© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 237/16 Reichweite des Auskunftsrechts eines Abgeordneten bei Finanzsanktionen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 237/16 Seite 2 Reichweite des Auskunftsrechts eines Abgeordneten bei Finanzsanktionen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 237/16 Abschluss der Arbeit: 1. November 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 237/16 Seite 3 1. Einleitung Nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) können Finanzsanktionen gegen Personen und Organisationen verhängt werden.1 Ziel ist regelmäßig das „Einfrieren“ von Geldern, also deren Belegung mit einem Verfügungsverbot.2 Ein Bundestagsabgeordneter richtete Fragen zu solchen Finanzsanktionen an die Bundesregierung. Er fragte zunächst nach der Zahl der innerhalb eines bestimmten Zeitraums von solchen Sanktionen betroffenen Personen und Organisationen sowie nach der Zahl der Fälle, in denen auf solche nationalen Finanzsanktionen keine Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Union folgten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beantwortete diese Fragen. Der Abgeordnete fragt nun, ob die Bundesregierung im Rahmen einer Kleinen Anfrage auch verpflichtet wäre, die Namen der Betroffenen und die jeweils mit einem Verfügungsverbot belegten Geldbeträge zu nennen. 2. Reichweite des Auskunftsrechts Der Abgeordnete hat gegenüber der Bundesregierung ein allgemeines Frage- und Informationsrecht , das aus Art. 38 Abs. 1 S. 2, Art. 20 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) hergeleitet wird.3 Von diesem Recht kann er unter anderem durch Kleine Anfragen Gebrauch machen. Mit dem Frageund Informationsrecht des Abgeordneten korrespondiert eine Antwortpflicht der Bundesregierung. Fragen sind nur zulässig, soweit sie den Verantwortungsbereich der Bundesregierung betreffen. Das ist bei Finanzsanktionen nach dem AWG der Fall. Insbesondere ist die Unabhängigkeit der Bundesbank4 nicht berührt. Nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 a) AWG ist für die fraglichen Maßnahmen das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zuständig; es handelt lediglich im Benehmen mit der Bundesbank. Das parlamentarische Fragerecht findet aber dort seine Grenzen, wo die Beantwortung einer Frage Dritte in ihren Grundrechten verletzen würde. Stehen sich das Fragerecht und Grundrechte Dritter widerstreitend gegenüber, ist eine umfassende Abwägung vorzunehmen. Die beteiligten Verfassungsgüter sind nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.5 Dabei kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an. 1 Eine Übersicht zu Finanzsanktionen bietet die Deutsche Bundesbank unter http://www.bundesbank.de/Navigation /DE/Service/Finanzsanktionen/Allgemeine_Informationen/allgemeine_informationen.html, zuletzt abgerufen am 1. November 2016. Vgl. auch Achtelik, in: Herzog (Hrsg.), Geldwäschegesetz, 2. Aufl. 2014, § 6a KWG Rn. 9 ff. 2 Achtelik (Fn. 1), § 6a KWG Rn. 11. 3 BVerfGE 124, 161, 188. 4 Hierzu Ritzel/Bücker (Begr.), Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Stand September 2013, Bd. 2, vor §§ 100 ff. GO-BT S. 12. 5 Ritzel/Bücker (Fn. 4),vor §§ 100 ff. GO-BT S. 13. Vgl. hierzu auch: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Grenzen des parlamentarischen Frage- und Informationsrechts im Hinblick auf die Bankenabgabe sowie einfachgesetzliche Fragen der Datenerhebung und Bemessungsgrundlagen, WD 3 - 3000 - 137/15, WD 4 - 3000 - 093/15, S. 10 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 237/16 Seite 4 Soweit sich Sanktionsmaßnahmen gegen natürliche Personen richten, steht dem parlamentarischen Fragerecht vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gegenüber. Es verbürgt unter anderem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . Dieses Recht schützt den Berechtigten vor der unbegrenzten Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten.6 Die Tatsache, dass eine namentlich genannte Person von einem Verwaltungsakt nach dem AWG betroffen ist oder war, bildet ein solches Datum. Würde diese Tatsache in einer Bundestagsdrucksache erstmals veröffentlicht, bedeutete dies einen Grundrechtseingriff von erheblicher Intensität. Beachtet man die von § 4 Abs. 1 AWG geschützten Rechtsgüter, darunter das friedliche Zusammenleben der Völker und wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik, würde ein Betroffener zumindest in die Nähe von Kriegsverbrechern, Diktatoren und Terroristen gerückt. Das Geheimhaltungsinteresse dürfte jedenfalls dann überwiegen, wenn eine Anordnung gemäß § 6 Abs. 2 AWG sechs Monate nach ihrem Erlass außer Kraft getreten ist, ohne dass eine entsprechende europäische Verordnung folgte. Auch eine etwaige frühere Presseberichterstattung über einen Fall rechtfertigte grundsätzlich keine andere Beurteilung: Eine erste Persönlichkeitsrechtsverletzung in den Medien darf nicht dazu führen, dass der Betroffene durch die anschließende staatliche Veröffentlichung erneut in seinem Grundrecht verletzt wird.7 Eine Veröffentlichung dürfte allenfalls bei sogenannten „Personen der Zeitgeschichte“ in Betracht kommen.8 Auch hier ist aber stets eine umfassende Abwägung vorzunehmen. Soweit die Veröffentlichung der Namen ausscheidet, dürfte dies aber nicht dazu führen, dass die Bundesregierung die Beantwortung der Frage vollständig verweigern kann. Vielmehr dürfte ein Ausgleich zwischen den betroffenen Grundrechten und dem Frage- und Informationsrecht, das für die parlamentarische Kontrolle der Regierung von erheblicher Bedeutung ist, herzustellen sein, indem die Antwort als Verschlusssache eingestuft wird.9 Die Namen sind jedoch dann in einer Antwort der Bundesregierung öffentlich zu nennen, wenn sie bereits zuvor amtlich bekannt gemacht worden sind. Hier kommen insbesondere zwei Fälle in Betracht: Zum einen folgen auf nationale Sanktionsmaßnahmen zumeist solche der Europäischen Union. Sie erfolgen durch Verordnung. Die Verordnung, in der die Betroffenen namentlich genannt werden, wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.10 Zum anderen kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Verwaltungsakte nach dem AWG selbst veröffentlichen . Auch hier werden die Namen der Betroffenen bekannt. Das ist insbesondere möglich, wenn 6 S. nur Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 77. Lfg. 2016, Art. 2 GG Rn. 176. 7 Ritzel/Bücker (Fn. 4),vor §§ 100 ff. GO-BT S. 13. 8 Ritzel/Bücker (Fn. 4),vor §§ 100 ff. GO-BT S. 14. 9 Vgl. zum Aktenherausgabeanspruch eines Untersuchungsausschusses BVerfGE 67, 100, 144; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (Fn. 5), S. 12. 10 Vgl. z.B. die Verordnung (EU) Nr. 36/2012, Anhang II. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 237/16 Seite 5 das Ministerium durch Allgemeinverfügung handelt.11 Dann kann nämlich nach § 41 Abs. 3 S. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz die Bekanntgabe durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger erfolgen. Insbesondere dort, wo sich Sanktionsmaßnahmen gegen Organisationen richten, könnten Eingriffe in die Schutzbereiche weiterer Grundrechte vorliegen. Für solche Organisationen, die als inländische juristische Personen im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG zu qualifizieren sind, gelten die Grundrechte , soweit sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. In Betracht kommen das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG und das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Aus beiden Grundrechten leitet das Bundesverfassungsgericht den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ab.12 Unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen werden „alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig (…) sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat.“13 Hierzu dürfte die – bisher unveröffentlichte – Tatsache gehören, dass ein Unternehmen von Finanzsanktionen betroffen war. Ebenso dürfte regelmäßig der sichergestellte Geldbetrag als Geschäftsgeheimnis zu qualifizieren sein, da er Einblicke in die Vermögensverhältnisse eines Unternehmens im Inland bietet. Würde nämlich über ein namentlich benanntes Unternehmen bekannt, dass es von Finanzsanktionen betroffen war oder welcher Geldbetrag bei ihm sichergestellt wurde, wäre das Bekanntwerden dieser Tatsachen geeignet, die Wettbewerbsposition des Unternehmens negativ zu beeinflussen.14 Auch hier kommt die Einstufung der Antwort als Verschlusssache in Betracht. Ende der Bearbeitung 11 Zu dieser Handlungsform im Rahmen des § 6 AWG: Stein/Thoms, in: Rüsken/Stein/Thoms, Außenwirtschaftsgesetz , Kommentar, 2014, § 6 Rn. 5. 12 BVerfGE 115, 205, 230, 248. 13 BVerfGE 115, 205, 230. 14 Vgl. zur Bedeutung der Wettbewerbsrelevanz BVerwG NVwZ 2009, 1113, 1114.