opfer durch straf-, zivil- und ausländerrechtliche Maßnahmen für den richtigen Weg.11 Darüber hinaus ist bei der geplanten Regelung zu beachten, dass die Maßnahme pauschal gegen alle nachziehenden Ehegatten der betroffenen Altersgruppe wirken würde. Das räumt auch das Gutachten ein:12 „Dabei ist zu beachten, dass ein Teil der betroffenen Ehen keinen Zwangscharakter aufweist und daher – anders als die Zwangsehen – unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht. Auch für diese Ehen gilt das Mindestaltererfordernis für den Ehegattennachzug. Die Voraussetzung des Mindestalters beider Ehegatten ist folglich ein generelles Mittel, das ohne Rücksicht darauf eingesetzt wird, ob im Einzelfall tatsächlich eine Zwangsehe vorliegt, auf deren Verhinderung es allein zielt.“ 8 Bericht der Fachkommission Zwangsheirat der Landesregierung vom Januar 2006, S. 41. 9 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950); zuletzt geändert durch BVerfG-Entscheidung - 2 BvR 524/01 - vom 25. Oktober 2005 (BGBl. I S. 3620). 10 Bericht der Fachkommission Zwangsheirat der Landesregierung vom Januar 2006, S. 41 ff. 11 6. Ausländerbericht, BT-Drs. 15/5826, S. 167. 12 Gutachten S. 17 f. - 8 - Auch die daraus folgende Konsequenz stellt es richtig dar:13 „Die generelle Forderung nach einem Mindestalter der Ehegatten von jeweils 21 Jahren als Voraussetzung für den Nachzug eines ausländischen Ehegatten könnte aber mangels Erforderlichkeit unverhältnismäßig sein, wenn den abzuwehrenden Begehren nach Aufenthaltserlaubnis, welche unter Berufung auf eine zwangsweise erfolgte Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft gestellt werden, wirksam mit Mitteln gewehrt werden könnte, die nicht jeden einzelnen Fall über denselben Leisten schlügen, also echte und den Grundrechtsschutz nach Art. 6 Abs. 1 GG genießende Ehen ausnehmen.“ Das Gutachten kommt dann allerdings zu der Bewertung, dass solche Mittel nicht ersichtlich seien.14 Demgegenüber stellen die von der Fachkommission Zwangsheirat genannten Maßnahmen jedoch solche alternativen Mittel dar, denn sie zielen nur auf Zwangsehen ab und würden – zumindest in der Verbindung mehrerer Maßnahmen – eine mindestens genauso große Wirkung im Kampf gegen Zwangsehen entfalten wie das in seiner Effektivität anzweifelbare Mittel der Heraufsetzung des Nachzugsalters. 2.1.1.3. Angemessenheit Selbst wenn man mit dem Gutachten zu einer Bejahung der Erforderlichkeit kommen sollte, bestehen gravierende Bedenken gegen die Angemessenheit der geplanten Regelung . Eine Maßnahme ist angemessen, wenn die Zweck-Mittel-Relation zwischen der von dem Eingriff für den Grundrechtsträger ausgehenden Belastung und dem damit erzielten und beabsichtigten Erfolg gewahrt ist. 13 Gutachten S. 20. 14 Gutachten S. 20. - 9 - 2.1.1.3.1. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und Anwendbarkeit auf die geplante Regelung des Referentenentwurfs Nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1987 zum Ehegattennachzug muss sich die Dauer einer Wartefrist für den Nachzug im Rahmen dessen halten, was dem Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 GG noch angemessen ist.15 Dabei hat es eine Wartezeit von drei Jahren beim Ehegattennachzug als nicht mehr angemessen bewertet und die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit festgestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei hinsichtlich der (der damaligen Entscheidung zugrunde liegenden) Problematik der Bekämpfung von Scheinehen darauf hingewiesen, dass es sich bei der weitaus überwiegenden Zahl der Ehen zwischen Ausländern um echte Ehen und nicht um „Scheinehen“ handele.16 Die Beurteilung der Angemessenheit der ausländerrechtlichen Regelungen – hier der Dauer der Wartefrist – habe sich aber in erster Linie am Normalfall der dem Verständnis des Art. 6 Abs. 1 GG entsprechenden Ehe auszurichten.17 Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts kommt bei der zu treffenden Abwägung folgender Aspekt entscheidend hinzu:18 „Von dem Erfordernis einer dreijährigen Ehebestandszeit werden ausnahmslos junge Ehen getroffen. Die den Eheleuten abverlangte Entscheidung zwischen der Hinnahme einer langen Trennungszeit oder einer Übersiedelung ins Ausland fällt damit in die erste Zeit des (beabsichtigten) Zusammenlebens, die häufig durch Geburt von Kindern gekennzeichnet ist und in der die Anforderungen , die eheliche Gemeinschaft und Elternschaft an die Betroffenen stellen, erstmals erfahren werden und bewältigt werden müssen. Deshalb stellt es regelmäßig eine schwere Belastung und Gefährdung für eine junge Ehe dar, wenn die Eheleute vor die Entscheidung gestellt werden, für einen Zeitraum von drei Jahren allenfalls in Abständen von mehreren Monaten besuchsweise zusammenleben zu können oder unter vollständiger Aufgabe einer über Jahre erarbeiteten wirtschaftlichen und sozialen Stellung in der Bundesrepublik Deutschland ins Ausland übersiedeln zu müssen. Die Forderung nach einer dreijährigen Ehebestandszeit kann ferner deshalb zu einer Gefährdung der von 15 BVerfGE 76, 1 (68). 16 BVerfGE 76, 1 (68). 17 BVerfGE 76, 1 (68). 18 BVerfGE 76, 1 (69 f.). - 10 - ihr betroffenen Ehen führen, weil jung verheiratete Eheleute häufig nicht in der Lage sein werden, die Folgen einer mehrjährigen Trennung einzuschätzen und sich unter Verkennung der mit ihr verbundenen Gefährdungen gegen eine umgehende Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft im jeweiligen Heimatland entscheiden werden.“ Diese vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien sind auch auf den Fall der Bekämpfung von Zwangsehen sinngemäß übertragbar. Ähnlich wie bei den Scheinehen ist davon auszugehen, dass bei nachziehungswilligen ausländischen Ehegatten Zwangsehen nicht der Regelfall, sondern die Ausnahme sind.19 Die – in der Entscheidung für eine generelle dreijährige Wartezeit aufgestellten – Kriterien gelten sogar in besonderer Weise für den im Referentenentwurf geregelten Fall, da auch er ausschließlich auf junge Ehen abzielt. Die geplante Neuregelung würde für achtzehnjährige Ehepartner eine dreijährige Wartezeit zur Folge haben. Auch eine zweijährige Wartezeit für neunzehnjährige Ehepartner könnte gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, da sie eine ähnlich gravierende Behinderung der Ehe zur Folge hätte. Von dem erheblichen Eingriff einer bis zu dreijährigen Wartezeit wird unterschiedslos auch die weit überwiegende Zahl echter, schutzwürdiger Ehen betroffen. Im Hinblick auf das mit dieser Maßnahme tatsächlich erreichbare Ziel – dass damit keineswegs sicher der Großteil von Zwangsehen unterbunden wird, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit in vielen Fällen der Nachzug nur auf das 21. Lebensjahr verzögert wird – erscheint die Belastung für die echten Ehen unangemessen hoch. Daher bestehen vor dem Hintergrund der klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Zulässigkeit einer generellen Heraufsetzung des Nachzugsalters für Ehegatten auf 21 Jahre. 2.1.1.3.2. Wesentliche Gegenargumente des Gutachtens Im Hinblick auf diese strikten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts versucht das Gutachten zunächst damit zu argumentieren, dass es bei der Bekämpfung der 19 Siehe hierzu Punkt 3 der Ausarbeitung. - 11 - Zwangsehen um die Abwehr schwerster Menschenrechtsverletzungen geht und der Staat aufgefordert ist, strikt dagegen einzuschreiten.20 Dieses Argument ist für sich genommen selbstverständlich zutreffend. Allerdings ergibt sich daraus noch keine Legitimation, die durch die pauschale Maßnahme gleichfalls betroffenen Interessen echten Ehen, die ihrerseits durch Art. 6 in besonderer Weise geschützt werden, vollständig zurückzustellen. Vielmehr ist eine Abwägung beider Interessen geboten. Im Hinblick auf diese Abwägung stützt sich das Gutachten hauptsächlich auf die Behauptung , dass Zwangsehen ein häufiges Phänomen des Ehegattennachzugs seien und „es sich also nur zu einem geringen Anteil um reguläre, freiwillige Eheschließungen handeln wird.“21 Obwohl das Gutachten anfangs selbst einräumt, dass kein zuverlässiges statistisches Material zur Zahl der Zwangsehen bei Nachziehenden existiert22, kommt es im weiteren Verlauf zu der Aussage: „Angesichts dieser Zahlen und Zahlenverhältnisse erscheint auch den absolut wie prozentual gesehen wenigen, nicht zwangsverheirateten Ausländern dieser jungen Altersgruppe die mit der Regelung verbundene Beschränkung zum Schutze der im Fall von – in dieser Altergruppe besonders häufigen – Zwangsehen bedrohten Rechtsgüter von hohem und höchstem Verfassungsrang grundsätzlich noch zumutbar.“ 23 Wie unter Punkt 3 der Ausarbeitung näher dargelegt wird, sind diese Behauptungen des Gutachtens jedoch unzutreffend. Vielmehr lässt sich vor dem Hintergrund, dass Zwangsehen hauptsächlich bei türkischen Ehen auftreten und auch dort nur einen kleineren Anteil ausmachen, anhand der allgemeinen Zahlen für den Ehegattennachzug von Ausländern jedenfalls die Feststellung treffen, dass die deutlich überwiegende Zahl der nachziehenden Ehegatten keine Opfer von Zwangsehen sind, sondern es sich um echte Ehen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG handelt.24 Damit kehrt sich argumentativ die Aussage des vorstehenden Zitats um: Wenn bei einer überwiegenden Zahl von Zwangsehen „die mit der Regelung verbundene Beschränkung … noch zumutbar“ ist, müsste das Gutachten konsequenterweise bei der Annahme, dass 20 Gutachten S. 22 ff. 21 Gutachten S. 28. 22 Gutachten S. 24. 23 Gutachten S. 29. 24 Vgl. Punkt 3.2. der Ausarbeitung. - 12 - Zwangsehen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Nachzugsehen eher die Ausnahme sind, eine Zumutbarkeit der Regelung für die deutlich überwiegenden echten Ehen verneinen. Das Gutachten argumentiert ferner damit, dass sich die Situation der Zwangsehen nicht mit dem Fall der Scheinehen vergleichen lasse, der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag. Auch hierbei stützt es sich im Wesentlichen auf die – unzutreffende – Behauptung, dass die Zahl der Zwangsehen deutlich überwiege. Daneben werden folgende weitere Argumente vorgetragen:25 - „Sollte die Regelung daher über die beabsichtigte Verhinderung von Zwangsehen, d.h. die Zwangsverheiratung Jugendlicher und Heranwachsender hinaus die Wirkung entfalten, dass junge Menschen davon abgehalten werden, sich allzu früh an einen (ausländischen) Partner binden, läge dies durchaus im Sinne der auf den Bestand einmal geschlossener Ehen zielenden Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG.“ - „Aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG vor Vollendung des 21. Lebensjahres in der Person beider Ehegatten auszuschließen, kann im übrigen wohl schon deshalb Art. 6 Abs. 1 GG nicht verletzen, weil zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes die Ehemündigkeit (des Mannes) ebenso wie die Volljährigkeit grundsätzlich erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres eintrat. Siehe § 1 Abs. 1 des Ehegesetzes vom 20.02.1946 Kontrollratsgesetz Nr. 16, KRABl. S. 77.“ Diese Argumente gehen fehl. Art. 6 Abs. 1 GG enthält keine Wertung, junge Menschen (zwischen 18 und 21 Jahren) prinzipiell von der Eheschließung abzuhalten. Aus der weiter oben zitierten Begründung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich im Gegenteil entnehmen, dass junge Ehen besonders zu schützen sind. Ferner ist der seit langem überholte einfachgesetzliche Rechtszustand von 1946 hinsichtlich der Ehemündigkeit bzw. Volljährigkeit für die hier zu treffende Abwägung nicht maßgebend. Zudem gilt Art. 6 Abs. 1 GG als Menschenrecht auch für Ausländer und setzt dabei nicht voraus, dass es sich um eine in Deutschland geschlossene Ehe handeln muss.26 Darüber hinaus führt das Gutachten noch die vorgesehene Härtefallregelung an. Nach der geplanten Härtefallklausel in § 30 Abs. 2 S. 1 AufenthG soll bei Vorliegen eines besonderen Härtefalls der Ehegattennachzug auch schon vor Erreichen des 21. Lebensjahrs möglich sein. 25 Gutachten S. 28. 26 Vgl. Schmitt-Kammler in Sachs, Michael, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage, München 2003, Art. 6 Rn. 22 und 25. - 13 - Das Gutachten umschreibt die Voraussetzung wie folgt: „Sollte im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände dem sich in Deutschland aufhaltenden Ausländer die vorübergehende Herstellung der ehelichen Gemeinschaft im Herkunftsland des ausländischen Ehepartners schlechthin unzumutbar sein …“ Eine derart begrenzte Ausnahmeregelung ist jedoch nicht geeignet, die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen, die gegen die Grundsatzregelung bestehen. Im Ergebnis berücksichtigt das Gutachten nicht hinreichend die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und schätzt den Anteil von Zwangsehen beim Ehegattennachzug deutlich zu hoch ein. 2.1.2. Alter von 21 Jahren als Nachzugsvoraussetzung bei deutsch-ausländischer Ehe Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die beim Nachzug zu reinen Ausländerehen bestehen , gelten entsprechend auch für deutsch-ausländische Ehen. Erschwerend kommt allerdings noch hinzu, dass letztere aufgrund der Beteiligung eines deutschen Ehepartners in besonderer Weise privilegiert sind, wie auch das Gutachten einräumt.27 Die relativierende Argumentation des Gutachtens, dass beim Nachzug die Ehe bislang nicht im Bundesgebiet geführt wurde und demnach kein Bestandsschutz bestehe, verkennt dabei die Pflicht der staatlichen Institutionen, die ehelichen und familiären Bindungen des betroffenen Ausländers an in Deutschland lebende Personen besonders zu berücksichtigen.28 Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht es grundsätzlich allein den Ehepartnern zu, selbstverantwortlich und frei von staatlicher Einflussnahme den räumlichen und sozialen Mittelpunkt ihres gemeinsamen Lebens zu bestimmen; daher verdient die freie Entscheidung beider Eheleute, gemeinsam im Bundesgebiet zu leben, besonderen staatlichen Schutz, falls einer der Ehepartner die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.29 Auch 27 Gutachten Seite 31. 28 BVerfGE 76, 1 (41). 29 BVerfG in NJW 1980, 514 (515). - 14 - das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in ständiger Rechtsprechung das besondere verfassungsrechtliche Gewicht hervorgehoben, das dem Schutz der Ehe zwischen einem deutschen und einem ausländischen Ehegatten zukommt.30 Der Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, müsse grundsätzlich vom Staat beachtet werden; andernfalls wäre der deutsche Ehegatte gezwungen, entweder sein Heimatland aufzugeben, um an der Ehe festhalten zu können, oder die Trennung der ehelichen Gemeinschaft hinzunehmen, um im Heimatland bleiben zu können.31 Dabei ist auch zu beachten, dass deutsche Staatsangehörige im Ausland regelmäßig kein eigenes Aufenthaltsrecht besitzen und deshalb auf die Realisierung ihrer Ehe (und Familie ) im Inland in besonderer Weise angewiesen sind.32 Als weitere Argumente führt das Gutachten gleich zwei Vermutungen an:33 (1) „Im übrigen dürften die betroffenen deutschen Staatsangehörigen in aller Regel nicht deutschstämmig sein würden, was … dazu führt, dass bei ihnen die Wahl eines ausländischen, aus dem Herkunftsland ihrer eigenen Vorfahren stammenden Ehegatten eine (fortdauernde) Verbundenheit mit diesem Land bekundet, die eine (vorübergehende) dortige Herstellung der ehelichen Gemeinschaft nicht schlechthin unzumutbar macht.“ (2) „Schließlich gilt für deutsche Staatsangehörige im besonderen, dass deren Eheschließung vor Vollendung des 21. Lebensjahres ungewöhnlich ist und es sich daher im Zweifel um eine Zwangsehe handeln dürfte ...“ Zu (1) ist zunächst festzustellen, dass weder das Grundgesetz noch das Staatsangehörigkeitsgesetz eine Abstufung zwischen gebürtigen Deutschen und eingebürgerten Deutschen vornehmen oder eingebürgerte Deutsche gar als Staatsangehörige zweiter Klasse ansehen, deren Rechte beschränkt sind. Dementsprechend gilt auch für eingebürgerte Deutsche der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG uneingeschränkt. Darüber hinaus sind beide Vermutungen Spekulationen, die nicht auf Tatsachen basieren und daher für eine verfassungsrechtliche Abwägung nicht ausreichen. Hinsichtlich der Zahl von Eheschließungen zwischen Deutschen und Ausländern und die Rück- 30 Vgl. Nachweise bei Marx in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Hrsg. Roland Fritz und Jürgen Vormeier, Loseblattsammlung, Neuwied 2005 (zit.: Bearbeiter in GK-AufenthG), II- §28, Rn. 11 f. 31 BVerwGE 42, 133 (136); vgl. auch Marx in GK-AufenthG, II-§28, Rn. 11. 32 Hailbronner, Kay, Ausländerrecht, Kommentar, Loseblattsammlung, Heidelberg 2006, A1 § 28, Rn. 1. 33 Gutachten S. 31. - 15 - schlüsse auf den Anteil von Zwangsehen sei im Übrigen auf Punkt 3.3. der Ausarbeitung verwiesen. Im Ergebnis berücksichtigt das Gutachten nicht hinreichend die besondere Privilegierung von deutsch-ausländischen Ehen. 2.2. Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Festsetzung von Sprachkenntnissen als Voraussetzung für den Ehegattennachzug Auch hier konzentriert sich das Gutachten auf die Frage, ob die geplante Regelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Dabei ist wiederum zwischen rein ausländischen sowie deutsch-ausländischen Ehen zu unterscheiden. 2.2.1. Sprachkenntnisse als Nachzugsvoraussetzung bei rein ausländischer Ehe (Drittstaater) Das Gutachten legt zutreffend dar, dass die Geeignetheit der Maßnahme zu bejahen ist, da bereits einfache Deutschkenntnisse die Integration deutlich fördern. Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit ist der Standpunkt des Gutachtens im Ergebnis nachvollziehbar. Schwieriger ist hingegen die Bewertung der Frage, ob die Zweck-Mittel-Relation gewahrt und somit die Regelung angemessen ist, da es hierbei auf eine Reihe von Faktoren ankommt, die unterschiedlich bewertet werden können. Dem Gutachten ist zunächst darin zu folgen, dass die Integration – und die dafür erforderlichen Sprachkenntnisse – ein wichtiges und legitimes staatliches Interesse ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Integration vieler zugewanderter Ausländer insbesondere aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse in der Vergangenheit als problematisch erwiesen hat. Ob die im Aufenthaltsgesetz enthaltenen neuen Maßnahmen zur Integrationsförderung hier eine deutliche Besserung bewirken können, bleibt abzuwarten . Jedenfalls ist dem Gutachten darin zuzustimmen, dass dem mit der Regelung verfolgten Zweck ein hoher Stellenwert zukommt. Ferner ist die Aussage nachvollziehbar, - 16 - dass die gestellten Anforderungen von einfachen Sprachkenntnissen nicht sehr hoch liegen. Gleichwohl wird gegen das Erfordernis von Sprachkenntnissen Kritik erhoben, weil eine größere Zahl von besonders gelagerten Problemfällen erwartet wird. Beispielsweise werden Fälle angeführt, bei denen Sprachschulen aufgrund großer regionaler Entfernungen in der Praxis nicht erreichbar sind34 oder eine Behinderung das Erlernen erschwert bzw. unmöglich macht. Bedenken an der Wahrung der Zweck-Mittel-Relation ergeben sich hier vor allem aus den erheblichen Konsequenzen, die sich an den Nichtnachweis von Sprachkenntnissen knüpfen: Nach der jetzt geplanten Regelung, die keine Härtefallklausel enthält, führt der Nichtnachweis de facto zu einem längeren oder im Extremfall dauerhaften Nachzugsverbot . Diese gravierenden Folgen stehen im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts , das bereits bei einem mehrjährigen Nachzugsverbot die Angemessenheit der Maßnahme im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidender Grundsatznorm verneint hat. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings auch zum Ausdruck gebracht, dass die Auferlegung einer Wartefrist der Ehegatten für einen Nachzug nicht schlechthin ausgeschlossen ist.35 So könnte beispielsweise eine einjährige Wartezeit als hinnehmbar bewertet werden.36 Eine solche Abstufung bzw. eine verzögerte Nachzugserlaubnis sieht der Referentenentwurf jedoch nicht vor. Aufgrund der gravierenden Folgen – nämlich einem unter Umständen dauerhaften Nachzugsverbot – erscheint die Zweck-Mittel-Relation bei der bislang geplanten Regelung nicht ausreichend gewahrt und damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Eine Möglichkeit zur Lösung des Problems könnte darin bestehen, eine Härtefallklausel zu schaffen, die den oben genannten Sonderfällen gerecht wird.37 Für die Aufnahme 34 Vgl. z. B. die Kritik der Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk, Die Welt vom 19.04.2006, „FDP-Politikerin warnt vor Sippenhaft“. 35 BVerfGE 76, 1 (70). 36 Meissner, Claus, Familienschutz im Ausländerrecht, Aufsatz, JURA 1993, S. 1 ff. (2). 37 Eine Härtefallklausel empfiehlt auch die Fachkommission Zwangsheirat, die sich in ihrem Bericht zwar mehrheitlich dafür ausgesprochen hat, ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs nur dann zu erteilen, wenn vor der Einreise Deutschkenntnisse nachgewiesen werden können, zugleich aber die Notwendigkeit betont, dass in Ausnahmefällen von diesem Erfordernis abgewichen werden soll, wenn beispielsweise die Teilnahme an einem Sprachkurs im Herkunftsland nicht oder nur sehr schwer realisierbar ist (Bericht S. 41 f.). - 17 - einer Härtefallklausel in den Referentenentwurf spricht sich auch das Gutachten aus, wenngleich es die Sonderfälle eher restriktiv handhaben will.38 Im Ergebnis äußert das Gutachten zutreffende Kritik an der geplanten Regelung, weil keine Härtefallklausel vorgesehen ist. Allerdings handhabt es die Vorschläge für den Umfang einer Härtefallklausel zu restriktiv und berücksichtigt nicht ausreichend die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. 2.2.2. Sprachkenntnisse als Nachzugsvoraussetzung bei deutsch-ausländischer Ehe Auch bei deutsch-ausländischen Ehen liegt die Geeignetheit der Maßnahme zur Integrationsförderung vor. Die Bejahung der Erforderlichkeit durch das Gutachten begegnet jedoch Bedenken. Das Gutachten behauptet pauschal, dass es sich bei den deutschen Ehepartnern „in aller Regel nicht um deutschstämmige“ handelt und stützt darauf die Wertung, dass wegen mangelnder Deutschkenntnisse bei diesen eingebürgerten Deutschen die Regelung erforderlich sei.39 Diese Ausgangsbehauptung wird jedoch nicht belegt, sondern stellt eine reine Vermutung des Gutachters dar, die im Widerspruch zu der geringen Zahl von eingebürgerten Deutschen im Verhältnis zu den übrigen deutschen Staatsangehörigen steht. Darüber hinaus werden auch bei den eingebürgerten Deutschen in der Regel Deutschkenntnisse als Nachweis der Eingliederung in die deutschen Lebensverhältnisse verlangt.40 Dementsprechend ist die vom Gutachten gezogene Schlussfolgerung, bei fast allen deutschen Ehepartnern mangelhafte Deutschkenntnisse zu vermuten, unzutreffend. 38 Gutachten S. 38 f. Die Forderung nach einer Härtefallklausel deckt sich im Übrigen auch mit der Empfehlung der Fachkommission Zuwanderung, die sich in ihrem Bericht zwar mehrheitlich dafür ausgesprochen hat, ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs nur dann zu erteilen, wenn vor der Einreise Deutschkenntnisse nachgewiesen werden können, zugleich aber die Notwendigkeit betont , dass in Ausnahmefällen von diesem Erfordernis abgewichen werden soll, wenn beispielsweise die Teilnahme an einem Sprachkurs im Herkunftsland nicht oder nur sehr schwer realisierbar ist (Bericht S. 41 f.). 39 Gutachten S. 35 f. 40 Allerdings wurden vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 bei der sog. Anspruchseinbürgerung nach § 85 AuslG a. F. keine Sprachkenntnisse verlangt, sondern aufgrund der Voraussetzung des (mindestens) fünfzehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland eine ausreichende Integration unterstellt. Hingegen wurden bei der bei der Ermessenseinbürgerung auch schon vor dem Jahr 2000 Deutschkenntnisse verlangt. - 18 - Entgegen der Aussage der Gutachtens kann daher – im Unterschied zu vielen rein ausländischen Ehen – bei deutsch-ausländischen Ehen im Normalfall von einer gut funktionierenden Förderung der Deutschkenntnisse durch den deutschen Ehegatten im Inland ausgegangen werden. In den meisten Fällen beherrscht der deutsche Ehepartner fließend die deutsche Sprache und wird seinen ausländischen Ehepartner beim Erlernen der Sprache sowie generell bei der Integration im Alltag fördern. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen auch im sozialen Umfeld (zumindest überwiegend) Deutsch gesprochen wird, so dass auch hier im Alltag eine weitere Sprachförderung und Integration stattfindet . Damit steht als milderes Mittel die sprachliche Förderung in Deutschland durch den deutschen Ehegatten zur Verfügung, das (mindestens) genauso gut geeignet wie die geplante Regelung ist, dem Nachziehenden einfache Sprachkenntnisse zu vermitteln. Dieser Sachverhalt wirkt sich auch auf die Prüfung der Angemessenheit aus. Das öffentliche Interesse, die Integration von ausländischen Ehegatten Deutscher durch staatliche Zwangsmaßnahmen zu regulieren, muss als eher gering eingestuft werden. Demgegenüber ist das eingesetzte Mittel, bei nicht ausreichenden Sprachkenntnissen dem ausländischen Ehegatten grundsätzlich den Nachzug zu verweigern, ein erheblicher Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG und berücksichtigt nicht ausreichend sein Gewicht als wertentscheidende Grundsatznorm. Dies gilt umso mehr, als dass der Staat die Pflicht hat, auf die ehelichen und familiären Bindungen des betroffenen Ausländers an den deutschen Ehepartner besonders Rücksicht zu nehmen.41 Bei einem grundsätzlichen Nachzugsverbot im Falle unzureichender Sprachkenntnisse liegt somit ein deutliches Missverhältnis von Mittel und Zweck vor, so dass die Regelung nicht angemessen ist. Diese Abwägung speziell für deutsch-ausländische Ehen fehlt jedoch im Gutachten, da es bereits die Integrationsförderfähigkeit von deutschen Ehepartnern pauschal verneint. Im Ergebnis berücksichtigt das Gutachten nicht hinreichend die vorhandene Integrationsfähigkeit bei deutsch-ausländischen Ehen. Sprachkenntnisse als Nachzugsvoraussetzung sind in diesem Bereich weder erforderlich noch angemessen. 41 BVerfGE 76, 1 (41). - 19 - 3. Anzahl von Zwangsehen im Rahmen des Ehegattennachzugs bei Drittstaatern und Deutschen Im Zentrum der Bewertung, ob die geplanten Maßnahmen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, steht die Frage, wie groß die Anzahl an Zwangsehen im Rahmen des Ehegattennachzugs von Drittstaatsangehörigen ist. Sollte es sich um eine relativ geringe Zahl handeln, würde durch die geplanten Maßnahmen ein Großteil echter Ehen, die durch Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützt sind, betroffen sein. Damit würde ein deutliches Missverhältnis zwischen Mittel und Zweck offenkundig werden. Umgekehrt würden die geplanten Maßnahmen eher als verhältnismäßig zu bewerten sein, wenn es sich bei der ganz überwiegenden Zahl der nachziehenden Ehegatten um Opfer von Zwangsehen handeln würde. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle nochmals betont, dass die Aussage des Gutachtens, Zwangsehen gehören zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen , zutreffend ist und der deutsche Staat gehalten ist, effektive Maßnahmen zur Bekämpfung von Zwangsehen zu ergreifen. Dabei kommt es zunächst nicht auf die Zahl von Zwangsehen an; jeder einzelne Fall stellt eine gravierende Verletzung von Menschenrechten dar und muss energisch bekämpft werden. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Mittel eingesetzt werden dürfen. Dabei gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit , die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten echten Ehen vor unzumutbaren Beeinträchtigungen zu bewahren. 3.1. Statistisches Material zu Zwangsehen in Deutschland und Schätzungen des Gutachtens In Deutschland sind keine zuverlässigen Statistiken zu der Häufigkeit von Zwangsehen verfügbar.42 Dies räumt das Gutachten an einer Stelle auch ein (Seite 24: „Allerdings liegen der Bundesregierung keine offiziellen statistischen Daten zur Häufigkeit von „Zwangsverheiratungen“ in der Bundesrepublik Deutschland vor.“) 42 Vgl. den 6. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration vom 22.06.2005 (6. Ausländerbericht ), BT-Drs. 15/5826, S. 165. - 20 - Dessen ungeachtet, wird im Gutachten an verschiedenen Stellen über die Zahl der Zwangsehen spekuliert und durch die ständige Wiederholung und Steigerung der Eindruck erweckt, dass es sich um eine sehr große, wenn nicht sogar ganz überwiegende Anzahl von Opfern im Rahmen des Ehegattennachzugs handelt. Als Beispiele sind folgende Zitate aus dem Gutachten zu nennen (fettgedruckte Passagen sind Hervorhebungen des Verfassers der Ausarbeitung): - Seite 14: „Dabei dürfte es sich in einer beachtlichen Anzahl von Fällen um Zwangsheiraten handeln.“ - Seite 21: „Zwar sind in einem ganz erheblichen Umfang Minderjährige, insbesondere Mädchen, Betroffene von Zwangsverheiratungen; aber auch in der Altersgruppe von 18-21 Jahren kommen Zwangsverheiratungen noch in beträchtlicher Zahl vor.“ - Seite 22: Überschrift „Zwangsehe als … häufiges Phänomen“. - Seite 25: „N. Kelek, Die fremde Braut, 2004, schätzt, dass es sich bei der Hälfte der 21.000 im Jahr 2001 eingereisten Türken und Türkinnen um Ehepartner hier ansässiger Migranten und Migrantinnen handelt und dass „mindestens die Hälfte dieser Ehen arrangiert oder erzwungen wurde“; angezweifelt werden diese Zahlen von Y. Karakasoglu, ZAR 2006, 22, die selbst keine Zahlen nennt. Dabei gilt es jedoch zusätzlich zu berücksichtigen, dass angesichts der Natur des Phänomens der Zwangsehe mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist.“43 - Seite 28: „Letztlich entscheidend dürfte jedoch der Umstand sein, dass Personen, die in einem Alter unter 21 Jahren heiraten und entweder selbst aus dem Ausland stammen und ins Bundesgebiet einreisen oder deren „ausgewählter“ Ehepartner Ausländer ist und aus dem Herkunftsland nach Deutschland nachziehen möchte, zu einem überwiegenden Teil Opfer von Zwangsehen sein dürften, es sich also nur zu einem geringen Anteil um reguläre, freiwillige Eheschließungen handeln wird.“ - Seite 29: „Angesichts dieser Zahlen und Zahlenverhältnisse erscheint auch den absolut wie prozentual gesehen wenigen, nicht zwangsverheirateten Ausländern dieser jungen Altersgruppe die mit der Regelung verbundene Beschränkung zum Schutze der im Fall von – in dieser Altergruppe besonders häufigen – Zwangsehen bedrohten Rechtsgüter von hohem und höchstem Verfassungsrang grundsätzlich noch zumutbar.“ 43 Hierzu ist anzumerken, dass die zuvor genannte Schätzung bereits eine hohe Dunkelziffer einbezieht und sodann zahlenmäßig nicht weiter zwischen arrangierten und erzwungenen Ehen differenziert; wobei arrangierte Ehen keine Zwangsehen sind, sondern durchaus im Einverständnis der Betroffenen eingegangen werden können (vgl. 6. Ausländerbericht, BT-Drs. 15/5826, S. 165). Bei der notwendigen Unterscheidung dieser Kategorien sind demnach selbst nach dieser Schätzung keineswegs der Großteil der türkischen Ehen von Nachgezogenen Zwangsehen. - 21 - Diese im Laufe des Gutachtens auftretende Steigerung der Zahl von Zwangsehen spricht für sich selbst und veranschaulicht die Notwendigkeit, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der Annahme rechtfertigen zu müssen, dass es sich bei den echten Ehen nur um „wenige, nicht zwangsverheiratete Ausländern dieser jungen Altersgruppe “ handelt. Ähnlich angreifbar wirkt die Argumentation, dass es sich auch beim Nachzug von ausländischen Ehegatten zu deutschen Staatsangehörigen „im Zweifel um eine Zwangsehe handeln dürfte“ (Seite 31): „Schließlich gilt für deutsche Staatsangehörige im besonderen, dass deren Eheschließung vor Vollendung des 21. Lebensjahres ungewöhnlich ist und es sich daher im Zweifel um eine Zwangsehe handeln dürfte, die zu verhindern die gesetzliche Mindestaltersgrenze für den Ehegattennachzug als legitimes, ja verfassungsrechtlich gebotenen Ziel verfolgt.“ Entgegen der Behauptungen des Gutachtens bleibt jedoch festzuhalten, dass es keine Statistiken über den Anteil von Zwangsehen im Bundesgebiet bei nachziehenden Ehegatten gibt. Tatsächliche Hinweise darauf, dass beim Ehegattennachzug sogar die überwiegende Zahl der betroffenen Ehen als Zwangsehen einzustufen wäre, sind nicht vorhanden . Soweit ersichtlich, tragen dies auch Experten und Organisationen, die die Interessen der Opfer vertreten bzw. unterstützen, nicht vor. 3.2. Rückschlüsse aus den Zahlen des Ehegatten- und Familiennachzugs von Drittstaatsangehörigen Es ist allerdings möglich, aus den Zahlen des Ehegatten- und Familiennachzugs von Drittstaatsangehörigen insgesamt bestimmte Rückschlüsse zu ziehen. Auch wenn es keine statistischen Aussagen zum Anteil von Zwangsehen für das gesamte Bundesgebiet gibt, wird doch aus den vorhandenen regionalen Untersuchungen deutlich , dass es sich um eine Problematik handelt, die überwiegend türkische Zuwanderer betrifft.44 44 Vgl. auch 6. Ausländerbericht, BT-Drs. 15/5826, S. 165. - 22 - Beispielsweise ergab die Erhebung der von der Landesregierung Baden-Württemberg eingesetzten Fachkommission Zwangsheirat45, dass knapp 40 % der Opfer von Zwangsheirat türkische und knapp 20 % deutsche Staatsangehörige waren (von letztgenannter Gruppe waren wiederum gut 60 % zuvor türkische Staatsangehörige gewesen). Der prozentuale Anteil von Opfern anderer Staatsangehörigkeit lag jeweils unter 5 %. Opfer waren im Übrigen fast ausschließlich Frauen.46 Der Anteil der Türken betrug bei den im Jahr 2003 erteilten Visa für den Ehegatten- und Familiennachzug 29 Prozent; er ist seit dem Jahr 2000 in dieser Größenordnung relativ konstant geblieben.47 Selbst wenn man also zugunsten der Opfer die sehr hoch angesetzte Schätzung von N. Kelek zugrunde legt, dass rund die Hälfte der nachziehenden türkischen Ehegatten sich auf arrangierte oder zwangsverheiratete Ehen bezieht, würde der Anteil weit unter der Hälfte aller nachziehenden Drittstaater liegen. Rechnet man arrangierte Ehen, die im freien Einverständnis der Betroffenen geschlossen wurden, heraus, reduziert sich die Zahl nochmals deutlich.48 Aus diesen statistischen Daten wird ersichtlich, dass die Anzahl von Zwangsehen im Hinblick auf die Gesamtzahl nachziehender Ehegatten keinesfalls überwiegt, sondern einen kleineren Teil der Nachzügler betrifft. 3.3. Ehen zwischen Deutschen und Ausländern Hinsichtlich der Gesamtzahl von Ehen zwischen Deutschen und Ausländern ist festzustellen , dass im Jahr 2003 rund 60.000 solcher Ehen in Deutschland geschlossen wurden (für die Vorjahre ergeben sich ähnliche Zahlen).49 Davon wurden rund 25.000 Ehen 45 Bericht der Fachkommission Zwangsheirat vom Januar 2006, S. 23 ff. (31 f.). 46 Bericht der Fachkommission Zwangsheirat vom Januar 2006, S. 30. 47 Migrationsbericht 2004, BT-Drs. 15/5090, S. 20. 48 Eine stichprobenartige Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat beispielsweise folgendes Ergebnis erbracht: Von 150 befragten Türkinnen gab rund die Hälfte der Frauen an, dass ihr Partner von Verwandten ausgesucht worden war. Von letzterer Gruppe gaben 53 Frauen an, mit der Wahl ihrer Verwandten einverstanden gewesen zu sein. 16 Frauen hätten ihren Partner jedoch lieber unabhängig von ihrer Familie ausgewählt, 12 von ihnen sahen sich zur Ehe gezwungen (vgl. 6. Ausländerbericht, BT-Drs. 15/5826, S. 166). Daraus zog der 6. Ausländerbericht folgenden Schluss: „Auch wenn diese Zahlen keine generalisierbaren Aussagen zulassen, so zeigt diese Untersuchung doch, dass Zwangsverheiratungen kein seltenes Phänomen sind, die Definition von Zwangsverheiratung und die Abgrenzung zur arrangierten Ehe jedoch schwierig ist.“ 49 6. Ausländerbericht, BT-Drs. 15/5826, S. 319. - 23 - zwischen einer deutschen Frau und einem ausländischen Mann geschlossen sowie rund 35.000 zwischen einem deutschen Mann und einer ausländischen Frau. Betrachtet man den Anteil der Ehen mit türkischer Beteiligung, so ergibt sich für das Jahr 2003, dass lediglich 5.564 Ehen zwischen einer deutschen Frau und einem türkischen Mann und sogar nur 1.850 Ehen zwischen einer türkischen Frau und einem deutschen Mann geschlossen wurden.50 Bei dieser Sachlage wird deutlich, dass der im Gutachten geäußerte Generalverdacht, bei deutsch-ausländischen Ehen handele es sich „im Zweifel um eine Zwangsehe“, gleichfalls nicht haltbar ist. 50 6. Ausländerbericht, BT-Drs. 15/5826, S. 320.