© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 241/20 Durchführung von Wahlversammlungen bei Versammlungsbeschränkungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/20 Seite 2 Durchführung von Wahlversammlungen bei Versammlungsbeschränkungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 241/20 Abschluss der Arbeit: 2. November 2020 (auch letzter Abruf der Internet-Quellen) Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/20 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wurde nach Möglichkeiten zur rechtskonformen Durchführung von Parteiversammlungen zur Aufstellung der Wahlkreisbewerber (Direktkandidaten) und der Landeslistenbewerber für die Bundestagswahl 2021, wenn nach den jeweiligen Corona-Schutzverordnungen der Länder die Teilnehmeranzahl von Veranstaltungen am vorgesehenen Versammlungsort aufgrund der Covid-19- Pandemie beschränkt wird. 2. Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2.1 Aufstellung der Wahlkreisbewerber und der Listenkandidaten Die Aufstellung der Wahlkreisbewerber ist in § 17 Parteiengesetz (PartG)1 und § 21 Bundeswahlgesetz (BWG)2 geregelt. Es muss – den verfassungsrechtliche Vorgaben des Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG entsprechend – eine parteiinterne Wahl stattfinden, die demokratischen Grundsätzen genügt. Das Gesetz sieht drei reguläre Formen der Parteiversammlung zur Aufstellung der Wahlkreisbewerber (§ 21 Abs. 1 S. 1 BWG) vor: die Mitgliederversammlung, die besondere Vertreterversammlung und die allgemeine Vertreterversammlung. Die Auswahl einer dieser Formen erfolgt durch das Satzungsrecht der Parteien.3 Die Wahl zur Aufstellung der Listenkandidaten der Parteien für die Landesliste erfolgt gemäß § 27 Abs. 5 BWG in entsprechender Anwendung des § 21 BWG. 2.3 Mindestteilnehmeranzahl Das Gesetz selbst sieht für die Mitglieder- bzw. Vertreterversammlungen nach §§ 21, 27 BWG keine Mindestteilnehmeranzahl vor. Dies wird dem Satzungsrecht überlassen (vgl. § 21 Abs. 5 BWG). In der Literatur wird zum Teil vertreten, dass an Mitglieder- bzw. Vertreterversammlungen mindestens drei Abstimmungsberechtigte teilnehmen müssten.4 Vereinzelt wurde aus dem Gebot innerparteilicher Demokratie nach Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG die Notwendigkeit einer „angemessenen Größe“ für Vertreterversammlungen abgeleitet. Angemessen sollen demnach für den Kreiswahlvorschlag mindestens 20 Teilnehmer, für Landesvertreterversammlungen mindestens 50 Teilnehmer sein.5 1 Parteiengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), zuletzt geändert durch Artikel 13 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 2 Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2020 (BGBl. I S. 1409). 3 Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, 10. Auflage 2017, § 21 Rn. 10. 4 Wittmann, Geheime Wahlen bei Teilnahme von zwei Wahlberechtigten?, in: NVwZ 2010, 1072 (1073) m.w.N.; Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, 10. Auflage 2017, § 21 Rn. 11. 5 Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Auflage 1979, S. 195. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/20 Seite 4 Aus den Bestimmungen der Satzungen der Parteien können sich im Einzelnen jedoch deutlich höhere Mindestteilnehmerzahlen oder Regelungen zur Beschlussfähigkeit ergeben. Vor allem können die Satzungen eine bestimmte Delegiertenanzahl bei Vertreterversammlungen vorsehen. 3. Beschränkungen durch die Corona-Schutzverordnungen der Länder Nach den Corona-Schutzverordnungen der Länder auf Grundlage von §§ 28, 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG)6 bestehen zurzeit in vielen Bundesländern absolute Obergrenzen für die zulässige Zahl der Teilnehmer von Veranstaltungen. In einigen Ländern mit solchen Beschränkungen bestehen ausdrücklich Ausnahmen für die Durchführung von Parteiversammlungen7 oder jedenfalls allgemeine Ausnahmegenehmigungstatbestände8. In manchen Bundesländern gelten allerdings Teilnehmerzahlbeschränkungen ohne ausdrückliche Ausnahmen für Parteien oder allgemeine Ausnahmegenehmigungstatbestände.9 Letztlich ist nicht abzusehen, wie die Regeln in Zukunft im Einzelnen ausgestaltet sein werden. Somit kann im Einzelfall die Durchführung von Parteiversammlungen in der satzungsmäßig vorgesehenen oder üblichen Größe wegen Beschränkungen durch Corona-Schutzverordnungen der Länder an bestimmten Orten behindert oder ausgeschlossen sein. Die Bestimmung der Größe der Parteiversammlungen ist den Parteien im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich garantierten Parteienfreiheit überlassen. Die Parteiversammlungen nach §§ 21, 27 BWG füllen das Gebot innerparteilicher Demokratie nach Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG aus. Die Aufstellung der Wahlbewerber ist zudem ein wesentlicher Bestandteil der Wahlvorbereitung, durch den eine notwendige Voraussetzung für die Wahl geschaffen und das aktive und passive Wahlrecht (Art. 38 GG) unmittelbar berührt wird.10 Durch eine Beschränkung der Teilnehmerzahl von Parteiversammlungen zur Aufstellung der Wahlbewerber wären diese grundrechtsgleichen Rechte sowie das Statusrecht der Partei aus Art. 21 GG intensiv betroffen. Vor diesem Hintergrund kann es zweifelhaft sein, ob die Länder die Durchführung von notwendigen Parteiversammlungen mit der von den Parteien bestimmten Teilnehmerzahl überhaupt rechtlich wirksam ausschließen können. Pauschale Einschränkungen der Teilnehmeranzahl könnten zumindest im Verordnungswege auf Grundlage 6 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1385). 7 So etwa in Berlin nach § 6 Abs. 3 Nr. 4 SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung vom 23. Juni 2020 (GVBl. 2020, S. 562), neu gefasst durch Verordnung vom 29.10.2020 (GVBl. S. 842). 8 So etwa in Hessen nach § 1 Abs. 2b Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung vom 7. Mai 2020 (GVBl. 2020, S. 302), zuletzt geändert durch die Zwanzigste Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 19. Oktober 2020 (GVBl. 2020, S. 726). 9 So etwa in Baden-Württemberg gemäß § 10 Abs. 3 Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 vom 23. Juni 2020 (GBl. 2020, S. 483), zuletzt geändert durch die Fünfte Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 18. Oktober 2020 (GBl. 2020, S. 951). 10 BVerfGE 89, 243 (251 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/20 Seite 5 von §§ 28, 32 IfSG unzulässig sein.11 Stattdessen könnten einschränkende Regelungen der Corona- Schutzverordnungen der Länder verfassungskonform so auszulegen sein, dass die Durchführung dieser Parteiversammlungen – unter zumutbaren Auflagen – in der nach Ansicht der Parteien notwendigen Größe zulässig sein muss. 4. Durchführungsmöglichkeiten nach geltendem Recht Unabhängig von rechtlichen Beschränkungen könnten Parteien – etwa zum Schutz der sich versammelnden Parteimitglieder vor Infektionen – auch aus eigener Entscheidung auf die Durchführung von Parteiversammlungen verzichten wollen. Das Bundeswahlgesetz sieht in seiner aktuellen Fassung keine Möglichkeiten vor, die Wahlkreisbewerber bzw. Listenkandidaten anders als im Rahmen von Mitglieder- oder Vertreterversammlungen aufzustellen. Eine Abweichung durch Satzungsregelung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Im Folgenden werden andere Möglichkeiten geprüft, nach geltendem Recht rechtlichen oder tatsächlichen Einschränkungen der Durchführbarkeit einer Parteiversammlung zu begegnen. 4.1. Online-Parteitag mit elektronischer Abstimmung Die Möglichkeit der Aufstellung von Wahlbewerbern im Wege eines sog. Online-Parteitages mit elektronischer Abstimmung ist umstritten.12 Den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG entsprechend, muss eine parteiinterne Wahl demokratischen Grundsätzen genügen. Zum Teil wird die Durchführung eines Online-Parteitags zur Kandidatenaufstellung unter Bezug auf das einfache Recht vollständig abgelehnt. § 21 BWG mache deutlich, dass die Aufstellung der Bewerber in einer Versammlung mit Vorstellung der Kandidaten sowie mit Rede und Gegenrede stattfinden müsse.13 In der Literatur wird aber auch vertreten, dass Online-Parteitage und elektronische Abstimmungen bereits der geltenden Rechtslage nach dem PartG bzw. BWG entsprächen, sodass nur Satzungsänderungen der Parteien erforderlich seien.14 Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dürfte allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit in jedem Fall angezeigt sein. In bestimmtem Umfang sehen aktuelle, zeitlich begrenzte Rechtsänderungen, die zum Teil noch nicht in Kraft getreten sind, bereits elektronische Verfahren für Parteitage vor oder lassen diese im 11 Zur Einschränkung des Kommunalwahlrechts auf Grundlage der §§ 28, 32 IfSG so Gietl/Michl, Anordnung der Briefwahl rechtswidrig, Legal Tribune Online vom 20. März 2020, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende /h/corona-bayern-kommunalwahl-stichwahl-anordnung-briefwahl-rechtswidrig/; offen gelassen bei Lindner, Wahlen in Zeiten von Corona, Verfassungsblog vom 13. März 2020, abrufbar unter: https://verfassungsblog .de/wahlen-in-zeiten-von-corona/. 12 Siehe allgemein zur Zulässigkeit von Online-Parteitagen Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Online-Parteitage, WD 3 - 3000 - 327/11, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/412750/5df6998bf0f8908abeafb90ef17e9bea/WD-3-327-11-pdf-data.pdf. 13 Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, 10. Auflage 2017, § 21 Rn. 16. 14 Von Notz, Liquid Democracy, 1. Auflage 2020, S. 276; Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/20 Seite 6 Wege der Rechtsverordnung zu (siehe unter 5.). Elektronische Schlussabstimmungen sind davon allerdings ausdrücklich nicht umfasst.15 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer elektronischen Abstimmung wird in Bezug auf die Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 GG) problematisiert. Insbesondere wird eine Gefährdung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl befürchtet.16 Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu 2009 in seiner Wahlcomputer-Entscheidung Stellung genommen.17 Es hat dabei elektronische Wahlverfahren nur in bestimmten Grenzen für zulässig erklärt. Im Kern hat das Gericht ausgeführt, der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, 2 GG gebiete, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterlägen. Die Notwendigkeit einer solchen Kontrolle ergebe sich nicht zuletzt im Hinblick auf die Manipulierbarkeit und Fehleranfälligkeit elektronischer Wahlgeräte. Der Wähler selbst müsse – auch ohne nähere computertechnische Kenntnisse – nachvollziehen können, ob seine abgegebene Stimme als Grundlage für die Auszählung unverfälscht erfasst werde. Die gleiche Nachvollziehbarkeit müsse auch für die Wahlorgane gegeben sein. Danach ist die entscheidende Frage, ob inzwischen elektronische Wahlverfahren zur Verfügung stehen, die eine zuverlässige Richtigkeitskontrolle im Sinne des Bundesverfassungsgerichts sichern.18 Der Innenausschuss des Bundestages geht in seinem Bericht zur aktuellen Änderung des BWG (siehe dazu unter 5.) davon aus, dass eine elektronische Schlussabstimmung bei innerparteilichen Wahlen verfassungsrechtlich unzulässig sei.19 Elektronische Verfahren könnten aber „zur Vorermittlung , Sammlung und Vorauswahl der Bewerber genutzt werden, das heißt im Vorfeld zur eigentlichen [...] Abstimmung der Stimmberechtigten über die Kandidaturen.“20 Die eigentliche Wahl müsse auf konventionellem Wege, notfalls durch Briefwahl, durchgeführt werden. 4.2. Auswahl des Versammlungsortes Fraglich ist, ob der Versammlungsort im Falle rechtlicher Beschränkungen oder tatsächlicher Unwägbarkeiten – etwa hohen Infektionszahlen im Rahmen der Covid-19-Pandemie – frei ausgewählt 15 BT-Drs. 19/23197, S. 16. 16 Siehe etwa Roßner/Gierling, Sind virtuelle Parteitage und Kandidatenaufstellungen undemokratisch?, Legal Tribune Online, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-parteitag-kommunalwahl-kandidatenaufstellung -wahlen-demokratie-vereinsrecht/. 17 BVerfGE 123 (39). 18 Vgl. Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646); Roßner/Gierling, Sind virtuelle Parteitage und Kandidatenaufstellungen undemokratisch?, Legal Tribune Online, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-parteitag-kommunalwahl-kandidatenaufstellung-wahlen-demokratie -vereinsrecht/. 19 BT-Drs. 19/23197, S. 16. 20 Ähnlich zur Möglichkeit eines elektronischen Vorverfahrens bereits die Begründung zum Gesetzentwurf zur Änderung des BWG in BT-Drs. 19/20596, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/20 Seite 7 werden kann und etwa auf einen Ort mit weniger Einschränkungen bzw. niedrigeren Infektionszahlen ausgewichen werden kann. Zunächst ist fraglich, ob die Wahl der Wahlkreisbewerber nach § 21 BWG im jeweiligen Wahlkreis stattfinden muss. Aus dem Gesetz und aus den Wahlrechtsgrundsätzen nach Art. 38 Abs. 1 GG können keine Vorgaben für die lokale Verortung einer Mitgliederversammlung zur Wahl entnommen werden.21 Aus dem Fehlen einer gesetzlichen Regelung des Versammlungsortes und der Möglichkeit der Regelung durch die Parteiensatzung folgt eine weitgehende Freiheit der Parteigliederungen bei der Festlegung des Ortes der Wahlversammlung. Zwar besteht eine größere Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit von in anderen Wahlkreisen ansässigen und damit nicht stimmberechtigten Parteimitgliedern. Dies führt jedoch nur dazu, dass die Partei alle gebotenen und zumutbaren Vorkehrungen in organisatorischer Hinsicht treffen muss, um zu gewährleisten, dass alle stimmberechtigten Mitglieder, aber auch keine darüber hinaus, an der Abstimmung teilnehmen können.22 Dazu gehören beispielsweise die Kontrolle der Wohnorte anhand des Personalausweises am Eingang zum Versammlungsraum und die Frage zum Beginn der Veranstaltung, ob Zweifel an der Stimmberechtigung eines Mitgliedes bestehen. Zudem darf die allgemeine Chancengleichheit der Wahlbewerber23 nicht verletzt werden. So darf beispielsweise durch die Bestimmung eines weit entfernten oder schwer zugänglichen Versammlungsortes die Wahlchance eines Bewerbers nicht eingeschränkt werden. Für die Auswahl des Versammlungsortes für die Aufstellung der Listenkandidaten nach § 27 Abs. 5 BWG i.V.m. § 21 Abs. 1 BWG gelten diese Ausführungen entsprechend. Bei der Wahl des Versammlungsortes besteht eine weitgehende Freiheit. Soweit innerhalb des Bundeslandes Einschränkungen greifen, sollte ein Ausweichen auf ein anderes Bundesland grundsätzlich zulässig sein. 5. Abweichungsmöglichkeit aufgrund von Sonderregelungen Mit § 5 Abs. 2, Abs. 3 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19- Pandemie (COVMG)24 wurden für Vereine und Stiftungen Abweichungen vom Vereins- und Satzungsrecht zur Durchführung der vereinsrechtlichen Mitgliederversammlung (§ 32 BGB) zugelassen . Danach soll unter anderem die Teilnahme ohne Anwesenheit am Versammlungsort und die Ausübung der Mitgliederrechte im Wege elektronischer Kommunikation zulässig sein. Diese Sonderregel ist nach § 7 Abs. 5 COVMG nur auf im Jahr 2020 stattfindende Mitgliederversammlungen anzuwenden. Gemäß einer kürzlich beschlossenen Änderung des COVMG ist die 21 Zum Folgenden siehe ausführlich Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Kandidatenaufstellung in Wahlkreisen, WD 3 - 3000 - 186/20, S. 4 ff., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/724210/971c1856d714588575b86fd9a99ad712/WD-3-186-20-pdf-data.pdf. 22 SaarlVerfGH, Urteil vom 29. September 2011, Lv 4/11, juris Rn. 118; allgemein BVerfGE 89, 243 (256 f.). 23 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Kommentar, 90. EL Februar 2020, Art. 38 Rn. 118; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 21 Rn. 128. 24 Gesetz vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 569, 570). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/20 Seite 8 Sonderregel auch auf Mitglieder- und Vertreterversammlungen der Parteien und ihrer Gliederungen sowie ihrer sonstigen Organe entsprechend anwendbar.25 Dies gilt allerdings nicht für die Beschlussfassung über die Satzung und die Schlussabstimmung bei Wahlen nach § 9 Abs. 4 des Parteiengesetzes (unter anderem Vorstandwahlen). Abweichungen vom regulären Verfahren zur Aufstellung von Wahlbewerbern können in Zukunft gegebenenfalls aufgrund einer Rechtsverordnung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) möglich sein. Nach einem neu eingefügten § 52 Abs. 4 S. 1 BWG soll das BMI ermächtigt werden, im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages von den Bestimmungen über die Aufstellung von Wahlbewerbern abweichende Regelungen zu treffen und Abweichungen der Parteien von entgegenstehenden Bestimmungen ihrer Satzungen zuzulassen, um die Benennung von Wahlbewerbern ohne Versammlungen, soweit erforderlich, zu ermöglichen, wenn der Deutsche Bundestag zu einem Zeitpunkt, der näher als neun Monate vor dem Beginn des nach Art. 39 Abs. 1 S. 3 des Grundgesetzes bestimmten Zeitraums liegt, feststellt, dass die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist.26 Stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Deutschen Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlussfähig, so entscheidet der nach § 3 des Wahlprüfungsgesetzes gebildete Ausschuss des Deutschen Bundestages über die Feststellung und die Zustimmung nach Satz 1 (§ 52 Abs. 4 S. 2 BWG n.F.). In § 52 Abs. 4 S. 3 BWG n.F. werden mögliche Inhalte der Rechtsverordnung beispielhaft aufgeführt : „Durch Rechtsverordnung nach Satz 1 können Regelungen getroffen werden, die den Parteien für die Wahl bei Vorliegen der in Satz 1 genannten Umstände eine Abweichung von den entgegenstehenden Bestimmungen dieses Gesetzes [des BWG], der Bundeswahlordnung und, sofern eine Satzungsänderung wegen der in Satz 1 genannten Umstände und der in diesem Gesetz und der Bundeswahlordnung bestimmten Fristen und Termine nicht mehr rechtzeitig möglich ist, ihrer Satzungen ermöglichen, insbesondere, 1. um die Wahl der Wahlbewerber und der Vertreter für die Vertreterversammlungen unter Verringerung der satzungsgemäßen Zahl der Vertreter in der Vertreterversammlung oder anstatt durch eine Mitgliederversammlung durch eine Vertreterversammlung durchführen zu können, 2. um Mitglieder- oder Vertreterversammlungen in der Form mehrerer miteinander im Wege der elektronischen Kommunikation verbundener gleichzeitiger Teilversammlungen an verschiedenen Orten durchführen zu können, 25 Art. 2 Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, Gesetzesbeschluss vom 9. Oktober 2020, BR-Drs. 594/20; noch nicht in Kraft. 26 Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 9. Oktober 2020 (Fn. 24), BR-Drs. 594/20, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/20 Seite 9 3. um die Wahrnehmung des Vorschlagsrechts, des Vorstellungsrechts und der sonstigen Mitgliederrechte mit Ausnahme der Schlussabstimmung27 über einen Wahlvorschlag ausschließlich oder zusätzlich im Wege elektronischer Kommunikation ermöglichen zu können, 4. um die Wahl von Wahlbewerbern und Vertretern für die Vertreterversammlungen im Wege der Briefwahl oder einer Kombination aus Urnenwahl und Briefwahl durchführen zu können.“28 Die Änderungen im BWG sind bis zum 31. Dezember 2021 befristet (Art. 3 S. 2 des Änderungsgesetzes )29. Das Gesetz ist vom Bundestag am 9. Oktober 2020 beschlossen worden. Daraufhin beschloss der Bundesrat am selben Tag, den Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen.30 Das Gesetz ist somit gem. Art. 78 GG zustande gekommen. Es steht noch das sog. Abschlussverfahren nach Art. 82 GG aus, d.h. die Ausfertigung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler (Art. 58 GG) sowie die Verkündung im Bundesgesetzblatt. Das Gesetz tritt am Tag seiner Verkündung in Kraft (Art. 3 S. 1 GG)31. *** 27 Siehe unter 4.1. 28 Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 9. Oktober 2020 (Fn. 24), BR-Drs. 594/20, S. 2. Hervorhebung nur hier. 29 Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 9. Oktober 2020 (Fn. 24), BR-Drs. 594/20, S. 3. 30 Beschluss des Bundesrates vom 9. Oktober 2020, BR-Drs. 594/20(B). 31 Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 9. Oktober 2020 (Fn. 24), BR-Drs. 594/20, S. 3.