© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 239/19 Fragen zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Glücksspielwesen und zur Verletzung des Demokratieprinzips durch das Glücksspielkollegium Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 2 Fragen zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Glücksspielwesen und zur Verletzung des Demokratieprinzips durch das Glücksspielkollegium Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 239/19 Abschluss der Arbeit: 27.11.2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Die Regulierung des Glücksspielmarkts1 ist in Deutschland zweigeteilt. Das Bundesrecht stellt zunächst unerlaubtes öffentliches Glücksspiel in § 284 Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe. Zudem sind die Segmente Spielautomaten und Pferdewetten bundesgesetzlich durch die Genehmigungsvoraussetzungen für das Aufstellen von Spielautomaten in § 33c Gewerbeordnung (GewO)2 und die Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (SpielV)3 bzw. durch das Rennwetten- und Lotteriegesetz (RennwLottG)4 geregelt. Im Juni 2012 hat der Bundesgesetzgeber allerdings § 25 RennwettLottG um einen Abs. 3 ergänzt.5 Nach der neu eingeführten Öffnungsklausel sind die Bundesländer befugt, weitergehende Vorschriften über das Veranstalten und Vermitteln von Pferdewetten zu erlassen. Die Bundesländer haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.6 Die Bundesländer haben Regelungen für die Segmente Lotterien, Sportwetten, Spielbanken, Spielhallen, Gaststätten und Wettannahmestellen der Buchmacher, soweit sie Geld- oder Warenspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit bereithalten, und Pferdewetten getroffen und ein grundsätzliches Verbot für das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet7 geregelt. Zentrale Rechtsquelle des Glücksspielrechts ist der Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (GlüStV) vom 15. Dezember 2011 in der Fassung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags 8. Er löste einen früheren Staatsvertrag von 2008 ab, der nur bis zum 31. Dezember 2011 galt, da die Bundesländer seine Fortgeltung nicht beschlossen hatten. Eine geplante Ablösung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags zum 1. Januar 2018 durch den zuvor 1 Zur Begriffsbestimmung des Glückspiels und einzelner Glücksspielsegmente siehe Ohly, in: Ohly/Sosnitza (Hrsg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 7. Auflage 2016, UWG § 3a Rechtsbruch Rn. 82. 2 Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I S. 202), zuletzt geändert durch Art. 5 Abs. 11 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846). 3 Spielverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Januar 2006 (BGBl. I S. 280), zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 61 des Gesetzes vom 18. Juli 2016 (BGBl. I S. 1666). 4 Rennwett- und Lotteriegesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 611-14, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 236 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474). 5 Art. 1 Gesetz zur Besteuerung von Sportwetten vom 29. Juni 2012, BGBl. I 1424 ff. (1426). 6 Vgl. Art. 27 Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag - GlüStV) vom 15. Dezember 2011 (GVBl. 2012 S. 318, 319, 392, BayRS 02-30-I). 7 Vgl. Art. 4 Abs. 4, Abs. 5 GlüStV. 8 Erster Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag - Erster GlüÄndStV) vom 15. Dezember 2011, abrufbar unter: https://beck-online .beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fges%2Fstv_240_2012_0275%2Fcont%2Fstv_240_2012_0275.htm&anchor=Y-100-G- STV_240_2012_0275 (letzter Abruf 27. November 2019). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 4 von den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen ausgehandelten Zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrag scheiterte daran, dass ihn nicht alle Bundesländer ratifiziert haben.9 Im März 2019 haben sich Bundesländer im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz auf den Dritten Glücksspieländerungsstaatsvertrag verständigt. Dieser muss durch die Bundesländer bis zum 31. Dezember 2019 ratifiziert werden und soll zum 1. Januar 2020 in Kraft treten.10 Zur Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrages haben die Bundesländer als Koordinationsgremium das Glücksspielkollegium eingesetzt, § 9a Abs. 5 GlüStV. Das Glücksspielkollegium besteht aus 16 Mitgliedern der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder. Die Länder benennen je ein Mitglied und einen Vertreter. Dem Glücksspielkollegium obliegt die abschließende Beurteilung aller Anträge auf Erlaubnisse und Konzessionen in den ländereinheitlichen Verfahren nach § 9a Abs. 1 und Abs. 2 GlüStV und in den gebündelten Verfahren nach § 19 Abs. 2 GlüStV sowie aller Fragen der Glücksspielaufsicht nach § 9a Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GlüStV von nicht unerheblicher Bedeutung. Das Glücksspielkollegium erarbeitet die Richtlinien zur Konkretisierung von Art und Umfang der nach § 5 Abs. 1 bis Abs. 3 GlüStV erlaubten Werbung (Werberichtlinien ) in dem nach § 5 Abs. 4 i.V.m. § 9a Abs. 6 bis Abs. 8 GlüStV vorgesehenen Verfahren .11 Der Sachstand behandelt verschiedene Fragen zu den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes für die Regulierung des Glücksspielwesens sowie zur Verfassungsmäßigkeit des Glücksspielkollegiums . 2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für verschiedene Glücksspielsegmente nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Gefragt wird, für welche Glücksspielsegmente von einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Grundgesetz (GG) (Recht der Wirtschaft) ausgegangen werden kann. Das Grundgesetz kennt für das Glücksspielrecht keinen klaren und einheitlichen Kompetenztitel .12 Prägend für die Glücksspielregulierung ist ihre legislatorische Zweiteilung: Nach der föderalen Kompetenzordnung des GG können sich sowohl der Bundes- als auch die Landesgesetzgeber 9 Siehe die Meldung der Thüringer Fachstelle GlücksSpielSucht, fdr Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V. vom 18. Januar 2018, abrufbar unter https://gluecksspielsucht-thueringen.de/zweiter-gluecksspielaenderungsstaatsvertrag -tritt-nicht-in-kraft-ein-kommentar-der-thueringer-fachstelle-gluecksspielsucht/ (letzter Abruf 27. November 2019). 10 Dritter Glücksspieländerungsstaatsvertrag vom 18. April 2019 (SächsGVBl. S. 640); abrufbar unter https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/18356-Dritter-Gluecksspielaenderungsstaatsvertrag#x1; siehe dazu die Meldung der Pressestelle der Niedersächsischen Landesregierung vom 10.09.2019, abrufbar unter: https://www.stk.niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/gesetz-zum-dritten-glucksspielanderungsstaatsvertrag -180474.html (letzter Abruf jeweils 27. November 2019). 11 Siehe die Informationen des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport, abrufbar unter: https://innen .hessen.de/buerger-staat/gemeinsame-geschaeftsstelle-gluecksspiel2/gluecksspielkollegium2 (letzter Abruf 27. November 2019). 12 Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, Einf Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 5 auf Gesetzgebungskompetenzen berufen. Traditionell wurden die klassischen Glücksspielsegmente (Lotterien, Sportwetten und Spielbanken) der gefahrenvorsorgenden Regelungskompetenz der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG und das Automatenspiel und die Pferdewette dem wirtschaftsrechtlichen Kompetenztitel nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zugeordnet.13 Nicht zuletzt angestoßen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März 2006 zum Sportwettenmonopol 14 ist diese Zuordnung zunehmend in die Diskussion geraten.15 Hinzu tritt der Umstand, dass im Rahmen der Föderalismusreform I von 2006 das früher in den § 33c bis § 33i GewO und der zugehörigen SpielV geregelte Recht der Spielhallen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG herausgenommen und den Ländern damit die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich zugewiesen wurde. Die Reichweite der Ausnahme für das „Recht der Spielhallen“ war lange umstritten.16 Diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht mittlerweile zugunsten einer weitreichenden Länderkompetenz entschieden.17 Insgesamt ist festzustellen, dass die Zuordnung des Glücksspielwesens und insbesondere der verschiedenen Glücksspielsegmente zu den verschiedenen Kompetenztiteln im Grundgesetzt nicht in allen Fällen höchstrichterlich geklärt und in der Literatur zum Teil umstritten ist. Einen Überblick über die einschlägigen Kompetenztitel für verschiedene Segmente des Glücksspiels gibt die Ausarbeitung der Wissenschaftliche Dienste des Deutscher Bundestages, Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Glücksspielwesen, WD 3 - 375/07. Anlage 1 Es wird aufgezeigt, dass der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zunehmend zentrale Bedeutung zugemessen wird. Die Kompetenzordnung des Grundgesetztes hat sich seitdem nicht geändert, so dass die Ausführungen der Ausarbeitung im Wesentlichen noch aktuell sind. Die Ausführungen zur Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Spielhallen sind allerdings um den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. März 2017 zu den Spielhallen18 zu ergänzen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Streit um die Reich- 13 Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, Einf Rn. 8.; Wormit, Grundstrukturen und aktuelle Entwicklungslinien der deutschen Glücksspielregulierung, NVwZ 2017, 281 ff. (281); Heeg/Levermann , Glücksspielregulierung in Deutschland vor der Marktöffnung - Lotto, Sportwetten und Gaming im Internet , MMR 2012, 20 ff. (21); Lippert, Glücksspielrecht – nationale und europarechtliche Grundlagen, JA 2012, 124 ff. (124). 14 BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276 ff. 15 Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, Einf Rn. 8. 16 Siehe dazu Sachs, Staatsorganisationsrecht: Gesetzgebungskompetenzen, Landesgesetzgebungskompetenz zur Regelung gewerblicher Anforderungen an Spielhallen, JuS 2017, 708 ff. (709) mit weiteren Hinweisen. 17 BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u. a., BVerfGE 145, 20 ff. 18 BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u. a., BVerfGE 145, 20 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 6 weite der Ausnahme in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG entschieden und den Ländern die ausschließliche Zuständigkeit nicht nur für die Zulassung, sondern auch für die Regelung der gewerblichen Anforderungen an den Betrieb von Spielhallen zugesprochen.19 Eine weitere Zusammenstellung der Zuordnung der verschiedenen Glücksspielsegmente auf die verschiedenen Kompetenztitel liefert Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, II. 1 Verfassungsrechtliche Aspekte, 1. Kompetenzfragen, Rn. 8 ff. Anlage 2 Dietlein stellt den Meinungsstand für verschiedene Glücksspielsegmente dar. Seine Positionen sind dadurch geprägt, dass er der gefahrenabwehrenden Regelungskompetenz der Länder zentrale Bedeutung beimisst. Im Rahmen seiner Ausführungen zum Segment der Sportwetten setzt er sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sportwettenmonopol auseinander. Dieses hatte folgenden Hinweis gegeben: „Eine Neuregelung kommt dabei grundsätzlich sowohl durch den Bundes- wie den Landesgesetzgeber in Betracht. Insoweit kann auch der Bund, gestützt auf den Gesetzgebungstitel für das Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, unter den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG tätig werden. Eine Kompetenz des Bundes scheitert nicht an dem ordnungsrechtlichen Aspekt der Regelungsmaterie.“20 Dietlein versteht diesen Hinweis so, dass das Bundesverfassungsgericht darauf aufmerksam machen wollte, dass die Frage nach dem einschlägigen Kompetenztitel letztlich mit Blick auf die jeweilige gefahrenabwehrrechtliche Bewertung des Sachgebiets durch den zuständigen Gesetzgeber beantwortet werden könne.21 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht für das Segment der Spielhallen eine klare Entscheidung zugunsten der Länderkompetenz getroffen hat. Wie der Hinweis im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sportwettenmonopol deutlich macht, hält das Bundesverfassungsgericht dagegen eine alternative Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Segment der Sportwetten für möglich. Welche Anleihen aus diesem Hinweis für die Segmente der 19 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u. a, BVerfGE 145, 20 ff. (1. Leitsatz). 20 BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276 ff. (Rn. 155). 21 Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, Einf Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 7 Spielbanken und Lotterien gezogen werden können, ist nach wie vor offen und wird in der Literatur unterschiedlich bewertet.22 3. Zustimmungsbedürftigkeit bundesgesetzlicher Regelungen im Bereich des Glückspielwesens Gefragt ist, ob eine bundesgesetzliche Regelung im Bereich des Glücksspielwesens der Zustimmung des Bundesrates bedürfte. Bei der Betrachtung soll auf die einzelnen Glückspielsegmente eingegangen werden. Bei Zustimmungsgesetzen ist gemäß Art. 78 Var. 1 GG das Zustandekommen des Gesetzes von einer ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrates abhängig. 23 Ein Gesetz bedarf nur dann der Zustimmung des Bundesrates, wenn dies im Grundgesetz ausdrücklich angeordnet ist.24 Die Verfassung zählt die Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen abschließend auf.25 Ausnahmen von diesem Enumerationsprinzip für zustimmungspflichtige Gesetze kennt das Grundgesetz nicht,26 insbesondere gibt es keine ungeschriebenen Zustimmungserfordernisse.27 Eine Zustimmungsbedürftigkeit wird auch nicht allein dadurch begründet, dass in Länderinteressen eingegriffen wird.28 Maßgeblich für die Zustimmungsbedürftigkeit ist allein die verfassungsrechtliche Einordnung des Gesetzes.29 Regelungen über die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen finden sich über das ganze Grundgesetz verteilt. Teils beziehen sie sich auf eng umgrenzte Gesetzgebungsmaterien , teils auf nach allgemeinen Merkmalen bestimmte Kategorien von Gesetzen (vgl. etwa Art. 79 Abs. 2, Art. 84 Abs. 1, Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG).30 Wird ein Gesetz von keinem dieser Fälle erfasst, ist es ein Einspruchsgesetz. 22 Gegen eine ausschließliche Zuständigkeit für das Spielbankenrecht der Länder siehe nur Degenhardt, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 74 Rn. 47; Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 15. Auflage 2018, Art. 74 Rn. 29; a.A. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 41. Edition, Stand: 15.02.2019, Art. 74 Rn. 44.4; Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, Einf Rn. 9, der auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 26. März 2007 - 1 BvR 2228/02 (NVwZ-RR 2008, 1 ff.), hinweist, die zeitlich nach der Entscheidung über das Sportwettenmonopol erging und von einer gefahrenabwehrrechtlichen Zielrichtung des Spielbankenrechts ausgehe. 23 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage, 2013, Art. 77 Rn. 19. 24 Vgl. BVerfG Beschluss vom 25. Juni 1974 – 2 BvF 3/73, BVerfGE 37, 363 (381). 25 Eine Auflistung der Artikel, die gegenwärtig eine Zustimmung des Bundesrates vorsehen, findet sich bei: Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 95 f. 26 Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 96. 27 Vgl. Schmidt, Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen, JuS 1999, 861 ff. (862). 28 Bryde, in: Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, 6. Aufl. 2012, Bd. 2, Art. 77, Rn. 20. 29 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage 2013, Art. 77 Rn. 20. 30 Siehe auch die Zusammenstellung aller gegenwärtigen Fälle, in denen das Grundgesetz eine Zustimmung des Bundesrates zu Bundesgesetzen vorsieht, von Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Werkstand : 87. EL März 2019, Art. 77 Rn. 95. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 8 Verfassungsändernde Gesetze sind stets Zustimmungsgesetze. Art. 79 Abs. 2 GG erfordert für das Gesetzgebungsverfahren eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages (gesetzliche Mitgliederzahl) und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Die Einführung eines eigenständigen Kompetenztitels für die ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebung des Bundes für das Glücksspielwesen in das Grundgesetz würde eine Verfassungsänderung bedeuten und wäre mithin zustimmungspflichtig. Die Ausgangslage für die einzelnen Glücksspielsegmente stellt sich weiter wie folgt dar: Wie oben ausgeführt, findet sich in dem Kompetenztitel Recht der Wirtschaft des Art. 74 Abs.1 Nr. 11 GG eine explizite Ausnahme für das Recht der Spielhallen. Im Rahmen der Föderalismusreform I wurde den Bundesländern die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich zugewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Ländern in diesem Bereich eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit nicht nur für die Zulassung, sondern auch für die Regelung der gewerblichen Anforderungen an den Betrieb von Spielhallen zugesprochen. Eine bundesgesetzliche Regelung des Rechts der Spielhallen würde daher eine Änderung des Art 74. Abs. 1 Nr. 11 GG voraussetzen und wäre als Verfassungsänderung zustimmungsbedürftig. Anders als für die Titel der konkurrierenden Gesetzgebung Staatshaftung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG) und Beamtenstatus (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) sieht Art. 74 Abs. 2 GG für den Kompetenztitel Strafrecht in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und für den Kompetenztitel Recht der Wirtschaft des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG kein Zustimmungserfordernis vor. Eine Zustimmungsbedürftigkeit könnte sich unter Umständen je nach Ausgestaltung des Gesetzesvollzugs ergeben. Sollte vorgesehen werden, dass die Länder das oder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, wären die Regelungen zur Zustimmungsbedürftigkeit in Art. 84 Abs. 1 S. 3 GG (sofortiges Inkrafttreten von Regelungen zur Einrichtung von Behörden und des Verwaltungsverfahrens), in Art. 84 Abs. 1 S. 5 und S. 6 GG (Ausschluss abweichender Landesregelung des Verwaltungsverfahrens) sowie in Art. 84 Abs. 5 GG (Ermächtigung der Bundesregierung zum Erteilen von Einzelanweisungen) zu beachten. Sollte vorgesehen werden, dass die Länder die Bundesgesetze im Auftrag des Bundes ausführen sollen, könnte ggfs. das Zustimmungserfordernis in Art. 85 Abs. 1 GG (Vorgaben für die Einrichtung der Behörden) zum Tragen kommen . Auch im Rahmen der bundeseigenen Verwaltung sieht das Grundgesetz einen Fall der Zustimmungsbedürftigkeit vor, vgl. Art. 87 Abs. 3 GG (Einrichtung von bundeseigenen Mittel- und Unterbehörden. 4. Zur Frage der Verfassungswidrigkeit des Glücksspielkollegium Gefragt wird, ob die Einrichtung des Glücksspielkollegiums und die Kompetenzzuweisung auf dieses Gremium gemäß § 9a GlüStV gegen das Demokratieprinzip verstößt. Nach dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bedarf alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter der demokratischen Legitimation. Es muss sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird der „notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 9 Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt“31. Das Bundesverfassungsgericht differenziert zwischen der personellen und der sachlich-inhaltlichen Legitimation: Eine hoheitliche Entscheidung ist in personeller Hinsicht legitimiert, wenn sich die Bestellung desjenigen, der sie trifft, durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Staatsvolk zurückführen lässt. Die sachlich -inhaltliche Legitimation einer Verwaltungsentscheidung wird durch die Bindung an das Gesetz und an Aufträge und Weisungen der Regierung vermittelt. Personelle und sachlich-inhaltliche Legitimation stehen in einem wechselbezüglichen Verhältnis, so dass eine verminderte Legitimation über den einen Strang durch verstärkte Legitimation über den anderen ausgeglichen werden kann, sofern insgesamt ein bestimmtes Legitimationsniveau erreicht wird; dieses Niveau muss umso höher sein, je intensiver eine Entscheidung Grundrechte berührt wird.32 Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob das Glücksspielkollegium das Demokratieprinzip verletzt, noch nicht geklärt. Rechtsprechung und Literatur kommen in dieser Frage zu unterschiedlichen Bewertungen: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel (VGH Kassel) hatte über die Entscheidung des Glücksspielkollegiums über die Vergabe von Sportwettenkonzessionen zu entscheiden.33 In seinem Beschluss im Oktober 2015 hat der VGH Kassel die Einrichtung des Glücksspielkollegiums in seiner ihm nach § 9a GlüStV zugedachten Funktion als eine „nicht hinreichend demokratisch legitimierte“ Einrichtung erachtet. Die Übertragung von Kompetenzen der Länder auf das Glücksspielkollegium sei verfassungswidrig, auch wenn diese nur eine die Verwaltung intern bindende Wirkung haben würden.34 Der VGH Kassel betont, dass „die Kompetenzüberlassung von Entscheidungen , die den Ländern zugewiesen sind, auf ein Gremium, das weder ein dem Bund, noch ein den Ländern eingegliedertes Organ darstellt, sondern vielmehr eine Einrichtung eigener Art, eine „dritte Ebene“ sei, der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes widerspreche.35 Das Glückspielkollegium entscheide mit einer Zweidrittelmehrheit, sodass einzelne Länder überstimmt werden könnten. Dies führe dazu, dass die Entscheidungen des Glücksspielkollegiums in diesen Ländern ohne Anbindung an das Staatsvolk des betreffenden Landes vollzogen werden würden. Die in den Ländern bestehenden Kontroll- und Aufsichtsbefugnisse würden ins Leere greifen. Die Entscheidungen des Glücksspielkollegiums könnten weder personell noch sachlich- 31 BVerfG Urteil vom 18. Januar 2012 – 2 BvR 133/10, BVerfGE 130, 76 (123) m. w. N. 32 BVerfG Urteil vom 18. Januar 2012 – 2 BvR 133/10, BVerfGE 130, 76/130 (124) m. w. N. 33 VGH Kassel Beschluss vom 16. Oktober 2015 – 8 B 1028/15, NVwZ 2016, 171 ff.. 34 VGH Kassel Beschluss vom 16. Oktober 2015 – 8 B 1028/15, NVwZ 2016, 171 ff. (173 Rn. 41), Siehe auch Kirchhoff , Die verfassungsgeforderte Reform des Glücksspielwesens – Zu den Entscheidungen des VGH Kassel vom 16.10.2015 und des BayVerfGH vom 25.09.2015, NVwZ 2016, 124 ff. und Hecker/Ruttig, in: Fezer/Büscher /Obergfell (Hrsg.), Lauterkeitsrecht: UWG Band 1, 3. Auflage 2016, Gewinn- und Glücksspiele im Lauterkeitsrecht (S 20) Rn. 235. 35 VGH Kassel Beschluss vom 16. Oktober 2015 – 8 B 1028/15, NVwZ 2016, 171 ff. (172 Rn. 36). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 10 inhaltlich auf das Bundesvolk oder einem Landvolk zurückgeführt werden.36 Darin sieht der VGH Kassel eine Verletzung des Demokratieprinzips. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) war zuvor im September 2015 zu einer anderen Entscheidung gelangt. Der Gerichtshof hatte sich mit der vom Glücksspielkollegium beschlossenen Werberichtlinie zu befassen. In seiner Entscheidung spricht er dem Glücksspielkollegium zwar die demokratische Legitimation ab, außenrechtswirksame Regelungen zu erlassen, die „über den verwaltungsinternen Bereich hinaus unmittelbare Bindungswirkung entfalten und damit in Gestalt einer Rechtsnorm erlassen werden“37. Der Gerichtshof hat in der Einrichtung des Glücksspielkollegiums aber keinen Verstoß gegen das Demokratieprinzip erkennen können. Er hat vielmehr festgestellt, dass der notwendige demokratische Legitimationszusammenhang gewahrt bleibe, da das Glücksspielkollegium aus weisungsunterworfenen Vertretern der Bundesländer bestehe.38 Dass das einzelne Bundesland gegenüber den (Mehrheits-)Entscheidungen eines intraföderalen Beschlussorgans kein Vetorecht besitze, sei jedenfalls dann verfassungsrechtlich hinnehmbar, wenn es nur um den administrativen Vollzug eines staatsvertraglichen Regelwerks gehe, bei dem keine Entscheidungen von erheblichem politischem Gewicht zu treffen seien.39 Wie der VGH Kassel hat auch der BayVerfGH zunächst festgestellt, dass wenn Entscheidungen im kooperativen Verfahren nach § 9a Abs. 1 bis 3 oder § 19 Abs. 2 GlüStV getroffen werden, es zwar jeweils bei fast allen Bundesländern an einer personellen demokratischen Legitimation fehle, „da hier nur die Bediensteten der Glücksspielaufsichtsbehörde eines einzelnen Landes nach außen hin tätig werden und die übrigen Bundesländer auf deren Bestellung keinen bestimmenden Einfluss haben.“40 Nach Ansicht des BayVerfGH ergebe die Gesamtbetrachtung aber ein hinreichendes Legitimationsniveau, denn es bestehe jedoch – neben der gesetzlichen Bindung an die Vorschriften des Staatsvertrags – eine zusätzliche sachlich-inhaltliche Legitimation, die über das Glücksspielkollegium der Länder vermittelt würde und sich damit auf die einzelnen Landesregierungen und die demokratisch gewählten Landesparlamente zurückführen lasse.41 Der mit der Bindung an die (qualifizierten) Mehrheitsentscheidungen einer Gemeinschaftseinrichtung eintretende Verlust an einzelstaatlicher Souveränität werde immerhin teilweise kompensiert durch die vertraglich garantierte Mitwirkung am kollektiven Willensbildungsprozess.42 Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG HH) hatte im Juli 2017 über das gebündelte Verfahren nach § 19 Abs. 2 GlüStV unter Beteiligung des Glücksspielkollegiums zu entscheiden und sich in diesem Zusammenhang mit der Frage der demokratischen Legitimation des Glücksspielkollegiums auseinanderzusetzen. Das OVG HH teilt die Ansicht des BayVerfGH, dass das 36 VGH Kassel Beschluss vom 16. Oktober 2015 – 8 B 1028/15, NVwZ 2016, 171 ff. (173 Rn. 45). 37 BayVerfGH Entscheidung von 25. September 2015 – Vf. 9-VII-13 Rn. 210. 38 BayVerfGH Entscheidung von 25. September 2015 – Vf. 9-VII-13 Leitsatz 4. 39 BayVerfGH Entscheidung von 25. September 2015 – Vf. 9-VII-13 Leitsatz 5. 40 BayVerfGH Entscheidung von 25. September 2015 – Vf. 9-VII-13 Rn. 156. 41 BayVerfGH Entscheidung von 25. September 2015 – Vf. 9-VII-13 Rn. 156. 42 BayVerfGH Entscheidung von 25. September 2015 – Vf. 9-VII-13 Rn. 164. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 11 Glücksspielkollegium das Demokratieprinzip nicht verletze, und schließt sich dessen Argumentation an. Da das Glücksspielkollegium seine Beschlüsse mit einer Mehrheit von mindestens zwei Drittel der Stimmen seiner Mitglieder treffe, könne es zwar im Einzelfall in diesem grundrechtssensiblen Bereich zu Entscheidungen kommen, denen die Vertreter einzelner Länder aufgrund einer ministeriellen Weisung ausdrücklich widersprochen haben und für die daher gegenüber den jeweiligen Landesparlamenten keine volle Verantwortung übernommen werden könne. In dieser Schmälerung des demokratischen Legitimationszusammenhangs liege jedoch noch kein Verfassungsverstoß. Zum einen seien sowohl das Glücksspielkollegium als auch die einem hohen Quorum unterliegenden Mehrheitsentscheidungen demokratisch durch den Staatsvertrag, der von den jeweiligen Landesparlamenten ratifiziert worden ist, legitimiert. Zum anderen seien die Entscheidungen auch durch die von dem Staatsvertrag vorgegebenen Sachnormen sachlich-inhaltlich legitimiert. Die Entscheidungen müssten sich innerhalb der engen Vorgaben des Glücksspielstaatsvertrags halten und erlaubten trotz des bestehenden Ermessens keinen glücksspielpolitischen Regulierungs- oder Gestaltungsspielraum. Ein gerichtlich nicht vollständig überprüfbarer Beurteilungsspielraum sei nicht ersichtlich. Eine vollständige Abkopplung vom demokratischen Legitimationszusammenhang sei ferner dadurch ausgeschlossen, dass der Staatsvertrag nur befristet laufe und danach jährlich kündbar sei. Neben der vertraglich garantierten Mitwirkung am kollektiven Willensbildungsprozess, die verhindere, dass überstimmte Länder Objekte einer Fremdbestimmung würden, unterliege auch das Außenhandeln des Vollzugslandes einer demokratischen Legitimation. Das nach außen handelnde Land habe die fachliche (Letzt-)Verantwortung für die getroffene Sachentscheidung zu übernehmen. Zwar bestehe nach § 9a Abs. 8 S. 4 Hs. 1 GlüStV eine Bindungswirkung für das nach außen handelnde Land. Diese Bindungswirkung bestehe jedoch nur so weit, wie die Beschlüsse rechtmäßig seien. Im Falle ihrer Rechtswidrigkeit würden die Beschlüsse des Glücksspielkollegiums als Innenrechtsakte keine Rechtswirkungen entfalten und damit auch keine Bindungswirkung. Ferner wäre der verfassungsrechtlich zulässige Weg, einzelne länderübergreifend anfallende Aufgaben durch Staatsvertrag auf gemeinschaftliche Einrichtungen zur einheitlichen Erfüllung zu übertragen, in der Praxis erheblich erschwert , wenn die Ausübung der damit verbundenen Entscheidungsbefugnisse vom Konsens aller Länder abhinge, mithin jedem Land ein Vetorecht zustünde. Demokratie und Rechtsstaat würden gerade auch verlangen, dass Institutionen handlungsfähig seien und rechtzeitige Entscheidungen gewährleisten könnten.43 Das OVG Hamburg hat sich weiter mit der Frage auseinandergesetzt , ob das Glücksspielkollegium das Rechtsstaatsprinzip verletzte, die es verneint hat.44 Auch in der Literatur wird die Frage uneinheitlich beantwortet. Vertreter der Ansicht, das Glücksspielkollegium verletzte das Demokratieprinzip, kritisieren, der BayVerfGH habe verkannt, dass nicht das politische Gewicht der Entscheidung, sondern ihre Grundrechtssensibilität und der eröffnete Entscheidungsraum maßgeblich seien. Da von den Entscheidungen des Glücksspielkollegiums regelmäßig die Berufsfreiheit auf der zweiten oder dritten Stufe betroffen sei, entscheide das Kollegium in grundrechtssensiblen Bereichen. Es habe dabei unbestimmte Rechtsbegriffe anzuwenden, die ihm weite Entscheidungsräume sowohl auf der tatbestands- als auch auf 43 OVG Hamburg (4. Senat), Urteil vom 22.06.2017 - 4 Bf 160/14 Rn. 122. 44 OVG Hamburg (4. Senat), Urteil vom 22.06.2017 - 4 Bf 160/14 Leitsatz 5 und Rn. 123. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 12 der Rechtsfolgenseite eröffne.45 Vertreter der Gegenansicht beziehen sich auf die Argumentation des BayVerfGH und des OVG HH und kritisieren hingegen die Entscheidung des VGH Kassel. Dieser habe übersehen, dass die Zulässigkeit einer intraföderalen Kooperation zwischen den Bundesländern heute außer Streit stehe. Erst dann, wenn die Länder alle oder nahezu alle Aufgaben nur noch gemeinschaftlich erledigen würden und damit faktisch eine „zweite Bundesebene“ geschaffen würde, dürfte die Grenze der Zulässigkeit föderaler Zusammenarbeit überschritten sein. Auch aus den rechtsstaatlichen Gesichtspunkten der Vorhersehbarkeit und Transparenz staatlichen Handels und insbesondere der Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG begegne das mit der Einrichtung des Glücksspielkollegiums gewählte Kooperationsmodell keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn im Verhältnis zum Bürger seien die zuständigen Landesbehörden als diejenigen Behörden anzusehen, die „nach außen“ und damit in den gerichtlichen Verfahren passivlegitimiert seien, wohingegen das Glücksspielkollegium nicht selbst als Behörde tätig werde.46 5. Zur Frage der Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung des Glücksspielwesens Gefragt wird nach der Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung des Glücksspielwesens. Allgemein ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber bei der Erfüllung von Schutzpflichten ein weiter Einschätzungs-, Beurteilungsund Gestaltungsspielraum unter Berücksichtigung konkurrierender öffentlicher und privater Belange zukommt.47 Insbesondere wird dem Gesetzgeber wegen dessen „besonderer, unmittelbarer demokratischer Legitimation und der Aufgabe, abstrakt-generelle und insoweit regelmäßig pauschalierende bzw. typisierende Normen zu schaffen, im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit ein beträchtlicher Spielraum zugestanden“48. Der Spielraum des Gesetzgebers verengt sich, je größer die Gefahr für Leben oder Gesundheit ist.49 Der Gesetzgeber hat zudem das verfassungsrechtliche 45 Kirchhoff, Die verfassungsgeforderte Reform des Glücksspielwesens – Zu den Entscheidungen des VGH Kassel vom 16.10.2015 und des BayVerfGH vom 25.09.2015, NVwZ 2016, 124 ff. (126). Siehe auch Würtenberger, Rechtsgutachten zur Verfassungswidrigkeit des Glücksspielkollegiums vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Grenzen der Dritten Ebene im Bundesstaat, 2014, der ebenfalls von einer Verletzung des Demokratieprinzips ausgeht, sowie Viniol/Hofmann: Liberalisierte Glücksspielwerbung in Deutschland 2013? Die Werberichtlinie Glücksspiel in der Kritik, MMR 2013, 434 ff. (434). 46 Hecker/Ruttig, in: Fezer/Büscher/Obergfell (Hrsg.), Lauterkeitsrecht: UWG, 3. Auflage 2016, Band 1, Gewinnund Glücksspiele im Lauterkeitsrecht (S 20), Rn. 238 m. w. N.; auch Dietlein hält die bzgl. § 9a GlüStV erhobenen verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken für nicht überzeugend, Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, § 9a GlüStV Rn. 2. 47 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Band 1, Art. 2 Abs. 2 Rn. 86 mit Rechtsprechungsnachweisen. 48 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, VII. Art. 20 und die allgemeine Rechtsstaatlichkeit, Rn. 122. 49 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Band 1, Art. 2 Abs. 2 Rn. 90. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 13 Untermaßverbot zu beachten und muss einen angemessenen und wirksamen Mindestschutz gewährleisten .50 Das Bundesverfassungsgericht geht von einer Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers aus, wenn sich getroffene Regelungen als praktisch mangelhaft erwiesen haben.51 An das Vorliegen einer Nachbesserungspflicht stellt das Bundesverfassungsgericht hohe Anforderungen. Es muss evident sein, dass „die getroffenen Maßnahmen völlig ungeeignet oder unzugänglich sind“52. Wie oben aufgezeigt ist die Regulierung des Glücksspielwesens von der Zersplitterung der Gesetzgebungskompetenzen geprägt. Dies wird in der Literatur insbesondere vor dem Hintergrund der durch das Bundesverfassungsgericht und den EuGH aufgestellten Anforderungen an Konsistenz bzw. Kohärenz kritisch gesehen.53 Die Zersplitterung der Rechtslage und legislatorische Kompetenzaufspaltung erschwere nachhaltig die Herstellung einer (unions-)gerichtlich eingeforderten Kohärenz bzw. Konsistenz in der gesetzgeberischen Zielverfolgung.54 Einen Überblick zur europa- und verfassungsrechtlichen Diskussion der Umsetzung der Glücksspielregulierung in Deutschland gibt Ennuschat, in: Pielow (Hrsg.), BeckOK GewO, 47. Edition Stand: 01.09.2019, § 33h GewO Rn. 2 ff. Anlage 3 Zu den aktuellen Herausforderungen, die die Rechtssituation in Deutschland prägen und die Effektivität und Legitimation der Regulierung durch den Glücksspielstaatsvertrag bestimmen, siehe die Ausführungen von Ukrow, Online-Glücksspiel in der Regulierung - Kohärenz im Werden?, ZfWG 2019, 223 ff. (234). Anlage 4 50 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 87. EL März 2019, VII. Art. 20 und die allgemeine Rechtsstaatlichkeit, Rn. 122. 51 Hömig, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Werkstand: 55. EL Oktober 2018, BVerfGG § 95 Rn. 73. 52 So bspw. BVerfGE 77, 381 (26.01.1988 - 1 BvR 1561/82), Rn. 405. 53 Vgl. bspw. Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, Einf Rn. 8.; Ennuschat , Online-Casinos: Ist der Föderalismus überfordert?, ZfWG 2019, 201; Krüper/Unger, Ein Strukturwandel des Glücksspielrechts tut not, ZfWG 2019, 329 f.; Wormit, Grundstrukturen und aktuelle Entwicklungslinien der deutschen Glücksspielregulierung, NVwZ 2017, 281 ff. 54 Wormit, Grundstrukturen und aktuelle Entwicklungslinien der deutschen Glücksspielregulierung, NVwZ 2017, 281 ff. (286). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 239/19 Seite 14 Soweit ersichtlich wird in der Literatur derzeit nicht mehrheitlich vertreten, dass eine konsistente bzw. kohärente Regulierung des Glücksspielwesens nur durch eine bundeseinheitliche Regulierung erreicht werden könne. So weist Ennuschat darauf hin, dass die Länder mit ihren Regulierungsaufgaben überfordert wirken würden.55 Zum Teil wird eine bundeseinheitliche Regelung für erforderlich gehalten.56 Dagegen plädiert bspw. Dietlein für eine Bereinigung des derzeitigen Kompetenzwirrwarrs im Sinne einer umfassenden Länderzuständigkeit für das Glücksspiel .57 Die uneinheitlichen Bewertungen sprechen dafür, dass dem Bundesgesetzgeber hier ein Spielraum zukommt, aber nicht von einer Regelungsverpflichtung auszugehen ist. *** 55 Ennuschat, Online-Casinos: Ist der Föderalismus überfordert?, ZfWG 2019, 201. 56 Siehe die Zusammenfassung in der Rezension von Liesching, Makswit, Auswirkungen des Föderalismus im Glücksspielrecht, 2015, MMR-Aktuell 2016, 376033. 57 Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, Einf Rn. 8.