WD 3 - 3000 - 244/20 (20. Oktober 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Es wurden verschiedene Fragen zur Verfassungsmäßigkeit der Beherbergungsverbote, die mehrere Bundesländer in ihre Corona-Verordnungen aufgenommen haben, gestellt. Die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Beherbergungsverbote in den Corona-Rechtsverordnungen der Bundesländer, WD 3 - 3000 - 167/20, Anlage 1, befasst sich mit diesen Fragen. Da die Beurteilung vom Einzelfall abhängt – insbesondere vom Wortlaut der jeweiligen Norm sowie vom aktuellen Infektionsgeschehen im jeweiligen Bundesland – werden in der Ausarbeitung allgemeingültige Überlegungen angestellt. Des Weiteren geht die Ausarbeitung auf Urteile ein, die zum damaligen Zeitpunkt (Stand: 17. August 2020) bereits zu Beherbergungsverboten ergangen waren. Die Gerichte waren dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen . In der Zwischenzeit sind weitere Entscheidungen zu Beherbergungsverboten ergangen: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) von Baden-Württemberg hat das Beherbergungsverbot am 15. Oktober 2020 bis auf Weiteres außer Kraft gesetzt.1 Zur Begründung führte der VGH aus, die Landesregierung habe nicht dargelegt, dass im Zusammenhang mit Beherbergungen ein besonders hohes Infektionsrisiko bestehe.2 Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben seien nicht bekannt. Verantwortlich für größere Ausbrüche sei vielmehr das Feiern in größeren Gruppen oder der Aufenthalt an Orten, wo die Abstands- und Hygieneregeln aufgrund räumlicher Enge nicht eingehalten werden könnten. 1 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Oktober 2020, 1 S 3156/20. 2 Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2020, abrufbar unter https://verwaltungsgerichtshof -baden-wuerttemberg.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Medien/Corona-Verordnung_+Beherbergungsverbot +wegen+Unverhaeltnismaessigkeit+ausser+Vollzug+gesetzt/?LISTPAGE=1212860 (Stand: 20. Oktober 2020). Siehe dort auch zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Aktueller Stand zu Beherbergungsverboten Kurzinformation Aktueller Stand zu Beherbergungsverboten Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat das Beherbergungsverbot vorläufig außer Vollzug gesetzt.3 Das Gericht sah das Verbot als nicht bestimmt genug an, da es Personen „aus“ Risikogebieten erfasse, ohne festzulegen, ob die Personen dort ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten, oder ob ein kurzzeitiger Aufenthalt genüge.4 Zudem sei die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Verbots zweifelhaft. Es seien auch auf Nachfrage keine tatsächlichen Erkenntnisse dazu vorgelegt worden, welche Zahl von infizierten Personen auf Reisen innerhalb des Bundesgebiets zurückgeführt werden könne. Das schlichte Anknüpfen an die Zahl der Infizierten in einem Gebiet sei zudem nicht ausreichend, um bei allen Personen aus diesem Gebiet eine einheitliche Gefahrenlage anzunehmen und ihnen gegenüber generalisierend dieselben Schutzmaßnahmen zu treffen. Der Verordnungsgeber müsse vorhandene oder zumutbar zu ermittelnde Erkenntnisse zu klar eingrenzbaren Infektionsgeschehen berücksichtigen. Ebenso hat das OVG Berlin-Brandenburg das in Brandenburg geltende Beherbergungsverbot vorläufig außer Kraft gesetzt.5 Das Maß, in dem das Verbot zur Eindämmung der Infektionen diene, stehe in keinem angemessenen Verhältnis zu den damit verbundenen Einschränkungen.6 Die Infektionsgefahr könne in den Beherbergungsbetrieben durch Hygienekonzepte verringert werden. Zudem würden Gäste in Hotelzimmern oder Ferienwohnungen im Allgemeinen mit Personen aus ihrem eigenen Haushalt übernachten. Die Verordnung schließe Tagesbesuche nicht aus und es gebe zudem eine erhebliche Zahl von Pendlern zwischen Berlin und Brandenburg. Hinter die damit verbundene Gefahr des Einschleppens von Infektionen nach Brandenburg trete die Gefahr durch Beherbergungen zurück. Die Unverhältnismäßigkeit entfalle auch nicht durch die Möglichkeit , sich durch ein negatives Testergebnis von dem Verbot befreien zu lassen. Zum einen seien die Tests mit erheblichen Kosten verbunden. Zum anderen sei es angesichts der derzeitigen Kapazitäten zweifelhaft, ob ein Testergebnis fristgerecht zu erhalten sei. Vorläufig bestätigt wurde das Beherbergungsverbot in Schleswig-Holstein.7 Das OVG sah im Eilverfahren die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens als offen an.8 Insbesondere die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Anknüpfens an die „7-Tage-Inzidenz“ bezogen auf 100.000 Einwohner lasse sich nicht im Eilverfahren beantworten. Würde der Vollzug des Beherbergungsverbots ausgesetzt, so könnten Personen aus Risikogebieten ungehindert zu touristischen Zwe- 3 Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15. Oktober 2020, 13 MN 371/20. 4 Pressemitteilung des Niedersächsischen OVG vom 15. Oktober 2020, abrufbar unter https://oberverwaltungsgericht .niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/beherbergungsverbot-in-niedersachsen-vorlaufig-ausservollzug -gesetzt-193605.html (Stand: 20. Oktober 2020). Siehe dort auch zum Folgenden. 5 OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 16. Oktober 2020, 11 S 87/20 und 88/20, noch nicht veröffentlicht. 6 Pressemitteilung OVG Berlin-Brandenburg vom 16. Oktober 2020, abrufbar unter https://www.berlin.de/gerichte /oberverwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.1005247.php (Stand: 20. Oktober 2020). Siehe dort auch zum Folgenden. 7 Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 15. Oktober 2020, 3 MR 45/20. 8 Pressemitteilung des Schleswig-Holsteinischen OVG vom 15. Oktober 2020, abrufbar unter https://www.schleswig -holstein.de/DE/Justiz/OVG/Presse/PI_OVG/2020_186_OVGBeherbergungsverbot.html (Stand: 20. Oktober 2020). Siehe dort auch zum Folgenden. Kurzinformation Aktueller Stand zu Beherbergungsverboten Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 cken nach Schleswig-Holstein kommen, was angesichts der aktuellen Infektionszahlen zu Gefährdungen für das dortige Gesundheitswesen führen könne. Die Landesregierung sei nicht gehalten, abzuwarten, bis sich die Situation in Schleswig-Holstein ähnlich entwickle wie in den Risikogebieten . Das Interesse der Gesamtbevölkerung am Schutz vor einer Weiterverbreitung überwiege bei einer Gesamtbetrachtung das Interesse an touristischen Reisen. Touristen hätten es in der Hand, mittels eines negativen Testergebnisses die Reise zu realisieren. Gegen die Entscheidung des OVG wurde inzwischen ein Eilantrag an das Bundesverfassungsgericht gerichtet.9 Auch das OVG Hamburg hat das Beherbergungsverbot vorläufig bestätigt.10 Das OVG kam zu dem Ergebnis, die Vorinstanz habe zu Recht dem Interesse an der öffentlichen Gesundheit und dem Infektionsschutz und damit dem durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit einer Vielzahl von Menschen gegenüber den privaten Interessen der Antragsteller an Erholungsurlaub den Vorzug gegeben.11 Unabhängig von gerichtlichen Entscheidungen haben mehrere Bundesländer die Beherbergungsverbote inzwischen aufgehoben oder nicht weiter verlängert.12 Im Saarland und in Hessen wurde das Verbot aufgehoben. In Bayern und Sachsen trat es durch Zeitablauf außer Kraft. Nordrhein- Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Berlin und Bremen hatten von vornherein keine Beherbergungsverbote erlassen. Die Verbote bestehen zum jetzigen Zeitpunkt nur noch in Mecklenburg -Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg und Sachsen-Anhalt. Eine aktuelle Übersicht (Stand: 19. Oktober 2020) zur Sach- und Rechtslage in Bezug auf die Beherbergungsverbote hat der Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend ) der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages erstellt. Sie ist als Anlage 2 beigefügt. *** 9 Siehe Zeit Online, Eilantrag zu Beherbergungsverboten in Karlsruhe eingegangen, abrufbar unter https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-10/bundesverfassungsgericht-beherbergungsverbot-eilantrag-coronavirus (Stand: 20. Oktober 2020). 10 OVG Hamburg, Beschluss vom 16. Oktober 2020, 5 Bs 186/20. 11 Pressemitteilung des OVG Hamburg vom 16. Oktober 2020, abrufbar unter https://justiz.hamburg.de/aktuellepresseerklaerungen /14474892/pressemitteilung/ (Stand: 20. Oktober 2020). 12 Siehe zum Folgenden Tagesspiegel Online, Nur in wenigen Ländern gilt noch ein Beherbergungsverbot, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/politik/reisen-in-corona-zeiten-nur-in-wenigen-laendern-gilt-noch-einbeherbergungsverbot /26285304.html sowie Spiegel Online, Hessen schafft Beherbergungsverbot ab, abrufbar unter https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-krise-auch-hessen-schafft-beherbergungsverbot-ab-acd 4b10c6-ac2e-43da-bed3-97c0e6f16f83 (Stand: 20. Oktober 2020).