© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 234/13 Rechte parlamentarischer Minderheiten in Deutschland – Bestand und Veränderung seit 1949 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 2 Rechte parlamentarischer Minderheiten in Deutschland – Bestand und Veränderung seit 1949 Verfasserin: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 234/13 Abschluss der Arbeit: 19. Dezember 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Teil 3 der folgenden Ausarbeitung beruht auf einer Zuarbeit des Fachbereiches Parlamentsrecht (PD 2). Die in der Tabelle ersichtliche Änderungshistorie der Gesetzesbestimmungen ist mit Unterstützung der Hotline W erstellt worden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Minderheitenrechte in Grundgesetz und Bundesgesetzen 4 2.1. Rechte von Abgeordneten und Fraktionen 4 2.2. Quorumabhängige Rechte 5 2.3. Rechte, die der Unterstützung durch zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages oder eines Gremiums bedürfen („Sperrminoritäten“) 7 3. Rechte der parlamentarischen Minderheit in der Geschäftsordnung 7 3.1. Entwicklung der Geschäftsordnung seit 1949 7 3.2. Entwicklung der Minderheitenrechte in der Geschäftsordnung 8 3.3. Redeordnung und parlamentarische Praxis 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 4 1. Einleitung Die Rechte der parlamentarischen Minderheit, wie sie durch das Grundgesetz (GG), Bundesgesetze sowie die Geschäftsordnung (GO-BT) und parlamentarische Praxis des Bundestages gewährleistet werden, werden in dem Infobrief „Rechte der parlamentarischen Minderheiten im Bundestag “1, der als Anlage 1 beigefügt ist, ausführlich dargestellt. Im Folgenden wird ausgeführt, wie und aus welchen Gründen diese Rechte seit 1949 verändert wurden. In einem ersten Teil wird insbesondere auf diejenigen Bestimmungen des Grundgesetzes sowie der Bundesgesetze eingegangen, bei deren Einführung oder Ergänzung in der Gesetzesbegründung ausdrücklich die Stellung des Abgeordneten oder der jeweiligen Gruppe (Fraktion, Minderheit etc.) behandelt wurde. In der anhängenden Tabelle (Anlage 2) finden sich die Nachweise der Änderungen der einschlägigen Rechte aus einfachen Gesetzen mit der Bemerkung, ob sie für die entsprechende Fragestellung von Relevanz sind. In einem zweiten Teil wird die Entwicklung der Geschäftsordnung seit 1949 dargestellt. Hierbei werden insbesondere die Minderheitenrechte sowie die Redeordnung dargetan. In den Anlagen 3 und 4 finden sich Übersichten über die erwähnten Änderungen der Geschäftsordnungen. 2. Minderheitenrechte in Grundgesetz und Bundesgesetzen 2.1. Rechte von Abgeordneten und Fraktionen Die in dem Infobrief aufgeführten Rechte der Abgeordneten und Fraktionen, die in Bundesgesetzen aufgeführt sind, wurden bereits mit der Verabschiedung der jeweiligen Gesetze eingeführt.2 Einzelne Rechte der Abgeordneten wurden nicht eigens begründet. In Bezug auf das Wahlprüfungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (§ 48 Abs. 1 BVerfGG3) ergibt sich die Beschwerdebefugnis aus der Tatsache, dass einem Abgeordneten oder einer Fraktion, dessen Mitgliedschaft oder deren Zusammensetzung durch den Beschluss des Bundestages in Wahlprüfungssachen betroffen ist, die Möglichkeit des Rechtsschutzes eingeräumt werden muss; diese Begründung wurde nicht eigens im Gesetzentwurf erwähnt. Etwas anders verhält es sich mit den Fraktionen. Diesen wird beispielsweise im ParlBG4 aus Gründen der Verfahrenseffizienz einerseits, der Wahrung des Mitspracherechts aller Abgeordne- 1 , Rechte der parlamentarischen Minderheiten im Bundestag, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 3 - 3010 - 196/13, 2013. 2 Vgl. Tabelle in Anlage 2. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3463) geändert worden ist. 4 Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18. März 2005 (BGBl. I S. 775). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 5 ter durch Beteiligung des Plenums andererseits das Recht eingeräumt, einem Auslandseinsatz der Bundeswehr oder dessen Verlängerung im vereinfachten Verfahren zu widersprechen.5 2.2. Quorumabhängige Rechte Das Selbstversammlungsrecht des Bundestages gemäß Art. 39 Abs. 3 S. 1 GG sowie die Pflicht des Bundestagspräsidenten, den Bundestag auf Verlangen eines Drittels seiner Mitglieder einzuberufen (Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG), waren bereits Bestandteil des Herrenchiemsee-Entwurfs (Art. 56).6 Die Durchsetzungsmöglichkeit des Einberufungsverlangens einer qualifizierten parlamentarischen Minderheit sollte den Interessen der Minderheit dienen.7 Die in Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG niedergelegte Pflicht des Bundestages, auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, fand sich ebenfalls bereits im Entwurf vom Herrenchiemsee, der sich an Art. 34 der Weimarer Reichverfassung orientierte.8 Das vorgeschlagene Einsetzungsquorum von einem Fünftel der Mitglieder des Bundestages wurde kontrovers diskutiert und letztlich mit dem Argument abgelehnt, kleineren radikalen Minderheiten die Möglichkeit zu nehmen, das parlamentarische Untersuchungsrecht zu missbrauchen. Diese Begründung wird vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen mit den parlamentarischen Untersuchungen in der Weimarer Republik verständlich; in der Diskussion wurde sogar ein genereller Verzicht auf parlamentarische Untersuchungen erwogen.9 Das ebenfalls erörterte Quorum von einem Drittel wurde als die Minderheiten nicht hinreichend schützend abgelehnt.10 Im Untersuchungsausschussgesetz (PUAG)11 wurde die von Art. 44 Abs. 1 GG vorgesehene antragstellende Minderheit im Falle einer Minderheitenenquête konsequent mit Rechten ausgestattet. Im Gesetzgebungsverfahren wurde mehrfach auf den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der antragsfähigen Minderheit verwiesen, um beispielsweise eine zügige Arbeit des Ausschusses durch die Bestimmung eines Ermittlungsbeauftragten zu gewährleisten.12 5 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz ), BT-Drs. 15/2742, S. 5. 6 Vgl. hierzu Kretschmer in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (BK), Art. 39 Rn. 10 (Drittbearbeitung 2009). 7 Nachweise bei Kretschmer (Fn. 6), Art. 39 Rn. 133 f. 8 Nachweise zum Folgenden bei Glauben in: BK (Fn. 6), Art. 44 Rn. 5 f. (Drittbearbeitung März 2013). 9 Hierzu Glauben (Fn. 8), Art. 44 Rn. 2 f. 10 Glauben (Fn. 8), Art. 44 Rn. 6. 11 Untersuchungsausschussgesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142), das durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geändert worden ist. 12 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) a) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 14/2518 – Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz) und andere, BT-Drs. 14/5790, S. 14 f., 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 6 Einzelne Rechte, deren Geltendmachung an die Erreichung eines bestimmten Quorums gebunden ist, wurden nach Erlass des jeweiligen Gesetzes geändert. Dies betrifft insbesondere das Quorum zur Einleitung einer abstrakten Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 Abs. 1 BVerfGG13. Die Senkung des ursprünglich vorgesehenen Quorums von einem Drittel der Mitglieder des Bundestages, die den Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle unterstützen müssen, auf ein Viertel der Mitglieder sollte den Einklang mit den Anforderungen für die Erhebung der Subsidiaritätsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) entsprechend Art. 23 Abs. 1a S. 2 GG herstellen. Das dortige Quorum wurde mit dem legitimen Interesse parlamentarischer Minderheiten an einer angemessenen verfahrensrechtlichen Teilhabe begründet. Ferner sollte es dem bereits bestehenden Quorum des Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses entsprechen; es bezweckte ferner den Schutz vor einer missbräuchlichen Ausübung des Minderheitenrechts.14 Aus Gründen der Gesetzgebungstechnik erfolgte die einfachgesetzliche Umsetzung dieser Grundgesetzänderungen (u.a. in § 12 IntVG15) erst nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon.16 Das Recht auf Durchführung einer öffentlichen Anhörung im Haushaltsausschuss im Rahmen der Bewilligung von Geldmitteln für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) (§ 4 Abs. 5 S. 2 StabMechG17) wurde erst mit einer zweiten Gesetzesänderung zum StabMechG eingeführt. Anders als im Haushaltsausschuss von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragt, wird für die Durchführung einer öffentlichen Anhörung nicht die Unterstützung des Verlangens alternativ von einem Viertel der Mitglieder des Ausschusses oder von zwei Fraktionen, sondern kumulativ gefordert.18 Dieses Quorum wird auch für die Durchführung einer öffentlichen Anhörung im Haushaltsausschuss für Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verlangt . Zur Begründung wurde ausgeführt, diese Vorschrift stelle sicher, „dass das Minderheitenrecht auf Durchführung einer Anhörung gewahrt bleibt. Die Formulierung verbindet das Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Haushaltsausschusses zudem zur Vermeidung missbräuch- 13 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3463) geändert worden ist 14 Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23, 45 und 93), BT-Drs. 16/8488, S. 4 f. 15 Integrationsverantwortungsgesetz vom 22. September 2009 (BGBl. I S. 3022), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 1. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3822) geändert worden ist. 16 Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon, BT-Drs. 16/13924, S. 3. 17 Stabilisierungsmechanismusgesetz vom 22. Mai 2010 (BGBl. I S. 627), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Mai 2012 (BGBl. I S. 1166) geändert worden ist. 18 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/9145 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stabilisierungsmechanismusgesetzes, BT-Drs. 17/9435. S. 5 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 7 licher Ausübung mit dem Erfordernis, dass mindestens zwei Fraktionen einen Antrag stellen müssen.“19 2.3. Rechte, die der Unterstützung durch zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages oder eines Gremiums bedürfen („Sperrminoritäten“) Nach der Ansicht des Gesetzgebers bedarf es für eine effiziente Wahrnehmung bestimmter Aufgaben einer besonders breiten Unterstützung durch das entsprechende Gremium. Dies ist der Fall bei der Bestimmung der Person des Ermittlungsbeauftragten eines Untersuchungsausschusses (§ 10 Abs. 2 S. 1 PUAG).20 Teilweise soll durch das besondere Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit aber auch die Minderheit explizit geschützt werden: So bedarf es nach der Begründung des Gesetzgebers für die Zurückweisung von Fragen an Zeugen im Untersuchungsausschuss dieser Mehrheit im Gremium, um die Sachverhaltsaufklärung gegebenenfalls auch gegen den Willen der (regierungstragenden) einfachen Mehrheit vorantreiben zu können.21 3. Rechte der parlamentarischen Minderheit in der Geschäftsordnung 3.1. Entwicklung der Geschäftsordnung seit 1949 Im Jahr 1949 hatte der Deutsche Bundestag zunächst die Geschäftsordnung des Reichstages in der Fassung von 1922 als vorläufiges Reglement übernommen. Im Dezember 1951 beschloss der Bundestag eine endgültige Geschäftsordnung, die am 1. Januar 1952 in Kraft trat. Seitdem wurde die Geschäftsordnung vielfach geändert und gesellschaftlichen Entwicklungen, beispielsweise im Hinblick auf die Schaffung des Amts des Wehrbeauftragten Mitte der 1960er Jahre, oder Entwicklungen in der Arbeitsweise des Parlaments angepasst. Umfangreichere Überarbeitungen der Geschäftsordnung wurden zweimal vorgenommen, 1969 und 1980. Mit der sogenannten Kleinen Parlamentsreform im Jahr 1969, also während der ersten Großen Koalition in der 5. Wahlperiode, wurden unter anderem die parlamentarischen Minderheitenrechte verstärkt. Es handelte sich jedoch um eine Parlamentsreform, die unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in der Großen Koalition allgemein für erforderlich gehalten wurde und auch andere Bereiche als die Minderheitenrechte umfasste, beispielsweise eine Neugestaltung der Redeordnung im Sinne einer Kürzung der einzelnen Redebeiträge im Wechselspiel von Rede und Gegenrede sowie die Möglichkeit der Schaffung einer fakultativen Ausschussöffentlichkeit . Zudem traten die beschlossenen Änderungen erst am Ende der 5. Wahlperiode in Kraft und wurden daher faktisch erst für die 6. Wahlperiode wirksam. 19 Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP – Drucksache 17/9045 – Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und andere, BT-Drs. 17/10172, S. 13. 20 BT-Drs. 14/5790 (Fn. 12), S. 15. 21 BT-Drs. 14/5790 (Fn. 12), S. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 8 Im Jahr 1980 wurde die Geschäftsordnung im Sinne einer größeren Übersichtlichkeit und sprachlichen Eindeutigkeit völlig neu gefasst. Beispielsweise wurden die Regelungen zur Behandlung von EU-Vorlagen (damals: EG-Vorlagen), die bis dahin in einer Anlage zur Geschäftsordnung enthalten waren, überarbeitet und in die Geschäftsordnung übernommen. Weitere inhaltliche Änderungen bezogen sich beispielsweise auf das Ausschussverfahren. Auch parlamentarische Minderheitenrechte waren Gegenstand dieser Parlamentsreform. Eine Chronik der Geschäftsordnungsänderungen von der 1. bis zur 13. Wahlperiode ist dem Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999 zu entnehmen. Eine Chronik der Änderungen von der 13. bis zur 16. Wahlperiode enthält das Datenhandbuch 1990 bis 2010. Diese Übersichten finden sich in den Anlagen 3 und 4. Die in der 17. Wahlperiode beschlossenen Geschäftsordnungsänderungen bezogen sich auf die Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates im Hinblick auf die Angelegenheiten der Europäischen Union22, auf die Änderung der Verhaltensregeln23 sowie auf die elektronische Verteilung von Drucksachen24. 3.2. Entwicklung der Minderheitenrechte in der Geschäftsordnung Im Hinblick auf die derzeitige Ausgestaltung von Minderheitenrechten in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages kann auf die Ausführungen im Infobrief „Rechte der parlamentarischen Minderheiten“ unter Punkt 4.2., Seite 10 ff., verwiesen werden. Wie unter Punkt 3.1 angesprochen, wurden die Rechte parlamentarischer Minderheiten in der Geschäftsordnung seit 1949 immer wieder angepasst und ergänzt. So wurden im Zuge der Kleinen Parlamentsreform 1969 insbesondere das Verlangen auf Durchführung öffentlicher Anhörungssitzungen (vgl. § 70 Abs. 1 S. 2 GO-BT) sowie das Verlangen auf Einsetzung einer Enquete- Kommission (vgl. § 56 Abs. 1 S. 2 GO-BT) in die Geschäftsordnung aufgenommen. Beide Rechte sind an das Vorliegen eines Quorums von einem Viertel der Mitglieder des betreffenden Ausschusses bzw. des Bundestages gebunden. Zudem wurden feste Quoren, beispielsweise 50 Abgeordnete für die Beantragung einer namentlichen Abstimmung, 30 Abgeordnete für Anträge oder Anfragen, auf Fraktionsmindeststärke heruntergesetzt. Die Änderungen der Geschäftsordnung im Einzelnen ergeben sich aus Anlage 3, Seite 3098 ff. Einen Überblick über die Entwicklung der Minderheitenrechte bei Neufassung der Geschäftsordnung im Jahr 1980 vermittelt die Darstellung „Die im Bundestag geltenden absoluten Minderhei- 22 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss ), Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Änderungen im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17/2394. 23 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss ), Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, hier: Änderung der Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages (Anlage 1 der Geschäftsordnung), BT-Drs. 17/12670. 24 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss ), Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, hier: Elektronische Verteilung von Drucksachen (§§ 77, 112, 123 GO-BT), BT-Drs. 17/13654. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 9 tenrechte“ aus dem Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999, Seiten 2777 ff. (Anlage 5). Hier werden die Minderheitenrechte aus der alten Fassung der Geschäftsordnung vor der Reform den in der Geschäftsordnung von 1980 ausgestalteten Minderheitenrechten gegenübergestellt. Aus der Begründung der Neufassung der Geschäftsordnung ergibt sich insbesondere die Intention, die Zahl der verschiedenen Quoren für die Ausübung parlamentarischer Rechte weiter zu reduzieren . Entweder soll der einzelne Abgeordnete bestimmte Statusrechte in Anspruch nehmen können, oder die Wahrnehmung von Rechten soll grundsätzlich an die Fraktionsmindeststärke gebunden sein.25 Exemplarisch kann auf folgende Minderheitenrechte hingewiesen werden, die im Zuge der Parlamentsreform 1980 eingefügt worden sind, und die jeweils von einer Fraktion bzw. von Abgeordneten in Fraktionsmindeststärke geltend gemacht werden können: – Verlangen der Redezeitverlängerung gemäß § 35 Abs. 2 GO-BT; – Verlangen, von einem Ausschuss zehn Sitzungswochen nach Überweisung einer Vorlage einen Bericht über den Stand der Beratungen zu erhalten (§ 62 Abs. 2 GO-BT); – Widerspruchsmöglichkeit der Antragsteller gegen die Ausschussüberweisung von Entschließungsanträgen ; Verlangen der Verschiebung der Abstimmung über einen Entschließungsantrag auf den nächsten Sitzungstag (§ 88 Abs. 2 GO-BT); – Verlangen einer Aussprache über die Berichte des Petitionsausschusses (§ 112 Abs. 2 GO-BT); – Aktuelle Stunde auf Verlangen (Anlage 5 Nr. 1 Buchst. c GO-BT). Auch nach 1980 wurden einzelne Minderheitenrechte verstärkt oder neu eingefügt: So wurde beispielsweise mit Wirkung zum 1. Januar 1990 § 57 Abs. 1 GO-BT dahingehend ergänzt, dass jedes Mitglied des Bundestages grundsätzlich einem Ausschuss angehören soll. Mit Wirkung zum 1. Dezember 1990 trat eine Änderung des § 27 Abs. 2 GO-BT in Kraft, wonach neben Zwischenfragen auch Kurzinterventionen zugelassen wurden. Am 10. November wurde die Grundmandatsklausel bei der Besetzung des Präsidiums eingefügt (§ 2 Abs. 1 GO-BT). Zu den vollständigen Änderungen im Einzelnen wird auf Anlage 3, Seite 3103 ff. und auf Anlage 4 verwiesen. 3.3. Redeordnung und parlamentarische Praxis Vorschriften zur Rededauer enthielt bereits die Geschäftsordnung des Reichstages von 1922. Danach durfte die Rededauer pro Redner eine Stunde nicht überschreiten. Der Ältestenrat konnte die Beratungsdauer pro Gegenstand im Vorfeld begrenzen, der Reichstag konnte sie durch Beschluss verlängern (§ 88 der Geschäftsordnung des Reichstags vom 12. Dezember 1922). Diese Bestimmung galt im Rahmen der Vorläufigen Geschäftsordnung vom 20. September 25 Geschäftsordnungsentwurf des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß), Entwurf einer Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 8/3460, S. 103 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 10 1949 zunächst auch für den Deutschen Bundestag. In der endgültigen Geschäftsordnung vom 6. Dezember 1951 wurde die Regelung dahingehend modifiziert, dass die Zeitdauer für die Beratung eines Gegenstands nun in der Regel vom Ältestenrat vorgeschlagen werden sollte. Die Festsetzung erfolgte durch den Bundestag. Die Zeitbegrenzung von einer Stunde pro Redner blieb erhalten (§ 39 der Endgültigen Geschäftsordnung). In den Parlamentsreformen 1969 und 1980 war die Redeordnung jeweils Gegenstand von Neuregelungen , die die Intention verfolgten, die Debatte durch kürzere Redezeiten und den Wechsel von Rede und Gegenrede interessanter und aktueller zu gestalten. Im Zuge der Kleinen Parlamentsreform 1969 wurde die Redezeit pro Redner auf 15 Minuten begrenzt, wobei aber jede Fraktion für einen ihrer Redner eine Redezeit von 45 Minuten beanspruchen konnte. Zudem hatte der Präsident die Möglichkeit, die Redezeit des einzelnen Redners auf Antrag der Fraktion zu verlängern (§ 39 der Geschäftsordnung in der alten Fassung). Da von dieser Ausnahme umfangreich Gebrauch gemacht wurde, führte die Neuregelung im Ergebnis nicht zu einer Straffung der Redezeiten.26 Mit der Neufassung der Geschäftsordnung 1980 wurde die derzeitige Regelung eingefügt, wonach der Bundestag auf Vorschlag des Ältestenrates über Gestaltung und Dauer der Aussprache entscheidet . Dadurch wurde klargestellt, dass der Ältestenrat grundsätzlich eine entsprechende Vereinbarung treffen soll. Nur, wenn es im Einzelfall sowohl an einer Vereinbarung als auch an einem Bundestagsbeschluss fehlt, darf der einzelne Redner in der Aussprach höchstens 15 Minuten sprechen. Auf Verlangen einer Fraktion kann einer ihrer Redner eine Redezeit von bis zu 45 Minuten in Anspruch nehmen (§ 35 der Geschäftsordnung in der neuen Fassung). In ständiger Praxis wird so verfahren, dass der Ältestenrat die Gesamtdauer und die Gestaltung der Aussprache je Tagesordnungspunkt im Vorfeld vereinbart und der Bundestag einen entsprechenden Beschluss fasst. Zur Festlegung der Gestaltung der Aussprache gehört die Verteilung der Redezeit auf die Fraktionen bzw. die Festlegung der Zahl der Redner und die Begrenzung ihrer Redezeit.27 Seit der 10. Wahlperiode werden Aussprachen regelmäßig nach dem Modell der zunächst Bonner , dann Berliner Stunde vereinbart, wobei die Redezeitverteilung grundsätzlich vom Stärkeverhältnis der Fraktionen ausgeht, aber weitere Gesichtspunkte, beispielsweise die Anrechnung der Redezeiten von Regierungsmitgliedern bei den Koalitionsfraktionen, oder einen Bonus für kleine Oppositionsfraktionen, berücksichtigt. Die Aufteilung der Redezeit nach der Berliner Stunde erfolgt also nicht rein rechnerisch, sondern ist Ergebnis einer politischen Vereinbarung zwischen den Fraktionen. Sie wurde daher für jede Wahlperiode unter Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag neu vereinbart. Während der Großen Koalition in der 16. Wahlperiode erhielt beispielsweise die Opposition, die zusammen über 27,1% der Sitze im Bundestag verfügte, bei einer Berliner Stunde einen Redezeitanteil von 36,6%.28 26 Vgl. Ritzel/Bücker, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, 2008, Vorbem. zu § 35. 27 Ritzel/Bücker, (Fn. 26), § 35, Ziff. I.1.d. 28 Die prozentuale Verteilung der Redeanteile zwischen Koalition und Opposition bei den Vereinbarungen zur Berliner Stunde seit der 10. Wahlperiode sind Ritzel/Bücker (Fn. 26), § 35, Ziff. I.1.d)aa)(1) zu entnehmen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 234/13 Seite 11 Inwieweit es über die Vereinbarung von Redezeitmodellen hinaus interfraktionelle Vereinbarungen zur Ausgestaltung von Minderheitenrechten gegeben hat, lässt sich nicht nachvollziehen. Jedenfalls hat es aber in der 12. Wahlperiode Bundestagsbeschlüsse zur Rechtsstellung der Gruppen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste gegeben. Dadurch wurden den beiden Gruppen Rechte zugestanden – insbesondere im Hinblick auf die Mitarbeit in Ausschüssen und anderen Gremien, auf Initiativrechte und auf das Rederecht im Plenum –, die nach der Geschäftsordnung einer Fraktion bzw. Abgeordneten in Fraktionsstärke vorbehalten sind. Die entsprechenden Drucksachen 12/149 und 12/150 sind als Anlagen 6 und 7 beigefügt.