© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 232/16 Angabe der sog. Nationalität in Ausweispapieren in der Sowjetunion Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 232/16 Seite 2 Angabe der sog. Nationalität in Ausweispapieren in der Sowjetunion Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 232/16 Abschluss der Arbeit: 14. Oktober 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 232/16 Seite 3 1. Fragestellung Der Fragesteller schildert, dass nach der sowjetischen Nationalitätenpolitik in den Ausweispapieren nicht nur die sowjetische Staatsbürgerschaft, sondern auch die sog. Nationalität der betroffenen Person vermerkt worden sei. Gefragt wird, ob die Möglichkeit bestand, mehrere Nationalitäten in diesem Sinne in einem Ausweispapier eintragen zu lassen. Sofern es diese Möglichkeit gab, wird ferner gefragt, in wie vielen Fällen derartige Mehrfacheintragungen vorgenommen wurden, welche Gründe es hierfür gab und ob prominente Beispiele Betroffener bekannt sind. 2. Angabe der Nationalität in Ausweispapieren in der Sowjetunion 2.1. Begriff der Nationalität im Recht der Sowjetunion Der Begriff der Nationalität – teilweise wird in der deutschen Übersetzung auch von der nationalen Zugehörigkeit gesprochen1 – wurde im Recht der Sowjetunion grundsätzlich als Bezeichnung für die Zugehörigkeit zu einer offiziell anerkannten ethnischen Gruppe verwandt.2 Er ist strikt von dem Begriff der Staatsangehörigkeit zu trennen. Nach Angaben in der Literatur wurden in der Sowjetunion gut 100 Nationalitäten unterschieden.3 2.2. Eintragung der Nationalität in Ausweispapieren Für die Klärung der Frage, ob in der Sowjetunion Mehrfacheintragungen hinsichtlich der Nationalität in den Ausweispapieren möglich waren, wurde zunächst eine entsprechende Anfrage bei der russischen Botschaft in Berlin gestellt. Diese blieb bislang ohne Ergebnis. Nach Auswertung des sowjetischen Rechts, der Fachliteratur sowie der Rechtsprechung und der Erfahrungen des Bundesverwaltungsamts in Aussiedleraufnahmeverfahren in Deutschland ist davon auszugehen, dass derartige Mehrfacheintragungen grundsätzlich nicht möglich waren. 2.2.1. Verordnung über das Passsystem in der UdSSR Nach der Darstellung in der Literatur wurde mit der Eintragung der Nationalität in Ausweispapieren in der Sowjetunion 1934 begonnen.4 Die Vorschrift zur Eintragung der Nationalität in der Verordnung über das Passsystem in der UdSSR von 1974 – die wortlautidentisch mit der Vorgängervorschrift aus der Passverordnung von 1953 ist5 – lautet ins Deutsche übersetzt: 1 Uibopuu, Die neue Paßordnung der UdSSR und die Freizügigkeit von Sowjetbürgern, ROW 1983, S. 245 (249). 2 Feldbrugge, in: Fincke, Handbuch der Sowjetverfassung, Band I, 1983, Art. 36 Rn. 9. 3 Westen, in: Fincke, Handbuch der Sowjetverfassung, Band I, 1983, Art. 1 Rn. 23. Siehe auch die Ergebnisse der Volkszählung von 1979, dargestellt von Uibopuu, in: Fincke, Handbuch der Sowjetverfassung, Band II, 1983, Art. 70 Rn. 4. 4 Akturk, Passport Identification and Nation-Building in Post-Soviet Russia, Post-Soviet Affairs 2010, S. 314 (315). 5 Uibopuu, Die neue Paßordnung der UdSSR und die Freizügigkeit von Sowjetbürgern, ROW 1983, S. 245 (249). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 232/16 Seite 4 „3. […] Die Eintragung der Nationalität im Paß richtet sich nach der Nationalität der Eltern. Gehören die Eltern verschiedenen Nationalitäten an, dann wird bei der Erstausstellung des Passes nach dem Wunsch des Paßinhabers die Nationalität des Vaters oder der Mutter eingetragen . Eine spätere Änderung der Eintragung über die Nationalität erfolgt nicht.6“7 2.2.2. Fachliteratur zum Staatsangehörigkeits- und Passrecht sowie zur Nationalitätenpolitik Auch in der Fachliteratur zum sowjetischen Staatsangehörigkeits- und Passrecht sowie zum Verfassungsrecht wird auf Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Nationalität eingegangen. Hinsichtlich des Falls, dass die Eltern des Betroffenen unterschiedliche Nationalitäten besitzen, wird davon gesprochen, dass der Betroffene bei der ersten Ausstellung eines Passes mit 16 Jahren zwischen den beiden Nationalitäten wählen dürfe8 bzw. könne9 bzw. die Eintragung nach seinem Wunsch vornehmen lassen könne10. Diese Formulierungen sind zwar weniger eindeutig als die oben beschriebene Passverordnung. Für die Annahme der Möglichkeit einer Mehrfacheintragung durch die rechtswissenschaftliche Fachliteratur bestehen jedoch keine weiteren Anhaltspunkte.11 In der Literatur zur sowjetischen Nationalitätenpolitik finden sich keine Angaben zur Frage der Eintragung mehrerer Nationalitäten in den Ausweispapieren.12 2.2.3. Erkenntnisse aus den Aussiedleraufnahmeverfahren in Deutschland Die oben dargestellte Rechtslage nach der Passverordnung deckt sich mit den Erfahrungen des Bundesverwaltungsamts, das für die Durchführung der Aussiedleraufnahmeverfahren nach dem Bundesvertriebenengesetz zuständig ist und sich in diesem Zusammenhang auch mit Ausweispapieren aus der Sowjetunion beschäftigt (hat). Nach Auskunft des Bundesverwaltungsamts kann man sich dort nicht an Mehrfacheintragungen hinsichtlich der Nationalität erinnern. 6 Siehe zu den Fällen, in denen ausnahmsweise später eine Änderung der Nationalität erfolgte, Gorenburg von der Harvard University, Soviet Nationalities Policy and Assimilation, S. 21 ff., abrufbar unter http://www.people .fas.harvard.edu/~gorenbur/gorenburg%20assimilation.pdf (zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2016). 7 Siehe die Übersetzung der Passverordnung unter dem Titel „Der neue Paß des Sowjetbürgers“, osteuropa-archiv 1977, A 252. 8 Feldbrugge, in: Fincke, Handbuch der Sowjetverfassung, Band I, 1983, Art. 36 Rn. 9. 9 Armborst, Ablösung von der Sowjetunion: Die Emigrationsbewegung der Juden und Deutschen vor 1987, S. 19 (Fn. 59); Simonsen, Between Minority Rights and Civil Liberties: Russia‘s Discourse Over „Nationality“ Registration and the Internal Passport, Nationalities Papers 2005, S. 211 (211). 10 Uibopuu, Die neue Paßordnung der UdSSR und die Freizügigkeit von Sowjetbürgern, ROW 1983, S. 245 (249). 11 Teilweise wird in der Literatur zum sowjetischen Passrecht auch gar nicht auf die Frage der Angabe der Nationalität eingegangen, siehe Geilke, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Sowjetunion, 1964, S. 168 ff. 12 Siehe etwa Simon, Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion, 1986; Bundesstaat und Nationalitätenrecht in der Sowjetunion, 1974; Rudy, Die Juden in der Sowjetunion – Schicksal und Nationalitätenpolitik, 1966; Halbach, Das sowjetische Vielvölkerimperium, 1992. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 232/16 Seite 5 Dieser Erfahrungswert deckt sich mit dem Ergebnis einer Auswertung der Rechtsprechung zur Aufnahme von Aussiedlern aus der Sowjetunion. In den Tatbeständen und Gründen der Urteile bzw. Beschlüsse wird auf die Angabe der Nationalität in den Ausweispapieren eingegangen, jedoch finden sich keine Fälle, in denen von Mehrfacheintragungen die Rede ist. Ende der Bearbeitung