Deutscher Bundestag Modellprojekt zur optionalen Auszahlung eines Grundeinkommens anstelle der Leistungen der Künstlersozialversicherung Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 235/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 2 Modellprojekt zur optionalen Auszahlung eines Grundeinkommens anstelle der Leistungen der Künstlersozialversicherung Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 235/11 Abschluss der Arbeit: 3. August 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Das Erprobungsgesetz als besondere gesetzliche Grundlage 4 2.1. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen für den Erlass eines Erprobungsgesetzes 5 2.2. Anwendung dieser Voraussetzungen auf das vorgeschlagene Modellprojekt 7 3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Modellvorhabens 8 3.1. Formelle Verfassungsmäßigkeit 8 3.2. Materielle Verfassungsmäßigkeit 9 3.2.1. Vereinbarkeit des Erprobungsgesetzes mit dem Gleichheitssatz 9 3.2.1.1. Zulässigkeit der personellen Begrenzung 10 3.2.1.2. Zulässigkeit der räumlichen Begrenzung 12 3.2.1.3. Zulässigkeit der zeitlichen Beschränkungen 13 3.2.1.4. Ungleichbehandlung innerhalb der Modellregion 13 3.2.2. Kein Verstoß gegen Freiheitsgrundrechte 15 4. Zusammenfassung 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung untersucht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines räumlich und zeitlich beschränkten Modellvorhabens zur optionalen Auszahlung eines Grundeinkommens an die Versicherten der Künstlersozialkasse anstelle der Leistungen der Künstlersozialversicherung. Den nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG)1 versicherten selbstständigen Künstlern und Publizisten steht wie Arbeitnehmern der gesamte Leistungskatalog der Sozialversicherungen zu. Hierfür müssen sie nur die Hälfte der fälligen Beiträge aufbringen, die Künstlersozialkasse stockt diese Beträge auf aus einem Zuschuss des Bundes (20 %) und aus Sozialabgaben von Unternehmen (30 %), die Kunst und Publizistik verwerten. Die Künstlersozialkasse berechnet die Beitragsanteile, zieht sie ein und leitet dann die vollen Beiträge an die Leistungsträger der Renten -, Kranken- und Pflegeversicherung weiter.2 Das vorgeschlagene Modellprojekt soll vorsehen, dass in einem ausgewählten Bundesland alle Personen, die in diesem Bundesland ihren Hauptwohnsitz haben und zum Kreis der versicherten Personen nach dem KSVG zählen, zwischen dem status quo und der Auszahlung eines Grundeinkommens wählen können. Die Wahlmöglichkeit bestünde für ein Jahr. Bei Wahl der Grundeinkommens -Option würde monatlich ein Pauschalbetrag zur freien Verfügbarkeit ausgezahlt werden. Die Höhe des Pauschalbetrags wäre einkommensunabhängig und somit für alle Betroffenen gleich. Die Laufzeit der Grundeinkommens-Option betrüge fünf Jahre und wäre für diejenigen , die sich für diese Option entscheiden, in dieser Zeit mit einem höheren Einkommensteuersatz oder alternativ mit einem erhöhten Beitragsanteil zur Künstlersozialversicherung verbunden. Die Ausarbeitung stellt zunächst die Anforderungen an ein sogenanntes Erprobungsgesetz dar. Im Anschluss daran wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des vorgeschlagenen Modellvorhabens untersucht. 2. Das Erprobungsgesetz als besondere gesetzliche Grundlage Zweck des Modellprojektes wäre es, in einem räumlich und zeitlich beschränkten Rahmen Erfahrungen im Hinblick auf die Einführung eines Grundeinkommens zu sammeln. Das dem Modellprojekt zugrunde liegende Gesetzeswerk würde daher in den Bereich der sogenannten experimentellen Gesetzgebung fallen.3 1 Gesetz über die Sozialversicherung der selbstständigen Künstler und Publizisten (Künstlersozialversicherungsgesetz - KSVG) vom 27. Juli 1981 (BGBl. I S. 705), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2309). 2 Kurzcharakteristik der Künstlersozialkasse, abrufbar unter http://www.kuenstlersozialkasse.de/wDeutsch/Kuenstlersozialkasse- Kurzcharakteristik.pdf?WSESSIONID=4a5eaa39c50d145bd8c6469bb2f35bf2 (Stand: 01.08.2011). 3 Vergleiche zum Begriff grundlegend Horn, Hans-Detlef, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989, S. 21 ff. Zu den verschiedenen Formen experimenteller Gesetzgebung vergleiche Lindner, Josef, Experimentelle Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, DÖV 2007, 1003, 1004 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 5 Aufgrund der Tatsache, dass Gesetze grundsätzlich für die Zukunft geschaffen werden, weisen alle Gesetzeswerke in gewissem Maße einen experimentellen Charakter auf.4 Dieser Experimentiercharakter findet Ausdruck in den vielzähligen Gesetzesänderungen und -novellierungen, die der Gesetzgeber vornimmt, um die Gesetzeslage der sich ständig ändernden Realität anzupassen.5 Darüber hinaus kann es jedoch in besonders komplexen und von Unsicherheit geprägten Situationen notwendig werden, zunächst nur probehalber gesetzgeberisch tätig zu werden.6 In derartigen Situationen erlassene Versuchs-, Experimentier- oder Erprobungsgesetze fallen unter den Begriff der experimentellen Gesetzgebung.7 Mithilfe von Erprobungsgesetzen werden Erfahrungen realitätsnah gesammelt und ein bestimmter Regelungsinhalt wird planmäßig erprobt bevor ein auf Dauer angelegtes Gesetz ausgearbeitet wird.8 Welche besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen an Erprobungsgesetze zu stellen sind, ist umstritten.9 2.1. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen für den Erlass eines Erprobungsgesetzes Das Verständnis des Erprobungsgesetzes als besondere, vom „normalen“ Gesetz abzugrenzende Rechtsfigur geht überwiegend auf Kloepfer zurück.10 Kloepfer umschreibt Gesetzgebungsexperimente als aus Situationen der Ungewissheit entstehende Gesetze, die auf Vorläufigkeit, Erprobung und Auswertung angelegt sind.11 Er nennt folgende Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Erprobungsgesetzes: Legitimität und Testbarkeit des Testziels, Testbedürfnis,12 Testgeeignetheit , Testerforderlichkeit13 und Testverhältnismäßigkeit.14 Gesetzgebungsexperimente seien zudem nur dann zulässig, wenn die politische Willensbildung noch nicht abgeschlossen ist; der 4 Maaß, Volker, Experimentierklauseln für die Verwaltung und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen, 2001, S. 29. 5 Maaß (Fn. 4), S. 29. 6 Durner, Wolfgang, Verfassungs- und Völkerrechtsfragen der anonymen Geburt: Plädoyer für ein Experimentiergesetz , Zeitschrift für Gesetzgebung 20 (2005), 243, 258. 7 Maaß (Fn. 4), S. 34 ff. Im Folgenden wird einheitlich der Begriff Erprobungsgesetz verwendet. 8 Maaß (Fn. 4), S. 34. Vergleiche als Beispiel für ein Erprobungsgesetz auf Bundesebene das Gesetz zur Erprobung einer bundeseinheitlichen Wirtschaftsnummer (Wirtschaftsnummern-Erprobungsgesetz - WiNuEG) vom 22.05.2002 (BGBl. I S. 1644) zuletzt geändert durch Art. 17 Abs. 1 S. 2 Kommunales OptionsG vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 2014). 9 Durner (Fn. 6), S. 259. 10 Durner (Fn. 6), S. 258. 11 Kloepfer, Michael, Gesetzgebung im Rechtsstaat, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 40 (1981), 63, 92. 12 So auch Horn (Fn. 3), S. 370. 13 Horn (Fn. 3) leitet die Voraussetzungen Testgeeignetheit und -erforderlichkeit aus dem rechtsstaatlichen Übermaßverbot ab, S. 370. 14 Kloepfer (Fn. 11), S. 94. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 6 Gesetzgebungstest sei zu befristen, realitätsnah und ergebnisoffen zu gestalten und bedürfe der sachverständigen und objektiven Evaluation.15 Das Gesetzgebungsexperiment dürfe außerdem nicht zu einer irreversiblen Rechtslage oder zu unzumutbaren Testopfern bei den Beteiligten führen , daher seien entsprechende Vorsorge- und Auffangregelungen für das Testende zu entwickeln .16 Eine grundsätzliche Lockerung der Verfassungsbindung im Bereich der experimentellen Gesetzgebung wird von Kloepfer abgelehnt.17 Insgesamt besteht innerhalb der rechtswissenschaftlichen Literatur keine Einigkeit darüber, inwieweit Besonderheiten für die Verfassungsmäßigkeit von Erprobungsgesetzen bestehen und wo die Grenzen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Bereich der experimentellen Gesetzgebung liegen.18 Das Bundesverfassungsgericht billigt den Erlass eines Erprobungsgesetzes als einen zeitlich und örtlich begrenzten Versuch, welcher der Aufgabe dient Erfahrungen zu sammeln.19 Auch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts muss es dem Gesetzgeber möglich sein, schwierigen und komplexen Herausforderungen mit „Versuchsgesetzen“ mit zunächst zeitlicher Begrenzung zu begegnen.20 Dem Gesetzgeber soll bei der Schaffung von Erprobungsgesetzen grundsätzlich eine erheblich größere Gestaltungsfreiheit zukommen.21 In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfung gesetzgeberischer Prognosen und Einschätzungen gilt jedoch auch im Bereich der experimentellen Gesetzgebung, dass die bloße Ungewissheit über die künftigen Auswirkungen eines Gesetzes keinen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unzugänglichen Prognosespielraum begründet.22 Vielmehr hängt auch hier der Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter ab.23 Sind besonders sensible Rechtsgüter betroffen, wie beispielsweise das menschliche Leben, so kann eine experimentelle Regelung schlechterdings verboten sein.24 Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten und dem Mangel an Erfahrungswerten darf sich der Gesetzgeber im Bereich der experimentellen Gesetzgebung jedoch mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen begnügen.25 Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Erprobungsgesetz sind 15 Kloepfer (Fn. 11), S. 94 f. Auch Horn fordert die Befristung von Erprobungsgesetzen, (Fn. 3), S. 370. 16 Kloepfer (Fn. 11), S. 95, vgl. auch Stettner, Rupert, Verfassungsbindung des experimentierenden Gesetzgebers, NVwZ 1989, 806, 810 f. 17 Kloepfer (Fn. 11), 95 f., so auch Horn (Fn. 3), S. 367. 18 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Stettner (Fn. 16), 811 f. 19 BVerfGE 57, 295, 324. 20 BVerwGE 109, 29, 39. 21 BVerfGE 57, 295 (324); 74, 297 (339). 22 BVerfGE 50, 290 (332). 23 BVerfGE 50, 290 (333). 24 BVerfGE 39, 1 (60). 25 BVerfGE 70, 1 (34). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 7 somit im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG reduziert.26 Im Hinblick auf die von Kloepfer geforderte Reversibilität des Gesetzgebungsexperiments, formuliert das Bundesverfassungsgericht, dass die Versuchsregelungen wiederholbare Tatbestände normieren müssen, so dass bei einem Fehlschlag des Versuchs eine andere Regelung getroffen werden könne.27 Dies ist dahingehend zu verstehen, dass Erprobungsgesetze nicht den „Weg zurück“ verbauen dürfen, dass also die Kosten eines fehlgeschlagenen Gesetzgebungsversuchs zu bewältigen sein müssen.28 Im Hinblick auf die von Kloepfer verlangte Testgeeignetheit, wird auch in der Rechtsprechung gefordert, dass ein Erprobungsgesetz nicht so angelegt sein darf, dass die mit ihm angestrebte Erfahrungssammlung von vornherein unmöglich ist.29 Erweist sich eine gesetzgeberische Prognose über die Tauglichkeit des Experiments im nachhinein als unrichtig, so ist der Gesetzgeber außerdem verpflichtet, die getroffene Regelung im Wege der Nachbesserung anzupassen oder zu ändern.30 Unterlässt der Gesetzgeber eine spätere Überprüfung trotz möglicher Auswertung des Erfahrungsmaterials, so besteht Anlass zur verfassungsrechtlichen Verwerfung.31 Somit geht auch das Bundesverfassungsgericht von einer Evaluierungspflicht des experimentierenden Gesetzgebers aus. 2.2. Anwendung dieser Voraussetzungen auf das vorgeschlagene Modellprojekt Fasst man die von der Literatur und der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Zulässigkeit von Erprobungsgesetzen zusammen, ergeben sich die folgenden Voraussetzungen für den Erlass eines solchen: Zunächst muss ein objektives Testbedürfnis bestehen und legitimerweise angenommen werden dürfen, dass das Erprobungsgesetz die notwenigen Erfahrungen liefern wird.32 Im Hinblick auf das in Deutschland viel diskutierte Konzept eines Grundeinkommens fehlt es bislang an Erfahrungswerten , die Grundlage für eine auf Dauer angelegte, flächendeckende Einführung sein könnten .33 Die optionale, zeitlich und räumlich beschränkte Einführung eines Grundeinkommens 26 Stettner (Fn. 16), S. 812; so auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit der räumlich und zeitlich beschränkten Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Bayern, Urteil vom 15.11.2006, Vf. 6-VII-05, Vf. 12-VII-05, Rn. 49; abgedruckt in BayVBl 2007, 79. 27 BVerfGE 74, 297 (339). 28 Stettner (Fn. 16), S. 810 f. 29 SächsVerfGH, Urteil vom 20.04.1995, Vf. 18-II-93, abgedruckt in LKV 1995, 399. 30 BVerfGE 56, 54, 78 f. 31 BVerfGE 54, 173, 202. 32 Durner (Fn. 6), S. 259. 33 Rhein, Thomas, Mindestlohn, Mindestsicherung und Mindesteinkommen in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, NZA-Beilage 2009, 91 (95). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 8 stellt auch kein von vornherein ungeeignetes Mittel dar, um die notwendigen Erfahrungswerte zu erzielen.34 Eine nach der herrschenden Ansicht erforderliche Befristung der Erprobung ist vorgesehen. Mithilfe einer entsprechenden Vorschrift könnte zudem sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber der ihm obliegenden Evaluierungspflicht im Anschluss an die Erprobungsphase nachkommt. Um der Voraussetzung der Reversibilität der Erprobung gerecht zu werden, müsste vor Durchführung des Modellvorhabens beurteilt werden, welche Kosten mit einem Fehlschlag des Versuches einhergehen würden und wie diese zu bewältigen wären. 3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Modellvorhabens 3.1. Formelle Verfassungsmäßigkeit Das skizzierte Projekt betrifft Fragen des Sozialrechts und würde bei Umsetzung eine Änderung des KSVG voraussetzen. Das Künstlersozialversicherungsrecht fällt grundsätzlich unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (Sozialversicherung) und damit ebenfalls in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 1 GG .35 Zu beachten ist jedoch, dass nicht jede Form der sozialen Sicherung unter diesen Kompetenztitel zu subsumieren ist.36 Voraussetzung ist vielmehr die Einordnung des Systems als Versicherung, die Aufbringung der Mittel der Versicherung durch Beiträge sowie die Verknüpfung von Beiträgen und Leistungen und auch deren grundsätzliche Beitragsadäquanz.37 Das vorgeschlagene Modellprojekt soll vorsehen , dass die Auszahlung eines Grundeinkommens entweder mit erhöhten Beitrags- oder Einkommensteuersätzen einhergeht. Die erste Alternative würde sich aufgrund der bestehenbleibenden Beitragsabhängigkeit der Sozialleistung unter den verfassungsrechtlichen Begriff der Sozialversicherung fassen lassen.38 Bei einer Finanzierung durch einen höheren Einkommensteuersatz erscheint die Subsumtion unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG dagegen fraglich. Auch in diesem Fall könnte jedoch argumentiert werden, dass die Einnahmeseite der aktuell bestehenden Sozialversi- 34 Ob ein Modellprojekt mit den skizzierten Parametern tatsächlich geeignet wäre, die notwendigen Erfahrungen für eine flächendeckende Einführung eines Grundeinkommens zu sammeln, kann nicht abschließend bewertet werden, da der zu beurteilende Vorschlag eine Vielzahl von Details offen lässt und sich nicht auf eine bestimmte Ausgestaltung des Grundeinkommenskonzeptes bezieht. 35 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Hofmann, Hans/Hopfauf, Axel, Kommentar zum Grundgesetz , 12. Auflage 2011, Art. 74 Rn. 158. 36 Oeter, in: v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage 2010, Art. 74 Rn. 105. 37 Degenhart, in: Sachs, Michael, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 74 Rn. 57. Zur Voraussetzung der Beitragsadäquanz vergleiche unten S. 13 f. 38 Unschädlich für die Einordnung der Grundeinkommens-Option als Sozialversicherung ist die Ersetzung der verschiedenen Sozialleistungen durch die Auszahlung eines pauschalierten Betrages, vgl. Brenner, Michael, Solidarisches Bürgergeld und Grundgesetz, 2011, S. 36. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 9 cherungen zunehmend geprägt ist von versicherungsfremden Bundeszuschüssen, also starken Anteilen einer Steuerfinanzierung. Der Versicherungscharakter und die konstruktive Basis der Beitragsäquivalenz sind daher schon heute weitgehend Fiktion und können daher nicht typusprägend sein.39 Sollte die Finanzierung des Projekts im Zusammenhang mit der Einkommensteuer geregelt werden , wäre das Einkommensteuergesetz (EStG)40 betroffen. Die Einkommensbesteuerung fällt gemäß Art. 105 Abs. 2 Alt. 1, Art. 106 Abs. 3 GG in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Diese Argumentation zugrunde gelegt würde das Erprobungsgesetz insgesamt in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fallen. 3.2. Materielle Verfassungsmäßigkeit Auch Erprobungsgesetze müssen den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen, wie dem Bestimmtheitsgebot und dem Gebot der Widerspruchsfreiheit und Klarheit gerecht werden .41 Darüberhinaus muss sich ein Erprobungsgesetz an den Freiheits- und Gleichheitsrechten des Grundgesetzes messen lassen, wobei sich der Gesetzgeber wie oben dargestellt im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz mit gröberen Typisierungen begnügen darf. Die folgende Prüfung beschränkt sich auf die grundsätzliche Vereinbarkeit einer begrenzten Erprobung des Grundeinkommenskonzeptes mit den materiellen Vorgaben des Grundgesetzes. Da das skizzierte Modellprojekt eine Vielzahl von Einzelheiten offen lässt, kann eine umfassende Prüfung nicht erfolgen.42 3.2.1. Vereinbarkeit des Erprobungsgesetzes mit dem Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG verbietet die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem und die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.43 Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn vergleichbare Personen, Gruppen oder Sachverhalte aufgrund eines Unterscheidungsmerkmals verschieden behandelt werden.44 Die Feststellung der Vergleichbarkeit mehrerer Personen, Gruppen oder 39 Oeter, in: v.Mangoldt/Klein (Fn. 37), Art. 74 Rn. 105. 40 Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl. I, S. 3366, 3862), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 22. Juni 2011 (BGBl. I S. 1126). 41 BayVerfGH, Entscheidung vom 22.09.2008 - Vf. 9-VII/07, abgedruckt in NVwZ-RR 2009, 137. 42 Im Übrigen bleibt auch die Frage, ob und inwieweit das Konzept des Grundeinkommens den verfassungsrechtlichen Anforderungen hinsichtlich der sich aus Art. 20 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Pflicht des Staates zur Sicherung des Existenzminimums des Einzelnen gerecht wird, im Rahmen dieser Ausarbeitung unberücksichtigt, vergleiche hierzu Brenner (Fn. 39), S. 39 ff. 43 BVerfGE 3, 58 (135); 18, 38 (46); 72, 141 (150); 84, 133 (158); 98, 365 (385); st. Rspr. 44 Heun, in: Dreier, Horst, Grundgesetz, Kommentar, 2. Auflage 2004, Art. 3 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 10 Sachverhalte, sowie die Festlegung des Differenzierungskriteriums, setzt eine wertende Beurteilung voraus.45 Im Hinblick auf das vorgeschlagene Modellprojekt kommen verschiedene Vergleichsgruppen in Betracht. So stellt sich zunächst die Frage, inwieweit die Beschränkung des Modellprojekts auf Künstler und Publizisten i. S. d. §§ 1, 2 KSVG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz zu vereinbaren wäre. Ein weiterer Bezugspunkt für die Bildung von Vergleichsgruppen ist die räumliche Begrenzung des Projekts, welche zu einer Ungleichbehandlung der nach dem KSVG versicherten Personen innerhalb und der Personen außerhalb der Modellregion führen würde. Ungleichbehandlungen würden sich außerdem aufgrund der zeitlichen Befristungen ergeben. So soll zum einen das Projekt als solches befristet werden, was bedeutet, dass nach Ablauf der Befristung keine optionale Auszahlung eines Grundeinkommens mehr möglich wäre. Zum anderen soll die Wahlmöglichkeit der Betroffenen nur für ein Jahr bestehen. Innerhalb des ausgewählten Bundeslandes würde es aufgrund der optionalen Einführung eines Grundeinkommens außerdem zu einer Ungleichbehandlung der Personen, die sich für den status quo und denen, die sich für die Grundeinkommens-Option entscheiden, kommen. 3.2.1.1. Zulässigkeit der personellen Begrenzung Das skizzierte Modellprojekt soll sich ausschließlich an selbständige Künstler und Publizisten richten, die gemäß § 1 KSVG in der allgemeinen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung versichert werden. Diese personelle Begrenzung würde zu einer Ungleichbehandlung zwischen den nach dem KSVG Versicherten und allen anderen Personen, die in den genannten Versicherungen versichert sind, führen, da nur der erst genannten Gruppe die zusätzliche Grundeinkommens-Option eingeräumt werden würde. Nicht jede Ungleichbehandlung von vergleichbaren Personengruppen ist jedoch verfassungswidrig ; vielmehr können Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein. Die durch das Bundesverfassungsgericht geprägten Anforderungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung variieren . So ist nach dem sogenannten Willkürverbot der Gleichheitssatz nur verletzt, „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt.“46 Danach rechtfertigt grundsätzlich jede vernünftige Erwägung eine Ungleichbehandlung. Nach der sogenannten „neuen Formel“ ist der Gleichheitssatz dagegen schon verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.“47 Einzelheiten und Folgen dieser Rechtsprechung sind umstritten.48 Ganz allgemein lässt sich aber festhalten, dass im Rahmen der 45 Heun, in: Dreier (Fn. 44), Art. 3 Rn. 24. 46 BVerfGE 1, 14 (52). 47 BVerfGE 55, 72 (88). 48 Vgl. Heun, in Dreier (Fn. 44), Art. 3 Rn. 21 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 11 Rechtfertigungsprüfung danach zu fragen ist, ob die Beeinträchtigung in ihrem Gewicht durch entsprechende sachliche Gründe aufgewogen wird, ob also sachliche Gründe die Ungleichbehandlung im Hinblick auf die gleichen und ungleichen Eigenschaften aufwiegen können.49 Es kommt demnach auf die Intensität der Ungleichbehandlung an. Eine besonders strenge Prüfung der Rechtfertigung findet bei Differenzierungen nach personenbezogenen bzw. personengebundenen Merkmalen statt. Handelt es sich dagegen um rein sachbezogene Differenzierungen, so steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu.50 Die Begrenzung des Modellprojekts auf Künstler und Publizisten führt zu einer Differenzierung nach einem personengebundenen Merkmal, weshalb grundsätzlich eine strenge Rechtfertigungsprüfung durchzuführen ist. Jedoch ist zu beachten, dass die gleichheitsrechtlichen Anforderungen im Bereich der experimentellen Gesetzgebung reduziert sind.51 Zudem gewährt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Bereich der sozialen Sicherung grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum und überlässt es angesichts der Verzweigtheit und Vielgestaltigkeit der sozialpolitischen Regelungen dem Gesetzgeber, in welcher Zeitfolge er gebotene Änderungen und Verbesserungen vornehmen will. Es hält daher auch Reformen, die sich etwa aus finanziellen Gründen oder wegen der beschränkten Kapazität des Gesetzgebungs- und Verwaltungsapparates nur schrittweise verwirklichen lassen und daher zu gewissen Unstimmigkeiten führen, für zulässig .52 Sachlicher Grund für die personelle Begrenzung des Modellvorhabens wäre der Erprobungscharakter des Gesetzes. Da die Einführung eines Grundeinkommens eine strukturverändernde Maßnahme mit weitreichenden teilweise schwer vorhersehbaren Auswirkungen darstellt, erscheint die vorherige personell begrenzte Erprobung als vernünftiger gesetzgeberischer Schritt zur Reformierung des Sozialsystems. Fraglich ist, ob der Rechtfertigungsgrund der Erprobung auch in einem angemessenen Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehen würde. Die Ungleichbehandlung könnte als besonders intensiv eingeordnet werden, da sie sich auf eine staatliche Vergünstigung bezieht und somit dem sozial-egalitären Zug des Grundgesetzes widerspricht .53 Dagegen ließe sich jedoch argumentieren, dass die zusätzliche Grundeinkommens- Option nicht zu einer zusätzlichen Vergünstigung, sondern lediglich zur alternativen Auszahlung eines Grundeinkommens führen würde. Das Erprobungsgesetz würde außerdem nicht zum Ausschluss einer Personengruppe vom Kreis der Versicherten führen, sondern nur zur partiellen Modifikation der konkreten Ausgestaltung des Versicherungssystems.54 Für ein angemessenes Verhältnis spräche zudem, dass das Bundesverfassungsgericht die Forderung nach strikter Gleichförmigkeit im Bereich der sozialen Gerechtigkeit ablehnt, da dies dazu führen könnte, dass 49 Kischel, in: Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 3 Rn. 37 (Stand: 1.7.2011). 50 Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Fn. 36) Art. 3 Rn. 17. 51 Siehe oben S. 6 f. 52 BVerfGE 40, 121 (140); 49, 192 (210). 53 Vgl. hierzu Stettner (Fn. 16), S. 810. 54 Vgl. zum Ausschluss bestimmter Personengruppen, BVerfGE 18, 366 (372 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 12 Reformen von vornherein unterbleiben ein Ergebnis, das sozialer Gerechtigkeit nicht entsprechen würde.55 Insgesamt wäre die personelle Ungleichbehandlung daher wohl zu rechtfertigen. Eine abschließende Einschätzung diesbezüglich ist jedoch insbesondere aufgrund fehlender verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zur personellen Begrenzung von Erprobungsgesetzen nicht möglich. 3.2.1.2. Zulässigkeit der räumlichen Begrenzung Das vorgeschlagene Modellvorhaben soll beinhalten, dass in einem ausgewählten Bundesland die zusätzliche Option zur Auszahlung eines Grundeinkommens für den Kreis der nach dem KSVG versicherten Personen geschaffen wird. In den übrigen Bundesländern soll es für alle Versicherten beim status quo bleiben. Aufgrund der räumlichen Begrenzung der Erprobung würden die nach dem KSVG Versicherten je nach Wohnort ungleich behandelt werden. Somit läge eine Differenzierung aufgrund eines personenbezogenen Merkmals vor. Bislang musste das Bundesverfassungsgericht nicht darüber entscheiden, inwieweit ein räumlich beschränktes Erprobungsgesetz gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Jedoch hatte der Bayerische Verfassungsgerichtshof bereits in zwei Verfahren über die Vereinbarkeit von Erprobungsgesetzen mit dem in Art. 118 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung statuierten Gleichheitssatz zu entscheiden.56 Die dort gemachten Erwägungen können auf eine Prüfung anhand von Art. 3 Abs. 1 GG übertragen werden. In seiner ersten Entscheidung geht der Bayerische Verfassungsgerichtshof von einem erweiterten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beim Erlass von Erprobungsgesetzen aus und beschränkt seine Prüfung auf das allgemeine Willkürverbot.57 Die räumliche Begrenzung des Erprobungsgesetzes sei demnach nicht sachwidrig, weil der Gesetzgeber dadurch die mit der Erprobung naturgemäß verbundenen Unwägbarkeiten eingrenzen und praktikabel gestalten könne.58 Auch in seiner zweiten Entscheidung geht der Bayerische Verfassungsgerichtshof von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer räumlichen Begrenzung aus. Jedoch führt er weiter aus, es sei nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren, wenn die räumliche Abgrenzung nicht nach sach- und systemgerechten Kriterien getroffen werde. Denn nur dann könnten die während der Erprobungsphase gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse auch als aussagekräftige Grundlage für die Entscheidung über eine flächendeckende, dauerhafte Einführung dienen.59 Somit würde wohl auch die räumliche Begrenzung des Modellprojektes keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellen, da der Experimentiercharakter des Erprobungsgesetzes einen sachli- 55 BVerfGE 40, 121 (140). 56 Art. 118 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung lautet: „Vor dem Gesetz sind alle gleich. Die Gesetze verpflichten jeden in gleicher Weise und jeder genießt auf gleiche Weise den Schutz der Gesetze.“ 57 BayVerfGH (Fn. 26), Rn. 48 ff. 58 BayVerfGH (Fn. 26), Rn. 54. 59 BayVerfGH (Fn. 41), S. 139. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 13 cher Grund auch für diese Ungleichbehandlung darstellt.60 Bei Auswahl der Modellregion müsste jedoch sichergestellt werden, dass im Anschluss an die Erprobung aussagekräftige Rückschlüsse für das gesamte Bundesgebiet gezogen werden können. Die Auswahl einer Region, welche seiner Größe als auch seiner Struktur nach als durchschnittlich bezeichnet werden kann, wäre demnach nicht zu beanstanden.61 Die Wahl einer Region ohne eine Bindung an sachgerechte Kriterien würde dagegen zu einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz führen.62 3.2.1.3. Zulässigkeit der zeitlichen Beschränkungen Auch die Befristung der Erprobung auf fünf Jahre würde wohl keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz darstellen. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof führt insoweit aus, es sei legitim, wenn der Gesetzgeber zur Gewinnung von Erfahrungen und Erkenntnissen zunächst eine befristete Erprobung vornehme. Der konkrete Zeitraum müsse jedoch so gewählt werden, dass die Sammlung sachlich fundierter Daten möglich ist.63 Auch die Befristung der Wahlmöglichkeit auf ein Jahr erscheint verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die optionale Einführung eines Grundeinkommens würde es ermöglichen, Erfahrungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz dieses umstrittenen Konzeptes zu sammeln . Die zeitliche Befristung der Wahlmöglichkeit wäre ebenfalls aufgrund des Erprobungscharakter der Regelung gerechtfertigt. Auch diesbezüglich müsste der Zeitraum jedoch so gewählt werden, dass das Sammeln aussagekräftiger Daten möglich ist. 3.2.1.4. Ungleichbehandlung innerhalb der Modellregion Innerhalb der Modellregion käme es bei Durchführung des Modellprojekts zu Ungleichheiten zwischen den Personen, die sich für den status quo, und denen, die sich für die Grundeinkommens -Option entschieden haben. Für die erst genannte Gruppe bliebe es bei der bisherigen Bezuschussung und den bisherigen Versicherungsleistungen. Die Personen, die sich für die Grundeinkommens -Option entscheiden, bekämen dagegen monatlich ein Grundeinkommen ausgezahlt. Da diese Ungleichheit jedoch auf eine eigenverantwortliche Entscheidung der Betroffenen selbst zurückzuführen wäre, würde es schon an einer der staatlichen Gewalt zurechenbaren Behandlung fehlen, weswegen dem Gesetzgeber diese Folge wohl nicht vorgeworfen werden könnte. Im Hinblick auf die Finanzierung des Modellprojekts ist zu unterscheiden. Für den Fall, dass die Wahl der Grundeinkommens-Option mit der Erhöhung des Beitragssatzes für den Betroffenen einhergeht, ist diesbezüglich wohl von keinem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auszugehen. Das in der Sozialversicherung herrschende Versicherungsprinzip erfordert grundsätzlich eine Äqui- 60 Hellermann, Johannes, Zum Projekt einer „Modellregion Ostwestfalen-Lippe“, S. 3. 61 Vgl. BayVerfGH (Fn. 26), Rn. 55. 62 Vgl. BayVerfGH (Fn. 41), S. 139. 63 BayVerfGH (Fn. 26), Rn. 51 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 14 valenz zwischen Beiträgen und Leistungen.64 Das bedeutet, dass sich der Versicherungsbeitrag nach dem Gegenwert der Versicherungsleistung zu bemessen hat.65 Zugleich beruht die Sozialversicherung auf dem Prinzip des sozialen Ausgleichs (Solidarprinzip), was Abweichungen vom Äquivalenzprinzip rechtfertigt.66 Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, das Äquivalenzprinzip und das Solidarprinzip in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, wobei ihm ein erheblicher Gestaltungsspielraum zusteht.67 Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgen zudem konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung eines Beitrages zur Sozialversicherung. So muss die Bemessungsgrundlage realistisch sein und wirtschaftliche Fakten berücksichtigen.68 Besondere Anforderungen für die Bemessung von Versicherungsbeiträgen ergeben sich aus dem staatlichen Schutz- und Förderauftrag gegenüber Ehe und Familie aus Art. 6 GG, weswegen die Gleichbehandlung von Personen mit und ohne Kindern eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem bedeuten kann.69 Bei Bemessung der erhöhten Beiträge und auch der Höhe des Grundeinkommens sind diese Grundsätze zu beachten . Aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Bereich der sozialen Sicherung erscheint eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Modellprojekts im Falle einer Finanzierung mithilfe von erhöhten Beiträgen jedenfalls möglich. Im Fall einer Finanzierung mittels höherer Einkommensteuersätze erscheint die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG dagegen zweifelhaft. Für den Bereich des Steuerrechts ergibt sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz das Gebot der Steuergerechtigkeit, wobei bei dem vorgeschlagenen Modellprojekt vor allem die sogenannte horizontale Steuergerechtigkeit betroffen sein könnte.70 Das Gebot der horizontalen Steuergerechtigkeit verlangt, dass Steuerpflichtige mit gleichem Leistungsvermögen grundsätzlich gleich hoch belastet werden müssen (Leistungsfähigkeitsprinzip).71 Ginge die Wahl der Grundeinkommens-Option automatisch mit einem höheren Einkommensteuersatz einher, ohne dass sich die Leistungsfähigkeit des Betroffenen erhöht, so würde dies grundsätzlich einen Verstoß gegen die horizontale Steuergerechtigkeit darstellen. Zu bedenken ist wohl, dass das Gebot der Steuergerechtigkeit zugunsten anderer Belange, wie beispielsweise dem Sozialstaatsprinzip oder dem Schutz von Ehe und Familie, nicht immer strikt umgesetzt werden muss.72 Jedoch stellt der Finanzbedarf des Staates gerade kein Grund zur Rechtfertigung der 64 Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Fn. 36), Art. 3 Rn. 41. 65 Schenke, Reform der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen Verfassungs- und Europarecht, Die Verwaltung 2004, 475 (480). 66 Heun, in: Dreier (Fn. 44), Art. 3 Rn. 82. 67 Schenke (Fn. 65), S. 492. 68 Brenner (Fn. 39), S. 144. 69 Brenner (Fn. 39), S. 144 ff. 70 Brenner (Fn. 39), S. 172 ff. 71 Brenner (Fn. 39), S. 174. In vertikaler Richtung muss die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen, BVerfGE 82, 60 (89). 72 Brenner (Fn. 39), S. 175. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 15 Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips dar.73 Fraglich ist, ob sich der Verstoß gegen die horizontale Steuergerechtigkeit damit rechtfertigen ließe, dass die Betroffenen diese Folge durch ihre Entscheidung für die Grundeinkommens-Option selbst auslösen würden. Dagegen spricht jedoch, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht außer Kraft gesetzt werden darf.74 Da es sich bei diesem Gebot somit um eine grundlegende Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes handelt , könnte wohl auch der Experimentiercharakter des Erprobungsgesetzes den Verstoß nicht rechtfertigen. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass eine Finanzierung des Modellprojekts mittels erhöhter Einkommensteuersätze wohl materiell verfassungswidrig wäre. Bei Finanzierung mittels erhöhter Beiträge erscheint eine dem Gleichheitssatz entsprechende Ausgestaltung des Erprobungsgesetz dagegen möglich. 3.2.2. Kein Verstoß gegen Freiheitsgrundrechte Ein Verstoß gegen Freiheitsgrundrechte ist nicht ersichtlich. Insbesondere würde das Modellprojekt nicht zu einem Verstoß gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG führen. Zum einen würde die erhöhte Beitragspflicht bei Wahl der Grundeinkommens-Option nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoßen, da diese Pflicht nur das Vermögen des Einzelnen betrifft und das Vermögen als solches nicht durch Art. 14 GG geschützt wird.75 Auch im Hinblick auf die bestehenden Ansprüche aus der allgemeinen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ließe sich eine Verletzung der Eigentumsgarantie wohl vermeiden. Diese öffentlich-rechtlichen Positionen sind dem Einzelnen nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts privatnützig zugeordnet und daher vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst. Durch eine entsprechende Ausgestaltung des Erprobungsgesetzes müsste gewährleistet werden, dass diese Positionen der Personen, die sich für die Grundeinkommens-Option entscheiden , während der Laufzeit der Erprobung unbeschadet erhalten bleiben.76 4. Zusammenfassung Als rechtliche Grundlage des vorgeschlagenen Modellprojekts müsste ein Erprobungsgesetz geschaffen werden. Dieses müsste eine Vorschrift über die Evaluierung der gesammelten Erfahrungen nach Ablauf der Erprobungsfrist enthalten. Zudem müsste vor Erlass des Gesetzes beurteilt werden, welche Kosten mit einem Fehlschlag der Erprobung einhergehen würden und wie diese zu bewältigen wären. 73 BVerfGE 82, 60 (89). 74 BVerfGE 82, 60 (90). 75 Brenner (Fn. 39), S. 136 f. 76 Vgl. hierzu Brenner (Fn. 39), S. 184 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 235/11 Seite 16 Da die betroffene Materie in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fallen würde, wäre der Bund für den Erlass des Erprobungsgesetzes gesetzgebungsbefugt. Aufgrund der personellen Begrenzung des Modellprojektes käme es zu einer Ungleichbehandlung zwischen den nach dem KSVG und den anderen in den Sozialversicherungen versicherten Personen. Da sachlicher Grund dieser Ungleichbehandlung der Experimentiercharakter des Erprobungsgesetzes wäre und das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Bereich der sozialen Sicherung einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt, wäre diese Ungleichbehandlung wohl gerechtfertigt. Die räumliche Begrenzung des Projekts wäre verfassungsrechtlich zulässig, soweit die Auswahl der Modellregion anhand von sach- und systemgerechten Kriterien stattfände und die Gewinnung aussagekräftiger Erfahrungswerte gewährleistet wäre. Auch die zeitlichen Beschränkungen des Modellprojekts wären verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Falle einer Finanzierung mittels erhöhter Beitragssätze wären die im Bereich der sozialen Sicherung entwickelten Grundsätze zu beachten; eine verfassungsrechtlich zulässige Ausgestaltung wäre wohl möglich. Problematisch erscheint jedoch eine Finanzierung mittels eines erhöhten Einkommensteuersatzes, da dies dem Gebot der horizontalen Steuergerechtigkeit widersprechen würde. Ein Verstoß gegen Freiheitsrechte ist dagegen nicht ersichtlich.