© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 235/16 Fragen zum Asyl- und Flüchtlingsschutz gegenüber afghanischen Staatsangehörigen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 235/16 Seite 2 Fragen zum Asyl- und Flüchtlingsschutz gegenüber afghanischen Staatsangehörigen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 235/16 Abschluss der Arbeit: 20.10.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 235/16 Seite 3 1. Fragestellung Die Fragen zum Asyl- und Flüchtlingsschutz gegenüber afghanischen Staatsangehörigen betreffen zunächst die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und Afghanistan vom 2.10.2016 über die Rückführung von afghanischen Staatsangehörigen. Es wird die Frage gestellt, ob sich diese Vereinbarung auf die für die Gewährung asylrechtlichen Schutzes maßgeblichen gesetzlichen Voraussetzungen normativ auswirkt. Darüber hinaus geht es um die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Insoweit wird gefragt: – Wie hoch ist der Anteil von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheiten bei der Zuerkennung des Asyl- und Flüchtlingsstatus? – Welche konkreten Asyl- oder Fluchtgründe (z.B. Verfolgung wegen der Rasse oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) greifen bei der Zuerkennung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus in Bezug auf Angehörige von ethnischen Minderheiten aus Afghanistan? 2. Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und Afghanistan vom 2.10.2016 Die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und Afghanistan vom 2.10.2016 („The EU- Afghanistan Joint Way Forward on Migration issues“ - JWF)1 befasst sich mit der Kooperation bei der Rückführung von afghanischen Staatsangehörigen nach Afghanistan. Im Rahmen dieser Kooperationsvereinbarung wird u.a. die Ausstellung von Reisedokumenten durch die zuständigen afghanischen Behörden festgehalten.2 Zu beachten ist aber, dass die Vereinbarung ausdrücklich keine völkerrechtlichen Rechte oder Pflichten begründet. In der Vereinbarung heißt es dazu: „The JWF is not intended to create legal rights or obligations under international law. It paves the way for a structural dialogue and cooperation on migration issues, based on a commitment to identify effective ways to address the needs of both sides.”3 Die Kooperationsvereinbarung stellt damit keinen völkerrechtlichen Vertrag und kein völkerrechtlich verbindliches Rückübernahmeabkommen der Europäischen Union mit einem Drittstaat im Sinne des Art. 79 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union dar. Schon aus diesem Grund kommen normative Wirkungen der Kooperationsvereinbarung auf das Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht in Betracht. 1 Die Vereinbarung ist abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/eu_afghanistan_joint_way_forward _on_migration_issues.pdf; siehe auch die dazu ergangene Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 3.10.2016, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_MEX-16-3282_en.htm. 2 Siehe Part II (Facilitating the return process) Nr. 2 der Vereinbarung (Fn. 1): “When the person to be returned has no valid passport, the Afghan competent authority will ensure that a passport or a travel document is issued no later than four weeks following the request made by the Member State.” 3 Vgl. die Einleitung der Vereinbarung (Fn. 1). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 235/16 Seite 4 Unabhängig davon gehören die hier fraglichen Voraussetzungen für die Gewährung von asylrechtlichem Schutz in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch nicht zum Gegenstand der Kooperationsvereinbarung.4 Vielmehr beschränkt sich die Kooperation auf diejenigen Fälle, in denen asylrechtlicher Schutz nach dem Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union rechtskräftig abgelehnt wurde und die afghanischen Staatsangehörigen vollziehbar ausreisepflichtig sind. Dementsprechend wird der Anwendungsbereich der Kooperation in der Vereinbarung wie folgt beschrieben: „Afghan nationals who are found to have no legal basis to remain in an EU Member State, whose protection needs or compelling humanitarian reasons, if any, have been considered in accordance with the applicable legislation and who have received an enforceable decision to leave that Member State, can choose to return voluntarily. Afghan nationals who choose not to comply with such a decision on a voluntary basis will be returned to Afghanistan, once administrative and judicial procedures with suspensive effects have been exhausted.“5 Dabei wird zudem klargestellt, dass die Kooperationsvereinbarung die internationalen Verpflichtungen der Europäischen Union und Afghanistans, z.B. aus der Genfer Flüchtlingskonvention, gerade nicht berühren soll: „In their cooperation under this declaration, the EU and Afghanistan remain committed to all their international obligations, in particular; - respecting the provisions of the 1951 Convention relating to the Status of Refugees and its 1967 New York Protocol; - upholding the rights and freedoms guaranteed in the International Covenant on Civil and Political rights and the EU Charter on Fundamental Rights and the Universal Declaration on Human Rights; […].”6 Mangels konkreter inhaltlicher Bezüge zu den Voraussetzungen für die Gewährung von asylrechtlichem Schutz in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist daher nicht ersichtlich, dass die Vereinbarung insoweit normative Wirkungen entfalten könnte. 3. Entscheidungspraxis des BAMF Eine Übersicht über die Entscheidungspraxis des BAMF zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung in Bezug auf die drei größten Ethnien Afghanistans seit dem Jahr 2013 ist den folgenden Tabellen zu entnehmen, die das BAMF auf Anfrage zur Verfügung gestellt hat. 4 Zu den Voraussetzungen für die Gewährung asylrechtlichen Schutzes in Deutschland siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Verfahrens- und Prüfungsschritte im Asylverfahren (WD 3 - 3000 - 220/15). 5 Siehe Part I (Scope of cooperation) Nr. 3 der Vereinbarung (Fn. 1), Hervorhebungen nicht im Original. 6 Siehe die Einleitung der Vereinbarung (Fn. 1). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 235/16 Seite 5 2013: Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) Entscheidun gen (über Erst- und Folgeanträge) Anerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a GG Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG Hazara 1.393 905 16 112 Pashtunen 1.641 987 9 262 Tadschiken 3.792 3.322 28 681 unbekannt 766 509 - 98 Afghanistan gesamt 8.240 6.126 56 1.233 2014: Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) Entscheidungen (über Erst- und Folgeanträge) Anerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a GG Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG Hazara 1.988 1.247 8 201 Pashtunen 1.662 1.288 26 363 Tadschiken 4.263 3.730 38 1.091 unbekannt 1.066 583 9 196 Afghanistan gesamt 9.673 7.287 87 1.939 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 235/16 Seite 6 2015: Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) Entscheidungen (über Erst- und Folgeanträge) Anerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a GG Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG Hazara 6.914 1.223 4 260 Pashtunen 5.279 1.286 16 334 Tadschiken 11.692 2.624 23 779 unbekannt 6.442 493 3 194 Afghanistan gesamt 31.902 5.966 48 1.660 Januar bis September 2016: Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) Entscheidungen (über Erst- und Folgeanträge) Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG Anerkennung als Flüchtling nach § 3 I AsylG Hazara 29.198 6.615 9 1.109 Pashtunen 15.965 3.958 21 914 Tadschiken 50.159 11.889 32 2.704 Unbekannt 13.380 1.376 - 303 Afghanistan gesamt 115.708 25.588 67 5.358 Zur Frage nach den konkreten Asyl- und Fluchtgründen, die bei der Zuerkennung des Asyl- und Flüchtlingsstatus in Bezug auf Angehörige von ethnischen Minderheiten aus Afghanistan greifen, können keine weiteren Angaben gemacht werden, da nach Auskunft des BAMF entsprechende Daten nicht erhoben werden. 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