© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 232/14 Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz Verfassungsmäßigkeit von Enteignungen und Veränderungssperren Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 2 Die Atomendlagerstandortsuche nach dem Standortauswahlgesetz Verfassungsmäßigkeit von Enteignungen und Veränderungssperren Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 232/14 Abschluss der Arbeit: 21. Oktober 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 3 1. Einleitung 4 2. Das Verfahren nach dem Standortauswahlgesetz 4 2.1. Aufstellung der Kriterien für die Auswahl eines Standortes 5 2.2. Festlegung der übertägig zu erkundenden Standorte 5 2.3. Festlegung der untertägig zu erkundenden Standorte 6 2.4. Abschlussentscheidung des Bundestages über den Atomendlagerstandort 6 3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Enteignungen nach dem Standortauswahlgesetz 7 3.1. Auslegung der Reichweite von § 9d Abs. 2 S. 1 AtG 7 3.2. Eingriff in Art. 14 GG 8 3.3. Rechtfertigung von Enteignungen 8 3.3.1. Die Endlagerung von atomarem Müll als Gemeinwohlziel 8 3.3.2. Geeignetheit von Enteignungsmaßnahmen für die Standortsuche 9 3.3.3. Erforderlichkeit von Enteignungsmaßnahmen für die Standortsuche 9 3.3.3.1. Unverzichtbarkeit von Enteignung für die Standortauswahl 10 3.3.3.2. Vernünftigerweise geboten 11 3.3.4. Angemessenheit 12 4. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisungsnorm von § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG 15 5. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Veränderungssperren 15 5.1. Anwendungsfälle des § 9g Abs. 1 AtG 16 5.2. Regelungsinhalt einer Veränderungssperre nach § 9g AtG 16 5.3. Verfassungsrechtliche Grundsätze für den Erlass einer Veränderungssperre 17 5.4. Verfassungsmäßigkeit von Veränderungssperren im Hinblick auf die Standorterkundung 17 6. Zusammenfassung der Ergebnisse 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 4 1. Einleitung Am 1. Januar 2014 ist das Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle (Standortauswahlgesetz-StandAG) in Kraft getreten.1 Hintergrund dieses Gesetzes ist die Atomkatastrophe von Fukushima und der daraus resultierende Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie zur Erzeugung von Elektrizität.2 Zudem prägte der kritische öffentliche Diskurs über den Atomendlagerungsstandort Gorleben die Entwicklung des Standortauswahlgesetzes.3 Zweck des neuen Gesetzes ist es, ein transparenteres Auswahlverfahren hervorzubringen und die Öffentlichkeit bei der Auswahl eines Atomendlagerungsstandorts stärker einzubinden.4 Zudem trifft der Bundestag die wesentlichen Entscheidungen bei der Auswahl des Endlagerungsstandortes durch Gesetz. Damit soll dem Auswahlverfahren eine größere demokratische Legitimation zukommen.5 Dieser Beitrag behandelt wegen der Komplexität der verschiedenen Verfahrensschritte zunächst den allgemeinen Ablauf des Standortauswahlverfahrens (2.). Erörtert wird sodann die Frage, inwiefern Enteignungen im Rahmen des Erkundungsverfahrens zur Offenhaltung mehrerer Standorte gemäß § 9d Abs. 2 Satz 1 Atomgesetz (AtG)6 verfassungsrechtlich zulässig sind (3.). Gegenstand der Ausarbeitung ist zudem § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG und die damit verbundene Frage, ob verfassungsrechtliche Bedenken bei Enteignungen aufgrund dieser Verweisungsnorm bestehen (4.). Abschließend werden die Zulässigkeit der Festsetzung von Veränderungssperren erörtert (5.) und die Ergebnisse der Prüfung zusammengefasst (6.). 2. Das Verfahren nach dem Standortauswahlgesetz Das Standortauswahlverfahren gliedert sich in vier große Verfahrensabschnitte. Der Bundestag wird in jede Phase eingebunden und beendet den jeweiligen Abschnitt durch den Erlass eines Bundesgesetzes.7 In jedem Verfahrensabschnitt ist die Öffentlichkeit durch die Bereitstellung von 1 Standortauswahlgesetz vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2553). 2 Vgl. Abschlussbericht der Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ vom 30. Mai 2011, S. 8, abrufbar unter: http://www.bmbf.de/pubRD/2011_05_30_abschlussbericht_ethikkommission_property_publicationFile.pdf, [Stand: 15. Oktober. 2014]; BT-Drs. 17/13471, S. 2. 3 Der Standort Gorleben wurde bei der Diskussion zum Standortauswahlgesetz immer wieder herangezogen: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht 241, Sitzung vom 17. Mai 2013, PlProt 17/241, S. 30519 ff. 4 BT-Drs. 17/13471, S. 1. 5 BT-Drs. 17/13471, S. 30. 6 Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3313) geändert worden ist. 7 Posser, Zur Endlagerung radioaktiven Abfalls in Deutschland, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, Umwelt und Planung – Anwalt im Dienst von Rechtsstaat und Demokratie, Festschrift für Klaus-Peter Dolde zum 70. Geburtstag, 2014, S. 257. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 5 Informationen und Veröffentlichungen, durch die Errichtung von Bürgerbüros oder durch Bürgerversammlungen zu beteiligen, vgl. §§ 9, 10 StandAG. Hierdurch soll die Akzeptanz für ein Endlagervorhaben sichergestellt werden.8 2.1. Aufstellung der Kriterien für die Auswahl eines Standortes Die für das Standortverfahren eingerichtete Kommission „Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe“ bereitet das Standortauswahlverfahren vor, vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 StandAG. Sie setzt sich zusammen aus Vertretern der Wissenschaft, der Umweltverbände, Religionsgemeinschaften, der Wirtschaft, der Gewerkschaften sowie aus Mitgliedern des Bundestages und der Landesregierungen. Diese Kommission erarbeitet einen Bericht zur Bestimmung der relevanten Grundsatzfragen, § 4 Abs. 1 S. 1 StandAG. Der Bericht beinhaltet zudem die Evaluierung des Standortauswahlgesetzes, § 4 Abs. 4 S. 2 StandAG. Zweck der ersten Phase ist es, die Grundlagen für die Standortsuche festzulegen. In dieser Phase werden die Eignungs- und Auswahlkriterien für die festzulegenden Standorte bestimmt.9 Diese Kriterien werden nach Maßgabe der §§ 3-5 StandAG durch die Kommission erarbeitet. Durch Erlass eines Bundesgesetzes werden die Kriterien zum Abschluss der ersten Phase festgelegt, § 4 Abs. 5 StandAG. Diese Phase ist insofern als typische Aufgabe des Gesetzgebers einzuordnen, weil durch das Bundesgesetz abstrakt-generelle Regelungen zur Standortauswahl festgelegt werden.10 2.2. Festlegung der übertägig zu erkundenden Standorte Mit der zweiten Phase beginnt die eigentliche Standortauswahl. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) ist gem. § 6 S. 1 Nr. 1 StandAG als Vorhabenträger unter Heranziehung der beschlossenen Kriterien für die Ermittlung der geeigneten Regionen verantwortlich. Hierzu stellt das BfS Sicherheitsuntersuchungen an. Nach diesen Untersuchungen teilt das BfS dem Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BkE)11 sowohl die geeigneten Standorte für eine übertägige Erkundung als auch die ungeeigneten Gebiete mit.12 Das BkE kann von dem Vorschlag des BfS abweichen , wenn dem BfS die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wird, § 14 Abs. 1 S. 2 StandAG. Das BkE ist nach Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaft verpflichtet, dem Bundesminis- 8 Wiegand, Konsens durch Verfahren? – Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz nach dem Standortauswahlgesetz im Verhältnis zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, NVwZ 2014, 830 (833). 9 Posser, Zur Endlagerung radioaktiven Abfalls in Deutschland, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, Umwelt und Planung – Anwalt im Dienst von Rechtsstaat und Demokratie, Festschrift für Klaus-Peter Dolde zum 70. Geburtstag, 2014, S. 257. 10 Wollenteit, Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager, in: Koch/Roßnagel/ Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 294. 11 Es handelt sich um eine Bundesoberbehörde, die für das Standortauswahlverfahren gegründet wurde. Diese Behörde hat am 1. September 2014 ihre Arbeit aufgenommen. Pressemitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz , Bau und Reaktorsicherheit, abrufbar unter: http://www.bmub.bund.de/presse/pressemitteilungen/pm/artikel /neues-bundesamt-fuer-kerntechnische-entsorgung-nimmt-arbeit-auf/, [Stand: 15. Oktober 2014]. 12 Wiegand, Konsens durch Verfahren? – Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz nach dem Standortauswahlgesetz im Verhältnis zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, NvwZ 2014, 830 (833). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 6 terium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) den Bericht über die übertägig zu erkundenden Gebiete und die ungeeigneten Gebiete mitzuteilen. Der Bundesgesetzgeber entscheidet zum Abschluss durch Bundesgesetz über die übertägig zu erkundenden Standorte und die ausgeschlossenen ungünstigen Gebiete, vgl. § 14 Abs. 2 S. 5 StandAG. Der Gesetzgeber geht laut Gesetzesbegründung von fünf übertägig zu erkundenden Standorten aus.13 2.3. Festlegung der untertägig zu erkundenden Standorte Die übertägige Erkundung dient dazu, Erkenntnisse über die Auswirkungen eines Atomendlagerstandortes auf die Umwelt zu gewinnen (Umweltverträglichkeitsprüfung).14 Sie ist Entscheidungsgrundlage für die Auswahl der untertägig zu erkundenden Standorte. Das BfS führt sowohl die übertägige als auch die untertägige Erkundung durch, § 6 S. 1 Nr. 3 StandAG. Das BfS übermittelt dem BkE die Vorschläge für die möglichen Standorte für eine untertägige Erkundung. Das BkE überprüft diese Vorschläge und kann von den Vorschlägen des BfS abweichen, vgl. § 17 Abs. 1 StandAG. Zum Abschluss dieses Verfahrensabschnitts werden die - laut Gesetzbegründung voraussichtlich zwei - untertägig zu erkundenden Standorte durch ein Bundesgesetz festgelegt, § 17 Abs. 2 S. 5 StandAG. Vor der Übermittlung des Auswahlvorschlags für die untertägig zu erkundenden Standorte stellt das BkE durch Bescheid fest, dass das bisherige Verfahren entsprechend dem Standortauswahlgesetz durchgeführt wurde, § 17 Abs. 4 S. 1 StandAG. Nach § 17 Abs. 4 S. 3 StandAG ist auf diesen Bescheid das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) anzuwenden. Durch die Anwendungserweiterung in § 17 Abs. 4 S. 4 StandAG können neben den Umweltverbänden auch Gemeinden, in deren Gebiet ein zur untertägigen Erkundung vorgeschlagener Standort liegt, und deren Bürger vor dem Bundesverwaltungsgericht Rechtsschutz gegen den Bescheid ersuchen, § 17 Abs. 4 S. 4 StandAG.15 Nach der Gesetzesbegründung ist davon auszugehen, dass das Parlament mit seinem Gesetzesbeschluss die Entscheidung des Gerichtes über die Rechtmäßigkeit des Bescheides abwartet.16 2.4. Abschlussentscheidung des Bundestages über den Atomendlagerstandort Nach Abschluss der untertägigen Erkundung, die durch das BfS durchgeführt wird, führt das BkE unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse eine Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechend der §§ 7- 9b Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) durch und schlägt dem Bundesgesetzgeber in der letzten Phase des Standortauswahlprozesses unter Abwägung sämtlicher öffentlicher und privater Belange sowie den Ergebnissen der Öffentlichkeitsbeteiligung einen Endlagerstandort vor. 13 BT-Drs. 17/13471, S. 3. 14 Posser, Zur Endlagerung radioaktiven Abfalls in Deutschland, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, Umwelt und Planung – Anwalt im Dienst von Rechtsstaat und Demokratie, Festschrift für Klaus-Peter Dolde zum 70. Geburtstag, 2014, S. 259. 15 Smeddinck, Elemente des Standortauswahlgesetzes zur Entsorgung radioaktiver Abfälle – Vorgeschichte, Zuschnitt und Regelungskomplexe, DVBl. 2014 408 (414). 16 BT-Drs. 17/13471, S. 28. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 7 Nach Überprüfung der Gesetzeskonformität durch das BMUB schlägt die Bundesregierung dem Parlament in Form eines Gesetzentwurfs einen Standort vor, § 20 Abs. 1 StandAG. Die Verabschiedung des Gesetzes über den Atomendlagerungsstandort beendet das Standortauswahlverfahren. Diese Entscheidung ist zudem gem. § 20 Abs. 3 StandAG für das anschließende atomrechtliche Genehmigungsverfahren nach § 9b Abs. 1a AtG für die Errichtung eines Atomlagers verbindlich. 3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Enteignungen nach dem Standortauswahlgesetz Es ist zu prüfen, ob Enteignungen zur Offenhaltung von Standorten für das Standortauswahlverfahren verfassungsrechtlich zulässig sind. Das Standortauswahlgesetz enthält keine ausdrückliche Regelung, die als Rechtsfolge die Enteignung von Grundstücken vorsieht.17 Im Standortauswahlgesetz findet sich nur die Verweisungsnorm des § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG, die eine direkte Anwendung der § 9b bis § 9g AtG für die Standortauswahl anordnet. § 9d Abs. 2 S. 1 AtG bestimmt, dass Enteignungen zum Zwecke der vorbereitenden Standorterkundung zulässig sind, soweit sie zur Durchführung von Erkundungsmaßnahmen auf der Grundlage der Vorschriften des Bundesberggesetzes (BBergG) sowie zu deren Offenhaltung ab der Entscheidung über eine übertägige Erkundung nach § 14 Abs. 2 S. 5 Hs. 2 StandAG notwendig sind. Auf der Grundlage von § 9d Abs. 2 S. 1 AtG wird eine verwaltungsbehördliche Enteignungsentscheidung (Administrativenteignung) getroffen,18 die mit einer Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) überprüft werden kann. 3.1. Auslegung der Reichweite von § 9d Abs. 2 S. 1 AtG Auf welche Erkundungsmaßnahmen sich die Enteignungsbefugnis nach § 9d Abs. 2 S. 1 AtG bezieht , ist streitig. Der Wortlaut von § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG spricht nur von „Erkundungen nach diesem Gesetz“. Insofern bedarf es einer weiteren Auslegung der Regelung. Teilweise wird die Ansicht vertreten dass Enteignungen nach § 9d Abs. 2 S. 1 AtG nur im Hinblick auf die untertägige Erkundung vorgenommen werden können. Argumentiert wird mit der Gesetzessystematik und dem Verweis auf das Bundesberggesetz.19 Diese Auslegung von § 9d Abs. 2 S. 1 AtG ist jedoch nicht zwingend. Mit der Einführung des Standortauswahlgesetzes wurde auch § 9d Abs. 2 S. 1 AtG geändert und in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass Gebiete für die Offenhaltung von Standorten nach der Entscheidung über die übertägig zu erkundenden Standorte enteignet werden können.20 Insofern 17 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1135). 18 Wollenteit, Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager, in: Koch/Roßnagel/ Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 296. 19 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1137). 20 BT-Drs. 17/13471 S. 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 8 können die zuständigen Enteignungsbehörden zu Beginn der Phase übertägiger Erkundung Enteignungen vornehmen.21 Mithin erfasst die Enteignungsbefugnis aus § 9d Abs. 1 S. 1 AtG wohl auch das Stadium der übertägigen Erkundung. 3.2. Eingriff in Art. 14 GG Ein Verwaltungsakt – sei es für die übertägige oder die untertägige Erkundung –, der die Enteignung von Grundstücken zum Zwecke der Standortauswahl zum Inhalt hat, greift in die Eigentumsgarantie gem. Art. 14 GG ein. Es handelt sich bei der Enteignung um einen schweren Eingriff in das Grundrecht von Art. 14 GG.22 Ein solcher Eingriff bedarf der besonderen Rechtfertigung und ist an Art. 14 Abs. 3 GG zu messen. 3.3. Rechtfertigung von Enteignungen Nach Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ist die Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG. Das Atomgesetz sieht mit § 9e Abs. 3 S. 1 AtG eine Entschädigungsregel für Enteignungen vor. Aber insbesondere der Zweck einer Enteignung spielt bei der Frage der Rechtfertigung eine maßgebliche Rolle. Insofern ist das in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG genannte Gemeinwohlziel der wesentliche materielle Maßstab für eine Enteignung.23 Das Bundesverfassungsgericht fordert daher in ständiger Rechtsprechung ein besonders schwerwiegendes dringendes öffentliches Interesse zur Rechtfertigung von Enteignungen.24 Das „bloße“ öffentliche Interesse genügt für die Rechtfertigung nicht. Der Gesetzgeber muss das Gemeinwohlziel bestimmen, wobei ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt, der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist.25 Eine Enteignung muss somit ein Gemeinwohlziel verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein (Verhältnismäßigkeitsprinzip). 3.3.1. Die Endlagerung von atomarem Müll als Gemeinwohlziel Die Zweckbestimmung des Atomgesetzes wird durch den Verweis des § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG auf § 9e Abs. 2 S. 1 AtG für die Enteignung im Standortauswahlverfahren übernommen.26 Enteignungen sind danach zulässig, wenn durch sie die Sicherstellung der Endlagerung von atomaren 21 Enteignungsbefugnis für alle Phasen: Wollenteit, Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager, in: Koch/Roßnagel/Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 296. 22 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (213). 23 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (214). 24 BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2008, AZ: 1 BvR 349/04, NVwZ 2008, 1229 (1230); Beschluss vom 27. Mai 2004, AZ: 4 BN 7.04, ZfBR 2004, 579 (580); Urteil vom 11. Juli 2002, AZ: 4 C 9/00, NJW 2003, 230 (233); Urteil vom 24. März 1987, AZ: 1 BvR 1046/85, NJW 1987, 1251 (1253). 25 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (214). 26 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1136 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 9 Abfall bezweckt wird. Durch atomaren Abfall drohen aufgrund der Strahlung schwere gesundheitliche Risiken. Deswegen wird die Sicherstellung der Endlagerung des radioaktiven Mülls als Gemeinwohlaufgabe mit höchster Priorität eingeordnet27. Im Hinblick auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist die Endlagerung des Atommülls als verfassungsgemäßes Gemeinwohlziel einzuordnen. Der Gesetzgeber hat insofern seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Das Enteignungsgesetz muss das Gemeinwohlziel hinreichend bestimmen, d.h. regeln zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf.28 Die jetzige Formulierung des § 9e Abs. 2 S. 1 AtG, dass Enteignungen zulässig sind, wenn sie „dem Wohle der Allgemeinheit“ dienen, könnte wegen ihrer Unbestimmtheit problematisch sein. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in der Garzweiler-Entscheidung29 zu § 79 Abs. 1 BBergG ausgeführt, dass das Zitieren des Verfassungswortlautes nicht ausreiche. Der Gesetzgeber dürfe der Verwaltung nicht die wesentlichen Entscheidungen überlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Wege einer verfassungskonformen Auslegung die Norm aufrechterhalten und ihren Anwendungsbereich auf die in § 79 Abs. 1 BBergG aufgezählten Beispiele zur Enteignung begrenzt. Diese Erwägungen können auch auf § 9e Abs. 2 S. 1 AtG übertragen werden, weil in § 9e Abs. 2 S. 1 AtG die Sicherstellung der Endlagerung radioaktiver Abfälle aufgeführt wird. § 9e Abs. 2 S. 1 AtG kann in der Hinsicht verfassungskonform ausgelegt werden, dass Enteignungen nur im Hinblick auf die Sicherstellung des Endlagers der radioaktiven Abfälle zulässig sind. 3.3.2. Geeignetheit von Enteignungsmaßnahmen für die Standortsuche Die Enteignung ist nur zulässig, wenn sie zur Erreichung des Gemeinwohlziels geeignet ist.30 Die Enteignung zur Offenhaltung von Standorten führt unter anderem dazu, dass der Staat die vollständigen dinglichen Nutzungsrechte des Grundstücks eingeräumt bekommt. Somit ist er auch zu weitreichenden Erkundungsmaßnahmen befugt, die für die Standortauswahl und die damit verbundene Gemeinwohlzielsetzung der Atomendlagerung von elementarer Bedeutung sind. Eine Enteignung zur Offenhaltung von Standorten ist mithin zur Zielerreichung geeignet. 3.3.3. Erforderlichkeit von Enteignungsmaßnahmen für die Standortsuche § 9d Abs. 2 S. 1 AtG a. F.31 wurde im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit als verfassungsrechtlich unbedenklich eingestuft, wobei Enteignungen nach der alten Vorschrift nur vorgenommen werden konnten, wenn sie für die Durchführung von Erkundungen notwendig waren.32 Nach der jetzigen Fassung des § 9d Abs. 2 S. 1 AtG ist eine Enteignung zur Offenhaltung der Standorte 27 Schmidt-Preuß, Das neue Atomrecht, NVwZ 1998, 553 (560). 28 BVerfG, Urteil vom 24. März 1987, AZ: 1 BvR 1046/85 NJW 1987, 1251 (1252). 29 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 ff. 30 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (215). 31 Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 29. April 1997 (BGBl. I S. 968). 32 Schmidt-Preuß, Das neue Atomrecht, NVwZ 1998, 553 (560). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 10 zulässig. In der Literatur wird diese Erweiterung im Hinblick auf die Erforderlichkeit von Enteignungen zu Standortsuche kritisch gesehen.33 Eine Enteignung eines Grundstücks zur Erkundung eines Standortes ist nach einer Ansicht nicht mit Art. 14 GG vereinbar, weil sie für den Gemeinwohlzweck, der Sicherstellung eines Endlagers für atomaren Abfall, nicht erforderlich sei.34 Am Ende des Standortauswahlverfahrens werde nur ein Standort für die Endlagerung genutzt. Es stehe somit von Anfang an fest, dass nicht alle Standorte für die atomare Endlagerung geeignet seien. Hoheitliche Enteignungen seien nicht erforderlich, wenn die entzogenen Standorte später nicht zur Sicherstellung des atomaren Abfalls verwendet würden. Werde ein Standort aber nur zum Zwecke der Auswahl enteignet, dann diene diese Enteignung der Erkundung und nicht der Sicherstellung des radioaktiven Abfalls. In einem solchen Fall entspreche eine Enteignung zur Offenhaltung nicht mehr dem Gemeinwohlziel in § 9e Abs. 2 S. 1 AtG.35 Bei der Prüfung, ob eine Enteignung für das Gemeinwohl erforderlich ist, nimmt das Bundesverfassungsgericht eine differenziertere Betrachtung vor und unterscheidet zwischen der Erforderlichkeit der Enteignungsmaßnahme für die Verwirklichung des dem Gemeinwohl dienenden konkreten Vorhabens und der Gemeinwohlerforderlichkeit selbst.36 Es nimmt insofern eine zweistufige Prüfung der Erforderlichkeit im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von Art. 14 Abs. 3 GG vor. Nach dieser Sichtweise ist streng zwischen dem Auffinden des bestmöglichen Standortes für ein Atomendlager und der Errichtung des Endlagers und der damit verbundenen endgültigen Sicherstellung des atomaren Mülls zu trennen. Legt man diese Differenzierung der Untersuchung zu Grunde, dann muss die konkrete Enteignungsmaßnahme für das Vorhaben – das Auffinden eines bestmöglichen Standortes für die Errichtung eines Atomendlagers – unverzichtbar sein (3.3.3.1), während das Vorhaben für das Gemeinwohl – die Sicherstellung des Endlagers für atomaren Abfall – nur vernünftigerweise geboten sein muss (3.3.3.2). 3.3.3.1. Unverzichtbarkeit von Enteignung für die Standortauswahl Das Bundesverfassungsgericht betont in der Entscheidung zu Garzweiler, dass die konkrete Enteignungsmaßnahme in der Regel nie direkt dem Gemeinwohl dient.37 Zur Verwirklichung eines Vorhabens ist der Gesetzgeber bzw. der Verwaltungsträger gehalten, sämtliche abwägungsrelevanten Daten für die Verwirklichung des Vorhabens zusammen zutragen.38 Dafür müssen die Standorte aber ausgiebig erkundet werden. Gerade im Hinblick auf die untertägige Erkundung erfordern die 33 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1136 f.). 34 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1137). 35 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1137). 36 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (215). 37 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (215). 38 BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996, AZ: 2 BvF 2/93, NJW 1997, 383 (385). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 11 Untersuchungen einen großen Aufwand. Z. B. wurden beim Standort Gorleben zwei tiefe Schächte in das Salzwerk hineingebohrt.39 Sollte ein Inhaber der Nutzungsrechte der betroffenen Standorte die Untersuchungen verweigern, dann können die Erkundungen nicht in dem erforderlichen Ausmaß vorgenommen werden, wie dies zur Standortsuche notwendig wäre. In diesem Fall könnte die Zielsetzung nach § 1 Abs. 1 StandAG, einen bestmöglichen Standort zu finden, nicht erreicht werden. Die Erkundungsmaßnahmen dienen gerade dazu, eine Entscheidungsgrundlage für die Auswahl geeigneter Standorte zu schaffen. Es ist aber dafür nicht ausreichend nur einen Standort zu erkunden, sondern es müssen die Standorte untereinander verglichen werden. Enteignungen, die zur Offenhaltung von Standorten vorgenommen werden, dienen damit den Erkundungsmaßnahmen und damit auch gleichzeitig der Standortauswahl bzw. dem Vorhaben. Sie erscheinen daher als unverzichtbar für das Vorhaben. Als milderes Mittel könnte aber die Auferlegung einer Duldungspflicht, wie z. B. in § 34 Abs. 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) für Erkundungsmaßnahmen bei Mülldeponien, in Betracht kommen. Die Enteignung darf nur das letzte Mittel zur Verwirklichung des Gemeinwohlziels sein. Die Erforderlichkeit ist zu verneinen, wenn das Gemeinwohl in gleich geeigneter Weise durch eine dingliche Eigentumsbelastung bzw. durch eine obligatorische Beschränkung des Eigentums erreicht werden kann.40 Insofern bleiben bei der Erforderlichkeit von Enteignungen zur Offenhaltung von Standorten verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Die Duldungspflicht wäre aber nicht als milderes Mittel zu beurteilen, wenn sie aufgrund ihrer Dauer das Eigentum des Betroffenen entwertet und damit einer Enteignung gleich kommt. Auch die Festsetzung einer Veränderungssperre ist kein milderes Mittel, weil sie nur den Status quo sichert. Eine Veränderungssperre hat aber nicht zur Folge, dass der Vorhabenträger Rechte eingeräumt bekommt, um den Standort zu erkunden, wie dies eine Enteignung ermöglicht. Somit erweist sich eine Veränderungssperre als ungeeignet. 3.3.3.2. Vernünftigerweise geboten Das Bundesverfassungsgericht stellt an das Vorhaben geringe Anforderungen im Hinblick auf die Erforderlichkeit für das Gemeinwohl. Das Vorhaben muss nicht unverzichtbar für das Gemeinwohl sein. Es ist ausreichend, wenn das Vorhaben für das Gemeinwohl vernünftigerweise geboten ist.41 Durch die Erkundung verschiedener Standorte soll gerade geklärt werden, welcher Standort zur Atomendlagerung geeignet ist. Potentielle Endlagerungsstandorte zu erkunden, ist für das Gemeinwohl vernünftigerweise geboten. 39 So der Sachverhalt bei Gorleben, vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 14. April 2011, AZ: 2 B 12/11, ZUR 2011, 489 (489). 40 Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 59. Ergänzungslieferung 2010), Art. 14 Rn. 590. 41 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (215 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 12 3.3.4. Angemessenheit Die Enteignung darf zudem nicht außer Verhältnis zu dem mit dem Vorhaben verfolgten Zweck stehen. Ein Vorhaben dient damit nicht dem Wohl der Allgemeinheit i. S. des Art. 14 Abs. 3, S. 1 GG, wenn eine Gesamtabwägung ergibt, dass die durch das Vorhaben beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belange die für das Vorhaben sprechenden Gemeinwohlgründe überwiegen.42 Es ist insofern eine Interessenabwägung vorzunehmen. Enteignungen, die für Offenhaltung von Standorten vorgenommen werden, sind für die Standortsuche im Hinblick auf das zu errichtende Atomendlager elementar. Insbesondere muss hierbei berücksichtigt werden, dass die Endlagerfrage von (inter-)nationaler Bedeutung ist. Der Gesetzgeber hat daher nicht seinen Gestaltungspielraum überschritten, wenn er die Gemeinwohlbelange höher gewichtet, als die privaten Interessen der Eigentümer. Das Bundesverfassungsgericht betonte in der Garzweiler Entscheidung, dass auch der effektive Rechtsschutz ein wesentliches Element der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG darstellt.43 Das Bundesverfassungsgericht fordert bei Enteignungen für komplexe Großvorhaben, deren Planung sich über viele Jahre hinzieht, dass den betroffenen Eigentümern genügend Rechtsschutzmöglichkeiten gewährt werden.44 Dies ist nicht der Fall, wenn bei Großvorhaben der Rechtsschutz erst am Ende des Verfahrens eröffnet wird. Der Rechtsschutz betroffener Eigentümer hat in so einem Verfahren nur wenig Aussicht auf Erfolg, was mit dem effektiven Rechtsschutz bzgl. der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG nicht vereinbar ist.45 Planungsentscheidungen in Gesetzesform (auch Legalplanung genannt) können eine enteignungsrechtliche Vorwirkung entfalten, wenn das Gesetz bestimmt, welche konkreten Grundstücke und in welchem Umfange diese für das Vorhaben enteignet werden sollen.46 Die Verwaltung ist in so einem Fall in ihrem Ermessenspielraum stark eingeschränkt, denn mit ihrer Enteignungsentscheidung vollzieht sie nur eine parzellenscharf getroffene Entscheidung des Gesetzgebers. Ein Gesetz mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung ist im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie, Art. 19 Abs. 4 GG, problematisch. 47 Gesetze können nur ausnahmsweise vom Bürger mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Der Bundesgesetzgeber hat dieses Problem in Bezug auf das Standortauswahlverfahren in der Gesetzesbegründung zum Standortauswahlgesetz erkannt und 42 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (216). 43 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (216). 44 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (220). 45 BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, AZ: 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 (220). 46 BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996, AZ: 2 BvF 2/93, NJW 1997, 383 (385). 47 Wollenteit, Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager, in: Koch/Roßnagel/ Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 296 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 13 spricht davon, dass das Gesetz zur Festlegung der übertägig zu erkundenden Standorte eine enteignungsrechtliche Vorwirkung haben kann.48 Nach einer Ansicht der Literatur beinhaltet jede Standortentscheidung eine enteignungsrechtliche Vorwirkung.49 Das Bundesverfassungsgericht fordert in der Entscheidung „Südumfahrung Stendal“50 für eine Legalplanung, dass sowohl eine mit ihr verbundene Enteignung dem Wohle der Allgemeinheit dient als auch das triftige Gründe für eine Planung in Gesetzesform bestehen.51 Eine behördliche Planungsentscheidung muss mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden sein. Der Gesetzgeber begründet die Legalplanung im Rahmen des Standortauswahlverfahrens mit der nationalen Bedeutung des Vorhabens und der demokratischen Legitimation, die mit einer Planung in Gesetzesform einhergeht. Zudem könnte das Vorhaben im nachgelagerten atomrechtlichen Genehmigungsverfahren überprüft werden.52 Ein Teil der Literatur vertritt die Auffassung, dass keine triftigen Gründe für eine Legalplanung im Fall des Standortauswahlverfahrens bestünden.53 Nach dieser Ansicht sind die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur „Südumfahrung Stendal“ nicht auf das Standortauswahlverfahren übertragbar. Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Entscheidung „Südumfahrung Stendal“ eine Legalplanung aufgrund der Beschleunigungswirkung einer solchen Verfahrensweise als zulässig erachtet.54 Das Standortauswahlverfahren solle einen Atomendlagerungsstandort hervorbringen, der 1 Million Jahre Bestand habe. Die Verkürzung des Rechtsschutzes im Hinblick auf diesen Zeitraum sei daher unangemessen.55 Es fehle an der Notwendigkeit einer Beschleunigung des Vorhabens.56 Das Standortauswahlverfahren sei auf mehrere Jahrzehnte angelegt. Die Verkürzung des Rechtsschutzes 48 BT-Drs. 17/13471, S. 26. 49 Posser, Zur Endlagerung radioaktiven Abfalls in Deutschland, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, Umwelt und Planung – Anwalt im Dienst von Rechtsstaat und Demokratie, Festschrift für Klaus-Peter Dolde zum 70. Geburtstag, 2014, S. 275.; Wollenteit, Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager, in: Koch/Roßnagel/ Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 296. 50 BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996, AZ: 2 BvF 2/93, NJW 1997, 383 ff. 51 BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996, AZ: 2 BvF 2/93, NJW 1997, 383 (385). 52 BT-Drs. 17/13471, S. 29 f. 53 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1136); Wollenteit, Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager, in: Koch/Roßnagel/Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 296; Gassner /Neusüß, Standortauswahlverfahren und Sicherheitsanforderungen für ein Endlager, ZUR 2009, 347 (351); Posser, Zur Endlagerung radioaktiven Abfalls in Deutschland, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, Umwelt und Planung – Anwalt im Dienst von Rechtsstaat und Demokratie, Festschrift für Klaus-Peter Dolde zum 70. Geburtstag, 2014, S. 273 ff. 54 BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996, AZ: 2 BvF 2/93, NJW 1997, 383 (385). 55 Wollenteit, Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager, in: Koch/Roßnagel /Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 308. 56 Gassner/Neusüß, Standortauswahlverfahren und Sicherheitsanforderungen für ein Endlager, ZUR 2009, 347 (351). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 14 sei aus diesen Gründen nicht hinnehmbar.57 Zudem könne auch die demokratische Legitimation die Legalplanung nicht rechtfertigen, denn das Demokratiegebot dürfe die Rechtschutzgarantie nicht einschränken.58 Ein kurzes und schnelleres Standortauswahlverfahren ohne ausreichenden Rechtsschutz sei nicht geeignet, eine ausgleichende Legitimationswirkung hervorzurufen, sondern bewirke Gegenteiliges.59 Zudem berge die Planung in Gesetzesform die Gefahr, dass sich später im Genehmigungsverfahren der Standort als ungeeignet erweise. Trotzdem wäre die Genehmigungsbehörde an die gesetzliche Standortfestlegung gebunden.60 Damit entstünden für die Verwaltungsbehörde Prüfungsdefizite.61 Dem wird entgegengehalten, dass mit der Standortentscheidung erhebliche grundrechtliche Positionen, wie die körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG, betroffen seien.62 Zudem berühre die Standortentscheidung auch die Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG. Den Gesetzgeber treffe die Verantwortung, die natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu erhalten. Der Schutz dieser Rechtsgüter sei die Basis für die Annahme von triftigen Gründen im Hinblick auf eine Legalplanung beim Standortauswahlverfahren . Der Gesetzgeber lege zudem nicht alle Folgen mit der Standortentscheidung fest. Dem Standortauswahlverfahren sei das atomrechtliche Genehmigungsverfahren nachgelagert. In diesem Verfahren könne die Standortentscheidung noch einmal überprüft werden. Auch innerhalb des Standortauswahlverfahrens sei eine verwaltungsgerichtliche Überprüfungsmöglichkeit vorgesehen, § 17 Abs. 4 StandAG. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz sei somit vorhanden. Deswegen könne man geringere Anforderungen an das Vorliegen von triftigen Gründen für eine Legalplanung im Fall des Standortauswahlverfahrens stellen. Der Gesetzgeber habe mit dem Standortauswahlverfahren eine Ausnahmeangelegenheit von (inter-)nationaler Bedeutung geregelt. Er beende mit einer Legalplanung den über Jahrzehnte andauernden Diskurs über das Standortauswahlverfahren . Für eine Legalplanung im Fall der Standortauswahl seien daher triftige Gründe vorhanden.63 57 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1136). 58 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1136). 59 Wollenteit, Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager, in: Koch/Roßnagel/ Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 309. 60 Gassner/Neusüß, Standortauswahlverfahren und Sicherheitsanforderungen für ein Endlager, ZUR 2009, 347 (351). 61 Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 (1139). 62 Burgi, Strukturen und Verfahrensfragen der Endlagerstandortsuche, in: Koch/Roßnagel/Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 275 f. 63 Burgi, Strukturen und Verfahrensfragen der Endlagerstandortsuche, in: Koch/Roßnagel/Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 275. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 15 4. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisungsnorm von § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG Es ist des Weiteren zu prüfen, ob Enteignungen aufgrund der Verweisungstechnik in § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG verfassungsrechtlich zulässig sind. In einem Gesetz oder in einer Rechtsverordnung selbst müssen der gesetzliche Tatbestand bzw. die Rechtsfolgen nicht immer in vollem Umfang beschrieben werden. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber auch die Möglichkeit, auf eine andere Norm Bezug zu nehmen. Tatbestand und/oder Rechtsfolge werden durch die Bezugnahme Bestandteil der Ausgangsnorm.64 In diesem Rahmen wird zwischen statischen und dynamischen Verweisungen unterschieden. Bei der statischen Verweisung wird auf die bestimmte Fassung eines Gesetzes, bei der dynamischen Verweisung dagegen auf die jeweils geltende Fassung eines Gesetzes verwiesen.65 § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG ist als statische Verweisung einzuordnen. Das Gesetz ordnet nur die direkte Anwendbarkeit der Vorschriften der §§ 9d bis 9g AtG an. Anhaltspunkte dafür, dass nur auf die jeweils geltende Fassung verwiesen wird, finden im Wortlaut des § 12 Abs. 2 S. 4 AtG keinen Anknüpfungspunkt. Statische Verweisungsnormen werden vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich – selbst bei schweren Eingriffen – für zulässig erachtet.66 Das Bestimmtheitsgebot ist nicht verletzt, wenn aus der Verweisungsnorm klar ersichtlich ist, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen, wobei diese Vorschriften ebenfalls hinreichend bestimmt sein müssen.67 Bei erheblichen Grundrechtseingriffen dürfen Verweisungen nicht zahlreich, tiefgestaffelt und regelungstechnisch unübersichtlich sein. Andernfalls besteht die Gefahr, dass diese Normen fehlerhaft angewendet werden.68 Im vorliegenden Fall greifen derartige Bedenken aber nicht durch. Mit § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG hat der Gesetzgeber nicht auf ein tiefgehendes und unübersichtliches Normensystem verwiesen. Aus der Norm ist klar ersichtlich, welche Paragraphen des Atomgesetzes direkt angewendet werden. Insbesondere sind die §§ 9d bis 9g AtG hinreichend bestimmt. § 9e Abs. 2 S. 1 AtG ist zwar im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot aufgrund der Formulierung der Zweckbestimmung („Wohle der Allgemeinheit“) problematisch weit gefasst. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung kann der Enteignungszweck aber auf die Sicherstellung der Endlagerung von atomarem Abfall begrenzt werden. 5. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Veränderungssperren Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit die Festsetzung von Veränderungssperren nach § 9g Abs. 1 S. 1 AtG zum Zwecke der Offenhaltung von Standorten verfassungsrechtlich zulässig 64 Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Auflage 2008, Teil B Rn. 218. 65 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 5. Auflage 2005, Art. 20 Abs. 3 Rn. 290. 66 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 48. Ergänzungslieferung 2006), Art. 20 Rn. 54. Dynamische Verweisungen werden dagegen von der Rechtsprechung kritischer bewertet. 67 BVerfG, Beschluss vom 7. März 1995, AZ: 1 BvR 1564/92, NJW 1995, 3110 (3111). 68 BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004, AZ: 1 BvF 3/92, NJW 2004 2213 (2217). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 16 sind. Bei Veränderungssperren handelt es sich um ein planungsrechtliches Instrument. Durch sie werden qualifizierte Veränderungen an den betroffenen Gebieten für einen bestimmten Zeitraum verboten.69 Es ist aber kein Spezifikum des Atomrechts, sondern dieses Rechtsinstitut ist in diversen Fachgesetzen vorgesehen, wie z. B. in § 14 Baugesetzbuch (BauGB).70 Nach § 9g Abs. 1 S.1 AtG wird eine Veränderungssperre durch eine Rechtsverordnung angeordnet. Zuständig für den Erlass einer Veränderungssperren-Verordnung ist die Bundesregierung, § 54 Abs. 1 S. 1 AtG. 5.1. Anwendungsfälle des § 9g Abs. 1 AtG Eine Veränderungssperre kann insbesondere zur Sicherung der Planung erlassen werden, § 9g Abs. 1 S. 1, 1. Alt. AtG. § 9g Abs. 1 S. 1, 3. Alt. AtG regelt dagegen den Erlass einer Veränderungssperre zur Fortsetzung der Standorterkundung. Mit dieser Alternative sollen bereits erkundete Standorte nachträglich mit einer Veränderungssperre belegt werden.71 Nach § 9g Abs. 1 S. 1, 2. Alt AtG können Veränderungssperren vor der Standorterkundung erlassen werden. Diese Regelung erlaubt den Erlass einer Veränderungssperre zur Sicherung der Standorterkundung. Mit der Sicherung der Erkundung ist sowohl die obertägige als auch die untertägige Erkundung gemeint.72 Der Erlass einer Veränderungssperre zur Offenhaltung von potentiellen Standorten vor Beginn des Verfahrens beruht somit auf § 9g Abs. 1 S. 1, 2. Alt AtG. Auch die Veränderungssperren-Verordnung zur Sicherung der Erkundung des Salzstockes Gorleben (GorlebenVspV) wurde auf diese Vorschrift gestützt. 5.2. Regelungsinhalt einer Veränderungssperre nach § 9g AtG Nach Erlass einer Veränderungssperre dürfen wesentlich wertsteigernde oder das Vorhaben nach § 9b AtG oder die Standorterkundung erheblich erschwerende Veränderungen nicht vorgenommen werden. Es handelt sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe, wobei § 9g Abs. 1 AtG den Wortlaut von § 14 Abs. 1 Nr. 2 BauGB im Wesentlichen übernommen hat. Mit Veränderungen sind nur tatsächliche Maßnahmen gemeint.73 Eine Veränderungssperre hat für die Standorterkundung demnach zur Folge, dass sowohl obertägige Veränderungen, wie z. B. die Errichtung von Anlagen als auch untertätige Veränderungen, wie z. B. Bohrungen oder Sprengungen, vom Grundstückseigentümer nicht vorgenommen werden können.74 Die Veränderungssperre begründet für den 69 Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 80. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2010), § 9g AtG Rn. 3. 70 OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Juli 2008, AZ: 7 LC 53/05, DVBl 2008, 1391 (1396). 71 Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 80. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2010), § 9g AtG Rn. 8. 72 Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 80. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2010), § 9g AtG Rn. 8. 73 Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Kommentar, 113. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 98. Ergänzungslieferung 2011), § 14 BauGB Rn. 77. 74 Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 80. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2010), § 9g AtG Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 17 gesamten Planbereich eine Sperrwirkung.75 Es ist nicht entscheidend, ob die Veränderung sich negativ oder positiv auf das Vorhaben auswirken. Es kommt nur darauf an, ob die Veränderungen das Vorhaben in zeitlicher, finanzieller oder technischer Hinsicht erheblich erschweren.76 5.3. Verfassungsrechtliche Grundsätze für den Erlass einer Veränderungssperre Veränderungssperren stellen grundsätzlich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar.77 Inhalts- und Schrankenbestimmungen bedürfen einer Rechtfertigung . Sie müssen auf einem formellen oder materiellen Gesetz beruhen und dem Wohle der Allgemeinheit dienen, § 14 Abs. 2 GG. Insofern ist in diesem Rahmen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.78 Bei Veränderungssperren ist insbesondere zu prüfen, ob der Erlass einer Veränderungssperre im Hinblick auf die Rechtsfolgen erforderlich ist, bzw. ob nicht mildere Mittel in Betracht kommen.79 Auch die zeitliche Dauer einer Veränderungssperre spielt für die Frage der Rechtfertigung eine maßgebliche Rolle. Literatur und Rechtsprechung erachten Gesetze für Veränderungssperren als verfassungsgemäß, auch wenn diese erst nach 4 Jahren eine Entschädigung vorsehen.80 Diese Entscheidungen sind vornehmlich zum Baurecht ergangen.81 Das OVG Lüneburg hatte in seiner Entscheidung zur Gorleben-Veränderungssperre entschieden, dass der Gesetzesvorbehalt gewahrt wird, wenn die Ermächtigung zum Erlass einer Veränderungssperre in einem Parlamentsgesetz enthalten ist und durch eine Verordnung der räumliche Wirkungsbereich der Veränderungssperre festgelegt wird.82 Zudem ist bei der Festsetzung von Veränderungssperren das Bestimmtheitsgebot zu beachten. Der Wirkungsbereich der Sperrwirkung muss klar erkennbar sein. 5.4. Verfassungsmäßigkeit von Veränderungssperren im Hinblick auf die Standorterkundung Nach § 9g Abs. 1 S. 1 AtG kann eine Veränderungssperre für die Dauer von 10 Jahren erlassen werden. Der Gesetzgeber ging mit der Regelung daher weit über die 4-Jahres-Grenze hinaus. Zudem sieht das Gesetz erst nach 5 Jahren eine Entschädigung vor, § 9g Abs. 5 AtG. Das Standortauswahlverfahren bzw. die Atomendlagersuche ist aber ein Ausnahmevorhaben, das auf Jahrzehnte 75 Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, Kommentar, 12. Auflage 2014, § 14 BauGB Rn. 4. 76 Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 80. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2010), § 9g AtG Rn. 9. 77 OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Juli 2008, AZ: 7 LC 53/05, DVBl 2008, 1391 (1396). 78 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 14 Rn. 73. 79 Söfer, Das Sicherungsbedürfnis bei Veränderungssperren, in: Driehaus/Birk, Baurecht – Aktuell, Festschrift für Felix Weyreuther, 1993, S. 383. 80 BVerwGE, 51 121 (137); Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 59. Ergänzungslieferung 2010), Art. 14 Rn. 438; Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 14 Rn. 127. 81 BGH, Urteil vom 14. Dezember 1978, AZ: III ZR 77/76, NJW 1979, 653 (655). 82 OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Juli 2008, AZ: 7 LC 53/05, DVBl 2008, 1391 (1397). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 18 angelegt ist. Im Hinblick auf die Schutzpflicht des Staates und die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG sind aufwändige Vorbereitungen notwendig. Der Gesetzgeber hat daher seinen Planungsund Gestaltungsspielraum mit dieser Länge auch im Hinblick auf die Komplexität des Vorhabens wohl nicht überschritten.83 Überprüft man die Verhältnismäßigkeit von Veränderungssperren nach dem Atomgesetz nach allgemeinen Gesichtspunkten, dann ist durch die Regelung des § 9g AtG die Verhältnismäßigkeit gewahrt.84 Letztlich ist auch die Frage der Verhältnismäßigkeit bei Veränderungssperren eine Einzelabwägung aller relevanten Umstände. Im Einzelfall ist zu ermitteln, ob andere planungsrechtliche Instrumente als mildere Mittel in Frage kommen. Die Erhaltung des Status quo ist grundsätzlich für die Erkundung im Hinblick auf die Standortauswahl geeignet und erforderlich. Für das Auffinden des bestmöglichen Standortes müssen mehrere Standorte untereinander verglichen werden. Dafür kann es im Einzelfall notwendig sein, dass bestimmten Gebieten ein Veränderungsverbot auferlegt wird. Dies ist gerade auch im Hinblick auf die Offenhaltung der Standorte der Fall. Insbesondere dürfen Veränderungen nicht dazu führen, dass Erkundungen, die für das Auswahlverfahren elementar sind, erschwert werden bzw., dass durch eine konkurrierende Nutzung des Gebietes der Standort zur Endlagerung nicht mehr genutzt werden darf. Bei Veränderungen besteht zudem die Gefahr, dass die aus dem Erkundungsprozess resultierenden Daten verfälscht werden. Die Erkundung von unveränderten Standorten ist daher erforderlich, um die geeigneten Gebiete für ein Atomendlager zu ermitteln. Veränderungssperren nach § 9g AtG berücksichtigen auch in angemessener Weise den Eigentumsschutz des Einzelnen.85 So sind Ausnahmeregelungen nach Art. 9g Abs. 4 AtG für bestimmte Veränderungen möglich. Zudem können die Eigentümer nach § 9g Abs. 5 AtG entschädigt werden. Außerdem ist mit § 9g Abs. 1 S. 4 AtG der Gesetzgeber verpflichtet, die Veränderungssperre aufzuheben , wenn die Voraussetzungen entfallen. Die Festlegung eines großzügig bemessenen Planungsgebietes verstößt daher nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 6. Zusammenfassung der Ergebnisse Die vorliegenden Ausführungen haben aufgezeigt, dass Enteignungen nach dem Standortauswahlgesetz in der juristischen Literatur kontrovers diskutiert werden. Eine Enteignung ist nur zulässig, wenn sie dem Gemeinwohl dient. Das Gemeinwohl im Fall des Standortauswahlverfahrens ist die Sicherstellung der Endlagerung atomaren Abfalls. § 9d Abs. 2 S. 1 AtG lässt Enteignungen sowohl zur übertägigen als auch zur untertägigen Erkundung zu. Die Vorschrift genügt den Anforderungen an die Bestimmtheit und kann nach den vom Bundesverfassungsgericht in der Garzweiler-Entscheidung aufgestellten Grundsätzen verfassungskonform ausgelegt werden. 83 Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 80. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2010), § 9g AtG Rn. 13. 84 Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 80. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2010), § 9g AtG Rn. 13. 85 Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 80. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 68. Ergänzungslieferung 2010), § 9g AtG Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 232/14 Seite 19 Nach einer Ansicht in der Literatur bestehen bei der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtliche Bedenken. Nach der Garzweiler-Entscheidung ist eine differenzierte Prüfung der Erforderlichkeit von Enteignungen vorzunehmen. Das Enteignen und Erkunden von potentiellen Standorten ist für das Vorhaben – das Auffinden eines bestmöglichen Standortes zur Lagerung von Atommüll – unverzichtbar. Zudem ist das Vorhaben für das Gemeinwohl (die Sicherstellung der Endlagerung von atomaren Abfall) vernünftigerweise geboten. Es bleibt aber fraglich, ob die Auferlegung einer Duldungspflicht nicht als milderes Mittel gleich geeignet ist, das Gemeinwohl zu erreichen. Eine Gesamtabwägung aller Einzelfallumstände wirft die Frage auf, ob durch eine Legalplanung der Rechtsschutz im Hinblick auf Art. 14 GG zu Unrecht verkürzt wird. Das Bundesverfassungsgericht fordert für eine Planung in Gesetzesform triftige Gründe. Ob ein triftiger Grund für eine Legalplanung im Fall des Standortauswahlverfahrens vorliegt, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt . Folgt man der Ansicht, dass die im Zusammenhang mit der Standortentscheidung betroffenen hochrangigen Verfassungsgüter einen triftigen Grund für die Legalplanung darstellen, so greift das Argument des verkürzten Rechtsschutzes nicht. Grundrechtseingriffe aufgrund von statischen Verweisungen sind grundsätzlich zulässig, wenn die Verweisungsnorm nicht zu kompliziert ausgestaltet ist. Verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Verweisungstechnik in § 12 Abs. 2 S. 4 StandAG in Bezug auf die §§ 9d – 9g AtG bestehen daher nicht. § 9g Abs. 1 S. 1, 2. Alt AtG ist die Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung von Veränderungssperren zur Offenhaltung von Standorten vor dem Standortauswahlverfahren. Veränderungssperren sind als planungsrechtliches Instrument am Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen. Sie müssen insbesondere erforderlich sein. Auch die Dauer der Sperrwirkung ist ein wesentliches Kriterium zur Bemessung der Verfassungsmäßigkeit einer Veränderungssperre. Zwar sieht § 9g Abs. 5 AtG eine Entschädigung erst nach 5 Jahren vor. Der Gesetzgeber hat aber im Hinblick auf das Ausnahmevorhaben der Atomendlagerung mit dieser Regelung seinen Gestaltungsspielraum wohl nicht überschritten. Zudem dürfte die Festsetzung von Veränderungssperren zur Offenhaltung von Standorten auch im Übrigen als verhältnismäßig einzustufen sein.