© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 231/20 Regelungen zum Mindestalter für das aktive und passive Wahlrecht in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 231/20 Seite 2 Regelungen zum Mindestalter für das aktive und passive Wahlrecht in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 231/20 Abschluss der Arbeit: 12. November 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 231/20 Seite 3 1. Einleitung Gefragt wurde nach dem Mindestalter für das aktive und passive Wahlrecht in den EU-Mitgliedstaaten . Ferner wird nach der Begründung bei einem Auseinanderfallen des Mindestwahlalters hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechts gefragt. 2. Wahl- und Wählbarkeitsalter in Deutschland In Art. 38 Abs. 2 Grundgesetz (GG) heißt es: „Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“ Art. 38 Abs. 2 GG gilt nur für die Wahlen zum Deutschen Bundestag, er gilt nicht für Landtagswahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament.1 Die aktive Wahlberechtigung umfasst die Stimmabgabe und das Wahlvorschlagsrecht. Sie beginnt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Die passive Wahlberechtigung besteht in dem Recht, zum Bundestag gewählt werden zu können.2 Sie ist an den Eintritt der Volljährigkeit geknüpft. Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein, § 2 BGB. Am 18. Juni 1970 beschloss der Bundestag ohne Gegenstimmen eine Grundgesetzänderung3, mit der das Wahlalter von 21 Jahren auf 18 Jahre herabgesenkt und das Wählbarkeitsalter an das Volljährigkeitsalter (zu dem Zeitpunkt 21 Jahre) gebunden wurde. Befürworter der Absenkung des Wahlalters argumentierten, dass 18- bis 21-Jährige bereits verantwortlich im Berufsleben stünden und junge Männer mit 18 zum Wehrdienst eingezogen würden. Die junge Generation würde so frühzeitig an die politische Mitentscheidung und Mitbestimmung herangeführt. Wiederum sollte mit der Verknüpfung des Wählbarkeitsalters an das Erreichen der Volljährigkeit gewährleistet werden, dass die nötige Reife für die Wahrnehmung der Aufgaben eines Abgeordneten gegeben ist. Die Frage einer weitergehenden Herabsetzung der Altersgrenze für den Eintritt der Volljährigkeit auf das 18. Lebensjahr wurde diskutiert, dazu konnte aber keine Einigkeit erzielt werden.4 1972 wurde auch das Bundeswahlgesetz5 an die geänderte Verfassungslage angepasst. 1974 befasste sich der Bundestag mit der Neuregelung des Volljährigkeitsalters und beschloss die Absenkung des Volljährigkeitsalters vom 21. Lebensjahr auf das 18. Lebensjahr6. Durch die Neuregelung des Volljährigkeitsalters sollte der „zu beobachtenden Akzeleration in der persönlichen 1 Butzer, in: BeckOK GG, 44. Edition, Stand: 15.8.2020, Art. 38 Rn. 111. 2 Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 38 Rn. 184. 3 27. Gesetz zur Änderung des GG vom 31.7.1970, BGBl. 1970 I, 1161. 4 BT-PlPr 6/60, S. 3280B. 5 Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3.7.1972, BGBl. I 62 S. 1061. 6 Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31.7.1974, BGBl. I 87 S. 1713. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 231/20 Seite 4 Entwicklung“ der jungen Generation Rechnung getragen werden.7 Das Gesetz trat am 1. Januar 1975 in Kraft. Seitdem sind Wahl- und Wählbarkeitsalter einheitlich an die Vollendung des 18. Lebensjahres geknüpft. 3. Regelungen zum Wahl- und Wählbarkeitsalter in den EU-Mitgliedstaaten Die nachfolgenden Informationen zum Wahl- und Wählbarkeitsalter in den EU-Mitgliedstaaten beruhen auf Antworten aus den Parlamenten. Mitgliedstaat Wahlalter Wählbarkeitsalter Belgien 18 Jahre 18 Jahre Bulgarien 18 Jahre 21 Jahre Dänemark 18 Jahre 18 Jahre Estland 18 Jahre 21 Jahre Finnland 18 Jahre 18 Jahre Frankreich 18 Jahre 18 Jahre Griechenland 17 Jahre 25 Jahre Irland 18 Jahre 21 Jahre Kroatien 18 Jahre 18 Jahre Lettland 18 Jahre 21 Jahre Litauen 18 Jahre 25 Jahre Luxemburg 18 Jahre 18 Jahre Niederlande 18 Jahre 18 Jahre Österreich 16 Jahre 18 Jahre Polen 18 Jahre 21 Jahre Portugal 18 Jahre 18 Jahre Rumänien 18 Jahre 23 Jahre Slowakei 18 Jahre 21 Jahre Slowenien 18 Jahre 18 Jahre Spanien 18 Jahre 18 Jahre Ungarn 18 Jahre 18 Jahre Zypern 18 Jahre 21 Jahre 7 BT-Drs. 7/117, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 231/20 Seite 5 In den EU-Mitgliedstaaten Bulgarien, Estland, Irland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei und Zypern sind Wahl- und Wählbarkeitsalter unterschiedlich geregelt. Folgende EU-Mitgliedstaaten haben das Auseinanderfallen von Wahl- und Wählbarkeitsalter erläutert: Gemäß der Verfassung der Republik Estland (verabschiedet im Riigikogu am 28.6.1992) ist jeder Bürger Estlands, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, wahlberechtigt (§ 57). Jeder Staatsbürger Estlands, der das 21. Lebensjahr vollendet hat und wahlberechtigt ist, kann an der Wahl des Riigikogu teilnehmen (§ 60). Die Absenkung des Alters für das aktive und passive Wahlrecht bei Parlamentswahlen wird immer wieder diskutiert. Zuletzt war dies im Jahr 2015 der Fall, als die vom Riigikogu verabschiedete Verfassungsänderung den 16- und 17-Jährigen das Wahlrecht bei den estnischen Kommunalwahlen einräumte. Eine Änderung für die Wahlen zum Riigikogu wurde aber bislang nicht für notwendig erachtet. In der Verfassung Irlands ist das Alter für das aktive und passive Wahlrecht bei nationalen Wahlen verankert. Bis 1972 waren beide auf 21 Jahre festgelegt. 1967 hatte der für die Verfassung zuständige Ausschuss im Parlament empfohlen, das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen. 1967 wurde nach einem Referendum das Wahlalter auf 18 Jahre herabgesetzt, um der Reife der 18-Jährigen Rechnung zu tragen, insbesondere in Bezug auf Steuerzahlungen, Heirat und den Eintritt in die Armee. Bereits vor dem Referendum gab es einen politischen Konsens in dieser Frage. 2010 empfahl der für die Verfassung zuständige Ausschuss die Herabsetzung des Wahlalters auf 17 Jahre. Ein 2013 durchgeführter Verfassungskonvent empfahl die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Aufgrund dieser Empfehlung hatte die letzte Regierung ein Referendum über die Herabsetzung des Alters auf 16 Jahre in Aussicht gestellt, das jedoch nie durchgeführt wurde. In der aktuellen Regierung wird eine Herabsetzung des Wahlalters auf 17 Jahre erneut in Erwägung gezogen. Das Alter für eine Kandidatur bei nationalen Wahlen wurde mehrfach erörtert, es gab aber keine ernsthaften Vorschläge, das Alter auf 18 Jahre zu senken. 1996 kam eine Gruppe zur Überprüfung der Verfassung zu dem Ergebnis, dass das Alter der Kandidaten bei 21 Jahren bleiben sollte, wobei sie argumentierten , dass „Personen mehr Erfahrung haben sollten, bevor sie sich für das Amt eines öffentlichen Vertreters qualifizieren, als für die Stimmabgabe erforderlich ist“. Der für die Verfassung zuständige Parlamentsausschuss hatte 2010 das Wählbarkeitsalter nicht berücksichtigt, ebenso wenig wie der Verfassungskonvent 2013. Laut dem Sekretär der Zentralen Wahlkommission Lettlands gilt für das Wählbarkeitsalter der Grundsatz, dass – anders als beim Wahlalter – für eine Kandidatur für das Nationalparlament mehr Reife erforderlich ist. In Litauen sind Wahl- und Wählbarkeitsalter in der Verfassung der Republik Litauen geregelt. Derzeit werden im Seimas Änderungen der Verfassung erwogen und eine Herabsetzung des Wahlalters von 25 auf 21 Jahre diskutiert. In Österreich sind Wahl- und Wählbarkeitsalter für den Nationalrat unterschiedlich. Schon das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 sah ein unterschiedliches Wahl- und Wählbarkeitsalter vor (20 und 24 Jahre). Mit Ausnahme der Novelle 1929 wurde das Wahl- und Wählbarkeitsalter sukzessive gesenkt. Die geltende Rechtslage geht auf die Wahlrechtsreform 2007 zurück. Die Volljährigkeit wird in Österreich seit 2001 mit Erreichen des 18. Lebensjahres erreicht. Volljährigkeitsalter und passives Wahlalter sind also seit der Wahlrechtsreform 2007 identisch. Für ein höheres Wählbar- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 231/20 Seite 6 keitsalter als das Wahlalter spricht u.a., dass die Wählbarkeit zum Nationalrat auch eine Voraussetzung ist, um Mitglied der Bundesregierung werden zu können. Dies steht in Zusammenhang mit der staats-, zivil- und strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Regierungsmitglieder. Auch in der Slowakei sind Wahl- und Wählbarkeitsalter (18 und 21 Jahre) unterschiedlich. Bereits die erste tschechoslowakische Verfassung von 1920 sah einen Unterschied im gesetzlichen Alter für das aktive (21 Jahre) und passive Wahlrecht (30 Jahre) vor. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das gesetzliche Alter auf 18 Jahre für das aktive und 21 Jahre für das passive Wahlrecht herabgesetzt. Ein Grund für den Unterschied im gesetzlichen Alter wird in der slowakischen Verfassung oder der slowakischen Gesetzgebung nicht erwähnt. Es wird davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung der neuen slowakischen Verfassung im Jahre 1992 und der Festlegung des gesetzlichen Mindestalters der Verfassungstradition und den internationalen Standards in den meisten europäischen Ländern folgte. Zu beachten ist auch, dass für zahlreiche Positionen im öffentlichen Bereich bzw. in der Verwaltung das Erfordernis der „Erfahrung“ gilt – festgelegt durch das gesetzliche Mindestalter und/oder eine Anzahl von Jahren Berufspraxis. Diese „Erfahrung“ wird auch für Kandidaten für den Nationalrat der Slowakischen Republik als erforderlich gesehen. Dass in Zypern Wahl- und Wählbarkeitsalter auseinanderfallen, beruht auf einer politischen Entscheidung , die die türkische Besetzung der Hälfte des Territoriums der Republik Zyperns seit 1974 berücksichtigt. Danach ist jeder männliche Staatsbürger unmittelbar nach Abschluss der Sekundarschule – ungefähr im Alter von 18/19 Jahren – verpflichtet, einen Militärdienst mit einer Dauer von 14 Monaten zu leisten (der von 26 Monaten herabgesetzt wurde). Daher wäre es für junge Menschen beider Geschlechter, die sich zur Wahl stellen wollen, sowohl unpraktisch als auch diskriminierend , wenn das Alter bei der Wahl und bei der Kandidatur dasselbe wäre. ***