© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 239/16 Familiennachzug zu Flüchtlingen und international subsidiär Schutzberechtigten Rechtsgrundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers aus nationaler Sicht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Einleitung Den rechtlichen Rahmen für den Familiennachzug zu Flüchtlingen und international subsidiär Schutzberechtigten bilden das nationale und das Unionsrecht.1 Gegenstand dieser Ausarbeitung ist der Familiennachzug aus nationaler Perspektive.2 Konkret sollen die einfachgesetzlichen Rechtsgrundlagen für den Familiennachzug zu Flüchtlingen und international subsidiär Schutzberechtigten dargestellt sowie die Gestaltungsmöglichkeiten des nationalen Gesetzgebers in Bezug auf mögliche Verschärfungen des Nachzugsrechts erläutert werden. 2. Einfachgesetzliche Rechtsgrundlagen Der Familiennachzug zu Ausländern (Stammberechtigten) ist in den §§ 27 ff. Aufenthaltsgesetz (AufenthG) geregelt. Die Voraussetzungen des Familiennachzugs hängen im Einzelnen davon ab, welchen Aufenthaltstitel der Stammberechtigte besitzt und welches Familienmitglied den Nachzug begehrt. Anerkannte Flüchtlinge verfügen über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 AufenthG, international subsidiär Schutzberechtigte haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AufenthG. 2.1. Flüchtlinge Auf den Familiennachzug zu Flüchtlingen besteht für die sog. Kernfamilie, also Ehegatten (§ 30 AufenthG), minderjährige ledige Kinder (§ 32 AufenthG) und Eltern minderjähriger Kinder (§ 36 Abs. 1 AufenthG) unter bestimmten Umständen ein Anspruch. Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann der Familiennachzug gemäß § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG gewährt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Grundsätzlich setzt der Familiennachzug dabei nach § 29 Abs. 1, 2 AufenthG voraus, dass ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht und der Lebensunterhalt des Nachzugswilligen gesichert ist. Diese Voraussetzungen gelten für den Nachzug der Eltern zu einem minderjährigen Kind nach § 36 Abs. 1 AufenthG nicht. Für den Nachzug des Ehegatten und/oder minderjähriger lediger Kinder sind die Voraussetzungen des ausreichenden Wohnraums und der Lebensunterhaltssicherung nach § 29 Abs. 2 S. 2 AufenthG entbehrlich, wenn der Antrag auf Familiennachzug innerhalb von drei Monaten nach der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Zusammenführenden gestellt wird und die Familienzusammenführung in einem Drittstaat, zu dem der Ausländer oder seine Familienangehörigen eine besondere Bindung haben, nicht möglich ist. 1 Zu den asylrechtlichen Schutzkategorien vgl. Wissenschaftliche Dienste, Kategorien des asylrechtlichen Schutzes in Deutschland, Aktueller Begriff vom 15.12.2015, abrufbar unter http://www.bundestag.btg/Butag- Verw/W/Ausar-beitungen/Einzelpublikationen/Ablage/2015/Kategorien_des_a_1450169075.pdf. 2 Zur unionsrechtlichen Perspektive siehe Deutscher Bundestag, Fachbereich Europa, Unionsvorgaben zum Familiennachzug (PE - 3000 - 148/16). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 239/16 Seite 4 2.2. International subsidiär Schutzberechtigte Der Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Familiennachzug zu Flüchtlingen mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 zunächst gleichgestellt.3 Mit dem am 17.03.2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren wurde der Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten jedoch für einen Zeitraum von zwei Jahren ausgesetzt.4 Regelungstechnisch erfolgte die Aussetzung des Familiennachzugs durch eine Übergangsvorschrift in § 104 Abs. 13 AufenthG. Diese sieht vor, dass der Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten, die nach dem 17.3.2016 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, bis zum 16.3.2018 nicht gewährt wird. Dabei gilt die Aussetzung des Familiennachzugs auch für den Nachzug zu minderjährigen Kindern. Die Übergangsvorschrift enthält allerdings einen ausdrücklichen Hinweis auf die Anwendbarkeit der §§ 22, 23 AufenthG, nach denen eine humanitäre Aufnahme von Familienangehörigen aus dem Ausland im Rahmen von Ermessensentscheidungen weiterhin möglich bleibt.5 3. Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers Inwieweit der deutsche Gesetzgeber das Recht auf Familiennachzug gestalten bzw. verschärfen kann, ergibt sich in erster Linie aus den unionsrechtlichen Vorgaben. Soweit das Unionsrecht dem deutschen Gesetzgeber danach noch Gestaltungsspielräume belässt, stellt sich die Frage nach den zu berücksichtigenden verfassungsrechtlichen Vorgaben. 3.1. Flüchtlinge Aufgrund der sekundärrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts, die Vorrang vor dem nationalen Recht genießen, kommen eine Abschaffung oder nennenswerte Einschränkungen des Familiennachzugsrechts nicht Betracht. Insbesondere ist der Anspruch auf Familiennachzug der Kernfamilie nach dem geltenden EU-Sekundärrecht zu beachten.6 3.2. International subsidiär Schutzberechtigte Auch für den Nachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten können primär- und sekundärrechtliche Vorgaben des Unionsrechts einschlägig sein. Einen Anspruch auf Familiennachzug gewährt das EU-Sekundärrecht allerdings nicht.7 Daher erscheinen Verschärfungen des Familiennachzugsrechts , die über die jetzige Aussetzung des Familiennachzugs hinausgehen, nicht von 3 Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.2015, BGBl. I 2015, 1386. 4 Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016, BGBl. 2016, 390. 5 Vgl. BT-Drs. 18/7538, 9. 6 Hierzu ausführlich Fachbereich Europa (Fn. 2), Ziff. 4.1. 7 Siehe Fachbereich Europa (Fn. 2), Ziff. 2.2.2. und Ziff. 4.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 239/16 Seite 5 vornherein unionsrechtlich ausgeschlossen. Fraglich ist, welche verfassungsrechtliche Vorgaben der Gesetzgeber insoweit zu berücksichtigen hat. 3.2.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben aus Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1 GG Die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1 GG zum Schutz von Ehe und Familie stehen Beschränkungen des Familiennachzugs nicht grundsätzlich entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seinem grundlegenden Beschluss aus dem Jahr 1987 festgestellt, dass die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen des Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1 GG keinen grundrechtlichen Anspruch auf Familiennachzug begründen.8 Vielmehr überantworte das Grundgesetz es der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt festzulegen, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Fremden der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werde.9 Aus dem grundrechtlichen Gehalt des Art. 6 GG als wertentscheidender Grundsatznorm folgert das Bundesverfassungsgericht aber einen Anspruch darauf, dass „die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG die bestehenden ehelichen und familiären Bindungen des Antragstellers an im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise berücksichtigen, die der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz in seinem Art. 6 dem Schutz von Ehe und Familie erkennbar beimisst. Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinen im Bundesgebiet lebenden nahen Angehörigen ständigen Aufenthalt zu nehmen.“10 Diese aus Art. 6 GG folgende Berücksichtigungspflicht bindet nach Art. 1 Abs. 3 GG auch den Gesetzgeber.11 In Bezug auf eine den Gesetzgeber bindende Pflicht, die wertsetzende Bedeutung des Art. 6 GG nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen, ist aber der grundsätzlich weite Gestaltungsspielraum zu beachten, der dem Gesetzgeber bei der Wahrnehmung von Schutz- und Förderpflichten zukommt. Wie weit dieser Spielraum bei der Ausgestaltung des Familiennachzugsrechts konkret reicht, lässt sich der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht entnehmen. Sie zeigt aber einige Wertungen auf, die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen zu berücksichtigen sind und die eine gewisse Orientierung für weitere Verschärfungen des Familiennachzugsrechts geben können. 8 BVerfGE 76, 1, 47 f.; siehe auch BVerfG, 2 BvR 1001/04 – juris, Rn. 17 mit Hinweis in die insoweit ständige Rechtsprechung. 9 BVerfGE 76, 1, 46. 10 BVerfGE 76, 1, 49 f., Hervorhebung nicht im Original. 11 Vgl. dazu auch Uhle, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), Beck`scher Online-Kommentar, GG (Stand: 2015), Rn. 44 zu Art. 6; Burgi, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz (Stand: 2002), Rn. 64 zu Art. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 239/16 Seite 6 Zur streitbefangenen Regelung einer achtjährigen Wartefrist für den Familiennachzug verweist das Bundesverfassungsgericht auf die bloß vorübergehende Beeinträchtigung des Art. 6 GG: „Eine Regelung, die, wie die hier in Rede stehende, einem begrenzten Kreis von Personen für geraume, aber überschaubare Zeit die Verwirklichung des Wunsches verwehrt, in räumlich ganz bestimmter Hinsicht als Ehegatten oder Familie zusammenzuleben, ohne ein solches Zusammenleben schlechthin zu hindern oder den Betroffenen eine schlechterdings unzumutbare Herstellung der Einheit von Ehe und Familie anzusinnen, vermag die prägenden Elemente des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG zugrunde liegenden Bildes von Ehe und Familie nicht in Frage zu stellen.“12 Das Bundesverfassungsgericht hält die Wartefrist für angemessen, betont aber zugleich, dass es sich um eine Konstellation handelt, in der die Herstellung der Familieneinheit im Ausland zumutbar wäre. Man könnte daraus schlussfolgern, dass eine achtjährige Wartefrist für den Fall, dass die Herstellung der Familieneinheit im Ausland – wie auch bei international subsidiär Schutzberechtigen – unzumutbar ist, in Bezug auf Art. 6 GG problematisch wäre. Jedenfalls dürfte der völlige Ausschluss des Familiennachzugs – wenn man ihn überhaupt für zulässig erachtet – besonders hohen Rechtfertigungsanforderungen unterliegen.13 Dafür sprechen auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu der Möglichkeit, den Familiennachzug zu kontingentieren: „Eine ‚Kontingentierung‘ des Ehegattennachzugs müsste Bedenken im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG begegnen. Eine Behandlung von Nachzugswilligen nach dem ‚Warteschlangenprinzip‘ wäre dem Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG schwerlich angemessen, weil eine hinreichende Berücksichtigung von Umständen des Einzelfalles nicht gewährleistet wäre und die Betroffenen der Gefahr langer Wartezeiten ausgesetzt wären.“14 Schließlich stellt das Bundesverfassungsgericht die besondere Bedeutung der zunehmenden Aufenthaltsdauer für den Familiennachzug heraus: „Mit zunehmender Aufenthaltsdauer schreitet im Regelfall die Einfügung in die hiesigen Lebensverhältnisse voran; zugleich wächst die Entfremdung vom jeweiligen Heimatland. Dem unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG stehenden Wunsch eines nachzugsbegehrenden Ausländers nach ehelichem und familiärem Zusammenleben in der Bundesrepublik Deutschland ist daher bei wachsender Dauer des Aufenthaltes seines Ehegatten im Bundesgebiet zunehmendes Gewicht beizumessen.“15 12 BVerfGE 76, 1, 49. 13 Vgl. dazu die verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf § 29 Abs. 3 S. 3 AufenthG, der den Familiennachzug zu Ausländern mit nur vorübergehenden Aufenthaltstiteln ausschließt, Tewocht, in: Beck`scher Online-Kommentar Ausländerrecht (Stand: August 2016), Rn. 11 f. 14 BVerfGE 76, 1, 65. 15 BVerfGE 76, 1, 69. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 239/16 Seite 7 3.2.2. Verfassungsrechtliche Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 GG Soweit der Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten im Vergleich zu anderen asylrechtlich Schutzberechtigten und anderen Ausländern strengeren Anforderungen unterliegt und damit eine nach Art. 3 Abs. 1 GG rechtlich relevante Ungleichbehandlung vorliegt, bedarf es einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, die am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet ist. Dabei können sich die rechtfertigenden Unterschiede aus den verschiedenen Aufenthaltsbedingungen der jeweiligen Ausländergruppen ergeben. So haben die international subsidiär Schutzberechtigten zunächst nur Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von einem Jahr, § 26 Abs. 1 S. 3 AufenthG. Flüchtlinge hingegen erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von drei Jahren, § 26 Abs. 1 S. 2 AufenthG. Die Unterschiede zwischen den Ausländergruppen müssen allerdings so gewichtig sein, dass sie die konkrete Ungleichbehandlung beim Familiennachzug rechtfertigen. Je weiter beispielsweise der Status der international subsidiär Schutzberechtigten dem Flüchtlingsstatus angenähert ist, als desto schwieriger erweist sich die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung beim Familiennachzug. Ende der Bearbeitung