Internationale Flüge eines ausländischen Geheimdienstes Handlungspflichten des deutschen Gesetzgebers; Schweizerisches Luftfahrtrecht - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 - 230/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Internationale Flüge eines ausländischen Nachrichtendienstes Handlungspflichten des deutschen Gesetzgebers; Rechtslage in der Schweiz Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 230/08 Abschluss der Arbeit: 24. Juni 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagesverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Zusammenfassung Gesetzgeberische Aktivitäten speziell bezogen auf so genannte „rendition flights“ gab es in Deutschland nicht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht folgt auch keine konkrete Handlungspflicht des Gesetzgebers. Dies gilt jedenfalls, soweit die Exekutive offensichtlich hinreichende Möglichkeiten hat, solche Flüge zu verhindern. Die schweizerischen Luftfahrtbehörden qualifizieren die Einreise mit einem zivil registrierten Luftfahrzeug, welches ein Geheimdienst zum dienstlichen Transport von Personen oder Material chartert, grundsätzlich als Staatsflug. Maßgebend ist hierfür in erster Linie nicht die Registrierung oder das Eigentum am Luftfahrzeug, sondern der damit verfolgte staatliche Zweck. Dementsprechend gelten Flüge mit zivilen Luftfahrzeugen , welche ausschließlich für den Transport von Gefangenen oder Flüchtlingen (z. B. Rückführung in das Herkunftsland) gechartert werden, als Staatsflüge. Sie erfüllen einen staatlichen Zweck und erfordern deshalb eine „diplomatic clearance“, sowohl für den Überflug als auch für eine Landung in der Schweiz. 2. Gesetzgeberische Aktivitäten Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat auf die Erkenntnisse hinsichtlich so genannter „rendition flights“ nicht durch den Erlass von Gesetzen reagiert. 3. Legislative Handlungspflichten Der Gesetzgeber erlässt Gesetze aus verschiedenen Gründen. Unterschieden werden können folgende Anlässe: politische Notwendigkeit1, überstaatliches Recht2, innerstaatliches Recht3, der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes4 und die Wesentlichkeitstheorie 5 sowie Appellentscheidungen der Gerichte6. 1 Beispiele aus den vergangenen Jahren sind Probleme mit Kampfhunden oder Stalking. 2 EG-Richtlinien müssen durch den Gesetzgeber umgesetzt werden; daneben sind auf überstaatlicher Ebene völkerrechtliche Verträge zu nennen, die in innerdeutsches Recht übertragen werden müssen. 3 Zahlreiche Artikel des Grundgesetzes enthalten Normsetzungsaufträge (Art. 21 III GG, Art. 33 V GG, Art. 38 III GG, Art. 48 III 3 GG, Art. 40 I 2 GG); Übersicht im Datenhandbuch Deutscher Bundestag, Band II 1949 – 1999, 11.2, 2334 ff. 4 Vgl. zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für den Jugendstrafvollzug, BVerfG, NJW 2006, 2093 ff. 5 Hölscheidt, JA 2001, 409 (411). 6 BVerfG (Erbschaftssteuer), NJW 2007, 573 ff.; BGH („Deal“ im Strafprozess), NJW 2005, 1440 ff. - 4 - Im Übrigen hat der Gesetzgeber beim Erlass von Rechtsnormen aus verfassungsrechtlicher Sicht einen weiten Gestaltungsspielraum. Dies betrifft die Frage, was konkret in einem Gesetz geregelt wird; hier hat der Gesetzgeber allein Kompetenzgrenzen und materielle Schranken – wie etwa Grundrechte – zu beachten. Dies betrifft aber auch die Frage, ob überhaupt ein Gesetz erlassen wird. Etwas anders lässt sich auch nicht aus der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten herleiten. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in einer Reihe von Entscheidungen bestätigt, dass Grundrechte nicht nur eine Abwehrfunktion haben und zum Unterlassen verpflichten, sondern auch Handlungspflichten begründen können.7 Allerdings hat das Gericht klargestellt: „Wegen Verletzung einer Schutz- und Handlungspflicht durch Unterlassen könnte das BVerfG erst dann eingreifen, wenn die staatlichen Organe gänzlich untätig geblieben wären oder wenn die bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend wären (vgl. BVerfGE 56, 54 (80 f.) = NJW 1981, 1655). Diese Begrenzung der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung erscheint deshalb geboten, weil es regelmäßig eine höchst komplexe Frage ist, wie eine positive staatliche Schutz- und Handlungspflicht, die erst im Wege der Verfassungsinterpretation aus den in den Grundrechten verkörperten Grundentscheidungen hergeleitet wird, durch aktive gesetzgeberische Maßnahmen zu verwirklichen ist.“8 Das bedeutet: Selbst wenn aus einem Grundrecht Schutzpflichten folgen, folgt daraus nicht automatisch ein konkreter Auftrag an den Gesetzgeber. Dies gilt jedenfalls, wenn staatlichen Organen ausreichende Mittel zur Durchsetzung staatlicher Schutzpflichten zur Verfügung stehen und diese angewandt werden können. Zu dieser Frage haben die Wissenschaftlichen Dienste ein Gutachten erstellt (WD 7 - 258/07) mit dem Ergebnis, dass hinreichende präventive und repressive Handlungsmöglichkeiten der Exekutive bestehen dürften. 7 Siehe nur BVerfGE 56, 54 ff.; BVerfG, NJW 1987, 2287 ff.; weitere Nachweise bei Dreier, Grundgesetz , Kommentar, Band I, 2. Auflage 2004, Vorb. Rn. 102 und Fn. 427. 8 BVerfG, NJW 1987, 2287; ganz ähnlich schon BVerfGE 56, 54 (70 f.). - 5 - 4. Schweizerisches Luftfahrtrecht Zum schweizerischen Luftfahrtrecht hat das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, Bundesamt für Zivilluftfahrt, Abteilung Luftfahrtentwicklung , Stellung genommen. Hiernach ergibt sich folgende Rechtslage: 4.1. Geheimdienstflüge allgemein Es gibt keine generell akzeptierten Regeln, weder gestützt auf völkerrechtliches Gewohnheitsrecht , noch gestützt auf internationales Vertragsrecht, um zivile Luftfahrzeugen und Staatsluftfahrzeuge exakt zu unterscheiden. Das Übereinkommen über die internationale Zivilluftfahrt von Chicago vom 7. Dezember 1944 (Chicago Übereinkommen )9 verwendet die Definition von Staatsluftfahrzeugen in erster Linie zum Zweck der Abgrenzung gegenüber zivilen Luftfahrzeugen, auf welche das Chicago Übereinkommen gemäß Artikel 3 a Anwendung findet. Nach Artikel 3 b Chicago Übereinkommen gelten Luftfahrzeuge, die im Militär-, Zoll- und Polizeidienst verwendet werden, als Staatsluftfahrzeuge. Die Formulierung von Artikel 3 b des Chicago Übereinkommens führt zu Auslegungsproblemen, insbesondere bei der Frage, ob die Aufzählung abschließend zu verstehen ist oder ob es über die drei genannten Kategorien hinaus noch andere Staatsluftfahrzeuge geben kann. Nach schweizerischer Rechtspraxis folgt die Definition der Staatsluftfahrzeuge einem funktionellen Ansatz. Generell gelten all jene Luftfahrzeuge als Staatsluftfahrzeuge, welche von einem Staat zu Staatszwecken betrieben werden. Wesentliches Kriterium der Unterscheidung ist somit der Zweck, welcher mit dem Betrieb eines Luftfahrzeuges verfolgt wird. Die Definition geht somit über die im Chicago Übereinkommen vorgesehenen Kategorien der Militär-, Zoll- und Polizeidienste hinaus und umfasst allgemein alle Luftfahrzeuge, welche der Erfüllung von Staatsaufgaben dienen. Daraus folgt, dass ein und dasselbe Luftfahrzeug, unabhängig von seiner Registrierung, seiner Zweckbestimmung entsprechend als ziviles oder staatliches Luftfahrzeug qualifiziert werden kann. Es ist dabei unwesentlich, ob sich das Luftfahrzeug im Eigentum des Staates befindet oder ob ein ziviles Luftfahrzeug zu Staatszwecken lediglich gechartert wird. Ob es sich im Einzelfall um ein Staatsluftfahrzeug oder um ein ziviles Luftfahrzeug handelt, beurteilen Schweizer Luftfahrtbehörden nach verschiedenen Kriterien: - Art der geladenen Fracht - Eigentum: Befindet sich das Luftfahrzeug im Staatseigentum? 9 Systematische Sammlung des Bundesrechts 0.748.0, http://www.admin.ch/ch/d/sr/c0_748_0.html; BGBl. 1956 II S. 411. - 6 - - Betrieb: Wird das Luftfahrzeug nachweislich von einem Staat betrieben oder gechartert ? - Crew: Setzt sich die Crew aus Vertretern des Militärs, der Polizei oder des Zolls zusammen? - Mit dem Luftfahrzeug beförderte Passagiere: Handelt es sich um Polizei-, Zoll-, Militär- oder um Regierungsvertreter (Staatsoberhäupter, Minister, Diplomatische Missionen) oder werden Passagiere zu einem aus einem polizeilichen, militärischen oder zollrechtlichen Grund befördert (z. B. Überführung von Gefangenen)? - Registrierung des Luftfahrzeuges: Trägt das Luftfahrzeug eine zivile oder staatliche Registrierung? Gestützt auf Artikel 3 c Chicago Übereinkommen darf ein Staatsluftfahrzeug eines Vertragsstaates das Hoheitsgebiet eines anderen Staates nur überfliegen oder dort landen, wenn es eine Bewilligung durch besondere Vereinbarung oder auf andere Weise erhalten hat und nur gemäß den in dieser Bewilligung festgesetzten Bedingungen. Eine solche Bewilligung, welche auch „diplomatic clearance“ genannt wird, erteilt die Schweiz gestützt auf Artikel 4 der Verordnung über die Wahrung der Lufthoheit10. Die „diplomatic clearance“ ergeht auf Gesuch des betroffenen Staates durch das Bundesamt für Zivilluftfahrt, soweit erforderlich in Absprache mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten und der Luftwaffe. Die Schweiz erteilt neben Ad-hoc-Bewilligungen auch jährliche Bewilligungen (sogenannte „annual diplomatic clearance“). Die USA erhalten für eine festgelegte Zahl ihrer Staatsluftfahrzeuge bzw. Staatsflüge eine „annual diplomatic clearance“, welche sie jedes Jahr aufs Neue beim Bundesamt für Zivilluftfahrt beantragen müssen. Dabei sind im Anhang zur Jahresbewilligung sämtliche Luftfahrzeuge mit ihrer staatlichen, militärischen sowie auch zivilen Registrierung aufgeführt. Für Staatsflüge mit Luftfahrzeugen , welche nicht im Anhang der Jahresbewilligung aufgeführt sind, ist wiederum ein Ad-hoc-Gesuch erforderlich. Nicht zulässig sind nach der Jahresbewilligung bewaffnete und/oder mit Aufklärungsausrüstungen ausgestattete Luftfahrzeuge sowie Flüge mit Luftfahrzeugen, welche bewaffnetes Militärpersonal, Munition oder anderes Kriegsmaterial mitführen. Die Bewilligung enthält zudem ein Verbot der Verletzung von internationalem Recht. Diese Klausel hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt 2006 in die jährliche Überflugbewilligung an die USA eingeführt. Ebenfalls in der „annual diplomatice clearance“ an die USA enthalten ist die Möglichkeit von sogenannten „spot checks“. Danach können die Schweizer Behörden Kontrollen durchführen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass einzelne Bedingungen der Jahresbewilligung verletzt wurden. 10 Vom 23. März 2005 (Stand 19. April 2005), Systematische Sammlung des Bundesrechts, 748.111.1, http://www.admin.ch/ch/d/sr/748_111_1/index.html. - 7 - Das Bundesamt für Zivilluftfahrt weist ergänzend darauf hin, dass es in der Praxis schwierig ist, ein vom Geheimdienst gechartertes ziviles Luftfahrzeug als solches bzw. als Staatsluftfahrzeug zu erkennen, außer wenn für dieses Luftfahrzeug zuvor eine „diplomatic clearance“ beantragt wurde. Ob eine entsprechende „diplomatic clearance“ aus neutralitätspolitischen und -rechtlichen Gründen allerdings auch tatsächlich erteilt würde , wäre im Einzelfall sehr genau zu prüfen. Zudem ist zu bedenken, dass Geheimdienste ihrer Bestimmung gemäß verdeckt operieren, weshalb sie dafür auch zivile Luftfahrzeuge chartern. Eine Kontrolle, ob im Einzelfall eine „diplomatic clearance“ hätte beantragt werden müssen, ist somit kaum möglich und letztlich auch eher von akademischer Bedeutung. In all diesen Fällen besteht deshalb die Vermutung, dass es sich um zivil genutzte Luftfahrzeuge handelt, wodurch auch – mangels der für Staatsluftfahrzeuge in Betracht kommenden Immunität – die Überprüfung solcher Luftfahrzeuge einfacher ist. Allerdings hängt die Wirksamkeit einer derartigen Kontrolle von erhärteten nachrichtendienstlichen Hinweisen auf schweizerischer Seite ab. Ferner weist das Bundesamt für Zivilluftfahrt darauf hin, dass sich die Schweiz innerhalb der „Austria-Benelux-Ireland-Switzerland-Portugal-Group“ (ABIS-Gruppe) im Verlauf der letzten Jahre eingehend mit der Frage des Charakters von Staatsluftfahrzeugen auseinandergesetzt hat. Das Ergebnis dieser Arbeiten soll in der nächsten Sitzung der Generaldirektoren der Europäischen Zivilluftfahrt-Konferenz am 25. Juni 2008 vorgestellt werden. Das von Irland präsentierte Arbeitspapier hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt seiner Stellungnahme an die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages beigefügt. - Anlage 1- 4.2. Gefangenentransporte Nach schweizerischer Auffassung gelten Flüge mit zivilen Luftfahrzeugen, welche ausschließlich für den Transport von Gefangenen oder Flüchtlingen (z. B. Rückführung in das Herkunftsland) gechartert werden, als Staatsflüge. Sie erfüllen einen staatlichen Zweck und erfordern deshalb eine „diplomatic clearance“, sowohl für den Überflug als auch für eine Landung in der Schweiz. Erfolgen solche Flüge hingegen im Rahmen eines Linienfluges mit einer zivilen Fluggesellschaft , welche auch andere Passagiere befördert, muss man von einem zivilen Flug ausgehen, da der Hauptzweck des Fluges zivil einzuordnen ist. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt weist ergänzend darauf hin, dass sogenannte „extraordinary renditions“ - 8 - (geheime Gefangenentransporte) gegen schweizerisches und internationales Recht verstoßen , unabhängig davon, ob die Flüge durch Zivil- oder Staatsluftfahrzeuge erfolgen.