© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 234/16 Prüfung von Gesetzentwürfen auf zu erwartende Treibhausgasemissionen Regelungsmöglichkeiten und verfassungsrechtliche Vorgaben Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/16 Seite 2 Prüfung von Gesetzentwürfen auf zu erwartende Treibhausgasemissionen Regelungsmöglichkeiten und verfassungsrechtliche Vorgaben Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 234/16 Abschluss der Arbeit: 31. Oktober 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/16 Seite 3 1. Einleitung Die Ausarbeitung untersucht die Zulässigkeit einer Regelung, nach der jeder Gesetzentwurf auf etwa zu erwartende Treibhausgasemissionen geprüft werden muss. Die Regelung soll vorsehen, dass Gesetzentwürfe solche Emissionen quantifizieren und zu deren Vereinbarkeit mit den deutschen Klimazielen Stellung nehmen. Gegenstand der Ausarbeitung sind Regelungsmöglichkeiten und deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit; die technisch-naturwissenschaftlichen Umsetzungsmöglichkeiten können hier nicht untersucht werden.1 Beispielhaft werden abschließend einige vergleichbare Modelle anderer europäischer Staaten und der Europäischen Kommission genannt. 2. Gesetzentwürfe der Bundesregierung Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) sieht die Gesetzesfolgenabschätzung als Verfahrensschritt und Bestandteil von Gesetzentwürfen vor. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 5, § 44 GGO sind die Gesetzesfolgen darzustellen. Hierzu zählen „die beabsichtigten Wirkungen und die unbeabsichtigten Nebenwirkungen“. Seit 20092 konkretisiert § 44 Abs. 1 S. 4 GGO weiter: „Es ist darzustellen, ob die Wirkungen des Vorhabens einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen, insbesondere welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat.“ Der Begriff der Nachhaltigkeit umfasst im Sinne des sogenannten Drei-Säulen-Konzepts ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte.3 Außerdem ist nach § 45 Abs. 1 GGO i.V.m. Anlage 6 Nr. 12 das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu beteiligen. Es hat Gesetzentwürfe darauf zu prüfen, ob Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. Bereits diese bestehende Begründungspflicht wird teils für verfassungswidrig gehalten, teils wird vertreten, die Regelung sei verfassungskonform als Soll-Vorschrift auszulegen.4 Nach Art. 76 Abs. 1 Grundgesetz (GG) werden „Gesetzesvorlagen“ beim Bundestag eingebracht. Gesetzesvorlage ist jeder vollständig ausformulierte schriftliche Gesetzentwurf, über den der Bundestag ohne weiteres beschließen kann.5 Weitere Anforderungen ergeben sich aus dem Grundgesetz nicht. Das Bundesverfassungsgericht spricht daher von einem „unbeschränkbaren Initiativrecht“.6 Demnach könnte die 1 Vgl. zu Quantifizierungsansätzen nur Porsch u.a., Leitfaden zur Nutzen-Kosten-Abschätzung umweltrelevanter Effekte in der Gesetzesfolgenabschätzung, hrsg. vom Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau 2015, abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_01_2015_leitfaden_nutzen _kosten.pdf; alle Internet-Quellen zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2016. 2 Vgl. Deter, „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“ und Grundgesetz, in: ZUR 2012, 157, 158. Die aktuelle Fassung der GGO ist abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Veroeffentlichungen /ggo.pdf?__blob=publicationFile. 3 Vgl. nur Kahl, Gesetzesfolgenabschätzung und Nachhaltigkeitsprüfung, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, Heidelberg 2014, § 13 Rn. 36, und die der GGO-Änderung zugrundeliegende nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/Nachhaltigkeitwiederhergestellt /perspektiven-fuer-deutschland-langfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=3. 4 Masing, in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 76 Rn. 62; Kersten, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 77. Lfg. 2016, Art. 76 Rn. 22 m.w.N.: „kein zwingendes Recht“; anders Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 76 Rn. 7, der die Regelungen teilweise für durch Art. 20 Abs. 3 GG gedeckt hält. 5 S. nur Kersten (Fn. 4), Art. 76 Rn. 19 ff. 6 BVerfGE 1, 144, 161, zu Initiativen aus der Mitte des Bundestags. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/16 Seite 4 Nachhaltigkeitsprüfung der GGO zwar weiter verschärft oder dahin konkretisiert werden, dass bei jedem Gesetzentwurf etwaige Treibhausgasemissionen vorab zu ermitteln und in den Gesetzentwurf aufzunehmen sind. Da die GGO eine Verwaltungsvorschrift ist, müssten die betroffenen Beamten eine solche Regelung beachten. Jedoch stünde ein Verstoß der Rechtmäßigkeit der Gesetzesinitiative nicht entgegen.7 Nach § 44 Abs. 1 S. 5 GGO kann das Bundesministerium des Innern zur Ermittlung von Gesetzesfolgen Empfehlungen geben. Auf dieser Grundlage wurden ein Leitfaden und eine Arbeitshilfe zur Gesetzesfolgenabschätzung herausgegeben.8 Denkbar wäre, auf dieser Regelungsebene weitere Empfehlungen zur Abschätzung von Klimafolgen zu geben. 3. Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestags Für Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestags sieht die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) keine Nachhaltigkeitsprüfung vor. Nach § 76 Abs. 2 GO-BT müssen Gesetzentwürfe lediglich mit einer Begründung versehen werden. Denkbar wäre zwar, in die GO-BT eine dem § 44 Abs. 1 S. 4 GGO entsprechende Regelung zur Nachhaltigkeitsprüfung aufzunehmen. Eine solche Änderung wurde 2011 vom Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung angeregt.9 Auch eine weitergehende generelle Prüfungs- und Begründungspflicht in Bezug auf Treibhausgasemissionen und Klimaziele könnte in der GO-BT geregelt werden. Jedoch wäre eine solche Regelung auch hier entweder verfassungskonform als Soll-Vorschrift auszulegen oder verfassungswidrig. Wie oben ausgeführt, stellt das Grundgesetz an Gesetzentwürfe keine weiteren Anforderungen. Das Bundesverfassungsgericht stellte bereits 1952 die Verfassungswidrigkeit von § 96 GO-BT a.F. fest, wonach Finanzvorlagen mit einem Vorschlag zur Kostendeckung verbunden werden mussten. Hierzu führte es aus: „Dem Antragsteller wird vorgeschrieben, welchen Inhalt sein Initiativantrag haben muß, damit er überhaupt beraten wird. Dadurch wird sein Initiativrecht sachlich beschränkt. (…) Es widerspricht aber dem Art. 76 Abs. 1 GG, daß das unbeschränkbare Initiativrecht durch die Statuierung einer Deckungspflicht in der Geschäftsordnung sachlich beschränkt wird.“10 Entsprechendes würde für die hier zu untersuchende Prüfungs- und Begründungspflicht gelten. Verfassungswidrig wäre auch eine gesetzliche Regelung. Denn auch einem einfachen Gesetz dieses Inhalts stünde das verfassungsrechtlich vorgegebene unbeschränkbare Initiativrecht entgegen. Überdies könnte eine gesetzliche Regelung die ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags verletzen. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn der 7 So zu den geschäftsordnungsrechtlichen Begründungspflichten Kersten (Fn. 4), Art. 76 Rn. 22. 8 Böhret/Konzendorf, Moderner Staat – moderne Verwaltung, Leitfaden zur Gesetzesfolgenabschätzung, im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und des Innenministeriums Baden-Württemberg, Berlin/Stuttgart 2004, abrufbar unter http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2000/Leitfaden_Gesetzfolgenabschaetzung .pdf?__blob=publicationFile; Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Arbeitshilfe zur Gesetzesfolgenabschätzung , 2009, abrufbar unter http://www.bmi.bund.de/cae/servlet/contentblob/565864/publication- File/31426/ah_gfa.pdf. 9 BT-Drs. 17/6680, S. 7. 10 BVerfGE 1, 144, 159, 161. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/16 Seite 5 Kern der Geschäftsordnungsautonomie berührt wäre oder wenn gewichtige sachliche Gründe für die Wahl der Gesetzesform fehlten.11 4. Gesetzentwürfe des Bundesrats Anders als die GO-BT kennt die Geschäftsordnung des Bundesrates kein Begründungserfordernis für Gesetzentwürfe. Zwar könnte auch hier eine Prüfung und Begründung in Hinblick auf zu erwartende Treibhausgasemissionen vorgesehen werden. Wegen Art. 76 Abs. 1 GG wäre die Norm aber wiederum als Soll-Vorschrift auszulegen oder verfassungswidrig. 5. Regelungsmöglichkeit durch Verfassungsänderung Nach alledem könnte eine für alle Initiativberechtigten verbindliche Regelung nur durch Änderung des Grundgesetzes geschaffen werden. Einer solchen Verfassungsänderung, die nur an Art. 79 Abs. 3 GG zu messen wäre, dürfte nichts entgegenstehen. 6. Vergleichbare Modelle in anderen Staaten und auf europäischer Ebene Die Europäische Kommission führte 2002 ein Verfahren zur Gesetzesfolgenabschätzung ein. Die Durchführung ist nicht verpflichtend.12 Die Grundlage bilden Leitlinien und ein sogenannter „Werkzeugkasten“.13 Danach soll auch eine Nachhaltigkeitsprüfung stattfinden, die unter anderem die Auswirkungen auf die Umwelt umfasst. Eine der Leitfragen bezieht sich auf die Emission von Treibhausgasen;14 die Quantifizierung der Emissionen ist nicht vorgesehen. In Großbritannien umfasst das Verfahren der Gesetzesfolgenabschätzung eine Nachhaltigkeitsprüfung .15 Dort ist ein sogenannter „Specific Impacts Test“ in Bezug auf Treibhausgasemissionen vorgesehen. Die Durchführung ist aber, im Gegensatz zu einigen anderen Folgeabschätzungen, nicht verpflichtend, sondern steht im Ermessen des federführenden Ministeriums.16 Auch in Österreich erstreckt sich die Gesetzesfolgenabschätzung auf die Klimaverträglichkeit.17 Die österreichische Bundesregierung beschloss 2008 eine verpflichtende Klimaverträglichkeits- 11 Vgl. BVerfGE 70, 324, 361. 12 Lund, Gesetzesfolgenabschätzung auf europäischer Ebene und in Deutschland, in: VR 2011, 87. 13 Vgl. die „Guidelines on Impact Assessment“ unter http://ec.europa.eu/smart-regulation/guidelines /ug_chap3_en.htm und die „Better Regulation ‚Toolbox’“ unter http://ec.europa.eu/smart-regulation/guidelines /docs/br_toolbox_en.pdf; zum Verfahren der Kommission auch Jacob/Veit/Hertin, Gestaltung einer Nachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgenabschätzung, Berlin 2009, S. 17 ff., abrufbar unter https://www.bertelsmann -stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Presse/imported/downloads/xcms_bst_dms_27523_27524_2.pdf. 14 Europäische Kommission, Better Regulation ‚Toolbox‘ (Fn. 13), S. 106. 15 Zu Großbritannien Jacob/Veit/Hertin (Fn. 13), S. 35 ff. 16 Jacob/Veit/Hertin (Fn. 13), S. 37. 17 Zu Österreich Windisch, Überblick über die Gesetzesfolgenabschätzung in Österreich und Entwicklungstendenzen, in: Hensel/Bizer u.a. (Hrsg.), Gesetzesfolgenabschätzung in der Anwendung, Baden-Baden 2010, S. 225, 236 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/16 Seite 6 prüfung für Regelungsvorhaben des Bundes. Die Ministerien sollen auch solche Vorhaben untersuchen , deren unmittelbare Ziele außerhalb der Klima- und Umweltpolitik liegen. Ein Leitfaden sieht vor, dass jeweils die Aspekte „Reduktion von Treibhausgasemissionen“ und „Anpassung an den Klimawandel“ untersucht werden. Dabei soll ein aus mehreren Prüfschritten bestehendes Schema abgearbeitet werden. In den Gesetzgebungsmaterialien ist auf die Klimaverträglichkeitsprüfung einzugehen. Das Schweizer System der Regulierungsfolgenabschätzung kennt eine Nachhaltigkeitsbeurteilung.18 Diese soll aber außerhalb der Bereiche Verkehr und Landwirtschaft nur in Einzelfällen angewandt worden sein; gegenüber wirtschaftlichen Aspekten sollen Umwelt- und Klimafragen von untergeordneter Bedeutung sein.19 Ende der Bearbeitung 18 Vgl. die Website des Bundesamts für Raumentwicklung: http://www.are.admin.ch/themen/nachhaltig /00270/03005/index.html?lang=de; zur Schweiz auch Jacob/Veit/Hertin (Fn. 13), S. 46 ff. 19 Jacob/Veit/Hertin (Fn. 13), S. 46.