Volksbegehren, Volksentscheid, Volksabstimmung: Begrifflichkeiten und Modelle - Sachstand - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 – 237/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Volksbegehren, Volksentscheid, Volksabstimmung: Begrifflichkeiten und Modelle Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 237/09 Abschluss der Arbeit: 3. Juli 2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Einleitung Für den Bereich des Bundes sind im Grundgesetz (GG) Abstimmungen nur in Art. 29 (Neugliederung des Bundesgebietes), 118 (Neugliederung der badischen und württembergischen Länder) und 118a (Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg) vorgesehen . Das Grundgesetz ist auf eine fast ausschließliche mittelbare Ausübung von Staatsgewalt (repräsentative Demokratie) festgelegt. Auf Landesebene ist eine direkte Beteiligung des Volkes an der Ausübung von Staatsgewalt jedoch in weiterem Umfang möglich. Die hierfür existierenden plebiszitären Instrumente werden im Folgenden dargestellt, wobei bei den verschiedenen Verfahrensmodellen der Länder zwischen zwei- und dreistufigem Modell differenziert werden kann. 2. Begrifflichkeiten Der Begriff Plebiszit bzw. plebiszitär wird als Sammelbegriff für direkte Beteiligungsformen des Volkes verstanden. Unter Volksbegehren soll im Rahmen dieses Sachstandes eine von einer vorgeschriebenen Anzahl von Stimmberechtigten ausgehende Initiative aus dem Volk verstanden werden, die auf Erlass, Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes durch das Volk im Wege des Volksentscheids gerichtet ist.1 Als Volksentscheid wird im Rahmen dieser Arbeit der Gesetzesbeschluss durch das Volk über einen durch Volksbegehren vorgelegten Gesetzentwurf verstanden.2 Der Begriff der Volksabstimmung wird in der Literatur zum Teil als Oberbegriff für alle verbindlichen Sachentscheidungen durch das Volk gedeutet.3 Ein anderer Teil sieht in ihm den Oberbegriff für Volksbegehren und Volksentscheid.4 Wiederum andere setzen die Volksabstimmung mit dem Volksentscheid gleich. 5 3. Die verschiedenen Verfahrensmodelle 3.1. Grundzüge des Zwei- und des Dreistufenmodells Den verschiedenen Verfahrensmodellen in den Landesverfassungen und in den einschlägigen Gesetzen über Volksbegehren und Volksabstimmung ist gemein, dass dem Volksbegehren eine erste Unterschriftensammlung als Zulassungsantrag auf Volksbegehren vorausgeht. Die Kategorisierung als Zwei- oder Dreistufenmodell stellt darauf ab, ob sich der Landtag inhaltlich mit dem Antrag zu befassen hat (Dreistufenmodell ) oder ob er nur die Zulässigkeit eines Volksbegehrens prüft und erst nach Durch- 1 Vgl. Jürgens, Direkte Demokratie, 1992, S. 38. 2 Vgl. Jürgens (Fn: 1), S. 40. 3 Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, Rdnr. 251. 4 Weber; in: Creifelds (Hrsg.), Rechtswörterbuch, 2007, S. 1445. 5 Maurer, Plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie, 1997, S. 2f. - 4 - führung des Volksbegehrens inhaltlich einsteigt (Zweistufenmodell). Im ersteren Fall haben die Initiatoren bei der Parlamentsbehandlung Rederecht, so dass sie selbst den Volksvertretern ihren Vorschlag erläutern können. Das Volksbegehren wird nur durchgeführt , wenn der Landtag dem Anliegen nicht entsprochen hat und das Volksbegehren von ihm als zulässig erachtet wird. In diesem Falle erfolgt dann eine zweite Unterschriftensammlung . Einige Bundesländer ermöglichen keine freie Unterschriftensammlung , sondern sehen die Eintragung in Amtsräumen vor.6 Bei einem erfolgreichen Volksbegehren ist zwingend ein Volksentscheid vorgeschrieben. Dies gilt bis auf vier Länder mit dreistufigem Modell7, wo eine zweite Parlamentsbehandlung mit der Chance auf Übernahme der Vorlage vorgesehen ist. In einigen Ländern ist der Volksentscheid nur dann erfolgreich, wenn die Mehrheit der Abstimmenden und zugleich ein bestimmter Prozentsatz der Stimmberechtigten im Sinne des Begehrens entscheiden, wobei zum Teil bei Verfassungsänderungen zusätzlich eine Zweidrittelmehrheit verlangt wird.8 Beim zweistufigen Verfahrensmodell erfolgt nach Durchführung der ersten Unterschriftensammlung lediglich eine Prüfung der Zulässigkeit, in der Regel durch die Innenministerien oder die Landesregierung, jedoch noch keine inhaltliche Befassung mit der Initiative durch das Parlament. Ist die Zulässigkeitsprüfung erfolgreich, so wird eine zweite Unterschriftensammlung angesetzt, das Volksbegehren (1. Stufe). Erst nach Überwindung dieser Hürde befasst sich der Landtag mit dem Anliegen der Bürger. Lehnt das Parlament die Gesetzesvorlage ab, kommt es zum Volksentscheid. (2.Stufe) Bei unveränderter Übernahme entfällt dieser. 9 Bundesländer mit dreistufigem Verfahrensmodell: Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg -Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein. Bundesländer mit zweistufigem Verfahrensmodell: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen. 3.2. Beispiele 3.2.1. Baden-Württemberg (Zweistufenmodell) 3.2.1.1. Rechtsgrundlagen Art. 59, 60 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (BaWüVerf) vom 11. November 1953 BGl. S. 173), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Mai 2000 (GBl. S. 449) 6 Rehmet, Direkte Demokratie in den deutschen Bundesländern, in: Schiller/Mittendorf (Hrsg.), Direkte Demokratie, 2002, S. 102 (104). 7 Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. 8 Rehmet (Fn. 6), S.106. 9 Schaal, Das Verfahren zur Herbeiführung eines Volksentscheids als Filter am Beispiel eines Drei- Länder-Vergleichs, in: Schiller/Mittendorf (Fn. 6), S. 153 (155). - 5 - Gesetz über Volksabstimmung und Volksbegehren (Volksabstimmungsgesetz – VAbstG) in der Fassung vom 27. Februar 1984 (GBl. S. 178) Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung des Volksabstimmungsgesetzes (Landesstimmordnung – LStO) vom 21. Februar 2000 (GBl. S. 170) 3.2.1.2. Verfahrensaufbau - Zulassungsantrag auf Volksbegehren: Der Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens muss nach § 25 VAbstG von mindestens 10.000 Unterzeichnern, die im Zeitpunkt der Unterzeichnung zum Landtag wahlberechtigt sind, gestellt werden. Gegenstand eines Volksbegehrens kann ein Gesetz, die Änderung der Landesverfassung oder die Auflösung des Landtages sein. Die Zulassung ist schriftlich beim Innenministerium zu beantragen. Hierbei ist mitzuteilen, in welchen Gemeinden Eintragungslisten ausgelegt werden sollen. Der Antrag ist zuzulassen, wenn ihm neben dem vorgenannten Erfordernis der 10.000 Unterschriften ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf beigefügt ist, welcher mit der Verfassung vereinbar ist. Benötigte Unterschriftenzahl: 10.000 Stimmberechtigte Frist für Sammlung der Unterschriften: keine Das Innenministerium setzt den Landtag und die Regierung vom Eingang des Antrags in Kenntnis und entscheidet binnen drei Wochen nach seinem Eingang (§ 27 Abs. 1 VAbstG) über die Zulassung. Rechtsschutzmöglichkeit: Im Falle einer ablehnenden Entscheidung können die Vertrauensleute der Antragsteller gemäß § 27 Abs. 3 VAbstG, binnen zwei Wochen nach Zugang der Entscheidung, hiergegen den Staatsgerichtshof anrufen. - Volksbegehren: Nach Art. 59 Abs. 2 BaWüVerf ist das Volksbegehren zustande gekommen, wenn es von mindestens einem Sechstel der Wahlberechtigten gestellt wird. Diese müssen sich innerhalb der Eintragungsfrist, welche vom Innenministerium festgelegt wird und in der Regel vierzehn Tage beträgt, in die ausgelegten Listen eingetragen haben. Benötigte Unterschriften: 1/6 der Wahlberechtigten Eintragungsfrist: 14 Tage Art der Unterschriftensammlung: Amtsräume - 6 - Der Landesabstimmungsausschuss ermittelt die Gesamtzahl der gültigen Eintragungen und teilt das Ergebnis dem Landtag und der Regierung mit (§ 37 VAbstG). Rechtsschutz: Die Feststellung, dass das Volksbegehren nicht zustande gekommen ist, kann von jedem Stimmberechtigten durch Einspruch beim Staatsgerichtshof angefochten werden, § 38 VAbstG. - Volksabstimmung: Wird einem Volksbegehren durch den Landtag nicht unverändert zugestimmt, so ist es gemäß Art. 60 Abs. 1 BaWüVerf zur Volksabstimmung zu bringen, wobei der Landtag in diesem Fall die Möglichkeit hat, dem Volk zusätzlich einen eigenen Gesetzentwurf zur Entscheidung vorzulegen. Bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Jedoch ist das Gesetz erst beschlossen, wenn mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmt, Art. 60 Abs. 5 BaWüVerf. Für eine Verfassungsänderung im Wege einer Volksabstimmung erhöht sich das Quorum dergestalt, dass die Mehrheit der Stimmberechtigten zustimmen muss (Art. 64 Abs. 3 BaWüVerf). Rechtsschutz: Gemäß § 21 VAbstG können Volksabstimmungen binnen eines Monats nach öffentlicher Bekanntmachung des Abstimmungsergebnisses schriftlich beim Staatsgerichtshof mittels begründeten Einspruchs angefochten werden. Einspruchsberechtigt ist jeder Stimmberechtigte. 3.2.2. Brandenburg (Dreistufenmodell) 3.2.2.1. Rechtsgrundlagen Art. 75 ff. der Verfassung des Landes Brandenburg (BbgVerf) vom 20. August 1992 (GVBl. I S. 298), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. April 1999 (GVBl. S. 98) Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz – VAGBbg) vom 20.März 2003 (GVBl. I S. 86) Verordnung über das Verfahren bei Volksbegehren im Land Brandenburg (Volksbegehrensverfahrensordnung – VVVBbg) vom 30. Juni 1993 (GVBl. II S. 280) 3.2.2.2. Verfahrensaufbau - Volksinitiative - 7 - Die Volksinitiative bildet die erste Verfahrensstufe. Sie muss einen mit Gründen versehenen Wortlaut eines Gesetzentwurfs enthalten und von mindestens 20.000 Stimmberechtigten unterzeichnet werden. Nach § 6 VAGBbg darf die Unterzeichnung frühestens ein Jahr vor Eingang der Volksinitiative beim Landtag erfolgt sein. Das Recht, eine solche Volksinitiative einzubringen, steht nach Art. 76 BbgVerf allen Einwohnern unabhängig von ihrer Stimmberechtigung zu. Nach einem erfolglosen Volksentscheid, der den gleichen Gegenstand zum Inhalt hatte, gilt eine zwölfmonatige Wiederholungssperre, § 5 Abs. 3 VAbstGBbg. Benötigte Unterschriftenzahl: 20.000 Stimmberechtigte Frist für Sammlung der Unterschriften: 1 Jahr Der Präsident des Landtags veranlasst unverzüglich nach Eingang der Volksinitiative die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen durch den Landesabstimmungsleiter. Dieser legt innerhalb eines Monats einen Bericht über das Ergebnis der Prüfung vor. Der Hauptausschuss entscheidet sodann über die Zulassungsvoraussetzungen der Volksinitiative , Art. 9 VAGBbg. Anschließend hat der Landtag auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Haup tausschusses innerhalb von vier Monaten nach deren Eingang beim Präsidenten des Landtages über den Gesetzentwurf zu entscheiden. - Volksbegehren Stimmt der Landtag einem Gesetzentwurf nicht zu, so findet auf Verlangen der Vertreter der Volksinitiative ein Volksbegehren statt, Art. 77 I BbgVerf. Das Verlangen auf Durchführung eines Volksbegehrens ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Landtagsbeschlusses schriftlich an den Präsidenten des Landtags zu richten. Innerhalb eines Monats nach Eingang des Verlangens kann die Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Landtags das Verfassungsgericht des Landes anrufen, wenn sie das Volksbegehren für unzulässig hält (§ 13 VAGBbg). Nach Ablauf dieser Frist macht der Landesabstimmungsleiter das Volksbegehren im Amtsblatt für Brandenburg bekannt und setzt den Beginn der Eintragungsfrist fest. Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn mindestens 80.000 stimmberechtigte Personen durch Listeneintrag innerhalb der viermonatigen Eintragungsfrist zugestimmt haben, § 21 Abs. 5 VAGBbg. Benötigte Unterschriften: 80.000 Stimmberechtigte Eintragungsfrist: 4 Monate - 8 - Art der Unterschriftensammlung: Amtsräume - Volksentscheid Entspricht der Landtag nicht binnen zwei Monaten dem Volksbegehren, so findet innerhalb von weiteren drei Monaten ein Volksentscheid statt, Art. 78 Abs. 1 BbgVerf. Hierbei kann der Landtag einen konkurrierenden Gesetzentwurf mit zur Abstimmung stellen . Der Volksentscheid ist angenommen, wenn die Mehrheit derjenigen, die abgestimmt haben, jedoch mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten zustimmt. Bei Verfassungsänderungen erhöht sich dieses Zustimmungsquorum auf zwei Drittel der Abstimmenden und zugleich mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten, Art. 78 BbgVerf. Weiter ist geregelt, dass eine parlamentarische Konkurrenzvorlage vor dem entsprechenden volksbegehrten Gesetz auf dem Stimmzettel anzuführen ist (§ 44 Abs. 4 VAGBbg) oder dass bei mehreren Entwürfen zum gleichen Gegenstand jeder Stimmberechtigte nur eine Stimme hat (§ 45 Abs. 3 VAGBbg).