© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 233/14 Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten im Bereich der Außenpolitik Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 233/14 Seite 2 Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten im Bereich der Außenpolitik Verfasserin: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 233/14 Abschluss der Arbeit: 9. Oktober 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 233/14 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Er vertritt den Bund völkerrechtlich, Art. 59 Abs. 1 GG. In seiner Rolle als Staatsoberhaupt empfängt er Staatsoberhäupter anderer Staaten und stattet Staatsbesuche ab. Zu diesen Anlässen oder auch bei Veranstaltungen im Inland hielten bislang viele Bundespräsidenten Reden mit außen- oder sicherheitspolitischem Bezug.1 Dabei stellt sich die – auch in der verfassungsrechtlichen Literatur diskutierte – Frage2, ob der Bundespräsident bei Äußerungen mit außen- oder sicherheitspolitischem Inhalt Einvernehmen mit der Bundesregierung herstellen muss. 2. Gegenzeichnungspflicht einer Rede gemäß Art. 58 GG? Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung ist Art. 58 GG. Dieser lautet: „Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister. Dies gilt nicht für die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers, die Auflösung des Bundestages gemäß Artikel 63 und das Ersuchen gemäß Artikel 69 Abs. 3.“ Nach einhelliger Auffassung in der verfassungsrechtlichen Literatur sind von dem Wortlaut „Anordnungen“ und „Verfügungen“ jedenfalls solche Akte des Bundespräsidenten erfasst, die rechtlich verbindlich sind bzw. eine rechtliche Außenwirkung erzeugen.3 2.1. Argumente für eine extensive Auslegung des Art. 58 GG Umstritten ist hingegen, ob sich die Gegenzeichnungspflicht durch die Bundesregierung auch auf Akte bezieht, die keine Rechtswirkung auslösen, wie insbesondere Reden. Im Anschluss an die entsprechende Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung bejahte dies die herrschende Lehre im älteren Schrifttum. Der Wortlaut „Anordnungen und Verfügungen“ sei bewusst weit gefasst und erlaube eine extensive Auslegung. Daher seien alle Willenskundgebungen, die unmittelbar Rechtswirkungen oder eine politische Wirkung haben oder geeignet sind, diese herbeizuführen, 1 Z.B. Köhler, Deutsche Sicherheitspolitik – Stärken, Schwächen, Aufgaben – Rede des Bundespräsidenten bei der Konferenz „Impulse 21“ in Berlin, abgedruckt in: Europäische Sicherheit, 2009, S. 12 f.; Rau, Das Rechtsstaatsprinzip – Voraussetzung für eine moderne Gesellschaft, Rede von Bundespräsident Johannes Rau in der Universität Nanjing, China, am 13.9.2003, im Internet abrufbar unter: http://www.bundespraesident.de/Shared- Docs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/09/20030913_Rede.html; Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich der Gedenkfeier zum deutschen Überfall auf Polen 1939 am 1. September 2014 in Danzig/Polen, im Internet abrufbar unter: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2014/09/140901-Rede- Gedenken-Westerplatte.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf für alle Internet-Seiten: 8.10.2014). 2 Vgl. die Berichterstattung anlässlich der Rede des Bundespräsidenten am 1. September 2014 auf der Westerplatte (Polen), FAZ, 4.9.2014. 3 Herzog, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, 71. EL 2014, Art. 58 Rn. 21. Nachweise zu einzelnen Differenzierungen bei Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, 1973, S. 122 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 233/14 Seite 4 vom Wortlaut umfasst.4 Die Gegenzeichnung bewirke, dass die Bundesregierung die parlamentarische – also politische – Verantwortung für das Tun des Bundespräsidenten übernehme. Diese Funktion sei aber unabhängig von der rechtlichen Wirkung des jeweiligen Aktes.5 Ferner sollten durch die Gegenzeichnung die politischen Interessen der Bundesregierung geschützt werden; dieses Ziel lasse sich effektiv nur durch eine Gegenzeichnung sämtlicher politisch erheblicher Akte erreichen.6 Der Bundespräsident habe gerade in Bezug auf die Außenpolitik geringe Gestaltungsmöglichkeiten , so dass Reden in diesem Bereich mit der Bundesregierung – anders als vielleicht im innenpolitischen Bereich – abzustimmen seien.7 2.2. Argumente für eine enge Auslegung des Art. 58 GG Eine heute stark im Vordringen begriffene, wenn nicht sogar herrschende Meinung lehnt diese Ansicht mit unterschiedlichen Begründungen ab. Zum einen stehe diese Auslegung im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut der Verfassung, der die Gegenzeichnung gerade auf „Anordnungen “ und „Verfügungen“ eingrenze, die wiederum rechtlich verbindliche Handlungsformen bezeichnen.8 Sollten auch lediglich politisch wirkende Akte gegengezeichnet werden, fehle es an einem tauglichen Anknüpfungspunkt: Reden und ähnliches würden ja gerade aus sich heraus faktisch wirksam.9 Die Funktion der Gegenzeichnung habe sich unter der Geltung des Grundgesetzes geändert.10 Die Befugnisse des Bundespräsidenten seien mit der Einführung des Grundgesetzes zugunsten der Bundesregierung erheblich abgebaut worden. Deren Abhängigkeit vom Parlament sei ebenfalls so sehr eingeschränkt worden, dass die Bundesregierung nur noch solche Akte des Bundespräsidenten gegenzeichnen müsse, für die sie auch die Verantwortung vor dem Parlament übernehmen wolle. Auch unterscheide sich die Stellung des Bundespräsidenten erheblich von der des Reichspräsidenten in der Weimarer Reichsverfassung. Der Präsident habe – zur partei- und interessenpolitischen Neutralität verpflichtet – eine eigenständige Integrationsaufgabe. Diese liefe bei einer zu engen Bindung an die operativ tätige Bundesregierung inhaltlich leer.11 Die integrative Funktion 4 Hernekamp, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 58 Rn. 4 m.w.N.; Stern, Staatsrecht für die Bundesrepublik Deutschland, Band 2, 1980, S. 213 m.w.N. Nachweise des Streitstandes finden sich ferner bei Schenke, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Zweitbearbeitung 1978, Art. 58 Rn. 43. 5 Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 2010, Art. 58 Rn. 63. 6 Fink (Fn. 5), Art. 58 Rn. 64. 7 Strohmeier, Der Bundespräsident: Was er kann, darf und muss bzw. könnte, dürfte und müsste, ZfP 55 (2008), S. 175, 194. 8 Pernice, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2007, Art. 58 Rn. 10; Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 58 Rn. 6 ff; Waldhoff/Grefrath, in: Friauf/ Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 39. El. 2012, Art. 58 Rn. 12 ff.; Pieper, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Onlinekommentar zum Grundgesetz, 21. Ed. 2014, Art. 58 Rn. 11; v. Arnauld, in: von Münch/Kunig, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 58 Rn. 8 (abweichend von der Vorauflage). 9 Schenke, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Zweitbearbeitung 1978, Art. 58 Rn. 43 - 45; Nierhaus (Fn. 3), S. 141. 10 Herzog (Fn. 3), Art. 58 Rn. 8. 11 Nierhaus (Fn. 3), S. 206 ff.; Schenke (Fn. 9), Art. 58 Rn. 48; Pieper (Fn. 8), Art. 58 Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 233/14 Seite 5 des Amts des Präsidenten würde beschädigt, würde er nur noch als „Marionette“ oder „verlängerte PR-Abteilung“ der Bundesregierung wahrgenommen.12 Allerdings sehen auch diese Stimmen die Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten beschränkt durch die Rechtsprinzipien der Verfassungsorgantreue13 sowie das Mäßigungsgebot.14 2.3. Staatspraxis In der gegenwärtigen Staatspraxis werden Reden, Namensartikel oder anderen Handlungen – etwa Besuche und Reisen im Inland – nicht der Bundesregierung zur Gegenzeichnung vorgelegt. Im auswärtigen Bereich ist eine engere Abstimmung namentlich mit dem Auswärtigen Amt üblich. Dies betrifft auch außenpolitische Äußerungen.15 So werden die Reisepläne des Bundespräsidenten ins Ausland mit der Bundesregierung abgestimmt, Auslandsreisen werden durch die Botschaft vor Ort vorbereitet und jeweils durch einen Staatsminister des Auswärtigen Amts begleitet. Reden werden – nach Aussage des Bundeskanzleramts entsprechend den Usancen des Zusammenwirkens der Verfassungsorgane16 – allerdings nicht im Wortlaut mit dem Bundeskanzleramt oder dem Auswärtigen Amt abgestimmt. 3. Beschränkung der außenpolitischen Äußerungen durch den Grundsatz der Verfassungsorgantreue sowie dem Mäßigungsverbot Soweit die Autoren die Reden von der Gegenzeichnungspflicht ausnehmen, sehen sie die Äußerungsbefugnisse jedoch durch das Rechtsprinzip der Verfassungsorgantreue17 sowie das Mäßigungsgebot beschränkt. So sei es dem Bundespräsidenten aufgrund seiner Integrationsrolle untersagt, permanent einen Gegenkurs zur Politik der Bundesregierung zu steuern. Andererseits könne dem Präsidenten aber auch nicht jede politische Stellungnahme verboten sein. Innerhalb dieser Pole ließen sich nur gewisse allgemeine Gesichtspunkte aufzeigen, an denen sich das Verhalten des Bundespräsidenten messen lasse.18 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Prinzip der Verfassungsorgantreue auf Gegenseitigkeit beruht, der Präsident also durchaus auch von der Bundesregierung über wesentliche Entwicklungen, die ihn in seinem Amt betreffen können, zu unterrichten ist. Im Bereich der auswärtigen Politik sehen einige Autoren den Handlungsspielraum des Präsidenten zusätzlich eingeschränkt, wenn unmittelbar relevante Teile der operativen Regierungspolitik 12 Waldhoff/Grefrath (Fn. 8), Art. 58 Rn. 13. 13 So insb. Schenke (Fn. 9), Art. 58 Rn. 52; Pernice (Fn. 8), Art. 58 Rn. 10; Butzer (Fn. 8), Art. 58 Rn. 11. 14 Herzog (Fn. 3), Art. 58 Rn. 57. 15 Pieper (Fn. 8), Art. 58 Rn. 11.1. 16 Bannas, „Die Worte mögen unterschiedlich sein“, FAZ vom 4.9.2014. 17 Zum ungeschriebenen Rechtsprinzip der Verfassungsorgantreue allgemein Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1978, S. 26 ff. 18 Im Einzelnen Schenke (Fn. 17), S. 68 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 233/14 Seite 6 betroffen sein können.19 Der Bundespräsident trete in diesem Zusammenhang weniger als individuelles Verfassungsorgan, vielmehr als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 59 Abs. 1 GG auf. In diesen Bereichen seien daher engere Absprachen notwendig. Andere Autoren lehnen eine Pflicht des Bundespräsidenten, geplante Reden stets vorab der Bundesregierung vorzulegen und deren Zustimmung einzuholen, ab.20 Eine solche Praxis mag allerdings insbesondere bei Grundsatzreden der politischen Klugheit entsprechen. Zusätzlich begrenzt wird sein Handlungsspielraum durch seine verfassungsrechtliche Stellung als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland. Soweit er rechtlich verbindliche Handlungen gemäß Art. 59 Abs. 1 GG tätigen will, bedarf er hierfür der Gegenzeichnung. Eine eigenständige „Nebenaußenpolitik “ darf er nicht betreiben.21 Auch hier ergibt sich mithin aus der Verfassungsorgantreue, dass der Bundespräsident nicht einen ständigen außenpolitischen Gegenkurs fahren darf, wenn auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen im Einzelfall zulässig sind. Abschließend sei auf eine Besonderheit hingewiesen: Soweit der Bundespräsident zwar eine rechtlich unmittelbar nicht verbindliche Handlung unternimmt, sich hieraus aber mittelbar rechtliche Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland ableiten lassen, handelt es sich wohl um eine Situation, auf die die Gegenzeichnungspflicht zumindest analog Anwendung fände. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Art. 59 Abs. 1 und 58 GG. Würde sich beispielsweise das Staatsoberhaupt in einem Staat für durch Deutschland oder seine Rechtsvorgänger begangenes Unrecht entschuldigen – und sei es nur moralisch – könnte dies unter bestimmten Umständen eine Rolle im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Schadensersatzansprüchen spielen. In diesen Fällen hätte sich der Bundespräsident mit der Bundesregierung eng abzustimmen. 4. Zusammenfassung und Ergebnis Die Frage, ob Reden und politische Äußerungen des Bundespräsidenten der Gegenzeichnung durch die Bundesregierung bedürfen, ist umstritten. Eine stark im Vordringen befindliche Auffassung im verfassungsrechtlichen Schrifttum lehnt eine Gegenzeichnungspflicht ab. Allerdings ist der Bundepräsident auch nach dieser Auffassung nicht in seinen Äußerungen gänzlich frei, sondern wegen der Verfassungsorgantreue verpflichtet, keine „Nebenaußenpolitik“ zur Bundesregierung zu betreiben. Hieraus kann sich im Einzelfall auch die Pflicht zu einer engen Abstimmung von Äußerungen, insbesondere im Bereich der Außenpolitik, ergeben. 19 Butzer (Fn. 8), Art. 58 Rn. 14; Nierhaus, in: Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 58 Rn. 17. 20 Streinz, in: Sachs (Fn. 19), Art. 59 Rn. 17; Herzog, Entscheidung und Gegenzeichnung, in: Festschrift für Gebhard Müller, 1970, S. 117 (139). 21 Fastenrath/Groh, in: Berliner Kommentar (Fn. 8), Art. 59 Rn. 32 m.w.N.