© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 240/17 Weisungswidriges Abstimmungsverhalten von Ministern einer geschäftsführenden Regierung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 240/17 Seite 2 Weisungswidriges Abstimmungsverhalten von Ministern einer geschäftsführenden Regierung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 240/17 Abschluss der Arbeit: 29.11.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 240/17 Seite 3 1. Fragestellung Es wurde die Frage gestellt, welche rechtliche Konsequenz nach dem Grundgesetz möglich ist, wenn das Abstimmungsverhalten eines Ministers in Gremien der Europäischen Union gegen die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien verstößt. 2. Meinungsstand In Betracht kommt, dem Bundespräsidenten gemäß Art. 64 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vorzuschlagen, den Minister zu entlassen. Ob eine geschäftsführende Regierung hierzu die Befugnis hat, ist in der verfassungsrechtlichen Literatur umstritten. Nach Art. 69 Abs. 3 GG ist die bisherige Bundesregierung „auf Ersuchen des Bundespräsidenten […] verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung […] [einer neuen Regierung] weiterzuführen.“ Die Verpflichtung einer solchen vorübergehenden geschäftsführenden Regierung dient dem Zweck, die Regierungsgeschäfte nicht zum Erliegen kommen zu lassen. Der Übergangscharakter der geschäftsführenden Bundesregierung gebietet aber größtmögliche politische Zurückhaltung.1 Nach Auffassung mehrerer Verfassungsrechtler ist die geschäftsführende Regierung daher im Unterschied zur ordentlichen Regierung grundsätzlich nicht befugt, das Kabinett umzugestalten („Versteinerungsprinzip “).2 Einzelne Verfassungsrechtler gehen hingegen davon aus, dass die geschäftsführende Regierung befugt ist, dem Bundespräsidenten zumindest die Entlassung einzelner Minister vorzuschlagen.3 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts existiert zu dieser Frage soweit ersichtlich nicht. Geht man von dem grundsätzlichen Verbot einer Umgestaltung des Kabinetts aus, sind Ausnahmen gleichwohl denkbar. Dies liegt nahe bei schweren Straftaten oder wenn der Minister eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Amt unvereinbar ist (§ 4 und 5 Bundesministergesetz: Mitgliedschaft in einer Landesregierung; Ausübung eines anderen Berufs). Ob der einmalige Verstoß gegen die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien ausreicht, eine Ausnahme zu begründen, ist zweifelhaft. Auf der einen Seite ist es zwar wichtig, dass die Bundesregierung als „einheitliches Verfassungsorgan […] zu einer gemeinsam zu tragenden Haltung“ findet.4 Auf der anderen Seite aber ist es auch wichtig, dass die Minister einer geschäftsführenden Regierung möglichst im Amt bleiben: Die geschäftsführende Regierung kann aufgrund ihres Übergangscharakters dem Bundespräsidenten grundsätzlich keine neuen amtierenden oder geschäftsführenden Minister zur Ernennung vorschlagen.5 Je weniger Minister eine geschäftsführende Regierung (noch) hat, desto höher dürften daher die Anforderungen an eine Entlassung anzusetzen sein. *** 1 Oldiges, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2017, Art. 69 Rn. 39. 2 Oldiges, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2017, Art. 69 Rn. 39, mit weiteren Nachweisen. 3 Epping, in: Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 69 Rn. 46: keine Kabinettserweiterung; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 69 Rn. 23: Kabinettsumbildungen zulässig. 4 Busse, Geschäftsordnung Bundesregierung, 2. Aufl. 2014, § 9 Rn. 8. 5 Oldiges, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2017, Art. 69 Rn. 39; anderer Auffassung: Hermes, in: Dreier, Grundgesetz , Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 69 Rn. 23.