Deutscher Bundestag Tierschutz als Staatsziel Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 245/12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 245/12 Seite 2 Tierschutz als Staatsziel Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 245/12 Abschluss der Arbeit: 23. August 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 245/12 Seite 3 1. Einleitung Mit einer im Juli 2002 in Kraft getretenen Änderung des Grundgesetzes1 (GG) wurde der Tierschutz als Staatsziel in Art. 20a GG aufgenommen.2 Nachfolgend wird die Frage behandelt, ob dadurch Grundrechte in unzulässiger Weise eingeschränkt werden oder durch höhere gesetzliche Standards im Tierschutz das Sozialstaatsprinzip verletzt sein könnte. 2. Das Staatsziel Tierschutz im Verfassungsgefüge Vor der 2002 vorgenommenen Änderung des GG war der Tierschutz allein einfachgesetzlich normiert. Mit der Aufnahme in das GG wurde der Tierschutz mit Verfassungsrang ausgestattet. Ziel war die Stärkung des ethischen Tierschutzes; der Rechtsprechung sollte es möglich gemacht werden, ihm bei der Verfassungsauslegung angemessen Rechnung zu tragen.3 Der Verfassungsgesetzgeber hat den Tierschutz damit als Staatsziel bewusst neben andere im GG geschützte Rechtsgüter gestellt. Bei der Umgestaltung der Verfassung sind dem Gesetzgeber Grenzen gesetzt. Nach Art. 79 Abs. 3 GG sind Verfassungsänderungen u. a. unzulässig, wenn die in den Art. 1 (Menschenwürde, Menschenrechte , Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte) und 20 GG (Strukturprinzipien der Verfassung ) niedergelegten Grundsätze berührt werden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) legt diese Vorgabe restriktiv aus. Danach verbietet sie die „prinzipielle Preisgabe der dort genannten Grundsätze“, nicht aber, „die positivrechtliche Ausprägung dieser Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren.“4 Durch die Deklaration des Tierschutzes als Staatsziel erlangt er den Status objektiven Verfassungsrechts , das weder konkrete (Grund-) Rechte gewährt noch gerichtlich einklagbare subjektive Rechte generiert.5 Er tritt damit neben andere Verfassungsgüter und ist nach Art. 20 Abs. 3 GG von Legislative, Exekutive und Judikative zu beachten.6 Maßnahmen, die dem Tierschutz dienen, können in Konkurrenz zu anderen Verfassungsgütern, insbesondere Grundrechten, stehen. Die jeweilige staatliche Maßnahme, die in behördlichem Handeln, Rechtsprechung sowie der Ausgestaltung von Gesetzen bestehen kann, ist im Lichte der betreffenden, ggf. konkurrierenden Verfassungsgüter nach den Grundsätzen von praktischer Konkordanz und Verhältnismäßigkeit zu treffen. Ob es sich um eine unzulässige Einschränkung von Grundrechten handelt, muss anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndG (Art. 93) vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) 2 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) vom 26. Juli 2002 (BGBl. I S. 2862) 3 BT-Drs. 14/8860, S. 3 4 BVerfGE 30, S. 1 (24) und BVerfGE 84, S. 90 (121) 5 Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Loseblatt, 64. Ergänzungslieferung 2012, Art. 20a Rn. 68, 70 6 Scholz (Fn. 5), Rn. 79 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 245/12 Seite 4 3. Das Staatsziel Tierschutz im Verhältnis zur Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Art. 12 Abs. 1 GG erlaubt zunächst grundsätzlich Eingriffe in die Berufsfreiheit aufgrund von Gesetzen. Bei Regelungen zugunsten des Tierschutzes handelt es sich für Fleischproduzenten regelmäßig um Berufsausübungsregelungen, da Form, Mittel, Umfang oder Inhalt der Berufstätigkeit geregelt werden. Berufsausübungsregelungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugunsten vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls grundsätzlich zulässig.7 Bereits vor der Aufnahme des Tierschutzes in das GG betrachtete das BVerfG ihn als Gemeinwohlbelang .8 Spätestens seit der Erwähnung des Tierschutzes im GG hat dieser die Stellung eines wichtigen Gemeinschaftsgutes.9 Gleichwohl muss jeder Eingriff den grundlegenden Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügen. Denkbar ist, dass bspw. sehr weit gehende oder sehr kostenintensive Vorgaben im Sinne des Tierschutzes, die zur Berufsaufgabe oder existenziellen Gefährdung ganzer Gruppen von Betroffenen führen, unverhältnismäßig sein könnten und die Betroffenen in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzen.10 Ob diese Grenze überschritten ist, kann nur anhand der konkret in Rede stehenden Maßnahmen bewertet werden. 4. Das Staatsziel Tierschutz im Verhältnis zum Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 GG Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ist ebenfalls ein Staatsziel und damit vom Gesetzgeber sowie Exekutive und Judikative gleichfalls zu berücksichtigen. Die Volksernährung gilt als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut.11 Hinzu tritt die Verpflichtung des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG zu verhindern, dass die Bevölkerung hungert.12 Eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips oder des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit könnte vorliegen, wenn Menschen aufgrund staatlicher Maßnahmen, bspw. auf dem Gebiet des Tierschutzes, hungerten. Allein, dass Fleisch oder bestimmte Fleischsorten aufgrund von Maßnahmen zugunsten des Tierschutzes zu höheren Preisen oder gar nicht mehr angeboten werden, dürfte kaum zu einer solchen Situation führen. Eine Konkurrenz zwischen Tierschutz auf der einen und Sozialstaatsprinzip sowie dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auf der anderen Seite infolge einer Verschärfung von Tierschutzgesetzen erscheint mithin unwahrscheinlich. ( ) 7 BVerfGE 7, S. 377 ff. 8 BVerfGE 104, S 337 (351) 9 BVerwG 7 C 4/08 10 BVerfGE 82, S. 209 (230) 11 Scholz (Fn. 5), Art. 12 Rn. 417 12 Die Fabio in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Loseblatt, 64. Ergänzungslieferung 2012, Art. 2 Rn. 45