© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 238/14 Nicht-Zulassung von Einsprüchen im Wahlprüfungsverfahren Einsprüche von Anhängern der „Reichsbürgerbewegung“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 238/14 Seite 2 Nicht-Zulassung von Einsprüchen im Wahlprüfungsverfahren Einsprüche von Anhängern der „Reichsbürgerbewegung“ Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 238/14 Abschluss der Arbeit: 09.10.2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 238/14 Seite 3 1. Einleitung Nach Art. 41 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) ist die Wahlprüfung Sache des Bundestages. Aus § 1 Abs. 1 Wahlprüfungsgesetz (WahlPrG) ergibt sich, dass Gegenstand der Wahlprüfung sowohl die Gültigkeit der Wahl als auch die Verletzung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts ist.1 In erster Linie stellt das Wahlprüfungsverfahren jedoch ein objektives Verfahren zur Absicherung des Demokratieprinzips dar.2 Das Wahlprüfungsverfahren ist dabei zweistufig ausgestaltet: Gegen die Entscheidung des Bundestages auf der ersten Stufe ist in einem zweiten Schritt die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig, Art. 41 Abs. 2 GG. Die folgende Ausarbeitung bezieht sich vor allem auf die erste Stufe – das Einspruchsverfahren vor dem Bundestag – und erörtert die Frage, ob Einsprüche von Anhängern der Reichsbürgerbewegung , die darauf gestützt sind, dass es kein Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, keine Bundesrepublik Deutschland oder seit 1949 keinen gültig gewählten Bundestag gebe, gesetzlich vereinfacht zurückgewiesen werden können. 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Einspruches Das Wahlprüfungsverfahren des Bundestages ist im WahlPrG näher geregelt. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Einspruchs ergeben sich dabei aus § 2 WahlPrG. Erforderlich ist danach insbesondere die Wahrung der Frist von zwei Monaten aus § 2 Abs. 4 WahlPrG sowie die Wahrung des Schriftformerfordernisses aus § 2 Abs. 3 WahlPrG.3 Daneben muss der Einspruchsführer zum Kreis der Einspruchsberechtigten i.S.d. § 2 Abs. 2 WahlPrG zählen. Der Kreis der Einspruchsberechtigten ist jedoch weit gefasst und erfasst unter anderem jeden Wahlberechtigten und jede Gruppe von Wahlberechtigten. Darüber hinaus enthält das WahlPrG keine weiteren einschränkenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Einspruch. Insbesondere muss der Einspruchsführer weder ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis noch eine Verletzung in subjektiven Rechten geltend machen.4 Auch die Pflicht des Einspruchsführers, hinreichend substantiiert solche Tatsachen vorzutragen, die mögliche Wahlfehler erkennen lassen, ist nach ständiger Rechtspraxis keine Zulässigkeitsvoraussetzung , sondern allein für die Begründetheit des Einspruchs von Bedeutung.5 1 Vgl. zum Wandel in der Funktion des Wahlprüfungsverfahrens Winkelmann, Wahlprüfungsgesetz, Kommentar, 2012, Einleitung Rn. 5; siehe zur Doppelfunktionalität auch Roth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2002, Art. 41 Rn. 9 ff. 2 Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, Stand: 71. EL 2014, Stand der Kommentierung: 68. EL 2013, Art. 41 Rn. 47; Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2013, § 49 Rn. 12 f. 3 Vgl. hierzu Winkelmann, Wahlprüfungsgesetz, Kommentar, 2012, § 5 Rn. 2. 4 Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2013, § 49 Rn. 25. 5 Siehe die Hinweise auf die Praxis des Bundestages bei Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2013, § 49 Rn. 25, Fn. 110. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 238/14 Seite 4 3. Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens In Hinblick auf die Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens beschränkt sich das Grundgesetz auf einen Auftrag an den Gesetzgeber für den Erlass eines Wahlprüfungsgesetzes, Art. 41 Abs. 3 GG.6 Es trifft selbst keine ausdrücklichen Aussagen zur Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens bzw. zur Beschränkung des Wahlprüfungsverfahrens. Vorgaben zur Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens lassen sich jedoch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen. So hat das Gericht im Zusammenhang mit dem Fristerfordernis ausgeführt: „Bei der Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens kann auch berücksichtigt werden, daß die richtige Zusammensetzung der Volksvertretung binnen angemessener Zeit geklärt werden soll. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, daß nach den Wahlprüfungsgesetzen die richtige Zusammensetzung des Parlaments nicht ohne bestimmte Beschränkungen in Zweifel gezogen werden kann. Im Hinblick darauf ist eine Beschränkung der Wahlprüfung durch Einführung formeller Voraussetzungen nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil sie den Grundsatz der Wahlgleichheit berührt.“7 Die rasche und verbindliche Klärung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments kann also eine Beschränkung des Wahlprüfungsverfahrens rechtfertigen. Dies ist auf die besondere Bedeutung der Rechtsicherheit in Bezug auf Parlamentswahlen zurückzuführen.8 Ein längerer Zustand der Unsicherheit über den Bestand und die Befugnisse des Gesetzgebungsorgans ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nur schwer zu vereinbaren.9 Angesichts der Bedeutung und Funktion der Wahlprüfung im demokratischen Rechtsstaat hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Darlegungspflicht des Einspruchsführers jedoch auch klargestellt: „Da die Wahlprüfung dazu bestimmt ist, die richtige Zusammensetzung des Parlaments zu gewährleisten, dürfen die Anforderungen daran, was ein Einspruchsführer vortragen muß, um eine Prüfung der Wahl bezogen auf die von ihm beanstandeten Fehler zu erreichen, nicht überspannt werden.“10 6 Zum Regelungsauftrag Glauben, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 167. EL 2014, Stand der Kommentierung: 137. EL 2008, Art. 41 Rn. 118 ff. 7 BVerfGE 85, 148 (159). 8 Vgl. Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2013, § 49 Rn. 26. 9 BVerfG (Kammerentscheidung), NVwZ 1993, 1077 (1078) – unter Hinweis auf BVerfGE 6, 309 (352). 10 BVerfGE 85, 148 (159). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 238/14 Seite 5 4. Nicht-Zulassung von Einsprüchen im Zusammenhang mit der „Reichsbürgerbewegung“ Die Schaffung einer Zulässigkeitsvoraussetzung, die daran anknüpft, dass der Einspruchsführer Anhänger der „Reichsbürgerbewegung“ ist und sich dementsprechend an ein Gremium wendet, das es nach seiner Rechtsauffassung nicht gibt und keine Entscheidungsgewalt hat, scheidet aus. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass auch ein Anhänger der „Reichsbürgerbewegung “ abgesehen von seiner spezifischen Argumentation auch einen objektiven Wahlfehler anzeigt. In Betracht kommt daher nur eine Regelung, die in inhaltlicher Hinsicht Anforderungen an den Vortrag des Einspruchsführers aufstellt. Eine entsprechende Beschränkung des Wahlprüfungsverfahrens findet sich bereits auf der Ebene der Prüfung der Begründetheit eines Einspruchs. So ist für die Begründetheit eines Einspruchs maßgeblich, ob der Einspruchsführer seiner Pflicht, den Rechtsbehelf substantiiert zu begründen, nachgekommen ist.11 Die konkrete Darlegungspflicht hängt vom Einzelfall ab.12 Erforderlich ist jedoch stets, dass ein auf substantiierte Tatsachen gestützter Tatbestand glaubhaft gemacht werden muss, der mögliche Wahlfehler erkennen lässt.13 Die bloße Andeutung der Möglichkeit von Wahlfehlern oder die Äußerung einer dahingehenden, nicht belegten Vermutung genügen nicht.14 Der Begriff des Wahlfehlers ist dabei im WahlPrG nicht definiert. Nach ständiger Gesetzesanwendung werden Verstöße gegen formelles oder materielles Wahlrecht in einem weit zu verstehenden Sinne erfasst.15 Mittels dieser Darlegungspflicht soll sichergestellt werden, dass die sich aus der Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses ergebende Zusammensetzung des Bundestages nicht vorschnell in Frage gestellt wird und dadurch Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit geweckt werden.16 Eine entsprechende Darlegungspflicht kann grundsätzlich auch auf die Ebene der Zulässigkeit vorverlagert werden. Zwar ist das Wahlprüfungsverfahren bislang in erster Linie als objektives Verfahren ausgestaltet, welches sich im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung auf die Prüfung der Einhaltung der Form- und Fristerfordernisse beschränkt. Dem Gesetzgeber steht es jedoch frei, zur Straffung des Verfahrens und damit zur raschen Klärung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments dem Einspruchsführer bereits auf der Ebene der Zulässigkeit bestimmte Darlegungspflichten aufzuerlegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in der oben aufgezeigten Rechtsprechung in Bezug auf das Fristerfordernis festgestellt, dass (Zulässigkeits-)Beschränkungen grundsätzlich möglich sind. Der Gesetzgeber hat dabei eine Abwägung zwischen der Aufgabe des Wahlprüfungsverfahrens – der Absicherung des Demokratieprinzips und dem Schutz des subjektiven Wahlrechts – und dem öffentlichen Interesse an einer raschen Klärung der ordnungsgemäßen 11 Siehe statt vieler nur BVerfGE 40, 11 (30 ff.); ausführlich zur Substantiierungspflicht Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz , Kommentar, 9. Aufl. 2013, § 49 Rn. 25. 12 BVerfGE 85, 148 (160). 13 Vgl. Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 41 Abs. 1 Rn. 18. 14 BVerfGE 122, 304 (309). 15 Winkelmann, Wahlprüfungsgesetz, Kommentar, 2012, § 2 Rn. 5. 16 BVerfGE 85, 148 (159). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 238/14 Seite 6 Zusammensetzung des Bundestages vorzunehmen. Die Höhe der möglichen Anforderungen an eine Darlegungspflicht im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung richtet sich nach dieser Abwägung. 5. Fazit Bisher werden Einsprüche, die das Vorliegen von Wahlfehlern nicht erkennen lassen, als unbegründet zurückgewiesen. Der Gesetzgeber kann jedoch Zulässigkeitsvoraussetzungen schaffen, durch die erreicht wird, dass Einsprüche, die noch nicht einmal die entfernte Möglichkeit von Wahlfehlern aufzeigen, bereits als unzulässig abgewiesen werden können. Bei der Ausgestaltung der Zulässigkeitsvoraussetzung ist jedoch die besondere Funktion des Wahlprüfungsverfahrens, d.h. die prozessualen Absicherung des Demokratieprinzips sowie der Schutz des subjektiven Wahlrechts, zu beachten. ( )