© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 239/17 Gesetzliche Regelungen zur Veröffentlichung von Wahlumfragen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 239/17 Seite 2 Gesetzliche Regelungen zur Veröffentlichung von Wahlumfragen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 239/17 Abschluss der Arbeit: 5. Dezember 2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 239/17 Seite 3 1. Einleitung Der Sachstand befasst sich mit der Frage nach gesetzlichen Regelungen zu Meinungsumfragen im Zusammenhang mit Parlamentswahlen. 2. Gesetzliche Regelungen zu Meinungsumfragen betreffend politische Parteien Umfragen von Meinungsforschungsinstituten werden als wesentlicher Beitrag freier Meinungsbildung begriffen. Als solche sind sie geschützt durch die Meinungsfreiheit des Artikels 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz und trotz ihres unbestritten hohen Einflusses auf das Wahlverhalten grundsätzlich uneingeschränkt zulässig. Der in der Verfassung verankerte Grundsatz der Freiheit der Wahl gemäß Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz wird vom Gesetzgeber nicht als tangiert angesehen . Die Manipulation des Wählers durch die Umfrageergebnisse wird nicht größer bewertet, als bei anderen wahlrelevanten Informationsquellen.1 3. Gesetzliche Einschränkungen zum Veröffentlichungszeitpunkt von Meinungsumfragen zu politischen Parteien vor dem Wahltag Verboten ist lediglich die Veröffentlichung der Ergebnisse von Wählerbefragungen im Zeitraum ab Stimmabgabe bis zur Schließung der Wahllokale um 18.00 Uhr (§ 32 Absatz 2 Bundeswahlgesetz ) (sog. Exit-Polls). Verfassungsrechtlicher Hintergrund der Veröffentlichungssperre während der Wahl ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl gemäß Art. 38 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz: Wenn am Vormittag des Wahltages ohne Kenntnis der Umfrageergebnisse und am Nachmittag mit entsprechendem Informationshintergrund gewählt würde, so die Argumentation, sei das Votum unter ungleichen Bedingungen abgegeben.2 Folge der Missachtung des Verbots der Veröffentlichungssperre ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro belegt werden kann (§ 49a Absatz 1 Nr. 2 Bundeswahlgesetz ).3 Ist der Verstoß als eine schwerwiegende Verletzung der Gleichheit oder der Freiheit der Wahl gemäß Art. 38 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz zu werten, kann er darüber hinaus zu einem Wahlprüfungsverfahren gemäß Art. 41 Grundgesetz führen.4 1 Trute, Hans-Heinrich, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, 6. Auflage, 2012, Art. 38, Rdn. 48; Morlok, Martin, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage, 2015, Art. 38, Rdn. 98. 2 Trute, Hans-Heinrich, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Art. 38, Rdn. 49. 3 Hientzsch, Christina, „Gezwitscherte“ Wahlergebnisse, in: DÖV 2010, S. 357 (S. 358). 4 Hahlen, Johann, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz Kommentar, 10. Auflage, 2017, § 32, Rdn. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 239/17 Seite 4 In Literatur und Presse werden zunehmend Stimmen laut, die ein längerfristiges Veröffentlichungsverbot vor der Wahl diskutieren.5 Nachdem die Meinungsforschungsinstitute sich früher mit Veröffentlichungen vor der Wahl weitgehend zurückgehalten haben und deshalb eine gesetzliche Regelung entbehrlich schien, hat sich diese Praxis in den letzten Jahren beachtlich geändert.6 So haben die großen Meinungsforschungsinstitute in Deutschland (Allensbach, Emnid und Forsa) noch am Freitag vor dem Wahlsonntag am 24. September 2017 und damit in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Wahl ihre letzten Umfrageergebnisse veröffentlicht.7 Darüber hinaus nimmt die Zahl der Briefwähler kontinuierlich zu.8 Anders als die Wähler, die am Wahltag und damit unter der Sperrfrist des § 32 Absatz 2 Bundeswahlgesetz wählen, geben sie ihr Votum einige Tage vorher und damit noch unter dem Einfluss der Meinungsumfrageergebnisse ab. 4. Diskrepanz zwischen den Ergebnissen einer Meinungsumfrage und der Wahl Diskrepanzen zwischen Meinungsumfrageergebnissen und dem tatsächlichen Ausgang der Bundestagswahl sind eine übliche Erscheinung und werden toleriert. Grundsätzlich ist Wahlwerbung oder Wahlpropaganda nur in sehr engen Grenzen unzulässig. Der politische Meinungskampf, und damit auch die Wahlumfrage, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung unabhängig von „Begründetheit, Werthaftigkeit oder Richtigkeit“ geschützt.9 Der Tatbestand der Wählertäuschung nach § 108a Strafgesetzbuch liegt nur vor, wenn der Wähler infolge der Beeinflussung über den Aussagegehalt seiner Stimmabgabe irrt, was bei der Veröffentlichung von Meinungsumfrageergebnissen selbst bei Diskrepanzen zum tatsächlichen Wahlausgang regelmäßig nicht der Fall sein wird. Private und öffentliche Rundfunk- und Telemedienanbieter sowie der Presserat haben sich angesichts dieses weiten gesetzlichen Rahmens hinsichtlich der Veröffentlichung von Meinungsumfrageergebnissen einigen Selbstverpflichtungen unterworfen. Sowohl nach dem Rundfunkstaatsvertrag als auch nach dem Pressekodex ist etwa darauf hinzuweisen, ob wiedergegebene Meinungsumfragen repräsentativ sind oder nicht.10 *** 5 Siehe dazu Hahlen, Johann, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz Kommentar, 10. Auflage, 2017, § 32, Rdn. 7, der eine Sperrfrist von zwei Wochen vorschlägt; Bosbach, Gerd, „Schafft die Wahlumfragen ab“, in: DIE ZEIT online vom 4. September 2017, der Meinungsumfragen vor Wahlen grundsätzlich in Frage stellt. 6 Hahlen, Johann, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz Kommentar, 10. Auflage, 2017, § 32, Rdn. 7. 7 http://www.wahlrecht.de/umfragen/archiv/2017.htm. 8 Bei der Bundestagswahl 2017 waren es 28,6 Prozent der Wählerinnen und Wähler (https://www.bundeswahlleiter .de/dam/jcr/b4aeabb8-7fac-473e-8581-cd718cb7a007/BTW_ab94_briefwahl.pdf). 9 Strelen, Karl-Ludwig, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz Kommentar, 10. Auflage, 2017, § 1, Rdn. 29. 10 § 10 Absatz 2 Rundfunkstaatsvertrag in der Fassung vom 1. September 2017 und Richtlinie 2.1. Pressekodex in der Fassung vom 22. März 2017.