© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Verpflichtung zur Datenerhebung zum Zwecke der Kontaktverfolgung nach den Corona-Verordnungen der Länder Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 2 Verpflichtung zur Datenerhebung zum Zwecke der Kontaktverfolgung nach den Corona- Verordnungen der Länder Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Abschluss der Arbeit: 8. Oktober 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes 4 2.1 Schutzbereich von Art. 2 S. 2 SaarlVerf 5 2.2 Eingriff in Art. 2 S. 2 SaarlVerf 6 2.3 Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 2 S. 2 SaarlVerf 6 2.4 Unvereinbarkeitserklärung 8 3. Bindungswirkung des Beschlusses des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes 8 4. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 § 3 CP-VO 9 5. Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit vergleichbarer Regelungen in den Corona-Verordnungen anderer Länder 10 5.1 Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 27. Mai 2020 10 5.2 Beschlüsse des OVG Münster vom 23. Juni 2020 und vom 23. September 2020 11 6. Bußgelderhebung gegenüber Gästen 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Corona-Verordnungen der Bundesländer enthalten Regelungen, die die Betreiber von Gastronomiebetrieben und bestimmten weiteren Gewerben dazu verpflichten, die Kontaktdaten ihrer Gäste zu erfassen und für einen bestimmten Zeitraum aufzubewahren, um im Falle einer Infektion eines Gastes Kontaktpersonen ausfindig machen zu können (sog. Kontaktverfolgung). Es wird gefragt, ob diese Regelungen auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen und verhältnismäßig sind. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Bedeutung eines Beschlusses des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs von August 2020 erfragt. Im Folgenden wird zunächst durch den Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs dargestellt (2.). Anschließend wird die Frage erläutert, ob sich diese Entscheidung auf andere Bundesländer übertragen lässt (3.). Außerdem werden Entscheidungen anderer Gerichte dargestellt, die zu abweichenden Ergebnissen gekommen sind (4. und 5.). Abschließend wird durch den Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend ) auf die Thematik der Rechtmäßigkeit von Bußgelderhebungen gegenüber Gästen, die falsche Kontaktdaten angeben, eingegangen (6.). 2. Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes Der Saarländische Verfassungsgerichtshof entschied Ende August 2020, dass Art. 2 § 3 der Saarländischen Verordnung zur Änderung infektionsrechtlicher Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 21. August 2020 (CP-VO)1 mit der Verfassung des Saarlandes (VerfSaarl)2 unvereinbar sei.3 Die Verordnung war auf § 32 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG)4 in Verbindung mit der Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 und S. 2 IfSG gestützt worden. Während der Gerichtshof den Grundrechtseingriff durch die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nach Art. 2 § 2 CP-VO für gerechtfertigt hielt, war er bei den Regelungen zur Kontaktnachverfolgung nach Art. 2 § 3 CP-VO anderer Ansicht. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Erwägungen zu Art. 2 § 3 CP-VO. 1 ABl. 2020, S. 768. 2 Vom 15. Dezember 1947 (ABl. S. 1077) BS Saar Nr. 100-1, zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz zur Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenbremse und zur Haushaltsstabilisierung vom 10. April 2019 (ABl. I S. 446). 3 VerfGH Saarland, Beschluss vom 28. August 2020, Lv 15/20, BeckRS 2020, 21205. 4 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1385). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 5 Art. 2 § 3 CP-VO lautete wie folgt: „(1) Die Möglichkeit einer Kontaktnachverfolgung ist verpflichtend zu gewährleisten 1. beim Betrieb eines Gaststättengewerbes nach dem Saarländischen Gaststättengesetz oder beim Betrieb sonstiger Gastronomiebetriebe jeder Art mit Ausnahme der bloßen Abgabe mitnahmefähiger Speisen und Getränke, 2. beim Betrieb von Kinos, Theatern, Opern, Konzerthäusern und weiteren kulturellen Veranstaltungen und dem dazugehörigen Probenbetrieb, 3. beim Betrieb von Indoorspielplätzen, 4. bei Gottesdiensten und Bestattungen, 5. beim Trainings-, Kurs- und Wettkampfbetrieb im Sport, 6. bei sonstigen Veranstaltungen nach § 6, 7. bei Hotels, Beherbergungsbetrieben und Campingplätzen, 8. bei Prostitutionsstätten, soweit sie nach dieser Verordnung nicht untersagt sind. (2) Die Betreiber, Veranstalter oder sonstigen Verantwortlichen haben geeignete Maßnahmen zur vollständigen Nachverfolgbarkeit sicherzustellen. Hierzu gehört die Erfassung je eines Vertreters der anwesenden Haushalte mit Vor- und Familienname, Wohnort und Erreichbarkeit und der Ankunftszeit. (3) Die erhobenen Daten dürfen nicht zu einem anderen Zweck als der Aushändigung auf Anforderung an die Gesundheitsämter verwendet werden und sind nach Ablauf eines Monats nach Erhebung gemäß der geltenden Datenschutzgrundverordnung zu löschen.“ Der Verfassungsgerichtshof entschied, Art. 2 § 3 CP-VO sei mit dem saarländischen Grundrecht auf Datenschutz (Art. 2 S. 2 SaarlVerf) unvereinbar.5 Es fehle an einer tauglichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die Vorschrift. Der Argumentationsgang wird im Folgenden nachgezeichnet . 2.1 Schutzbereich von Art. 2 S. 2 SaarlVerf Der Gerichtshof erläuterte, dass das saarländische Grundrecht auf Datenschutz die Befugnis des Einzelnen gewährleiste, selbst darüber zu bestimmen, ob, wann, in welchem Ausmaß und wem gegenüber er seine personenbezogenen Daten preisgebe oder deren Verarbeitung gestatte.6 Mit der zu Zwecken der Kontaktnachverfolgung geregelten Obliegenheit zur Angabe von Namen, Anschrift, 5 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 67 ff. 6 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 70. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 6 (telefonischer oder anderer) Erreichbarkeit und dem Zeitpunkt des Besuchs der benannten Einrichtungen und Veranstaltungen würden personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet. 2.2 Eingriff in Art. 2 S. 2 SaarlVerf Der Verfassungsgerichtshof wies darauf hin, dass ein unmittelbarer Eingriff gegenüber den Gästen der genannten Betriebe nicht vorliege, da Art. 2 § 3 CP-VO diese nicht selbst verpflichte.7 Stattdessen richte sich das Gebot unmittelbar nur an die in Art. 2 § 3 S. 1 CP-VO genannten Verantwortlichen. Es liege jedoch ein mittelbarer Eingriff in die Grundrechte der Gäste vor. Die Verantwortlichen müssten die Informationen der Personen erheben, aufbewahren und auf Verlangen den Gesundheitsbehörden herausgeben, wollten sie eine bußgeldrechtliche Sanktion (oder gar gewerberechtliche Eingriffe) vermeiden. Das führe dazu, dass Betroffene faktisch lediglich die Möglichkeit hätten, auf den Besuch von – beispielsweise – Gaststätten oder Gottesdiensten zu verzichten oder genau diesen Besuch personen- und zeitpunktbezogen zu offenbaren und nicht nur den Verantwortlichen Namen, Anschrift und (telefonische oder elektronische) Erreichbarkeit zu benennen, sondern diese Daten auch dem Staat zur Verfügung zu stellen. Im Folgenden stellte der Verfassungsgerichtshof Überlegungen zur Eingriffsintensität an.8 Er stellte dabei fest, die Erhebung personenbezogener Informationen habe ein erhebliches Gewicht. Dies ergebe sich unter anderem daraus, dass die Offenbarung von Informationen sich nicht nur auf den Gastronomiebereich erstrecke, sondern beispielsweise auch der Besuch von Gottesdiensten und sonstigen Veranstaltungen und Zusammenkünften dokumentiert werde. Auch zwinge die Regelung dazu, privaten Dritten die eigenen Kontaktdaten und das eigene Verhalten offenzulegen. Vor allem im Bereich der Gastronomie könnten aufgrund der häufig gebräuchlichen „Ringbucherfassung “ nachfolgende Gäste erkennen, wer vor ihnen das Unternehmen besucht habe und wie derjenige über Telefonnummer, Mailanschrift oder Anschrift erreichbar sei. Der Verfassungsgerichtshof wies zudem darauf hin, dass die Regelung die Gefahr berge, dass Bewegungs - und Persönlichkeitsprofile von Grundrechtsträgern erstellt werden könnten, ohne dass zugleich verfahrensrechtliche Regelungen zur Missbrauchsabwehr getroffen worden seien. Die Kontaktdatenerhebung und -nachverfolgung ermögliche grundsätzlich, zu recherchieren, wann sich Betroffene wo aufgehalten hätten und welchen Aktivitäten sie im Einzelnen nachgegangen seien. 2.3 Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 2 S. 2 SaarlVerf Im Rahmen seiner Prüfung der Rechtfertigung des Eingriffs stellte der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes ausschließlich auf das Fehlen einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage ab. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung führte er nicht durch. Allerdings betonte der Verfassungsgerichtshof , dass die Regelung einem legitimen Ziel diene und daher vorübergehend in Kraft bleiben 7 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 72. 8 Siehe zum Folgenden VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 75 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 7 könne.9 Dies deutet darauf hin, dass der Verfassungsgerichtshof die Regelung als grundsätzlich verhältnismäßig ansah (siehe auch unter 2.4.). Die Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs setzt allgemein eine parlamentsgesetzliche, verfassungsmäßige Grundlage voraus. Als Maßstab stellt der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes auf die speziellen Anforderungen des Grundrechts auf Datenschutz nach Art. 2 S. 2 SaarlVerf ab. Es bedürfe einer in der Regel förmlichen, parlamentarischen Ermächtigung, die die zu erhebenden personenbezogenen Daten als solche, den Anlass und den spezifischen Zweck der Erhebung, die Art und Dauer der Aufbewahrung sowie ihre Löschung normenklar und bestimmt regle und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre.10 Der Verfassungsgerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Datenerhebung vorliege. Die in der Verordnung selbst als gesetzliche Grundlage angegebenen §§ 28, 32 IfSG enthielten keine solche Ermächtigung. Die sich aus der Generalklausel des § 28 IfSG ergebende Befugnis, „die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen“, sei jedenfalls für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu unbestimmt.11 Die Datenerhebung sei auch nicht durch eine etwaige Einwilligung der Grundrechtsträger gerechtfertigt.12 Eine Rechtfertigungswirkung der Einwilligung sei mangels freier Willensbildung nicht denkbar, denn die Einwilligung könne nur um des Preises der Versagung einer Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen und religiösen Leben verweigert werden. Ebenso wenig stelle Art. 6 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO),13 der die grundsätzliche Rechtmäßigkeit von Datenerhebungen regelt, eine ausreichende Ermächtigung dar.14 Dies folge bereits daraus, dass die saarländische Verordnung Art. 6 DSGVO nicht als Ermächtigungsgrundlage nenne, was das sog. Zitiergebot, das für Rechtsverordnungen nach Art. 104 SaarlVerf gelte, aber fordere. Im Übrigen sei Art. 6 DSGVO keine beliebige, rechtsformunabhängige Befugnis zur Erhebung von Daten unter den dort genannten Voraussetzungen. Vielmehr bedürfe es einer speziellen Norm, die die Datenerhebung als solche – in den Grenzen des Art. 6 DSGVO – vorsehe oder gestatte. Der Verfassungsgerichtshof kam zudem zu dem Ergebnis, dass die DSGVO in Bezug auf die geforderte Angabe von Kontaktdaten nach Art. 2 § 3 CP-VO bereits nicht anwendbar sei, da keine automatisierte Verarbeitung von Daten vorliege und auch keine Verarbeitung von Daten, deren Speicherung in einem Dateisystem beabsichtigt sei (Art. 2 Abs. 1 DSGVO). Die Kontaktdaten würden – soweit 9 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 100. 10 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 85. 11 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 87. 12 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 90. 13 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1). 14 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 91 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 8 ersichtlich und mangels anderer gesetzlicher Anordnung – gegenwärtig handschriftlich angegeben und in dieser Form gesammelt und aufbewahrt. Das Gericht betonte, dass trotz des Pandemiefalls keine Ausnahme von den Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage denkbar sei. Beim Erfordernis einer parlamentarischen gesetzlichen Grundlage handle es sich nicht um eine verzichtbare bloße Formalität.15 Je länger grundrechtliche Belastungen von Bürgerinnen und Bürgern indessen andauerten, desto wichtiger werde es zudem, die Regelung ihrer Grundlagen und Grenzen dem ohnehin originär verantwortlichen parlamentarischen Gesetzgeber zu überlassen. 2.4 Unvereinbarkeitserklärung Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes erklärte Art. 2 § 3 CP-VO für mit der saarländischen Verfassung unvereinbar, ließ die Vorschrift aber vorübergehend unter bestimmten Maßgaben in Kraft und setzte dem Landtag des Saarlandes eine Frist zum 30. November 2020 zur Änderung der Vorschrift.16 Dies sei zulässig, weil die sofortige Ungültigkeit von Art. 2 § 3 CP-VO dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls teilweise die Grundlage entziehe und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergebe, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen sei. Die in Art. 2 § 3 CP-VO ausgesprochene Verpflichtung leiste einen Beitrag zur Bekämpfung der Ausbreitung der Pandemie und damit zur Abwehr erheblich ins Gewicht fallender Gefahren für Leben, Gesundheit und Freiheit sowie der Funktionsweise staatlicher und gesellschaftlicher Einrichtungen . Sie diene damit einem überragenden Gemeinschaftsinteresse. Trotz des Fehlens einer hinreichenden parlamentarischen Ermächtigung ergebe die Abwägung mit dem Grundrecht auf Datenschutz, dass der mittelbare Eingriff in dieses Grundrecht von den Betroffenen für eine Übergangszeit hinzunehmen sei. 3. Bindungswirkung des Beschlusses des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes Gefragt war auch, inwieweit der Beschluss des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs auf andere Länder übertragbar sei. Es ist grundsätzlich möglich, dass sich die Verwaltungsgerichte, die Verfassungsgerichte der anderen Länder oder das Bundesverfassungsgericht bei ihrer Entscheidungsfindung über die Rechtmäßigkeit vergleichbarer landesrechtlicher Regelungen faktisch an den Erwägungen eines Landesverfassungsgerichts orientieren. Dies ist – soweit ersichtlich – in diesem Fall bisher nicht geschehen (siehe unten 4. und 5.). 15 VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 89. 16 VerfGH Saarland (Fn. 3), Tenor, Rn. 100 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 9 Von der faktischen Wirkung des Beschlusses ist die Frage der rechtlichen Bindungswirkung zu unterscheiden. Eine Bindung des Bundesverfassungsgerichts an Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte besteht nicht.17 Auch eine wechselseitige Bindung unter den Landesverfassungsgerichten scheidet aus.18 Einer Bindung können nur die Gerichte und Behörden des betreffenden Landes unterliegen.19 Die Begrenzung der Bindungswirkung folgt aus der Begrenzung der Prüfungsreichweite der Landesverfassungsgerichte .20 Diese hängt mit dem bundesstaatsrechtlichen Grundsatz der Verfassungsautonomie der Länder und der mit ihr korrespondierenden Eigenständigkeit der Landesverfassungsgerichte zusammen.21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehen die Verfassungsbereiche des Bundes und der Länder grundsätzlich nebeneinander; entsprechendes gilt für die Verfassungsgerichtsbarkeiten.22 Während das Bundesverfassungsgericht am Maßstab des Grundgesetzes entscheidet, entscheiden die Landesverfassungsgerichte am Maßstab der jeweiligen Landesverfassung.23 Diesem Befund entspricht auch ausdrücklich das saarländische Landesrecht. Nach § 10 Abs. 1 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof (SaarlVerfGHG)24 binden die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs die Verfassungsorgane des Saarlandes sowie alle saarländischen Gerichte und Verwaltungsbehörden. 4. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 § 3 CP-VO Der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hatte sich zusätzlich auch im Eilverfahren an das Bundesverfassungsgericht gewendet. Dieses lehnte durch Beschluss vom 7. Juli 202025 den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz 26 ab. Die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde seien offen. 17 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 59. EL April 2020, § 31 Rn. 324 m.w.N. 18 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 59. EL April 2020, § 31 Rn. 322 m.w.N. 19 BVerwGE 50, 137 (145); Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 59. EL April 2020, § 31 Rn. 318 m.w.N. 20 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 59. EL April 2020, § 31 Rn. 328 m.w.N. 21 Vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 59. EL April 2020, Vorbemerkung Rn. 322 22 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, siehe etwa BVerfGE 103, 332 (350 f.) m.w.N. 23 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 59. EL April 2020, Vorbemerkung Rn. 242 m.w.N.; vgl. auch VerfGH Saarland (Fn. 3), Rn. 34. 24 Vom 17. Juli 1958 in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 2001 (Abl. S. 582), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 16. Juli 2014 (Abl. I S. 358). 25 BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020, 1 BvR 1187/20. 26 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1724) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 10 Das Gericht stellte fest, dass mit den Einschränkungen durch die saarländische Corona-Verordnung – einschließlich der Regelungen zur Kontaktnachverfolgung – zwar merkliche Folgen für die eigene Lebensgestaltung und Interaktion mit anderen Personen verbunden seien. Es überwiege aber das Interesse am Vollzug der angegriffenen Verordnung.27 5. Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit vergleichbarer Regelungen in den Corona- Verordnungen anderer Länder Das OVG Berlin-Brandenburg und das OVG Münster haben sich im Rahmen von Eilverfahren zu vergleichbaren landesrechtlichen Regelungen zur Kontaktnachverfolgung geäußert. Die Gerichte kamen zu dem Ergebnis, dass die Regelungen auf einer ausreichen Ermächtigungsgrundlage beruhten und verhältnismäßig seien. 5.1 Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 27. Mai 2020 Das OVG Berlin-Brandenburg setzte sich mit der Rechtmäßigkeit der Kontaktnachverfolgung bei Gerichtsverhandlungen nach der Brandenburger Corona-Verordnung28 auseinander.29 Das Gericht wies den Antrag auf vorläufige Außerkraftsetzung der Regelungen ab. Es bestünden keine Zweifel daran, dass § 32 IfSG eine taugliche Rechtsgrundlage für die Pflicht zur Kontaktnachverfolgung darstelle.30 Zudem sei es angesichts der weiterhin bestehenden akuten Gefahrenlage für die Gesundheit der Bevölkerung auch im Bundesland Brandenburg, insbesondere der als besonders gefährdet anzusehenden Bevölkerungsgruppen älterer und vorerkrankter Personen, der besonderen Wertigkeit der gefährdeten Schutzgüter Leben und Gesundheit und des Umstands, dass Erkrankungssymptome bei Erkrankten nicht sofort feststellbar seien, diese aber gleichwohl schon die Erkrankung weiterverbreiten könnten, rechtlich nicht zu beanstanden, eine Kontaktnachverfolgung von Veranstaltungsteilnehmern über Anwesenheitslisten sicherzustellen.31 Der hiermit verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei bei dieser Sachlage nicht unverhältnismäßig. 27 BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020, 1 BvR 1187/20, juris Rn. 7 f. 28 § 5 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg in der Fassung vom 8. Mai 2020 (GVBl. II Nr. 30, S. 1). 29 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Mai 2020, 11 S 43/20. 30 OVG Berlin-Brandenburg (Fn. 29), juris Rn. 18. 31 OVG Berlin-Brandenburg (Fn. 29), juris Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 11 5.2 Beschlüsse des OVG Münster vom 23. Juni 2020 und vom 23. September 2020 Im Juni 2020 lehnte das OVG Münster32 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Außervollzugsetzung der Regelungen der nordrhein-westfälischen Corona-Verordnung zur Kontaktnachverfolgung in Fitnessstudios, Friseursalons und in der Gastronomie33 ab. §§ 28, 32 IfSG genügten voraussichtlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ermächtigungsgrundlage und etwaige Bedenken hinsichtlich des Vorbehalts des Gesetzes griffen jedenfalls im vorliegenden Pandemiefall nicht durch.34 Selbst wenn für den parlamentarischen Gesetzgeber wegen der Auswirkungen auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine grundsätzliche Verpflichtung bestünde, die Vorschriften über die Schutzmaßnahmen im IfSG im Hinblick auf die Erhebung von Kundenkontaktdaten und Aufenthaltszeiträume zu konkretisieren, führte dies aktuell (noch) nicht dazu, dass der Verordnungsgeber nicht auf die Generalklausel in § 28 Abs. 1 IfSG zurückgreifen könne.35 Angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens, das sich zudem je nach Örtlichkeit wesentlich unterscheiden könne, sei dem Bundesgesetzgeber ein Erlass von vorausschauend alle Konstellationen erfassenden gesetzlichen Regelungen kaum möglich . Zudem bejahte das OVG Münster die Verhältnismäßigkeit der Regelung.36 Diese diene einem legitimen Zweck. Der Verordnungsgeber dürfe noch immer davon ausgehen, dass die Corona- Pandemie eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründe, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertige, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung weiterhin gebiete.37 Die angegriffenen Regelungen seien auch geeignet, die Verbreitung des Virus einzudämmen, indem bei Auftreten einer Neuinfektion die potentiell relevanten Kontaktpersonen des Betroffenen leichter identifiziert und erforderlichenfalls (vorläufig) unter Quarantäne gestellt und getestet werden könnten.38 Es sei nicht erkenntlich, dass der Verordnungsgeber die Grenzen seines Einschätzungsspielraums bei der Beurteilung der Eignung überschritten habe. Durch die Möglichkeit der Angabe falscher Personalien auf den Kontaktdatenlisten werde die grundsätzliche Eignung der Regelung nicht durchgreifend in Frage gestellt. 32 OVG Münster, Beschluss vom 23. Juni 2020, 13 B 695/20.NE. 33 §§ 2a, 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 S. 1 Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 10. Juni 2020 (GV. NRW. S. 382a), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (GV. NRW. S. 446) in Verbindung mit der Anlage zur Coronaschutzverordnung. 34 OVG Münster (Fn. 32), juris Rn. 43 ff. 35 OVG Münster (Fn. 32), juris Rn. 46. 36 OVG Münster (Fn. 32), juris Rn. 69 ff. 37 OVG Münster (Fn. 32), juris Rn. 70. 38 OVG Münster (Fn. 32), juris Rn. 84. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 12 Die Regelungen zur Kontaktnachverfolgung seien auch erforderlich.39 Mildere, gleich gut geeignete Mittel seien nicht erkennbar. Vielmehr stelle die Kontaktpersonennachverfolgung bereits das mildere Mittel im Vergleich zu den zuvor geltenden, einschneidender wirkenden Einschränkungen dar. Die Regelung sei derzeit auch noch angemessen.40 Der beabsichtigte Verordnungszweck stehe nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs. Das durch die Regelung eingeschränkte Recht auf informationelle Selbstbestimmung trete im Ergebnis gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) zurück. Dabei sei zu berücksichtigen, dass weder der Besuch einer Gaststätte noch das Aufsuchen eines Fitnessstudios oder der Besuch eines Friseursalons der Deckung elementarer Grundbedürfnisse diene, ihr Besuch freiwillig sei und den Betroffenen Alternativen zur Verfügung stünden. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben werde durch die Vorschriften auch nicht derart eingeschränkt, dass die Restriktionen angesichts des mit ihnen bezweckten Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung unzumutbar erschienen. Anders als der Saarländische Verfassungsgerichtshof war das OVG Münster der Meinung, dass die Datenerhebung zu Kontaktnachverfolgung in den Anwendungsbereich der DSGVO falle. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Verordnungsgeber die wesentlichen Grundsätze zur rechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten – etwa das Gebot der Zweckbindung und der Datenminimierung nach der DSGVO – beachtet habe.41 Zudem werde durch die dezentrale Aufbewahrung der Daten in jedem Fall gewährleistet, dass die Daten über eine Person nicht zusammengeführt würden und so die Erstellung eines Bewegungsprofils ermöglicht werden könnte.42 Im September 2020 wies das OVG Münster zudem einen Eilantrag gegen einen Bescheid der zuständigen Versammlungsbehörde zurück, der dem Veranstalter einer Versammlung („Klimacamp“) unter anderem die Pflicht zur Erstellung einer Teilnehmerliste auferlegte, um die Rückverfolgbarkeit der Teilnehmer zu ermöglichen.43 Das Gericht griff dabei im Wesentlichen auf die soeben dargestellten Argumente zurück. 6. Bußgelderhebung gegenüber Gästen Gemeinsames Ziel, das die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 29. September 2020 formuliert haben, ist nach wie vor, ein unkontrolliertes Ausbruchsgeschehen der Pandemie zu verhindern. Dies soll u. a. dadurch erreicht werden, dass Gäste in Restaurants, die falsche Angaben bei der Abfrage ihrer Kontaktdaten machen, mit einem Mindestbußgeld von 50 Euro belegt werden. Zuständig für die jeweilige Umsetzung sind die Bundesländer. 39 OVG Münster (Fn. 32), juris Rn. 99. 40 OVG Münster (Fn. 32), juris Rn. 103 f.. 41 OVG Münster (Fn. 37), juris Rn. 105. 42 OVG Münster (Fn. 37), juris Rn. 107. 43 OVG Münster, Beschluss vom 23. September 2020, 13 B 1422/20. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 13 Bislang sehen die Verordnungen der Länder keine einheitlichen Regelungen vor. In einigen Bundesländern werden derzeit keine Kontaktlisten in Restaurants geführt.44 In anderen Bundesländern werden diese zwar geführt, Geldbußen drohen teilweise aber nur dem Betreiber, nicht dem Gast.45 In einigen Bundesländern, so auch in Bayern46 und Berlin, wird neben der Pflicht der Betreiber, Kontaktlisten zu führen, auch den Gästen selbst ausdrücklich die Pflicht auferlegt, ihre korrekten Kontaktdaten anzugeben mit der Möglichkeit, einen Verstoß dagegen zu ahnden. In Berlin sieht die SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung47 in § 3 Abs. 2 vor, dass die Verantwortlichen u. a. für Gaststätten eine Anwesenheitsdokumentation führen, soweit geschlossene Räume betroffen sind und es sich nicht ausschließlich um die Abholung von Speisen oder Getränken handelt. § 3 Abs. 3 der Berliner SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung lautet wie folgt: „Anwesende Personen wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Gäste, Besucherinnen und Besucher, Kundinnen und Kunden oder Nutzerinnen und Nutzer sind verpflichtet, die Angaben nach Absatz 2 Satz 1 vollständig und wahrheitsgemäß zu machen.“ § 12 Abs. 3 Nr. 5 der Verordnung eröffnet die Möglichkeit, eine Geldbuße zu erheben, wenn entgegen § 3 Abs. 3 Angaben nicht vollständig oder nicht wahrheitsgemäß gemacht werden. Ermächtigungsgrundlage für die SARS CoV-2-Infektionsschutzverordnung vom 29. September 2020 für das Land Berlin ist § 32 S. 1 IfSG, der für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG den Erlass von Rechtsverordnungen mit entsprechenden Ge- bzw. Verboten zulässt. Geht man – entsprechend den Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg und des OVG Münster – davon aus, dass Regelungen der Länder zur Kontaktnachverfolgung, insbesondere auch unter 44 Sachsen sieht keine generellen Kontaktlisten für Restaurants vor, vgl. Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 (Sächsische Corona-Schutz-Verordnung – SächsCoronaSchVO) vom 29. September 2020, abrufbar unter: https://www.coronavirus.sachsen.de/download/20200930_SaechsCoronaSchVO.pdf. Sachsen-Anhalt hat die Erstellung von Kontaktlisten in Restaurants wieder abgeschafft, vgl. Achte Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt (Achte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung — 8. SARS-CoV-2-EindV) vom 15. September 2020, abrufbar unter: https://ms.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung /MS/MS/Presse_Corona/VO/20200915_Achte_SARS-CoV-2-EindaemmungsVO.pdf. 45 In Thüringen ist die Verhängung einer Geldbuße allein für den Betreiber vorgesehen, siehe § 3 der Zweiten Thüringer Verordnung über grundlegende Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Zweite Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Grundverordnung -2. ThürSARS-CoV-2-IfS- GrundVO-), abrufbar unter: https://www.tmasgff.de/fileadmin/user_upload/Gesundheit/Dateien/COVID-19/Verordnung /Lesefassung_2._ThuerSARS-CoV-2-IfSGrundVO_30.09.2020.pdf. 46 § 24 Nr. 3 i. V. m. § 4 Abs. 1 der Siebten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (7. BayIfSMV) vom 1. Oktober 2020, abrufbar unter: https://www.verkuendung-bayern.de/baymbl/2020-562/. 47 SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung, Stand: 29. September 2020, abrufbar unter: https://www.berlin .de/corona/massnahmen/verordnung/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 14 dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit, rechtmäßig sind48, stellt sich gleichwohl die Frage, ob auch die Bußgeldbewehrung gegenüber Gästen rechtlich vertretbar ist. § 73 Abs. 1a Nr. 24 Var. 6 IfSG ahndet bereits den unmittelbaren Verstoß gegen eine nach § 32 S. 1 IfSG erlassene Rechtsverordnung genauso wie den Verstoß gegen eine vollziehbare Anordnung aufgrund dieser Rechtsverordnung. Eine im Zuge der Coronavirus-Pandemie erlassene Rechtsverordnung nach § 32 S. 1 IfSG auf Landesebene muss dabei auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG Bezug nehmen und die Ordnungswidrigkeitentatbestände in der Verordnung selbst regeln, um so dem Bestimmtheitsgrundsatz Genüge zu tun.49 Berlin nimmt in § 12 SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung , der die Ordnungswidrigkeitentatbestände regelt, den entsprechenden Bezug.50 § 73 Absatz 2 IfSG sieht grundsätzlich als Höchstsatz der Geldbuße – von hier nicht einschlägigen Ausnahmen, für die ein reduzierter Höchstsatz gilt, abgesehen – bis zu 25.000 EUR vor. Der Bußgeldkatalog zur Ahndung von Verstößen gegen die SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung in Berlin sieht für diesen Fall einen Bußgeldrahmen von 50 bis 500 Euro vor.51 Zudem sind die Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)52 einzuhalten. § 3 OWiG zitiert dabei auch den Bestimmtheitsgrundsatz, in dem er regelt, dass eine Handlung als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden kann, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Es genügt, dass ein Gesetz umrisshaft die Ahndungsvoraussetzungen sowie Art und Umfang der Rechtsfolgen festlegt – im vorliegenden Fall wird dies von § 73 IfSG erfüllt – und dass das Gesetz durch untergesetzliche Rechtsnormen (Berliner SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung) ergänzt wird.53 Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das IfSG oder das OWiG sind damit nicht erkennbar. 48 Siehe Gliederungspunkte 5.1. und 5.2. 49 Neuhöfer/Kindhäuser, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, Eckart/Winkelmüller, 1. Edition, Stand: 1. Juli 2020, § 73 Rn. 55; Häberle/Lutz, in: Häberle/Lutz, Infektionsschutzgesetz, 1. Auflage 2020, § 73 Rn. 34; Lorenz/Oğlakcıoğlu, in: Kießling, Infektionsschutzgesetz: IfSG, 1. Auflage 2020, § 73 Rn. 12; vgl. auch Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 3. Auflage 2018, Rn. 204. 50 § 12 Absatz 1 der Berliner SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung lautet: „Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten richtet sich nach § 73 Absatz 1a Nummer 24 und Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 185 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. S. 1328) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.“ 51 § 3 Bußgeldkatalog zur Ahndung von Verstößen gegen die SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung in Berlin, Stand. 15. September 2020, abrufbar unter: https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/bussgeldkatalog /. 52 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 185 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist. 53 Bohnert/Krenberger/Krumm, in: Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Auflage 2018, § 3 Rn. 1 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/20; WD 9 - 3000 - 087/20 Seite 15 Abschließend stellt sich noch die Frage, ob die Bußgelderhebung gegenüber Gästen, die falsche Angaben bei der Abfrage ihrer Kontaktdaten tätigen, verhältnismäßig ist. Wie bereits dargestellt, führte das OVG Berlin-Brandenburg zur Frage der Rechtmäßigkeit der Kontaktnachverfolgung bei Gerichtsverhandlungen aus, dass in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen nicht unverhältnismäßig eingegriffen werde.54 Auch das OVG Münster bejahte die Verhältnismäßigkeit der Regelung, da die Kontaktlisten einem legitimen Zweck dienten und geeignet, erforderlich und angemessen seien, um eine Verbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen.55 Eine effektive Nachverfolgung und Eindämmung von SARS-CoV-2 erfordert dabei, dass die Kontaktlisten von den Gästen wahrheitsgemäß ausgefüllt werden. Soweit Falschangaben in den Kontaktlisten durch ein Bußgeld sanktioniert werden, hat dies den Sinn und Zweck, die Korrektheit der Kontaktlisten sicherzustellen und stellt damit ein geeignetes und sicher auch erforderliches Mittel dar. Es ist auch nicht ersichtlich, warum sich bzgl. der Frage der Verhältnismäßigkeit der Bußgelderhebung etwas anderes ergeben sollte als bei der Frage der Verhältnismäßigkeit von Kontaktlisten. Ob ein verhängtes Bußgeld der Höhe nach verhältnismäßig ist, ist dabei sicher eine Frage, die im Einzelfall geprüft werden müsste. *** 54 OVG Berlin-Brandenburg (Fn. 29), juris Rn. 22. 55 OVG Münster (Fn. 32), juris Rn. 69 ff.