© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 237/17 Zur interfraktionellen Zusammenarbeit im Sinne des § 47 Abs. 2 Abgeordnetengesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Interfraktionelle Zusammenarbeit nach § 47 Abs. 2 AbgG Nach § 47 Abs. 2 AbgG können Fraktionen aus dem Deutschen Bundestag mit Fraktionen anderer Parlamente und parlamentarischen Einrichtungen national und international zusammenarbeiten. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass auch die Zusammenarbeit einer Fraktion mit Fraktionen anderer Parlamente zu dem Aufgabenkreis einer Fraktion gehört.1 Der Regelung kommt insbesondere insoweit Bedeutung zu, als dass mit der Beschreibung der Aufgaben zugleich der Rahmen festgelegt wird, in dem die staatliche Finanzierung der Wahrnehmung dieser Aufgaben und die Verwendung der öffentlichen Mittel durch die Fraktionen zulässig sind. Die Tatbestandsalternative der „parlamentarischen Einrichtungen national und international“ stammt nicht aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf, sondern wurde auf Empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung eingefügt. Der Ausschuss führt hierzu in den Gesetzesmaterialien aus, dass die Fraktionen der arbeitsteiligen Zusammenarbeit ihrer Mitglieder bei der Erledigung der Parlamentsaufgaben und aller sonstigen parlamentarischen Aufgaben dienten.2 Hierzu gehöre insbesondere in einem Bundesstaat, im zusammenwachsenden Europa und auch in der weltweiten politischen Zusammenarbeit die interparlamentarische Kooperation. Explizite Aussagen zum Kreis der Kooperationspartner im Rahmen des § 47 Abs. 2 AbgG finden sich in den Gesetzesmaterialien nicht. 3. Subsumtion von kommunalen Fraktionen unter § 47 Abs. 2 AbgG? Zu prüfen ist, ob kommunale Fraktionen unter den Begriff der „Fraktionen anderer Parlamente“ bzw. den der „parlamentarischen Einrichtungen national“ aus § 47 Abs. 2 AbgG subsumiert werden kann. Diese Frage wird weder von der Rechtsprechung noch in der rechtswissenschaftlichen Literatur behandelt. Da der Begriff der „Fraktionen anderer Parlamente“ im Sinne des § 47 Abs. 2 AbgG durch das Abgeordnetengesetz nicht näher konkretisiert wird und der Begriff der kommunalen Fraktionen allgemein anerkannt ist,3 dürfte der Fokus der Prüfung auf die Frage zu richten sein, ob es sich bei Gemeinderäten um Parlamente im Sinne des § 47 Abs. 2 AbgG handelt. Dies gilt insbesondere in 1 BT-Drs. 12/4756, S. 6 f. 2 BT-Drs. 12/6067, S. 10. 3 Siehe Burgi, Kommunalrecht, 5. Aufl. 2015, § 12 Rn. 12 ff.; Geis, Kommunalrecht, 4. Aufl. 2016, § 11 Rn. 90 ff. Vertiefend zum Begriff der kommunalen Fraktionen Rothe, Über Begriff, Rechte und Pflichten der Ratsfraktionen, DVBl 1988, 382 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 237/17 Seite 4 Anbetracht des Umstandes, dass die Regelung des § 47 Abs. 2 AbgG alternativ auch den allgemeineren und weiteren Begriff der „parlamentarischen Einrichtungen“ nennt. Zunächst ist festzustellen, dass eine vergleichende Betrachtung der entsprechenden Rechtslage nach den Fraktions- und Abgeordnetengesetzen der Länder keine eindeutigen Ergebnisse liefert. Am verbreitetsten (Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen , Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen) ist die Regelung, nach der Fraktionen „mit Fraktionen anderer Parlamente zusammenarbeiten“ können.4 In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen (ähnlich auch in Berlin) können die Fraktionen „mit Fraktionen anderer Parlamente zusammenarbeiten und regionale, überregionale sowie internationale Kontakte“ pflegen.5 Die Regelungen im Saarland und in Schleswig-Holstein sind nahezu identisch mit der auf Bundesebene („Fraktionen können mit Fraktionen anderer Parlamente und parlamentarischen Einrichtungen zusammenarbeiten“).6 Hervorzuheben ist damit allein die Regelung in Bremen. Dort heißt es: „Sie können mit Fraktionen anderer Landes- und Kommunalparlamente zusammenarbeiten und regionale, überregionale sowie internationale Kontakte pflegen.“7 Fraglich ist jedoch, welche Rückschlüsse aus der Existenz dieser Regelung für die vorliegende Fragestellung gezogen werden können. Zum einen könnte argumentiert werden, dass im Interesse der vom Bundesgesetzgeber gewollten Zusammenarbeit von Fraktionen nicht davon ausgegangen werden sollte, dass die Fraktionen auf Bundesebene insoweit über eingeschränktere (staatlich finanzierte) Befugnisse als die Fraktionen auf Landesebene verfügen. Zum anderen könnte gleichermaßen angeführt werden, dass auf Bundesebene eine Regelung wie die aus Bremen gerade nicht existiert, so dass auch entsprechende finanzierte Kooperationsbefugnisse auf Bundesebene gerade nicht angenommen werden können. Beschränkt auf die Ebene der Bundesgesetze spricht die Methode der systematischen Auslegung jedoch dafür, kommunale Fraktionen nicht unter die Regelung § 47 Abs. 2 AbgG zu fassen. Der Bundesgesetzgeber differenziert nämlich im Parteiengesetz bei der Auflistung von unzulässigen Spenden in § 25 Abs. 2 Parteiengesetz zwischen „Parlamentsfraktionen und -gruppen“ einerseits und „Fraktionen und Gruppen von kommunalen Vertretungen“ andererseits. Nach dem Verständnis des Gesetzgebers fallen also Fraktionen von kommunalen Vertretungen nicht bereits unter den Begriff der Parlamentsfraktionen, da andernfalls die Tatbestandsvariante der „Fraktionen von kommunalen Vertretungen“ überflüssig gewesen wäre. Zwar handelt es sich bei dem Parteiengesetz und dem Abgeordnetengesetz um zwei verschiedene Regelwerke, jedoch kann das Begriffsverständnis durchaus übertragen werden, da beide Gesetze denselben Regelungsgeber besitzen und zwischen den beiden Rechtsgebieten ein enger thematischer Zusammenhang besteht. 4 Art. 1 Abs. 1 S. 4 Bayerisches Fraktionsgesetz; § 4 Abs. 2 Brandenburgisches Fraktionsgesetz; § 1 Abs. 2 S. 3 Hamburgisches Fraktionsgesetz; § 1 Abs. 1 S. 3 Hessisches Fraktionsgesetz; § 51 Abs. 2 Abgeordnetengesetz Mecklenburg-Vorpommern; § 30 Abs. 2 S. 3 Niedersächsisches Abgeordnetengesetz; § 1 Abs. 2 S. 3 Fraktionsgesetz Rheinland-Pfalz; § 1 Abs. 2 S. 3 Fraktionsgesetz Sachsen-Anhalt; § 47 S. 3 Thüringer Abgeordnetengesetz. 5 § 1 Abs. 2 S. 4 Fraktionsgesetz Baden-Württemberg; § 2 Abs. 3 Nr. 8 Fraktionsgesetz Berlin; § 1 Abs. 4 Fraktionsgesetz Nordrhein-Westfalen; § 1 Abs. 4 S. 3 Sächsisches Fraktionsrechtsstellungsgesetz. 6 § 3 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz Saarland; § 3 Abs. 2 Fraktionsgesetz Schleswig-Holstein. 7 § 38 Abs. 1 S. 3 Bremisches Abgeordnetengesetz (Hervorhebungen nicht im Original). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 237/17 Seite 5 Gegen eine Subsumtion von kommunalen Fraktionen unter die Regelung des § 47 Abs. 2 AbgG spricht schließlich auch der Umstand, dass die herrschende Meinung in der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur davon ausgeht, dass Gemeindevertretungen und Kreistage keine Parlamente sind. So stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung fest: „Die Kommunalvertretung ist, auch wenn sie aus Wahlen im Sinne des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG hervorgeht, Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft und kein Parlament.“8 Auch in der Literatur wird klargestellt, dass ein Gemeinderat kein Parlament sei.9 Deswegen sei auch die umgangssprachliche Bezeichnung „Kommunalparlament“ dogmatisch verfehlt. Trotz seiner unmittelbar demokratisch bestimmten und heterogenen Zusammensetzung handele es sich bei einem Gemeinderat um ein Verwaltungsorgan. *** 8 BVerfGE 78, 344 (348) – Hervorhebungen nicht im Original, sowie BVerfGE 120, 82 (112). Siehe aber auch aus der früheren Rechtsprechung des Gerichts BVerfGE 32, 346 (361): „Auch wenn es sich bei dem Gemeinderat nicht um ein echtes Parlament handelt […], ist er doch als demokratisch gewähltes Beschlußorgan insoweit dem Bereich der Legislative zuzuordnen.“ Anders dann jedoch wieder BVerfGE 65, 283 (289): „[…]; denn die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinden ist ungeachtet dessen, daß sie in mancher Hinsicht legislatorischen Charakter aufweist […], im System der staatlichen Gewaltenteilung (Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung) dem Bereich der Verwaltung zuzuordnen.“ 9 Geis, Kommunalrecht, 4. Aufl. 2016, § 11 Rn. 11; Burgi, Kommunalrecht, 5. Aufl. 2015, § 12 Rn. 32; Pahlke, Gibt es einen „ungeschriebenen verfassungsunmittelbaren Informationsanspruch“ eines jeden Gemeinderatsmitglieds gegenüber dem Bürgermeister?, BayVBl. 2011, 686 (691 f.), m.w.N.; ausführlich zu dieser Frage auch Wurzel, Gemeinderat als Parlament?, 1975, S. 170 ff. Siehe in diesem Zusammenhang allerdings auch Dolderer, Wie viel Parlament ist der Gemeinderat?, DÖV 2009, 146 ff., der eine weitgehende Annäherung der Rechtsstellung von Ratsmitgliedern und Parlamentariern annimmt.