Deutscher Bundestag Reichweite des parlamentarischen Fragerechts bei privatisierten öffentlichen Unternehmen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 236/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 236/11 Seite 2 Reichweite des parlamentarischen Fragerechts bei privatisierten öffentlichen Unternehmen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 236/11 Abschluss der Arbeit: 8. Juli 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 236/11 Seite 3 1. Fragestellung Ist die Deutsche Bahn AG (DB AG) verpflichtet, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages Dokumentationen über Störungen im Betrieb der DB AG sowie Ausfallstatistiken zur Verfügung zu stellen? 2. Grundsätzliches zur Reichweite des Parlamentarischen Fragerechts Die DB AG unterliegt als privatrechtlich organisiertes Unternehmen selbst keiner direkten parlamentarischen Kontrolle. Da jedoch der Bund Inhaber des Unternehmens ist, kommt grundsätzlich eine Auskunftspflicht der Bundesregierung im Rahmen des parlamentarischen Fragerechts in Betracht. Das parlamentarische Fragerecht ist ein notwendiger Bestandteil des parlamentarischen Regierungssystems . Erst durch die Verantwortlichkeit gegenüber dem unmittelbar gewählten Deutschen Bundestag ist die Regierung demokratisch legitimiert. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) folgt das parlamentarische Fragerecht aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 und Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG; in der GO-BT wird es näher ausgestaltet. Reichweite und Grenzen des Fragerechts hat das BVerfG in diversen Entscheidungen konkretisiert. Die Bundesregierung ist von Verfassungs wegen grundsätzlich verpflichtet, Fragen der Abgeordneten zu beantworten.1 Diese Pflicht erstreckt sich auf alle Informationen, die der Bundesregierung vorliegen bzw. die sie mit vertretbarem Aufwand beschaffen kann.2 Hierzu zählen bspw. statistische Angaben, Gutachten sowie eigene Erkenntnisse der Regierung und ihrer Behörden. Die Antwortpflicht der Regierung umfasst alle Informationen, die das Parlament für eine wirksame Kontrolle und sachverständige Beurteilung des Regierungshandelns benötigt.3 Das Fragerecht dient insoweit dazu, die strukturelle Informationsasymmetrie zwischen Regierung und Parlament im Einzelfall zu verkleinern. 2.1. Verantwortungsbereich der Regierung Inhaltlich erstreckt sich das Fragerecht auf alle Angelegenheiten, die in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung fallen.4 Erfasst werden alle Aufgabenbereiche, für die die Regierung unmittelbar oder mittelbar einzustehen hat, die also von ihr selbst wahrgenommen werden oder sonst zu verantworten sind, § 105 GO-BT i.V.m Anlage 4 GO-BT Nr. 2 Abs. 15. Der parlamentarischen Kontrolle unterliegt dabei nicht nur das hoheitliche Handeln der Regierung, sondern ihre 1 BVerfGE 13, 123, 125; 67, 100, 129; 105, 279, 306. 2 BVerfGE 105, 279, 306. 3 BVerfGE 70, 324, 355. 4 Lennartz, Jürgen/Kiefer, Günther, Parlamentarische Anfragen im Spannungsfeld von Regierungskontrolle und Geheimhaltungsinteressen, DÖV 2006, 185, 187. 5 BVerfGE 13, 123, 125; 57, 1, 5; 67, 100, 129; vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BT-Drs. 13/6149. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 236/11 Seite 4 gesamte Amtsführung. Die Regierung soll sich nicht durch Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform der Verantwortung ziehen können. Eine derartige „Flucht aus dem Verfassungsrecht in das Privatrecht“ ist unzulässig.6 2.2. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand Wie das BVerfG in seiner Entscheidung zur Unvereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und Tätigkeit in einem von der öffentlichen Hand beherrschten Unternehmen festgestellt hat, unterliegt auch das wirtschaftliche Engagement der öffentlichen Hand der parlamentarischen Kontrolle. Die Regierung hat sich auch insoweit der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung zu unterziehen.7 Auch für Unternehmen des Bundes gilt danach im Grundsatz, dass diese der parlamentarischen Kontrolle unterfallen. Diese Kontrolle erlischt, wenn ein Unternehmen von der Bundesregierung in vollem Umfang rechtlich, personell und finanziell unabhängig wird.8 Mit möglichen Grenzen der parlamentarischen Kontrolle bei wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand hat das BVerfG sich in der o.g. Entscheidung nicht näher auseinandergesetzt, da dies für die Entscheidung nicht erforderlich war.9 Eine Grenze ergibt sich allerdings bereits daraus, dass sich das Fragerecht nur auf Umstände beziehen kann, die die Bundesregierung zu verantworten hat. Je nach Ausgestaltung der Unternehmensbeteiligung des Bundes kann dies durchaus unterschiedlich sein. Wenn sich der Bund bspw. „nur“ finanziell an einem Unternehmen beteiligt, dieses aber nicht strategisch beherrscht, kann das Fragerecht sich nicht auf einzelne unternehmerische Entscheidungen erstrecken, auf die die Bundesregierung keinen Einfluss hat. Gefragt werden könnte aber durchaus, warum eine Bundesbeteiligung an einem defizitären Unternehmen beibehalten wird oder Unternehmensanteile veräußert werden sollen. Diese auf die finanzielle Beteiligung an Unternehmen beschränkten Kontrolle folgt aus dem Budgetrecht des Parlaments. Das Fragerecht reicht hingegen weiter, wenn die Bundesregierung ein Unternehmen derart beherrscht , dass auch einzelne unternehmerische Entscheidungen ihrem Verwantwortungsbereich zuzuordnen sind. Als Grundsatz kann danach festgehalten werden, dass für die Frage der Reichweite des parlamentarischen Fragerechts eine Prüfung des Verantwortungsbereichs der Bundesregierung im jeweiligen Einzelfall erforderlich ist. 6 Gusy, Privatisierung und parlamentarische Kontrolle, in: Privatisierung und parlamentarische Rechte (hrsg. vom Präsidenten des Landtags Rheinland-Pfalz), 1998, S. 61. 7 BVerfGE 98, 145, 160 f. 8 Magiera, Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Unternehmen, unveröffentlichtes Gutachten, 2003, S. 13. 9 BVerfGE 98, 145. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 236/11 Seite 5 3. Reichweite des Fragerechts bei (teil-)privatisierten Unternehmen Eine Sonderrolle kommt jedoch den auf Grundlage der Art. 87 e und 87 f GG (teil-)privatisierten Unternehmen Deutsche Bahn AG und den Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost zu. Bei diesen wird hinsichtlich der Reichweite des parlamentarischen Fragerechts zwischen der unternehmerischen Eigenverantwortung des jeweiligen Unternehmens und der staatlichen Verantwortung unterschieden.10 Diese Unterscheidung findet ihre Grundlage in der Verfassung. Dort wird für die Eisenbahnen des Bundes angeordnet, dass sie als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führen sind, Art. 87 e Abs. 3 S. 1. GG. Dem Bund wird demgegenüber die Gewährleistung der Allgemeinwohlorientierung beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes zugewiesen, Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG. Aus dieser Zuweisung unterschiedlicher Verantwortungsbereiche wird ein umfassender Autonomiebereich der privat-rechtlich organisierten Eisenbahnen des Bundes gefolgert.11 Die Bundesregierung kann danach nur im Rahmen des Aktiengesetzes, d.h. über die Hauptversammlung bzw. durch die Kapitalvertreter im Aufsichtsrat im Rahmen der dem Aufsichtsrat zustehenden Rechte Einfluss nehmen.12 Eine darüber hinaus gehende Einflussnahme des Bundes auf unternehmerische Entscheidungen ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen.13 Insoweit unterscheiden sich die Eisenbahnen des Bundes maßgeblich von sonstigen öffentlichen Unternehmen, bei denen der staatliche Einfluss sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann.14 Die Unterscheidung zwischen staatlicher Gewährleistungsverantwortung und unternehmerischer Verantwortung der privatisierten Eisenbahnen des Bundes bildet die Grundlage für die Kriterienkataloge der Auslegungsentscheidung zu §§ 105 und 108 GO-BT15, die Anhaltspunkte für die Abgrenzung zulässiger und unzulässiger Fragen an die Bundesregierung darstellen. 3.1. Verantwortungsbereich des Bundes In den Verantwortungsbereich des Bundes fallen danach regelmäßig folgende Punkte: Gesetzgebung Eisenbahnverkehrsverwaltung Gewährleistung der Gemeinwohlverpflichtung - Aufstellung des Bedarfsplans für den Ausbau des Schienennetzes - Finanzierung der Investitionsmaßnahmen des Bedarfsplans in die Schienenwege des Bundes einschließlich Finanzierungsverantwortung 10 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung BT-Drs. 13/6149; Magiera (Fn. 8), S. 14 ff. 11 Gersdorf in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 3, 6. Auflage 2010, Art. 87 e Rdnr. 52 m.w.N. 12 Jochum, Die Grundrechtsbindung der Deutschen Bahn, NVwZ 2005, 779, 781. 13 Gersdorf (Fn. 11), Art. 87 f Rdnr. 59. 14 Gersdorf (Fn. 11). 15 BT-Drs. 13/6149, S. 4 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 236/11 Seite 6 - Verwaltung der Beteiligung des Bundes an der DB AG im Rahmen der Kompetenzen des Aufsichtsrates bzw. der Hauptversammlung sowie die Verhaltensweisen der Aufsichtsratsmitglieder des Bundes - Auferlegung oder Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Leistungen - Planfeststellungen - Technische und Bauaufsicht über Betriebsanlagen - Betriebsgenehmigungen für Eisenbahnen des Bundes - Finanzierungsvereinbarungen nach dem Schienenwegeausbaugesetz zwischen Bund und DB AG - Unfalluntersuchungen - hoheitliche Aufsichts- und Mitwirkungsrechte, Wahrnehmung der Aufgaben der Gewerbeaufsicht - Entscheidung über Stilllegungsanträge der DB AG - Entscheidung der Streitfälle zum Zugang zur Infrastruktur durch das Eisenbahnbundesamt (EBA) - Fragen hinsichtlich der Verwaltung der der DB AG zugewiesenen Beamten - Einzelheiten der finanziellen Sanierung von DB/DR wie Entschuldung, Altlastenübernahme und –abwicklung 3.2. Verantwortungsbereich der DB AG In den Bereich der unternehmerischen Verantwortung der DB AG sollen demgegenüber in der Regel folgende Punkte fallen: - Bemessung der Entgelte für die Nutzung des Fahrwegs - Festlegung der Tarife - Gestaltung des Angebotes im einzelnen, Modernisierung der Anlagen, Pünktlichkeit - Unternehmenspolitik in den einzelnen Geschäftsbereichen - Organisation des Unternehmens - Investitionsplanung im Unternehmen - Bau von Trassen, sowie deren Unterhaltung, Erstellung von Signal- und Kommunikationstechnik - Personalfragen - Streckenübernahme durch Dritte - Vermietung, Verpachtung, Veräußerung bahneigener Grundstücke Fragen nach Betriebsstörungen, Pünktlichkeit oder Ausfallstatistiken im Bereich der DB AG betreffen den Eisenbahnbetrieb selbst. Dieser wird von der DB AG in eigener unternehmerischer Verantwortung durchgeführt. Insoweit dürfte keine Auskunftspflicht der Bundesregierung bestehen . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 236/11 Seite 7 Eine Auskunftspflicht der Bundesregierung besteht hingegen für die unter 3.1 genannten Aspekte . Denkbar wären daher Auskünfte zu Maßnahmen der technischen Aufsicht über den Bahnbetrieb , die Auswirkungen auf die Pünktlichkeit haben könnten.