© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 231/15 Extraterritoriale Asylverfahren für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 2 Extraterritoriale Asylverfahren für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 231/15 Abschluss der Arbeit: 14.10.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Sichere Herkunftsstaaten 4 3. Verlagerung der Asylverfahren in sichere Herkunftsstaaten 5 3.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben zum Verfahren 5 3.2. Verstoß gegen vorläufiges Bleiberecht (Art. 16a Abs. 1 GG) 7 4. Kein vorläufiges Bleiberecht zur Durchführung von Rechtsschutzverfahren 9 4.1. Rechtsschutzmöglichkeiten 9 4.2. Anwendbarkeit des Art. 16a Abs. 2 S. 3 GG? 10 4.3. Verstoß gegen Art. 16a Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 1 GG 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 4 1. Einleitung Zur Verlagerung des Asyl- und Flüchtlingsschutzes auf das Gebiet von Drittstaaten werden verschiedene Maßnahmen diskutiert.1 Grob kann man zwischen Maßnahmen unterscheiden, die in Drittstaaten lediglich Schutz und Beratung für Asylsuchende ermöglichen sollen und solchen, die die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten betreffen. Ferner können bilaterale Maßnahmen mit Drittstaaten in Betracht gezogen werden oder solche unter dem Dach der Europäischen Union oder anderen internationalen Organisationen.2 Vorliegend geht es um eine bilaterale Verlagerung der Asylverfahren von Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten in ihre Heimatstaaten . Erwogen wird, dass die Asylantragstellung und Durchführung der Asylverfahren in den sicheren Herkunftsstaaten durch die deutschen Auslandsvertretungen erfolgen könnte und bei Bedarf eine sichere Unterkunft zu stellen wäre. Für den Fall, dass ein solches extraterritoriales Asylverfahren in sicheren Herkunftsstaaten nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soll geprüft werden, ob die Gruppe der Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten nach einer ablehnenden Asylentscheidung unverzüglich abgeschoben und darauf verwiesen werden könnten, ihre Rechtsschutzverfahren vom Gebiet ihres Heimatstaates aus zu führen. Erwogen wird in diesem Zusammenhang, dass die Rechtsschutzverfahren über die deutschen Auslandsvertretungen betrieben werden könnten und bei Bedarf bis zum Abschluss der Rechtsschutzverfahren eine sichere Unterkunft in dem sicheren Herkunftsstaat bereitzustellen wäre. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen allein auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hin überprüft werden.3 2. Sichere Herkunftsstaaten Nach Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG können durch Gesetz Staaten bestimmt werden, bei denen aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Ziel der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten ist die Entlastung von Behörden und Gerichten durch die Beschleunigung von solchen Asylverfahren, die die Annahme begründen, dass sie in der Regel aussichtslos sind. Eine Widerlegung der Vermutung der Verfolgungssicherheit im Einzelfall bleibt aber nach Art. 16a Abs. 3 S. 2 GG ausdrücklich möglich, ohne Widerlegung wird der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat nach 1 Vgl. Wissenschaftliche Dienste, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Asylverfahren in Drittstaaten (WD 3 - 3000 - 058/15). 2 Zu extraterritorialen Asylverfahren unter der Verwaltungskompetenz der Europäischen Union vgl. Wissenschaftliche Dienste, Extraterritoriale Verwaltungskompetenzen der Europäischen Union für Asylverfahren (WD 3 - 3000 - 066/15). 3 Die Vorschläge werfen darüber hinaus völker- und europarechtliche Fragen auf, z.B. hinsichtlich der Einräumung der erforderlichen Befugnisse durch die Drittstaaten zum Betreiben von Aufnahme- und Schutzeinrichtungen oder mögliche Abweichungen von der EU-Verfahrensrichtlinie (RL/2013/32/EU) bei Anträgen auf Gewährung internationalen Schutzes einschließlich der Flüchtlingsanerkennung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 5 § 29a Abs. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt.4 Neben der materiell-rechtlichen Vermutungswirkung der Verfolgungssicherheit entfaltet die sichere Herkunftsstaatenregelung auch aufenthalts- und prozessrechtliche Wirkungen: Nach Art. 16a Abs. 4 GG wird die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten nur ausgesetzt, wenn das Gericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen hat. Die sichere Herkunftsstaatenregelung des Art. 16 Abs. 3 GG ist nicht zu verwechseln mit der sicheren Drittstaatenregelung des Art. 16 Abs. 2 GG. Nach Art. 16a Abs. 2 GG schließt die Einreise aus einem sicheren Drittstaat, darunter fallen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Norwegen und die Schweiz (Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a Abs. 2 i.V.m. Anlage I zu § 26a AsylVfG), eine Berufung auf das Asylgrundrecht von vornherein aus.5 Im Gegensatz dazu erschwert die sichere Herkunftsstaatenregelegung „lediglich“ die Geltendmachung des Asylgrundrechts, indem u.a. die Vermutung der Verfolgungssicherheit widerlegt werden muss. Zu den sicheren Herkunftsstaaten gehören nach der Anlage II zu § 29a AsylVfG Bosnien und Herzegowina, Ghana, Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik, Senegal und Serbien.6 3. Verlagerung der Asylverfahren in sichere Herkunftsstaaten 3.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben zum Verfahren Bei der Durchführung von extraterritorialen Asylverfahren in sichere Herkunftsstaaten wären nach Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte zu beachten. Die Geltung der Grundrechte ist nicht auf das Territorium der Bundesrepublik beschränkt, sondern knüpft an die Ausübung von staatlicher Gewalt an.7 Im Hinblick auf die Ausgestaltung des Verfahrens wären die aus Art. 16a Abs. 1 GG folgenden verfahrensrechtlichen Anforderungen sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG zu beachten. Als Richtschnur für die dabei einzuhaltenden Mindestanforderungen kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Flughafenverfahren dienen.8 Diese hatte die Regelung des § 18a AsylVfG zum Gegenstand, wonach Asylverfahren bei der Einreise über den Luftweg vor der Einreise in die Bundesrepublik durchzuführen sind mit der Folge, dass die Asylbewerber während des Verfahrens im Transitbereich zu verbleiben haben. Insoweit besteht eine gewisse strukturelle Vergleichbarkeit zur Durchführung von Asylverfahren außerhalb des Bundesgebiets. 4 Die im Rahmen des Asylgrundrechts vorgesehene sichere Herkunftsstaatenregelung findet auch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Anwendung, die mit dem Asylantrag begehrt wird (§ 13 Abs. 2 AsylVfG); vgl. dazu nur jüngst VG Saarlouis, Urt. V. 25.6.2015, Az.: GSW3 K 933/14. 5 Die Drittstaatenregelung beschränkt insoweit den persönlichen Geltungsbereich des Asylgrundrechts, vgl. BVerfGE 94, 49, 87. 6 Nach dem jüngsten Gesetzentwurf zur Änderung des AsylVfG sollen ferner Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden, vgl. BT-Drs. 18/6185, 10 f. 7 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG (6. Aufl., 2012), Rn. 53 zu Art. 1. 8 BVerfGE 94, 166. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 6 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfordert Art. 16a Abs. 1 GG, dass die Geltendmachung der grundrechtlichen Gewährleistung „sachgerecht, geeignet und zumutbar“ ist.9 Dem Gesetzgeber komme bei der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der aber „elementare, unverzichtbare Verfahrensanforderungen“ zu beachten habe.10 Unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber verfolgten Interessen, unberechtigte Asylbegehren möglichst schnell zurückzuweisen, und der auf der anderen Seite bestehenden besonderen Schwierigkeiten der Asylbewerber, ihr Asylgesuch trotz der Sprachschwierigkeiten, fehlender Rechtskenntnis und sonstiger Belastungen geltend zu machen, hat das Bundesverfassungsgericht für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Asylgrundrechts folgende Leitlinien aufgestellt: „Sowohl bei der Wahl des Zeitpunkts der Anhörung, auf deren Grundlage das Bundesamt über den Antrag entscheidet, als auch bei der erforderlichen Vorbereitung des Antragstellers auf die Anhörung und bei deren Durchführung ist auf seine physische und psychische Verfassung Rücksicht zu nehmen. Ferner ist – soweit möglich – alles zu vermeiden, was zu Irritationen und in deren Gefolge zu nicht hinreichend zuverlässigem Vorbringen in der Anhörung beim Bundesamt führen kann. Auch im Übrigen ist – etwa in Bezug auf den Einsatz hinreichend geschulten und sachkundigen Personals und zuverlässiger Sprachmittler oder die Art der Unterbringung der Asylbewerber während des Verfahrens – auf die Schaffung von Rahmenbedingungen Bedacht zu nehmen, unter denen tragfähige Entscheidungsgrundlagen erzielt und die Asylantragsteller vollständige und wahrheitsgetreue Angaben machen können.“11 Ausgehend von diesen Leitlinien hatte das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Flughafenverfahrens keine verfassungsrechtlichen Bedenken.12 Bei der Durchführung von Asylverfahren in sicheren Herkunftsstaaten müssten diese Mindestanforderungen ebenfalls zur Anwendung kommen. Insofern wären nicht nur die verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Einrichtungen, in denen die extraterritorialen Asylverfahren durchgeführt werden sollen, müssten auch über eine entsprechende personelle und räumliche Ausstattung verfügen, die die Durchführung der Verfahren sowie die Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden gewährleistet. Für den gerichtlichen Rechtsschutz und das dabei zu beachtende Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Vorkehrungen, die „die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes nicht durch die obwaltenden Umstände (insbesondere Abgeschlossensein des asylsuchenden Ausländers im Transitbereich, besonders kurze Fristen, Sprachunkundigkeit) unzumutbar erschweren oder vereiteln“.13 In 9 BVerfGE 94, 166, 200. 10 BVerfGE 94, 166, 200. 11 BVerfGE 94, 166, 202. 12 BVerfGE 94, 166, 202 ff. 13 BVerfGE 94, 166, 206. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 7 diesem Sinne ist durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass der Asylbewerber in die Lage versetzt wird, gerichtlichen Rechtsschutz wahrzunehmen, insbesondere durch die Bereitstellung kostenloser asylrechtskundiger und unabhängiger Beratung.14 Übertragen auf die Konstellation der extraterritorialen Asylverfahren bedeutet dies, dass Zugang zu unabhängig beratenden Personen oder Stellen (ggf. Menschenrechtsorganisationen) ermöglicht werden müsste, die bei der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes helfen. Die Einhaltung dieser verfahrensrechtlichen Bedingungen in sicheren Herkunftsstaaten erscheint nicht ausgeschlossen, wenn entsprechende Einrichtungen geschaffen werden. Die personelle und räumliche Ausstattung der deutschen Auslandsvertretungen müsste insoweit angepasst werden. 3.2. Verstoß gegen vorläufiges Bleiberecht (Art. 16a Abs. 1 GG) Die Flughafenregelung und die Durchführung von Asylverfahren in sicheren Herkunftsstaaten sind zwar im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung vergleichbar, ein wesentlicher Unterschied besteht aber darin, dass das Flughafenverfahren im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik stattfindet – wenn auch im Transitbereich – und das extraterritoriale Asylverfahren im Hoheitsgebiet der sicheren Herkunftsstaaten. Auch die Räumlichkeiten von deutschen Auslandsvertretungen in Drittstaaten sind kein deutsches Hoheitsgebiet.15 Extraterritoriale Asylverfahren in sicheren Drittstaaten würden demnach kein vorläufiges Bleiberecht im Bundesgebiet gewährleisten. Nach dem vorliegenden Vorschlag sollen Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten dazu verpflichtet sein, die Asylverfahren in ihrem Heimatstaat durchzuführen. Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten , die das Bundesgebiet gleichwohl erreichen, müssten zur Durchführung der Asylverfahren wieder in ihren Heimatstaat reisen, so dass auch ihnen ein vorläufiges Bleiberecht im Bundesgebiet zur Durchführung der Asylverfahren versagt bliebe. Fraglich ist, ob dieser Ausschluss des vorläufigen Bleiberechts im Bundesgebiet mit Art. 16a Abs. 1 GG vereinbar ist. Der Gewährleistungsinhalt von Art. 16a GG bezieht sich nicht nur auf den Schutz der Asylberechtigten , sondern auch auf den Schutz der Asylbewerber. Das Asylgrundrecht gewährleistet denjenigen, die in Deutschland um Asyl nachsuchen, Schutz vor Zurückweisung an der Grenze und vor Abschiebung in den Verfolgerstaat.16 Daraus folgt die Gewährung eines vorläufigen Bleiberechts grundsätzlich bis zur Bestandskraft der Asylentscheidung.17 In einer Entscheidung zur sofortigen Vollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Anschluss an eine negative Asylentscheidung erläuterte das Bundesverfassungsgericht das vorläufige Bleiberecht wie folgt: „Die Vorschrift [erg. des § 11 Abs. 1 AsylVfG zum Verfahren bei offensichtlicher Unbegründetheit eines Asylantrages] will dem Bundesamt, […], die Maßstäbe dafür an die Hand geben, wenn es eine - die vorzeitige Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers 14 BVerfGE 94, 166, 206 f. 15 Vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG (Stand: Mai 2015), Rn. 17 zu Art. 16a. 16 Randelzhofer, Asylrecht, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts VII (3. Aufl., 2009), § 153 Rn. 66. 17 BVerfGE 80, 68, 73 f.; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG (6. Aufl., 2012), Rn. 27 zu Art. 16a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 8 ermöglichende - besonders deutliche Ablehnungsentscheidung zu treffen hat. Dieser Sinn des § 11 Abs. 1 AsylVfG erfordert es, dass das Bundesamt seine Entscheidung über die Frage der ‚offensichtlichen‘ Unbegründetheit an dem vorläufigen Bleiberecht ausrichtet, das Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich jedem Asylbewerber bis zum unanfechtbaren (negativen) Abschluss seines Asylverfahrens gewährleistet; das vorläufige Bleiberecht schließt es für den geschützten Asylbewerber insbesondere aus, dass er gegen seinen Willen vorzeitig außer Landes – etwa gar in das Land der behaupteten Verfolgung – gebracht wird […].“18 Die zulässigen Beschränkungen des vorläufigen Bleiberechts sind in Art. 16a GG geregelt. Nach Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG scheidet eine Berufung auf das Asylgrundrecht bei Einreise aus einem sicheren Drittstaat aus. Mangels Grundrechtsberechtigung entfällt auch das „als Vorwirkung eines grundrechtlichen Schutzes gewährleistete vorläufige Bleiberecht“.19 Man könnte daher erwägen, die hier vorgeschlagene Asylantragstellung und sichere Unterbringung in den sicheren Herkunftsstaaten in das Konzept der sicheren Drittstaaten zu integrieren, um damit eine Berufung auf das Asylgrundrecht und ein vorläufiges Bleiberecht auszuschließen. Voraussetzung für die Qualifizierung sicherer Drittstaaten ist nach Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG, dass die „Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist“. Eine Sicherstellung in diesem Sinne erscheint innerhalb der für die Durchführung der Asylverfahren und schutzgewährenden Einrichtungen in den sicheren Herkunftsstaaten nicht ausgeschlossen, soweit die betroffenen Herkunftsstaaten sich völkerrechtlich verpflichten, die Schutzbereiche zu achten. Das Konzept der sicheren Drittstaaten nach Art. 16a Abs. 2 GG bezieht sich aber nicht auf Einrichtungen in Drittstaaten, sondern auf die Drittstaaten selbst. Ausdrücklich sieht Art. 16a Abs. 2 S. 2 GG vor, dass „die Staaten“ durch Gesetz als sichere Drittstaaten zu bestimmen sind. Die Qualifizierung von sicheren Einrichtungen in Drittstaaten als sichere Drittstaaten lässt Art. 16a Abs. 2 S. 2 GG damit nicht zu. Auch der Völkervertragsvorbehalt in Art. 16a Abs. 5 GG, der die Verdrängung der Gewährleistungen aus Art. 16a Abs. 1 GG ermöglicht, deckt den mit den extraterritorialen Asylverfahren verbundenen Ausschluss des vorläufigen Bleiberechts nicht. Der Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 5 GG ist nämlich schon insoweit beschränkt, als er nur völkerrechtliche Verträge erfasst, die „Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen“ mit Drittstaaten20 zum Gegenstand haben. Vorliegend geht es aber nicht um Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren zwischen Staaten, wie es z.B. beim 18 BVerfGE 67, 43, 56 (Hervorhebung nicht im Original). 19 BVerfGE 94, 49, 87. 20 Dabei kommen als Vertragsstaaten nur Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europarates in Betracht, v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG (6. Aufl., 2012), Rn. 57, 59 zu Art. 16a Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 9 Dublin-Abkommen der Fall ist,21 sondern um die Wahrnehmung einer deutschen Asylzuständigkeit in einem sicheren Herkunftsstaat. Schließlich folgt aus Art. 16a Abs. 4 GG, dass Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten nicht von vornherein vom vorläufigen Bleiberecht ausgeschlossen sind. Vielmehr regelt Art. 16a Abs. 4 GG die sofortige Vollziehbarkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber abgelehnten Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten und setzt damit ein vorläufiges Bleiberecht bis zur behördlichen Entscheidung gerade voraus. Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang auch nicht von einem verfassungsrechtlichen Ausschluss des vorläufigen Bleiberechts, sondern führt aus: „Art. 16a Abs. 4 GG nimmt bei eindeutig aussichtslosen Asylanträgen das im Asylgrundrecht wurzelnde Recht des Asylbewerbers, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben, ein Stück weit zurück“.22 Das vorläufige Bleiberecht aus Art. 16a Abs. 1 GG gilt damit auch für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten, und zwar uneingeschränkt bis zur behördlichen Entscheidung. Einfachgesetzliche Regelungen, die Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten dazu verpflichten, ihre Asylverfahren ausschließlich in ihrem Heimatstaat durchzuführen, wären mit dem vorläufigen Bleiberecht aus Art. 16a Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren.23 4. Kein vorläufiges Bleiberecht zur Durchführung von Rechtsschutzverfahren Fraglich ist, ob der Alternativvorschlag zu extraterritorialen Asylverfahren in sicheren Herkunftsstaaten , nämlich der Ausschluss des vorläufigen Bleiberechts für die Dauer der Rechtsschutzverfahren , mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Danach sollen im Bundesgebiet abgelehnte Asylbewerber unverzüglich nach der behördlichen Entscheidung abgeschoben und darauf verwiesen werden, ihre Rechtsschutzverfahren vom Gebiet ihres Heimatstaates aus zu führen, ggf. unter Bereitstellung einer sicheren Unterkunft. 4.1. Rechtsschutzmöglichkeiten Die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen ablehnende Asylentscheidungen sind nach jetziger Rechtslage bereits begrenzt. Nach § 11 AsylVfG findet ein Widerspruchsverfahren gegen Maßnahmen und Entscheidungen nach dem Asylverfahrensgesetz nicht statt. Darüber hinaus sind die Möglichkeiten des gerichtlichen Rechtsschutzes für abgelehnte Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten eingeschränkt. Wurden ihre Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt (§ 29a Abs. 1 AsylVfG), entfalten dagegen (und zugleich gegen Abschiebungsandrohungen) gerichtete Klagen keine aufschiebende Wirkung (§ 75 AsylVfG), so dass die Aufenthaltsbeendigung nur durch einstweiligen Rechtsschutz abgewendet werden kann. Aber auch der einstweilige Rechtsschutz 21 Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags v. 15.6.1990, BGBl. 1994 III, 792, später überführt in die Dublin-Verordnung (VO [EU] Nr. 604/2013). 22 BVerfGE 94, 166 (Hervorhebung nicht im Original). 23 Zur Möglichkeit, extraterritoriale Asylverfahren in Drittstaaten als ergänzende Verfahren zu installieren, die das vorläufige Bleiberecht aus Art. 16a Abs. 1 GG nicht beeinträchtigen vgl. Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 5 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 10 ist nach Art. 16a Abs. 4 S. 1 GG eingeschränkt: Die sofortige Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann nur ausgesetzt werden, wenn „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen“.24 Die genannten Beschränkungen führen schon nach derzeitiger Rechtslage dazu, dass abgelehnte Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten während ihrer Rechtsschutzverfahren nur noch ausnahmsweise ein vorläufiges Bleiberecht haben, nämlich für die Dauer des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens selbst und nur bei Erfolg desselben bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Scheitert der einstweilige Rechtsschutz, sind die mit der ablehnenden behördlichen Entscheidung einhergehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (§ 34 AsylVfG) zu vollziehen und das gerichtliche Verfahren in der Hauptsache kann nur noch vom Ausland aus betrieben werden. Soll das vorläufige Bleiberecht während der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes noch weiter eingeschränkt werden, müsste man die Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes selbst abschaffen. 4.2. Anwendbarkeit des Art. 16a Abs. 2 S. 3 GG? Einen gewissen Vorbildcharakter für den völligen Ausschluss eines vorläufigen Bleiberechts für die Dauer von Rechtsschutzverfahren könnte das sichere Drittstaatenkonzept entfalten: Nach Art. 16a Abs. 2 S. 3 GG „können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden“. Danach kann der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch nicht durch eine einstweilige gerichtliche Entscheidung ausgesetzt werden – den Betroffenen bleibt allein die Wahrnehmung gerichtlichen Rechtsschutzes vom Ausland aus.25 Gegen die damit verbundenen Einschränkungen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) hat das Bundesverfassungsgerichts keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da die Betroffenen in sichere Drittstaaten verbracht werden: „Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG enthält eine Sonderregelung für das Verfahren der Aufenthaltsbeendigung nach Einreise aus einem sicheren Drittstaat. Damit wird Art. 19 Abs. 4 GG modifiziert. Ob die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze ein rechtsstaatliches Prinzip individuellen Rechtsschutzes, das in Art. 19 Abs. 4 GG konkretisiert ist, für unabänderlich erklären (vgl. BVerfGE 30, 1 [39 ff.]), kann offen bleiben. Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG berührt einen solchen Grundsatz jedenfalls nicht. Dies gilt zumal im Hinblick darauf, dass der Ausländer zwar ohne vorgängige Prüfung durch eine weitere Kontrollinstanz sofort in den sicheren Drittstaat zurückverbracht wird, dieser Maßnahme aber eine normative Vergewisserung über die Sicherstellung der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in dem Drittstaat vorangegangen ist.“26 Wie oben bereits ausgeführt, besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen dem sicheren Drittstaatenkonzept nach Art. 16a Abs. 2 GG und dem sicheren Herkunftsstaatenkonzept nach Art. 16a Abs. 3 GG. Nach der sicheren Drittstaatenregelung gemäß Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG ist 24 Siehe dazu auch BVerfGE 94, 166, 190. 25 Vgl. Will, in: Sachs, GG (7. Aufl., 2014), Rn. 82 zu Art. 16a. 26 BVerfGE 94, 49, 104 (Hervorhebung nicht im Original). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 11 schon eine Berufung auf das Asylgrundrecht ausgeschlossen, so dass die Betroffenen ein vorläufiges Bleiberecht aus Art. 16a Abs. 1 GG von vornherein nicht geltend machen können. Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten hingegen können sich auf das Asylgrundrecht berufen – sie müssen allerdings die Vermutung der Verfolgungssicherheit widerlegen. Dementsprechend konstatiert das Bundesverfassungsgericht, dass der Ausschluss des vorläufigen Bleiberechts nach Art. 16a Abs. 2 S. 3 GG nur im Rahmen des sicheren Drittstaatenkonzepts Anwendung findet: „Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG gilt nach Wortlaut und Sinnzusammenhang nicht, wenn der Ausländer nicht in einen sicheren Drittstaat sondern in seinen Herkunftsstaat zurückgewiesen oder zurückverbracht werden soll. Nur für den Drittstaat hat sich der Gesetzgeber – bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften der verfassungsändernde Gesetzgeber – vergewissert, dass der Ausländer dort Schutz vor politischer Verfolgung finden kann. Erst auf der Grundlage dieser Vergewisserung ist es gerechtfertigt, den Ausländer alsbald und unabhängig von einem gegen die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eingelegten Rechtsbehelf in den Drittstaat zurückzubringen und so die Lasten, die mit der großen Zahl von Asylanträgen in der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, in sofort wirksam werdender Weise zu verteilen.“27 4.3. Verstoß gegen Art. 16a Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 1 GG Da die sichere Drittstaatenregelung gemäß Art. 16a Abs. 2 S. 3 GG im Rahmen der sicheren Herkunftsstaatenregelung des Art. 16a Abs. 4 S. 1 GG nicht anwendbar ist, gilt für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten das vorläufige Bleiberecht aus Art. 16a Abs. 1 GG, das „grundsätzlich jedem Asylbewerber bis zum unanfechtbaren (negativen) Abschluss seines Asylverfahrens gewährleistet “ wird.28 Eine Einschränkung hat das vorläufige Bleiberecht aus Art. 16a Abs. 1 GG durch die Regelung in Art. 16a Abs. 4 S. 1 GG erfahren, wonach nur noch „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung dazu führen können, dass das Gericht den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen im einstweiligen Verfahren aussetzt. Das Bundesverfassungsgericht beschreibt die Einschränkung des vorläufigen Bleiberechts durch Art. 16a Abs. 4 S. 1 GG – wie oben bereits erwähnt – wie folgt: „Art. 16a Abs. 4 GG nimmt bei eindeutig aussichtslosen Asylanträgen das im Asylgrundrecht wurzelnde Recht des Asylbewerbers, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über sein Asylbegehren in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben, ein Stück weit zurück.“29 Das vorläufige Bleiberecht aus Art. 16a Abs. 1 GG wird durch Art. 16a Abs. 4 S. 1 GG während der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zwar eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen. Für die Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes und bei dessen Erfolg für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens bleibt es vielmehr bestehen. Ein vollständiger Ausschluss des vorläufigen Bleiberechts würde demnach Art. 16a Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 1 GG widersprechen. Daran ändert auch die hier vorgeschlagene Bereitstellung einer sicheren Unterkunft im sicheren 27 BVerfGE 94, 48, 101. 28 Siehe dazu oben unter Ziff. 3.2. 29 BVerfGE 94, 166. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 231/15 Seite 12 Herkunftsstaat nichts, denn Art. 16a Abs. 1 GG gewährt ein vorläufiges Bleiberecht im Bundesgebiet , und zwar ohne Ausnahmen für Einrichtungen in sicheren Herkunftsstaaten. Eine einfachgesetzliche Regelung, die – wie hier vorgeschlagen – das vorläufige Bleiberecht vollständig ausschließt und die Wahrnehmung gerichtlichen Rechtsschutzes nur vom Ausland aus zulässt, wäre demnach mit dem in Art. 16 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 1 GG gewährleisteten vorläufigen Bleiberecht nicht vereinbar. Ende der Bearbeitung