© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 247/20 Verfassungsrechtliche Bewertung der Änderungen des Bundeswahlgesetzes (BT-Drs. 19/20596 und 19/23197) Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 247/20 Seite 2 Verfassungsrechtliche Bewertung der Änderungen des Bundeswahlgesetzes (BT-Drs. 19/20596 und 19/23197) Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 247/20 Abschluss der Arbeit: 3. November 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 247/20 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Die Wahl zur Aufstellung der Kandidaten zur Bundestagswahl erfolgt gemäß §§ 21, 27 Bundeswahlgesetz der geltenden Fassung auf Landesebene nur durch Mitgliederversammlungen oder durch besondere oder allgemeine Vertreterversammlungen der Parteien. Nachdem die Regierungsfraktionen den Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes1 in den Bundestag eingebracht haben, wurde dieser durch den Ausschuss für Inneres und Heimat (im Weiteren : Innenausschuss) in abgeänderter Fassung (BT-Drs. 19/23197)2 zum Beschluss empfohlen. Nachdem der Bundestag den geänderten Gesetzentwurf in der zweiten und dritten Lesung angenommen und der Bundesrat keinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschlusses gestellt hat,3 wird dieser – nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten – voraussichtlich in dieser Form in Kürze in Kraft treten (im Weiteren: BWG-EgF). Die Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (im Weiteren: Bundesinnenministerium) wurde in der vom Innenausschuss empfohlenen abgeänderten Fassung wesentlich detaillierter gefasst und unter den Vorbehalt einer doppelten Beschlussfassung des Bundestages gestellt: Zunächst muss nach § 52 Abs. 4 S. 1 BWG-EgF durch den Bundestag innerhalb von neun Monaten vor dem Beginn des in Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG bestimmten Zeitraums für die Neuwahl festgestellt werden, dass „die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist“, und die vom Bundesinnenministerium erlassene Verordnung bedarf nach Erlass ihrerseits der Zustimmung des Bundestages. Die Entscheidung des Bundestages kann gem. § 52 Abs. 4 S. 2 BWG-EgF in beiden Fällen durch den nach § 3 des Wahlprüfungsgesetzes gebildeten Ausschuss (im Weiteren: Wahlprüfungsausschuss) getroffen werden, wenn „einem rechtzeitigen Zusammentritt des Deutschen Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen [stehen] oder er nicht beschlussfähig [ist]“.4 Durch Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums können nach § 52 Abs. 4 S. 3 BWG-EgF „Regelungen getroffen werden, die den Parteien für die Wahl bei Vorliegen der in Satz 1 genannten Umstände eine Abweichung von den entgegenstehenden Bestimmungen dieses Gesetzes, der Bundeswahlordnung und, wenn eine Satzungsänderung wegen der in Satz 1 genannten Umstände und der in diesem Gesetz und der Bundeswahlordnung bestimmten Fristen und Termine nicht mehr rechtzeitig möglich ist, ihrer Satzungen ermöglichen, insbesondere 1. um die Wahl der Wahlbewerber und der Vertreter für die Vertreterversammlungen unter Verringerung der satzungsgemäßen Zahl der Vertreter in der Vertreterversammlung oder anstatt durch eine Mitgliederversammlung durch eine Vertreterversammlung durchführen zu können, 1 BT-Drs. 19/20596, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/205/1920596.pdf (im Folgenden: Gesetzentwurf). 2 BT-Drs. 19/23197, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss), S. 4, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/231/1923197.pdf. 3 Siehe ausführlich zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens, Deutscher Bundestag, DIP, ID: 19-264438, http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2644/264438.html. 4 Siehe BT-Drs. 19/23197 (Fn. 2), S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 247/20 Seite 4 2. um Mitglieder- oder Vertreterversammlungen in der Form mehrerer miteinander im Wege der elektronischen Kommunikation verbundener gleichzeitiger Teilversammlungen an verschiedenen Orten durchführen zu können, 3. um die Wahrnehmung des Vorschlagsrechts, des Vorstellungsrechts und der sonstigen Mitgliederrechte mit Ausnahme der Schlussabstimmung über einen Wahlvorschlag ausschließlich oder zusätzlich im Wege elektronischer Kommunikation ermöglichen zu können, 4. um die Wahl von Wahlbewerbern und Vertretern für die Vertreterversammlungen im Wege der Briefwahl oder einer Kombination aus Urnenwahl und Briefwahl durchführen zu können.“ Ferner wurde die Geltung des § 52 Abs. 4 BWG-EgF bis zum 31. Dezember 2021 befristet.5 Diese Ausarbeitung geht den Fragen nach, ob der § 52 Abs. 4 BWG-EgF verfassungsgemäß ist und insbesondere den Anforderungen an die Verordnungsermächtigung nach Art. 80 Abs. 1 GG genügt (hierzu unter 2.), inwieweit die verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Unmöglichkeit von Versammlungen und unüberwindlichen Hindernissen für den Zusammentritt des Bundestages den Vorgaben der Verfassung genügen (hierzu unter 2.2.) und schließlich, ob eine weitere Befristung der erforderlichen Bundestagsbeschlüsse zulässig und sinnvoll wäre (hierzu unter 3.). 2. Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung Grundsätzlich kann der Bundestag die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen (vgl. Art. 80 GG).6 Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden, Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht leitet daraus ein Bestimmtheitsgebot ab.7 Das Parlament darf sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt , ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll.8 Wie bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen dürften höhere Anforderungen hinsichtlich der Bestimmtheit gelten, wenn die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG als grundrechtsgleiche Rechte sowie die Parteienfreiheit (Art. 21 GG) und das Gebot der innerparteilichen Demokratie (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) berührt werden. Das Bundesverfassungsgericht ordnet die Kandidatenaufstellung durch die Parteien als „Nahtstelle zwischen den von den Parteien weitgehend autonom zu gestaltenden Angelegenheiten ihrer inneren Ordnung und dem auf die Staatsbürger bezogenen 5 Siehe BT-Drs. 19/23197 (Fn. 2), S. 5. 6 Siehe dazu schon die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste vom 5. August 2020, WD 3 - 3000 - 178/20, Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, Zur Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung, https://www.bundestag.de/resource /blob/796098/e8f6e7a6a1b420a49364656c97dda72b/WD-3-178-20-pdf-data.pdf, S. 4 ff. 7 BVerfGE 113, 167, 268 f. 8 BVerfGE 58, 257, 277. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 247/20 Seite 5 Wahlrecht“ ein.9 Die aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip (Art. 20 GG) folgenden Wahlgrundsätze gelten mithin grundsätzlich auch für das Wahlvorschlagsrecht der Parteien.10 Dieses setze eine freie Kandidatenaufstellung unter Beteiligung der Mitglieder der Parteien voraus ; die Auswahl der Kandidaten dürfe weder rechtlich noch faktisch deren Führungsgremien zur alleinigen Entscheidung überlassen werden.11 Aus der Funktion der wahlrechtlichen Regelungen zur Kandidatenaufstellung im BWG, die personale Grundlage einer demokratischen Wahl zu schaffen , ergebe sich eine Pflicht zur „Einhaltung eines Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen, ohne den ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorgangs sein kann“.12 Allerdings seien die Wahlrechtsgrundsätze bei der parteiinternen Kandidatenaufstellung nicht mit derselben Strenge anzuwenden wie bei staatlichen Wahlen. Vielmehr komme es darauf an, ob die Verfahrensgrundsätze in ihrem Kernbestand eingehalten werden.13 Aufgrund der Besonderheiten des Verfahrens seien enge Ausnahmen zuzulassen.14 So kann etwa der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl aus Gründen der Praktikabilität eingeschränkt und die Kandidatenwahl unter den im BWG bestimmten Voraussetzungen durch eine Vertreterversammlung vorgenommen werden.15 An diesen Grundsätzen ist die weitere Prüfung des § 52 Abs. 4 BWG-EgF zu messen. 2.1. Voraussetzungen der Ermächtigung: Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe Durch § 52 Abs. 4 BWG-EgF wird vom Gesetzgeber bestimmt, in welchen Fällen von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht werden kann, nämlich nur dann, wenn die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist und dies durch den Bundestag oder den Wahlprüfungsausschuss weniger als neun Monate vor dem Beginn des in Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG bestimmten Zeitraums für die Neuwahl festgestellt wird. Dabei verwendet der Gesetzgeber mehrere 9 BVerfGE 89, 243, 252. Zur Einordnung der Kandidatenaufstellung als parteiinternes und als wahlrechtliches Verfahren siehe auch Hambusch, Kandidatenaufstellung und „Primaries“ im Lichte des Verfassungsrechts, 2016, S. 38 ff. 10 BVerfGE 89, 243, 251 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG; Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Auflage 2017, § 21 Rn. 7. 11 BVerfGE 47, 253, 282. 12 BVerfGE 89, 243, 252 f. 13 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Auflage 2017, § 21 Rn. 7: „Eine ‚lupenreine‘ Anwendung i.S. strenger und formaler Gleichheit ist nicht erforderlich und auch nicht vorgeschrieben. (…) Soweit die Wahlrechtsprinzipien zur Anwendung kommen, muss ihr Kerngehalt stets gewahrt sein.“; Hambusch, Kandidatenaufstellung und „Primaries“ im Lichte des Verfassungsrechts, 2016, S. 53. 14 BVerwGE 25, 305 f.; Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Auflage 2017 § 21 Rn. 7 und 17; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 90. EL 2020, Art. 21 Rn. 340. 15 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 90. EL 2020, Art. 21 Rn. 351. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 247/20 Seite 6 unbestimmte Rechtsbegriffe, was grundsätzlich zulässig ist, sofern diese durch die Auslegung unter Einbeziehung des Kontextes des gesamten Gesetzes hinreichend bestimmt werden können.16 Hinsichtlich des unbestimmten Rechtsbegriffs der Versammlung macht bereits die Begründung des Gesetzentwurfes in der ursprünglichen Fassung deutlich, dass hier körperliche Zusammentreffen von Personen im Rahmen von Mitglieder- oder Vertreterversammlungen zur Kandidatenaufstellung gemeint sind.17 Dem ursprünglichen Gesetzentwurf zufolge sollte das Bundesinnenministerium ermächtigt werden , eine Rechtsverordnung zu erlassen „im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt […].“ Aus der Begründung des Gesetzentwurfs in der ursprünglichen Fassung sowie aus der neu eingeführten Überschrift des Gesetzentwurfs „[…] zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ ergibt sich aber, dass davon auch Epidemien erfasst sein sollen, die das soziale Leben durch Infektionsschutzerfordernisse einschränken. Damit ist keine rein tatsächliche Unmöglichkeit des Zusammentrittes mehrerer Personen gemeint, sondern auch die Unmöglichkeit der Einhaltung von Rechtsvorschriften, etwa der Abstandsregelung bzw. der aktuell festgelegten Höchstgrenzen beim Zusammentritt von Personen in geschlossenen Räumen. Es wird kritisiert, dass eine pauschale Feststellung der Unmöglichkeit für alle Parteien und Bundesländer kaum möglich sein werde.18 Allerdings obliegt diese Feststellung nach dem § 52 Abs. 4 BWG- EgF nicht der Exekutive, sondern den Abgeordneten des Bundestages, die im Rahmen ihrer freien Mandatsausübung bei der Abstimmung über den Beschluss nach ihrem Verständnis der genannten Kriterien dafür oder dagegen stimmen können. Gleiche Argumente können bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes, dass „dem rechtzeitigen Zusammentritt des Deutschen Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen [stehen]“, verwendet werden. Diese Einschränkung war in der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs nicht enthalten, die Feststellung der Unmöglichkeit von Versammlungen war vielmehr von vornherein dem Wahlprüfungsausschuss zugewiesen. Nun sieht § 52 Abs. 4 BWG-EgF vor, dass der Wahlprüfungsausschuss nur dann zur Feststellung befugt ist, wenn – etwa aus den Gründen des Infektionsschutzes während einer Pandemie – die Durchführung einer Plenarsitzung des Bundestages nicht vor dem Beginn des in Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG bestimmten Zeitraums für die Neuwahl möglich ist. Flankiert wird dieser unbestimmte Begriff durch die zweite Alternative, wonach die Feststellung durch den Wahlprüfungsausschuss zulässig ist, wenn der Bundestag „nicht beschlussfähig “ ist. Diese Voraussetzung kann im Sinne des § 45 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) so verstanden werden, dass weniger als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages – etwa wegen der Infektionsschutzbestimmungen während einer Pandemie – im Sitzungssaal anwesend sein können bzw. dürfen. Bis zum 31. Dezember 2020 gilt zudem § 126a GOBT, wonach 16 BVerfGE 48, 210, 222; BVerfGE 101, 1, 32; BVerfGE 106, 1, 19. 17 BT-Drs. 19/20596, (Fn. 1), S. 3; so auch von Notz, It’s Democracy, Stupid!, Beitrag auf Verfassungsblog vom 19. Oktober 2020, https://verfassungsblog.de/its-democracy-stupid/, die die Vorstellung von Versammlungen als körperliche Zusammenkunft als veraltet kritisiert. 18 So von Notz, It’s Democracy, Stupid! (Fn. 17). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 247/20 Seite 7 der Bundestag abweichend von § 45 GOBT beschlussfähig ist, wenn mehr als Viertel seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend sind. 2.2. Erfordernis einer zusätzlichen Zustimmung des Bundestages zur Rechtsverordnung § 52 Abs. 4 BWG-EgF sieht im Gegensatz zum ursprünglichen Gesetzentwurf vor, dass die Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums erst in Kraft tritt, wenn der Bundestag seine Zustimmung erteilt. Eine solche Zustimmung wäre durch einen sog. schlichten Parlamentsbeschluss zu erteilen.19 Die Aufnahme eines Zustimmungserfordernisses ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden , weil sie im Vergleich zu einer vollen Delegation der Rechtsetzung ein Minus darstellt und damit in der durch Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG gewährten Befugnis mit enthalten ist.20 Insbesondere gilt das für solche Sachgebiete, für die ein legitimes Interesse der Legislative anerkannt werden muss, zwar einerseits die Rechtsetzung auf die Exekutive zu delegieren, sich aber andererseits – wegen der Bedeutung der zu treffenden Regelungen – entscheidenden Einfluss auf Erlass und Inhalt der Verordnungen vorzubehalten.21 In der juristischen Literatur wird angeführt, dass es gerade die ureigene Aufgabe des Gesetzgebers sei, Grundlagen für den demokratischen Wahlvorgang zu schaffen, und die Entscheidung darüber, welche Abweichungen davon in der Notsituation zugelassen werden dürfen, daher nicht dem Bundesinnenministerium überlassen werden dürfe.22 Auch die Partizipation der Opposition im Bundestag wäre bei einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren besser gesichert.23 Das Zustimmungserfordernis bewirkt jedoch, dass der Gesetzgeber „das letzte Wort“ hat und die vom Bundesinnenministerium ausgearbeitete Verordnung durch Verweigerung seiner Zustimmung stoppen kann. Angesichts der Sachnähe des Bundesinnenministeriums zum Infektionsschutz kann dem Gesetzgeber das legitime Interesse, die Entscheidung über einzelne abweichende Regelungen bei der Durchführung von Parteiversammlungen diesem zu überlassen, jedenfalls nicht gänzlich abgesprochen werden. 2.3. Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung Wie schon in der ursprünglichen Version des Gesetzentwurfs, benennt § 52 Abs. 4 BWG-EgF klar den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Ermächtigung zum Verordnungserlass: In der Rechtsverordnung dürfen in den genannten Fällen nur von den Bestimmungen des BWG zur Kandidatenaufstellung abweichende Regelungen getroffen werden, „um die Benennung von Wahlbewerbern 19 Hierzu siehe Remmert, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 91. EL April 2020, Art. 80 GG Rn. 105. 20 BVerfGE 8, 274, 321. 21 BVerfGE 8, 274, 321; hierzu Remmert, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 91. EL April 2020, Art. 80 GG Rn. 105. 22 So von Notz, It’s Democracy, Stupid! (Fn. 17). 23 Kingreen, Es bleibt so verfassungswidrig wie es ist, Beitrag auf Legal Tribune Online vom 21. Oktober 2020, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-krise-parlament-ermaechtigung-verordnungen-verfassungsrecht -pandemie-covid-19-regieren/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 247/20 Seite 8 ohne Versammlungen soweit erforderlich zu ermöglichen“. Die möglichen Regelungen der Rechtsverordnung werden zudem insoweit konkretisiert, als den Parteien – beim Vorliegen der oben erläuterten Voraussetzungen – „eine Abweichung von den entgegenstehenden Bestimmungen [des BWG], der Bundeswahlordnung und […] ihrer Satzungen“ ermöglicht wird. Diese Abweichungen werden ferner in vier nicht abschließenden Regelbeispielen weiter konkretisiert: Verringerung der satzungsgemäßen Zahl der Vertreter in der Vertreterversammlung oder Durchführung einer Vertreterversammlung statt Mitgliederversammlung; Durchführung von gleichzeitigen Teilversammlungen, die über elektronische Kommunikation verbunden sind; Wahrnehmung des Vorschlagsrechts, des Vorstellungsrechts und sonstiger Mitgliederrechte mit Ausnahme der Schlussabstimmung im Wege der elektronischer Kommunikation; Durchführung einer Briefwahl oder einer Kombination der Urnenwahl mit Briefwahl.24 § 52 Abs. 4 S. 3 BWG-EgF ist damit hinsichtlich des geregelten Ausmaßes der Ermächtigung wesentlich konkreter als der ursprüngliche Gesetzentwurf. Die genannten Regelungen waren zuvor lediglich in der Begründung des Gesetzentwurfes zu finden25 und haben nun den Eingang in den Gesetzestext gefunden, was vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes zu begrüßen ist. Laut dem Bericht des Innenausschusses sollen die detaillierten Regelungen sowohl dem Verordnungsgeber als auch den Parteien als den Endadressaten ermöglichen, die tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen. Außerdem soll ein solches Verfahren zur Kandidatenwahl vorgesehen werden , das dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Einschränkungen zum sonst üblichen Wahlerfahren am besten entspricht.26 So macht § 52 Abs. 4 S. 3 Nr. 3 BWG-EgF deutlich, dass jeder Stimmberechtigte weiter ein – ggf. elektronisches – Vorschlagsrecht (§ 21 Abs. 3 S. 2 BWG) haben soll, allen Kandidaten Gelegenheit gegeben werden soll, sich und ihr Programm – ggf. elektronisch – vorzustellen (§ 21 Abs. 3 S. 3 BWG). § 52 Abs. 4 S. 3 Nr. 4 BWG-EgF rückt von dem Erfordernis einer parteiinternen geheimen Wahl (§ 21 Abs. 3 S. 1 BWG, § 17 PartG) nicht ab, eine rein elektronische sog. Online-Wahl ist nicht vorgesehen. Daher dürften die elementaren Regeln für den demokratischen Charakter der Wahl27 nicht verletzt sein, deren Nichteinhaltung einen Wahlfehler begründen würde. 2.4. Ergebnis Die Verordnungsermächtigung des § 52 Abs. 4 BWG-EgF ist zwar als verfassungsrechtlich nicht unproblematisch anzusehen, dürfte aber insgesamt den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG entsprechen. 24 Siehe BT-Drs. 19/23197 (Fn. 2), S. 4 f. 25 Siehe BT-Drs. 19/20596 (Fn. 1), S. 4 f. 26 BT-Drs. 19/23197 (Fn. 2), S. 15. 27 BVerfGE 89, 243, 244. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 247/20 Seite 9 3. Möglichkeit der zusätzlichen Befristung der Verordnungsermächtigung Die Geltung der Verordnungsermächtigung wurde in der geänderten Fassung des Gesetzentwurfes durch die Einfügung des Satzes: „Artikel 1 tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2021 außer Kraft“ ausdrücklich zeitlich befristet, sodass sie in der beschlossenen Form lediglich auf die Neuwahl für die 20. Wahlperiode des Bundestages anwendbar ist, die gem. Art. 39 Abs. 1 GG zwischen dem 25. August und dem 24. Oktober 2021 stattfinden muss.28 Damit ist sichergestellt, dass die Regelung nicht darüber hinaus für die – planmäßige oder ggf. vorgezogene – Bundestagswahl für die 21. Periode gilt. Es wäre ferner grundsätzlich möglich, den Beschluss des Bundestages bzw. des Wahlprüfungsausschusses über die Feststellung der Unmöglichkeit der Durchführung von Parteiversammlungen zeitlich zu befristen, mit der Folge, dass die darauf basierende Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, z.B. binnen eines oder zwei Monaten nach dem Beschluss ergehen muss. Dafür könnte man anführen, dass die epidemiologische Lage sich rasch verändern kann und die Parteiversammlungen, etwa bei einer günstigen Entwicklung von Infektionszahlen, innerhalb kurzer Zeit wieder möglich werden können. Ein Erfordernis, den Beschluss des Bundestages nach einem gewissen Zeitraum zu erneuern, würde dem Rechnung tragen und insoweit sicherstellen, dass eine Verordnung nur dann ergeht, wenn die tatsächliche epidemiologische Lage dies auch immer noch erfordert. Andererseits verfügt der Bundestag auch im Fall eines verzögerten Erlasses der Verordnung und bei einer gleichzeitigen positiven Veränderung der Infektionslage über die Möglichkeit, der Verordnung im zweiten Schritt keine Zustimmung zu erteilen, damit diese insoweit aufschiebend bedingte Verordnung gar nicht in Kraft tritt.29 Wird die Verordnung dann durch das Bundesinnenministerium nachgebessert, sodass die dort geregelten Abweichungen der aktuellen Infektionslage entsprechen, so kann die finale Zustimmung durch den Bundestag bzw. den Wahlprüfungsausschuss erteilt werden und die nachgebesserte Verordnung in Kraft treten. *** 28 Der Bundeswahlleiter, Wahl zum 20. Deutschen Bundestag, https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen /2021.html. 29 Bauer, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 80 GG Rn. 30.