© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 229/16 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit planfeststellender Gesetze Zu den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Kommunale Selbstverwaltungsgarantie 10 4.4. Ausnahmecharakter von planfeststellenden Gesetzen 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 229/16 Seite 4 1. Einleitung Die Planfeststellungsbedürftigkeit von Vorhaben ergibt sich aus den Fachplanungsgesetzen des Bundes und der Länder und bezieht sich insbesondere auf Vorhaben der Verkehrs-, Entsorgungsund Versorgungsinfrastruktur.1 Soweit eine Planfeststellung erforderlich ist, erfolgt diese in erster Linie nach Maßgabe der Fachplanungsgesetze und der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes oder der Länder.2 Das Planfeststellungsverfahren stellt ein besonderes Verwaltungsverfahren dar, das wegen seiner Komplexität in der Regel mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden ist. Die anschließende Inanspruchnahme von verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz kann die Umsetzung des Vorhabens zudem weiter verzögern. Demgegenüber werden Verfahren, die die Zulassung von planfeststellungsbedürftigen Vorhaben dem Gesetzgeber vorbehalten (Planfeststellung durch Gesetz), verfahrensbeschleunigende Wirkungen zugeschrieben, nicht zuletzt wegen der eingeschränkten gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Gesetze. Ein gewisser Vorbildcharakter soll dabei dem dänischen Modell zukommen, wonach die Zulassung von Infrastrukturprojekten nicht durch Verwaltungsverfahren, sondern durch Gesetze erfolge (Projektplanungs- und Baugesetz ).3 Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach der Möglichkeit vergleichbarer Regelungen in Deutschland gestellt. Konkret soll geprüft werden, ob die Zulassung von „großen bedeutsamen Infrastrukturprojekten mit Bundesbezug“ durch Gesetz verfassungsrechtlich zulässig wäre und welche Auswirkungen dies auf die gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten durch Dritte hätte. 2. Planfeststellende Gesetze 2.1. Praxis Der Bundesgesetzgeber ist bereits als planfeststellender Gesetzgeber tätig geworden. Im Jahr 1993 wurde die Zulässigkeit des planfeststellungsbedürftigen Vorhabens zum Bau eines Abschnitts der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde („Südumfahrung Stendal“) durch Bundesgesetz festgestellt.4 Das Plankonzept wurde im Auftrag der Bundesregierung von einer Planungsgesellschaft erarbeitet. 1 Vgl. Wickel, Fachplanung, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2 (3. Aufl., 2013), § 39 Rn. 1. 2 Vgl. dazu nur §§ 72 ff. Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes. 3 Vgl. dazu auch Berger Strategy Consultants, Best-Practices-Studie zur Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung in der EU (2013), abrufbar unter: http://bdi.eu/media/user_upload/20131024_BDI_Verkehrsinfrastruktur _Langfassung_gesamt.pdf, S. 79 ff. Die Vorteile der dänischen Rechtslage werden dabei wie folgt beschrieben (S. 87): „Durch die Genehmigung der einzelnen Projekte in Form eines vom Parlament beschlossenen Baugesetzes erhalten Infrastrukturvorhaben in Dänemark eine hohe Verbindlichkeit und politische Legitimität. Aufgrund des Gesetzesrangs dieser Baugenehmigungen ist ein Anfechten des Vorhabens vor Gericht, anders als bei behördlichen Verwaltungsakten, faktisch nur noch per Verfassungsbeschwerde möglich. Damit wird die Planungssicherheit erhöht und eine Verzögerung oder gar ein Scheitern von Projekten in bereits weit fortgeschrittenem Planungsstadium praktisch ausgeschlossen. Die Verwaltungsverfahren werden damit deutlich von politischem Druck entlastet und die Verwaltung kann sich auf die Vorbereitung der politischen Entscheidung fokussieren.“ 4 Gesetz über den Bau der „Südumfahrung Stendal“ der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde vom 29. Oktober 1993, BGBl. I, 1906. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 229/16 Seite 5 Vor der Einbringung in den Bundestag fanden zum Planungskonzept in der „Art eines Planfeststellungsverfahrens “ Auslegungen, Anhörungen und Erörterungen statt.5 Zur Begründung des Gesetzentwurfs wurde darauf verwiesen, dass für den konkreten Streckenabschnitt wegen der Vielzahl der betroffenen Belange ein höherer Zeitbedarf von mindestens einem Jahr für das Planfeststellungsverfahren zu erwarten wäre, den es zu vermeiden gelte.6 Das im Oktober 1992 in den Bundestag eingebrachte „Stendal-Gesetz“ trat im November 2013 in Kraft. Die Zulassungsregelung in § 1 des „Stendal-Gesetzes“ lautet: „(1) Zur Herstellung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist die Südumfahrung Stendal (…) zu bauen. Der Bau erfolgt nach dem Plan, der diesem Gesetz als Anlangen 1 bis 12 beigefügt ist. (2) Durch dieses Gesetz ist die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt. (…).“ Ein weiteres – auch als Investitionsmaßnahmegesetz bezeichnetes – planfeststellendes Bundesgesetz trat im Jahr 1994 für den Bauabschnitt Wismar West – Wismar Ost der Bundesautobahn 20 in Kraft.7 In der Folgezeit wurde – soweit ersichtlich – von diesem Instrument zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung kein Gebrauch mehr gemacht.8 In einem anderen Kontext steht hingegen die im Rahmen des Standortauswahlgesetzes nach § 20 Abs. 2 S. 1 vom Bundesgesetzgeber vorzunehmende Standortentscheidung für ein atomares Endlager.9 Insofern soll die Handlungsform des Gesetzes nicht der Verfahrensbeschleunigung dienen, sondern die Legitimation der Standortentscheidung erhöhen.10 2.2. Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter Während gegen einen Planfeststellungsbeschluss einer Planfeststellungsbehörde der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offensteht, ist dieser bei einer Planfeststellung durch Gesetz wegen der dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten Normverwerfungskompetenz (Art. 100 Abs. 1 GG) versperrt . Von dem Vorhaben betroffene Dritte sind daher darauf beschränkt, Verfassungsbeschwerde 5 BVerfGE 95, 1, 18. 6 BT-Drs. 12/3477, 7: „Im Ergebnis werden auf diesem Streckenabschnitt in stärkerem Maße öffentliche und private Belange mit der Folge berührt, dass ein entsprechend höherer Zeitbedarf für die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens sicher ist.“ 7 Gesetz über den Bau des Abschnitts Wismar West – Wismar Ost der BAB 20 Lübeck-Bundesgrenze (A 11) vom 2.3.1994, BGBl. I, 734. 8 Vgl. dazu Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht (5. Aufl., 2015), Rn. 4643. 9 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle vom 23.7.2013, BGBl. I, 2553. 10 Siehe dazu die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 17/13471, 30: „Dabei bietet die Entscheidungsform des Gesetzes das größtmögliche Maß an demokratischer Legitimation und damit die größtmögliche Chance auf eine dauerhaft akzeptierte Streitentscheidung.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 229/16 Seite 6 vor dem Bundesverfassungsgericht zu erheben.11 Erschwerend wirkt sich weiter aus, dass die Betroffenen vor dem Bundesverfassungsgericht „nur“ die Verletzung von Grundrechten rügen können, nicht aber – wie vor den Verwaltungsgerichten – auch die Verletzung einfachen Rechts.12 3. Verfassungsrechtliche Probleme Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von planfeststellenden Gesetzen kann abschließend nur am konkreten Gesetz geprüft werden. Allein aus diesem kann sich ergeben, ob und inwieweit z.B. die Grundrechte betroffener Dritter verletzt sind. Unabhängig davon lassen sich aber allgemeine verfassungsrechtliche Probleme identifizieren, die mit der Ersetzung des Planfeststellungsverfahrens durch Gesetz verbunden sind. 3.1. Grundsatz der Gewaltenteilung Verfassungsrechtlich problematisch ist die Vereinbarkeit der Planfeststellung durch Gesetz mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. In Bezug auf die horizontale Gewaltenteilung stellt sich die Frage, ob die Legislative mit der Planfeststellung auf eine typische, der Verwaltung vorbehaltene Aufgabe des Verwaltungsvollzugs zugreifen würde. Man könnte meinen , es liege ein „Systembruch“ vor, wenn die „Legislative im Einzelfall sich selbst vollziehende Gesetze erlässt“.13 Auf der anderen Seite kann die Zuordnung von Aufgaben zur Legislative oder zur Exekutive – insbesondere im Bereich der Planung – im Einzelnen schwierig sein. Zudem sieht das Grundgesetz keine strikte Trennung der Gewalten, sondern eine Gewaltenverschränkung vor. Dabei ist aber zu beachten, dass der Kernbereich der jeweiligen Gewalt unangetastet bleiben muss.14 Problematisch ist darüber hinaus die vertikale Gewaltenteilung, also die im Grundgesetz vorgesehene Ausübung staatlicher Gewalt im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Für die gesetzliche Planfeststellung muss dem Bundesgesetzgeber zunächst die Gesetzgebungskompetenz zukommen. Fraglich ist aber, ob der Bund darüber hinaus über die Verwaltungskompetenz verfügen muss. 11 Soweit aufgrund des planfeststellenden Gesetzes weitere Verwaltungsakte erlassen werden (z.B. eine Enteignung durch Verwaltungsakt), könnte es auch im diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren dazu kommen, dass das Verwaltungsgericht dem Bundesverfassungsgericht das zugrunde liegende Plangesetz im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle zur verfassungsrechtlichen Überprüfung vorlegt. Ein Anspruch der Kläger auf Vorlage des Plangesetzes besteht allerdings nicht. 12 Zur möglichen Berufung auf die nicht hinreichende Berücksichtigung öffentlicher Belange durch den betroffenen Grundstückseigentümer siehe BVerwGE 67, 74. 13 So Stüer (Fn. 8), Rn. 4643. 14 BVerfGE 34, 52, 59: „Die Teilung der Gewalten ist für das Grundgesetz ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip . (…) Das Prinzip der Gewaltenteilung ist für den Bereich des Bundes jedoch nicht rein verwirklicht. Es stehen zahlreiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen. Nicht absolute Trennung, sondern gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten ist dem Verfassungsaufbau des Grundgesetzes zu entnehmen (…). Kann somit der Sinn der Gewaltenteilung zwar nicht in einer scharfen Trennung der Funktionen der Staatsgewalt gesehen werden, so muss doch andererseits die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten bestehen bleiben. (…) Der Kernbereich der verschiedenen Gewalten ist unveränderbar.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 229/16 Seite 7 Dafür spricht, dass der Bundesgesetzgeber andernfalls die im Grundgesetz vorgesehene Verteilung der Vollzugskompetenzen zugunsten der Länder (Art. 83 ff. GG) unterlaufen könnte.15 3.2. Schutz der Grundrechte In Bezug auf den Schutz der Grundrechte wird insbesondere die mit der Planfeststellung bei der Inanspruchnahme privater Grundstücke verbundene sog. enteignungsrechtliche Vorwirkung diskutiert. Diese entsteht dadurch, dass der feststellende Plan verbindlich festlegt, welche konkreten Grundstücke von einer später durchzuführenden Enteignung betroffen sein werden. Schon diese enteignungsrechtliche Vorwirkung erfordere eine Berücksichtigung der Maßstäbe aus Art. 14 Abs. 3 GG in Bezug auf die Zulässigkeit von Enteignungen durch Gesetz.16 Grundrechtlich relevant ist ferner die mit planfeststellenden Gesetzen verbundene Minderung des gerichtlichen Rechtsschutzes. Erfolgt die Planfeststellung nicht durch ein Verwaltungsverfahren, sondern durch Gesetz, ist der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz, der gegenüber behördlichen Planfeststellungsbeschlüssen eröffnet ist, ausgeschlossen. Diese Minderung des gerichtlichen Rechtsschutzes ist allerdings nicht am Maßstab der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG zu messen, da sie den gerichtlichen Rechtsschutz gegen Gesetze nicht umfasst.17 Der rechtsschutzverkürzende Akt, der bereits in der Wahl der Handlungsform des Gesetzes liegt, unterliegt vielmehr dem Maßstab des materiell betroffenen Grundrechts.18 Im grundrechtlichen Kontext steht auch das in Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Verbot von Einzelfallgesetzen. Danach muss ein Gesetz, wenn es Grundrechte einschränken kann, allgemein und darf nicht nur für den Einzelfall gelten. Eine Einschränkung beispielsweise der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG kommt in Betracht, wenn das planfeststellende Gesetz – wie oben erläutert – enteignungsrechtliche Vorwirkungen entfaltet. Da das planfeststellende Gesetz nicht eine abstrakt-generelle Regelung trifft, die eine Vielzahl von Fällen erfasst, könnte man von einem „Verwaltungsakt in Gesetzesform“19 ausgehen, der dem Einzelfallgesetzverbot unterfällt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts greift das Einzelfallgesetzverbot allerdings bei 15 So Ronellenfitsch, Maßnahmegesetze zur Beschleunigung von Verkehrsprojekten, DÖV 1991, 771, 779: „Geht man davon aus, dass der Gesetzgeber Verwaltungsmaßnahmen in Gesetzesform nur im Rahmen der Gesetzgebungsbefugnisse treffen darf, dann müssten nahezu alle Maßnahmegesetze vom Bund erlassen werden. Das würde praktisch auf eine staatliche Entmachtung der Länder hinauslaufen, (…).“ 16 Vgl. dazu Axer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck`scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: März 2015), Rn. 113 m.w.N. 17 Siehe dazu BVerfGE 24, 367, 401: „Wählt der Gesetzgeber an Stelle der Enteignung durch Verwaltungsakt die Enteignung durch Gesetz, so schließt er damit den nach Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsweg zu den zuständigen Gerichten aus, weil die Gesetzgebung nicht zur "öffentlichen Gewalt" im Sinne dieser Verfassungsvorschrift gehört (…).“ A.A. Ossenbühl, Der Gesetzgeber als Exekutive, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung, Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag (2000), 183, 192 f. 18 Das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit von dem Rechtsschutz, der dem Grundrecht wesensmäßig zugehörig ist, BVerfGE 24, 367, 401. 19 Vgl. Enders, in: Epping/Hillgruber, Beck`scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: September 2016), Rn. 11 zu Art. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 229/16 Seite 8 einer auf einen bestimmten Sachverhalt beschränkten Regelungswirkung nicht zwingend. Vielmehr scheidet eine Verletzung des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG aus, wenn die Regelung singulärer Sachverhalte durch Gesetz von sachlichen Erwägungen getragen wird.20 3.3. Kommunale Selbstverwaltungsgarantie Schließlich stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit planfeststellender Gesetze mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG haben die Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Zum Gewährleistungsgehalt der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung gehören dabei die sog. Gemeindehoheiten, u.a. die Planungshoheit.21 Die kommunale Planungshoheit bedeutet das Recht der Gemeinden, das Gemeindegebiet selbst zu ordnen und zu gestalten.22 Dieses Recht kann durch Fachplanungen im Rahmen von Planfeststellungsverfahren beeinträchtigt werden. Dabei kommt ein Eingriff in Planungshoheit allerdings nur dann in Betracht, wenn die gemeindlichen Planungen bereits konkretisiert sind.23 Liegt ein Eingriff in diesem Sinne vor, ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.24 4. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hatte in der sog. Stendal-Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über den Bau der „Südumfahrung Stendal“ zu entscheiden.25 In seiner Entscheidung ging es auf die o.g. verfassungsrechtlichen Probleme ein und bejahte im Ergebnis die Verfassungsmäßigkeit des konkreten planfestellenden Gesetzes. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass planfeststellende Gesetze generell verfassungsrechtlich zulässig sind. Vielmehr stellt das Bundesverfassungsgericht an die Verfassungsmäßigkeit hohe Anforderungen. 20 BVerfGE 25, 371, 399: „Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG enthält nach dieser Auffassung eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Er verbietet dem Gesetzgeber, aus einer Reihe gleichartiger Sachverhalte willkürlich einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Ausnahmeregelung zu machen. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG schließt dagegen die gesetzliche Regelung eines Einzelfalls dann nicht aus, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen zu regelnden Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird.“ Vgl. dazu auch Dreier, in: Dreier, GG (3. Aufl. 2013), Rn. 16 zu Art. 19 I. 21 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG (3. Aufl., 2015), Rn. 120 ff. zu Art. 28. 22 Vgl. Brüning, Kommunalverfassung, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht Band 3 (3.Aufl., 2013), § 64 Rn. 35 m.w.N. 23 Siehe Mehde, in: Maunz/Dürig, GG (Stand: November 2012), Rn. 60 zu Art. 28; Stüer (Fn. 8), Rn. 4849. 24 BVerfGE 103, 332, 366 f. 25 BVerfGE 95, 1 ff. Zur Kritik siehe Blümel, Fachplanung durch Bundesgesetz (Legalplanung), DVBl. 1997, 205 ff.; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz (8. Aufl., 2014), Rn. 95 ff. m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 229/16 Seite 9 4.1. Grundsatz der Gewaltenteilung Eine Planfeststellung durch Gesetz verstößt nach der Stendal-Entscheidung nicht von vornherein gegen den Grundsatz der horizontalen Gewaltenteilung, da die staatliche Planung im Ergebnis weder eindeutig der Legislative noch eindeutig der Exekutive zugeordnet werden könne. Die Planvorbereitung jedoch müsse bei der Exekutive liegen. Zudem dürfe der Gesetzgeber – auf Initiative und Vorbereitung von Regierung und Verwaltung hin – einen Plan nur durch Gesetz beschließen, wenn die Materie ihrer Natur nach geeignet ist, gesetzlich geregelt zu werden und sonstige verfassungsrechtliche Gründe nicht entgegenstehen.26 Die Möglichkeit einzelner planfeststellender Gesetze nimmt das Bundesverfassungsgericht auch für den Bereich der Fachplanung an.27 Insoweit betont es aber ihre besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit . Da die Fachplanungsentscheidung üblicherweise der Verwaltung vorbehalten sei, die dafür den erforderlichen Verwaltungsapparat und Sachverstand besitze, dürfe der Gesetzgeber eine solche Entscheidung nur dann an sich ziehen, wenn „hierfür im Einzelfall gute Gründe bestehen, etwa weil die schnelle Verwirklichung des Vorhabens von besonderer Bedeutung für das Gemeinwohl ist“.28 Konkrete Vorgaben in Bezug auf die Wahrung der vertikalen Gewaltenteilung lassen sich der Stendal-Entscheidung hingegen nicht entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht betont zwar, dass sich für den planfeststellenden Gesetzgeber aus der vertikalen Gewaltenteilung Schranken ergeben.29 Eine Konkretisierung dieser Schranken konnte aber offen bleiben, da im entschiedenen Fall sowohl die Gesetzgebungs- als auch die Verwaltungskompetenz des Bundes vorlagen. 4.2. Schutz der Grundrechte Die verfassungsgerichtlichen Vorgaben aus der Stendal-Entscheidung beschränken sich auf den Schutz des Eigentumsgrundrechts. Insoweit hebt das Bundesverfassungsgericht hervor, dass die mit der Planfeststellung verbundenen enteignungsrechtlichen Vorwirkungen nicht nur – wie in Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG vorgesehen – zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich sein müssen. Vielmehr müssten vor dem Hintergrund der mit der Handlungsform des Gesetzes einhergehenden Rechtsschutzverkürzung zudem 26 BVerfGE 95, 1, 16. 27 BVerfGE 95, 1, 17: „Mit der Planung eines einzelnen Vorhabens greift der Gesetzgeber mithin nicht notwendig in die Funktion ein, die die Verfassung der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung vorbehalten hat (…).“ 28 BVerfGE 95, 1, 17, Hervorhebungen nicht im Original. 29 BVerfGE 95, 1, 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 229/16 Seite 10 „triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann“.30 Im Übrigen komme dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Planungsentscheidung in Bezug auf die Abwägung der verschiedenen Belange eine Gestaltungsbefugnis zu, die vom Bundesverfassungsgericht nur beschränkt nachprüfbar sei. Überprüfbar sei aber, ob der Gesetzgeber den für die Regelung erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und anhand dieses Sachverhalts alle sachlich beteiligten Belange und Interessen umfassend und in nachvollziehbarer Weise gegeneinander abgewogen habe.31 Weitere Vorgaben aus dem Verbot des Einzelfallgesetzes aus Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG leitet das Bundesverfassungsgericht hingegen nicht ab. Da das Eigentumsgrundrecht Enteignungen durch den Gesetzgeber in Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG ausdrücklich zulasse, sei das Verbot des Einzelfallgesetzes auch hinsichtlich der enteignungsrechtlichen Vorwirkungen nicht berührt.32 4.3. Kommunale Selbstverwaltungsgarantie In Bezug auf die Wahrung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG lässt das Bundesverfassungsgericht zwar offen, ob durch das planfeststellende Gesetz tatsächlich in die Planungshoheit der Stadt Stendal eingegriffen wurde, doch stellt es die insoweit zu berücksichtigenden Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit klar. Die gesetzliche Planung dürfe die weitere Planung der Kommunen nicht von vornherein wesentlich erschweren oder sogar völlig unmöglich machen. Zudem müsse die gesetzliche Planung auf vollständigen und sorgfältigen Sachverhaltsermittlungen und auf einer umfassenden Abwägung und Berücksichtigung der Belange der betroffenen Gemeinden beruhen.33 4.4. Ausnahmecharakter von planfeststellenden Gesetzen Auch wenn einige Aspekte der oben ausgeführten verfassungsrechtlichen Probleme in der Stendal- Entscheidung offen bleiben, stellt das Bundesverfassungsgericht wichtige verfassungsrechtliche Vorgaben auf, die den Ausnahmecharakter von planfeststellenden Gesetzen deutlich machen. Im Zentrum stehen dabei die Anforderungen aus dem Grundsatz der horizontalen Gewaltenteilung. In Bezug auf die gesetzliche Planung zur „Südumfahrung Stendal“ betont das Bundesverfassungsgericht , dass der Gesetzgeber nicht generell eine Kompetenz zur Zulassung von Verkehrsvorhaben anstelle der Verwaltung für sich beansprucht habe, sondern es von Anfang an nur um einzelne, besonders ausgewählte Abschnitte von Fernverkehrswegen gegangen sei. Daher habe es keine Anhaltspunkte für eine Verlagerung von originären Verwaltungsfunktionen auf die Legislative 30 BVerfGE 95, 1, 22, Hervorhebungen nicht im Original. 31 BVerfGE 95, 1, 22 f. 32 BVerfGE 95, 1, 26: „Schon diese ausdrückliche Regelung des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG rechtfertigt Legalenteignungen und damit auch enteignungsrechtliche Vorwirkungen einer Legalplanung.“ 33 BVerfGE 95, 1, 25 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 229/16 Seite 11 gegeben.34 Darüber hinaus bejaht das Bundesverfassungsgericht die für eine Planfeststellung durch den Gesetzgeber erforderlichen guten Gründe wegen der besonderen Bedeutung des Streckenabschnitts für den Aufbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern im Zusammenhang mit der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse. Dabei sei die Einschätzung des Gesetzgebers zur beabsichtigten Verfahrensbeschleunigung nicht zu beanstanden, auch wenn sie sich im Ergebnis als unzutreffend erwiesen habe.35 Diese Wertungen des Bundesverfassungsgerichts sind den Überlegungen zu weiteren Planfeststellungen durch den Bundesgesetzgeber zugrunde zu legen. Die gesetzliche Planfeststellung der hier fraglichen „großen bedeutsamen Infrastrukturprojekte mit Bundesbezug“ wäre danach nicht generell verfassungsrechtlich zulässig, sondern müsste so ausgestaltet sein, dass sie – unter Wahrung des Ausnahmecharakters gesetzlicher Planfeststellungen – im Einzelfall den verfassungsgerichtlichen Vorgaben genügt. Ende der Bearbeitung 34 BVerfGE 95, 1, 18. 35 BVerfGE 95, 1, 18 f.