© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 242/17 Kinderrechte im Grundgesetz Zur Grundrechtsträgerschaft von Kindern Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 242/17 Seite 2 Kinderrechte im Grundgesetz Zur Grundrechtsträgerschaft von Kindern Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 242/17 Abschluss der Arbeit: 7. Dezember 2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 242/17 Seite 3 1. Einleitung Seit einigen Jahren findet eine Debatte um die Aufnahme spezifischer Kinderrechte in die Verfassung statt. Dabei werden unterschiedliche Verfassungsänderungen vorgeschlagen, insbesondere das Einfügen eines Art. 2a Grundgesetz (GG), der sich an den Formulierungen der UN-Kinderrechtskonvention orientieren soll, alternativ eine entsprechende oder weniger weitreichende Änderung des Art. 6 GG. Als Ziel wird zumeist angegeben, dass die Subjektstellung und die Grundrechtsträgerschaft von Kindern betont werden solle. Die Dokumentation gewährt einen Überblick über einige Gesetzgebungsinitiativen und andere parlamentarische Vorgänge der 17. und 18. Wahlperiode sowie über ausgewählte wissenschaftliche Veröffentlichungen der letzten Jahre. 2. Parlamentarische Vorgänge 2.1. Antrag des Landes Brandenburg vom 14. November 2017, Entschließung des Bundesrates zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz, BR-Drs. 710/17 Mit dem Entschließungsantrag soll die künftige Bundesregierung aufgefordert werden, einen Gesetzentwurf zur verfassungsrechtlichen Verankerung von Kinderrechten vorzulegen. Unter Bezugnahme auf die UN-Kinderrechtskonvention, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts , die Landesverfassungen und erste Arbeiten einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Jugendund Familienministerkonferenz wird gefordert, die „Rechtsstellung und das besondere Schutzbedürfnis von Kindern klarer zum Ausdruck zu bringen.“ So könne auch das Bewusstsein für die Belange der Kinder geschärft werden. Anlage 1 2.2. Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2017, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 6), BR-Drs. 234/17 Ziel des Gesetzentwurfs ist die Hervorhebung der Grundrechtsträgerschaft von Kindern, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits seit langem anerkannt sei. Dazu soll in Art. 6 GG ein neuer Abs. 5 eingefügt werden: „Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte und das Wohl des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen. Bei allem staatlichen Handeln, das Kinder betrifft, ist das Wohl des Kindes maßgeblich zu berücksichtigen . Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, einen Anspruch auf Gehör und auf Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“ Der Gesetzentwurf wurde am 31. März 2017 an die Ausschüsse überwiesen. Anlage 2 2.3. Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE vom 17. Januar 2017, Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz), BT-Drs. 18/10860, insbes. S. 5, 21 ff. Der Entwurf eines verfassungsändernden Gesetzes sieht die Aufnahme zahlreicher „sozialer Grundrechte “ in das Grundgesetz vor, darunter die Aufnahme von Kinderrechten. Die Subjektstellung der Kinder soll gestärkt und ihre Rechtsträgerschaft hervorgehoben werden. Hierzu soll ein Art. 2a in das Grundgesetz eingefügt werden, der Kindern und Jugendlichen ausdrücklich ein Recht auf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 242/17 Seite 4 Förderung und Entfaltung, auf gewaltfreie Erziehung, auf besonderen Schutz und auf Beteiligung an den sie betreffenden Entscheidungen und gesellschaftlichen Prozessen zuspricht. Außerdem werden ein staatlicher Schutzauftrag und die Pflicht zur Berücksichtigung des Kindeswohls formuliert . Der Entwurf wurde vom Bundestag abgelehnt. Anlage 3 2.4. Gesetzentwurf der Fraktion der SPD vom 23. April 2013, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Gesetz zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz), BT-Drs. 17/13223 Der Gesetzentwurf räumt ein, dass Kinder Träger von Grundrechten seien. Das Verhältnis von Kinder- und Elternrecht solle aber nicht, wie bisher in Art. 6 GG, vom Elternrecht her definiert werden. Der Entwurf sieht vor, in Art. 6 GG einen neuen Abs. 2 einzufügen, dessen Grundlage die UN-Kinderrechtskonvention sei: „Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in allen Angelegenheiten, die es betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.“ Die Voranstellung der Kinderrechte verdeutliche, dass das Elternrecht und das staatliche Wächteramt um der Kinder willen gewährt würden. Der Gesetzentwurf hat sich durch Ablauf der Wahlperiode erledigt. Anlage 4 2.5. Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE vom 26. Juni 2012, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Gesetz zur grundgesetzlichen Verankerung von Kinderrechten), BT-Drs. 17/10118 Der Entwurf eines verfassungsändernden Gesetzes will verdeutlichen, dass Kinder und Jugendliche Grundrechtsträger sind. Hierzu soll in Art. 6 GG ein neuer Abs. 2 eingefügt werden, der speziell für Kinder und Jugendliche ein „Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und auf den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung “ verbürgt. Dort soll außerdem eine staatliche Schutzpflicht ausdrücklich verankert und das Ziel „kind- und jugendgerechte Lebensbedingungen“ formuliert werden. Der Gesetzentwurf hat sich durch Ablauf der Wahlperiode erledigt. Anlage 5 2.6. Entschließung des Bundesrates vom 25. November 2011, Kinderrechte im Grundgesetz verankern, BR-Drs. 386/11 (neu), 386/1/11 und 386/11 (Beschluss) In der vom Land Mecklenburg-Vorpommern beantragten Entschließung fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Aufnahme besonderer Grundrechte der Kinder in das Grundgesetz vorzulegen. Genannt werden insbesondere der Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung sowie das Recht auf altersgemäße Anhörung in allen Gerichts- und Verwaltungsverfahren . Außerdem solle geprüft werden, ob weitere soziale Rechte der Kinder normiert werden könnten. Die Begründung verweist unter anderem auf die Kinderrechtskonvention der Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 242/17 Seite 5 Vereinten Nationen und auf die Stärkung der Subjektstellung des Kindes durch das Bundesverfassungsgericht . Die Stellung von Kindern in der Gesellschaft solle gestärkt und das Bewusstsein für Kinderrechte geschärft werden. Anlage 6 2.7. Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28. September 2011, Kinderrechte stärken, BT-Drs. 17/7187, S. 3 f., 5 f.; vgl. auch BT-Drs. 17/8382 Der Antrag nimmt Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention und die EU-Grundrechtecharta. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes habe Deutschland wiederholt aufgefordert, die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz zu prüfen. In Bezug auf die verfassungsrechtliche Verankerung von Kinderrechten wird ausgeführt: Zwar genössen Kinder alle in der Verfassung formulierten Menschenrechte. In Art. 6 GG, wo Kinder ausdrücklich genannt würden, entstehe aber der Eindruck einer bloß passiven Rolle. Seit der Entstehung des Grundgesetzes habe sich die gesellschaftliche Wahrnehmung gewandelt und das Bundesverfassungsgericht habe die Kinderrechte gestärkt. Der Verfassungsgeber dürfe sich aber nicht auf die Auslegung verlassen, sondern müsse das Grundgesetz verantwortlich gestalten. Die Bundesregierung sollte daher aufgefordert werden, einen Gesetzentwurf vorzulegen, „in dem die Rechtsträgerstellung von Kindern deutlicher herausgearbeitet und klargestellt wird“. Der Antrag wurde vom Bundestag abgelehnt. Anlage 7 2.8. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 25. November 2010, Stärkung der Kinderrechte, BT-Drs. 17/3938, S. 5 In ihrer Antwort auf Frage 12 der Kleinen Anfrage erläutert die Bundesregierung welche Grundrechte Kindern bereits nach geltendem Verfassungsrecht zukommen. So seien etwa die Menschenwürde und die körperliche Unversehrtheit aller Menschen geschützt. Die Aufnahme ausdrücklicher Kinderrechte brächte Kindern daher nicht mehr Rechte als sie ohnehin schon hätten. Anlage 8 2.9. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vom 22. Januar 2010, Kinderschutz wirksam verbessern: Prävention im Kinderschutz optimieren – Förderung und Frühe Hilfen für Eltern und Kinder stärken, BT-Drs. 17/498, S. 1, 5 Beantragt wird eine Entschließung des Bundestages, mit der neben zahlreichen anderen Punkten zum Kinderschutz auch eine Verfassungsänderung angestrebt wird. Dabei soll unter anderem das Recht des Kindes auf Entfaltung der Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und auf besonderen Schutz positiviert werden. Die Antragsteller gehen davon aus, dass eine solche Neuregelung bereits bestehende Rechte lediglich verdeutliche. Die angestrebte Verfassungsänderung trage der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen und der EU-Grundrechtecharta Rechnung. Der Antrag wurde vom Bundestag abgelehnt. Anlage 9 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 242/17 Seite 6 3. Rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen und Gutachten 3.1. Benassi/Eichholz, Grundgesetz und Kinderrechte, in: Deutsches Verwaltungsblatt 2017, S. 614-620 Der Aufsatz stellt die bisherige Debatte dar, die insbesondere unter dem Einfluss der UN-Kinderrechtskonvention stattfand. Dass Versuche einer Verfassungsänderung gescheitert seien, beruhe auf einem falschen Verfassungsverständnis: Die Verfassung sei nicht nur „Rechtsgesetz“, sondern sie müsse den Bürger in klarer Sprache ansprechen und überzeugen. Es genüge daher nicht, wenn Kinderrechte dem Grundgesetz im Wege der Auslegung zu entnehmen seien. Die Verfasser sehen dringenden Handlungsbedarf und entwickeln eigene Formulierungsvorschläge. Anlage 10 3.2. Höfling, Zur Stärkung von Kinderrechten im Grundgesetz, in: Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 2017, S. 354-355 Der Verfasser gibt die in der bisherigen Diskussion ausgetauschten Argumente knapp wieder. Er hält eine Verfassungsänderung für geboten, da der Verfassung Leitbildfunktion zukomme. Die Grundrechtssubjektivität von Kindern könne so hervorgehoben werden. Kinder, die eben nicht nur „kleine Erwachsene“ seien, könnten als schutzbedürftige Personengruppe besonders in den Blick genommen werden. Der Verfasser erwägt abschließend verschiedene Möglichkeiten der Verfassungsänderung. Anlage 11 3.3. Rossa, Kinderrechte, Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes im internationalen und nationalen Kontext, Frankfurt am Main u.a. 2014, insbes. S. 101-125, entleihbar in der Bibliothek des Bundestages, Signatur M 5100078 Die Dissertation behandelt, ausgehend von der UN-Kinderrechtskonvention, auch die Diskussion um eine Änderung des Grundgesetzes. Sie zeichnet die bisherige Debatte nach und nennt die vorgetragenen Argumente. Die Verfasserin spricht sich schließlich gegen die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz aus. Etwaige Missstände seien einfachgesetzlich zu beheben. 3.4. Verfassungsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, Kinderrechte ins Grundgesetz? Ja, aber…, in: Anwaltsblatt 2011, S. 170-174 Nach Auffassung des Verfassungsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins gebietet die UN-Kinderrechtskonvention zwar keine Verfassungsänderung. Eine Klarstellung erscheine aber sinnvoll. Der Ausschuss schlägt daher vor, den Schutz von Kindern ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 GG aufzunehmen: „Ehe, Familie und Kinder stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Anlage 12 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 242/17 Seite 7 3.5. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Fragen zum Thema „Kinderrechte in die Verfassung“, Ausarbeitung, Az. WD 3-073/07, 7. März 2007 Die Ausarbeitung stellt zwei Formulierungsvorschläge für Grundgesetzänderungen dar. Sie beleuchtet anschließend die Konsequenzen, die eine entsprechende Verfassungsänderung für die Verhältnisse Kind – Eltern, Kind – Staat und Eltern – Staat hätte. Anlage 13 ***