© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 228/16 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen für den Ausbau des Eisenbahnschienennetzes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/16 Seite 2 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen für den Ausbau des Eisenbahnschienennetzes Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 228/16 Abschluss der Arbeit: 11. Oktober 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/16 Seite 3 1. Fragestellung Zum Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes empfehlen die zuständigen Ausschüsse des Bundesrates die Abgabe einer Stellungnahme, die in Bezug auf den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur folgende Formulierung enthält: „Die Ausbauverpflichtung umfasst nach dem Grundgesetz jede Eisenbahninfrastruktur des Bundes, unabhängig von ihrer Nutzung.“1 Vor diesem Hintergrund wird die Frage gestellt, auf welcher verfassungsrechtlichen Vorschrift die „grundgesetzliche Verpflichtung des Bundes zum Ausbau der Schienenwege“ basiert und „welche Interpretationsmöglichkeiten“ insoweit bestehen. 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen für den Ausbau des Eisenbahnschienennetzes Die verfassungsrechtlichen Grundlagen für den Ausbau des Eisenbahnschienennetzes sind in Art. 87e Abs. 3 und 4 GG geregelt. Seit der Privatisierung der Bahn ist strikt zwischen den Aufgaben der Eisenbahnen des Bundes einerseits und den Aufgaben des Bundes andererseits zu unterscheiden. Die Eisenbahnen des Bundes sind nach der Legaldefinition in Art. 73 Abs. 1 Nr. 6a GG diejenigen Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen. Nach Art. 87e Abs. 3 GG sind die Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privater Rechtsform zu führen. Zu ihnen gehören die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (u.a. die DB Netz AG) und die Eisenbahnverkehrsunternehmen . Der hier fragliche Ausbau der Eisenbahninfrastruktur betrifft die Aufgaben der Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Diese umfassen nach Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen.2 Aus der Führung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen als Wirtschaftsunternehmen in privater Rechtsform folgt, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen den Schienenwegebau als eigene wirtschaftliche Aufgabe und nicht als öffentliche Aufgabe wahrnehmen.3 Von den Aufgaben der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach Art. 87e Abs. 3 S. 2 GG zu unterscheiden sind die in Art. 87e Abs. 4 GG geregelten Aufgaben des Bundes. Nach dieser Vorschrift 1 BR-Drs. 433/1/16, 2. 2 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.06.2016 – Az.: 10 C 7.15, Beck RS 2016, 50923, Rn. 24: „Art. 87e Abs. 3 Satz 2 GG ordnet den Bau von Schienenwegen (…) ausdrücklich der Tätigkeit der Eisenbahnen des Bundes und damit nicht der Bundeseisenbahnverwaltung, sondern den privatrechtlich organisierten Eisenbahngesellschaften zu.“ 3 Vgl. BVerwG (Fn. 2), Rn. 24: „Vielmehr bedeutet die Führung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes als (und nicht nur wie ein) Wirtschaftsunternehmen, dass sie ihre Aufgaben nicht nur nach wirtschaftlichen Kriterien, sondern auch in unternehmerischer Handlungsfreiheit erfüllen sollen. Das steht der Annahme einer öffentlichen Aufgabe entgegen.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 228/16 Seite 4 gewährleistet der Bund, „dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen , beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird“. Art. 87e Abs. 4 GG regelt damit die sog. Gewährleistungsverantwortung des Bundes für die Eisenbahninfrastruktur und den Eisenbahnverkehr.4 In Bezug auf den Eisenbahnverkehr beschränkt sich die Gewährleistungsverantwortung des Bundes aber ausdrücklich auf den Eisenbahnfernverkehr. Die Regelung in Art. 87e Abs. 4 S. 2 GG umfasst nämlich nur Verkehrsangebote, „soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen“. Eine vergleichbare Beschränkung für die Eisenbahninfrastruktur enthält Art. 87e Abs. 4 GG allerdings nicht. Vielmehr umfasst die Gewährleistungsverantwortung des Bundes auch das Nahverkehrsschienennetz . Sie ist damit bezogen auf die „gesamte Eisenbahninfrastruktur – unabhängig von der Art des darauf stattfindenden Verkehrs“.5 3. Gewährleistung einer Grundversorgung Ziel der in Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG geregelten Gewährleistungsverantwortung ist es, dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu tragen. Insoweit hat der Bund eine Grundversorgung mit Eisenbahninfrastruktur und Eisenbahnverkehrsangeboten sicherzustellen .6 Auf welche Weise der Bund den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsauftrag erfüllen soll, besagt das Grundgesetz ebenso wenig, wie es Vorgaben zur Ermittlung des erforderlichen Grundversorgungsniveaus enthält. Stattdessen sieht Art. 87e Abs. 4 S. 2 GG einen Regelungsvorbehalt zugunsten des Bundesgesetzgebers vor. Es ist damit Sache des Gesetzgebers, die vergleichsweise vagen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu konkretisieren und ein konkret sicherzustellendes Grundversorgungsniveau zu bestimmen.7 Dabei lässt sich auch eine Pflicht zur Aufrechterhaltung des status quo der Eisenbahninfrastruktur verfassungsrechtlich nicht begründen; denn die Möglichkeit von Streckenstilllegungen ist in Art. 87e Abs. 5 S. 2 GG ausdrücklich vorgesehen. Hinsichtlich der Eisenbahninfrastruktur nimmt der Bund seine Gewährleistungsverantwortung insbesondere durch Finanzhilfen wahr.8 Ende der Bearbeitung 4 Umfassend Hermes, Eisenbahnrecht, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2 (3. Aufl., 2013), § 25 Rn. 44 ff., Rn. 81 ff. 5 Hermes (Fn. 4), § 25 Rn. 45 (Hervorhebung im Original). 6 Vgl. Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3 (6. Aufl., 2010), Rn. 72 zu Art. 87e; Remmert, in: Epping/ Hillgruber, Beck`scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: September 2016), Rn. 17 zu Art. 87e; Möstl, in: Maunz/Dürig, GG (Stand: November 2006), Rn. 184 zu Art. 87e. 7 Vgl. Gersdorf (Fn. 6), Rn. 72 zu Art. 87e: „Da die Verfassung nur wenig konturierte Vorgaben (‚… insbesondere … Rechnung tragen‘) aufstellt und kein konkretes Niveau der Grundversorgung vorgibt, ist es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, den von Verfassungs wegen zu garantierenden Leistungsumfang im Eisenbahnsektor zu bestimmen.“; Hermes (Fn. 5), § 25 Rn. 47: „Weil dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu tragen ist, ist der Bund zu einer flächendeckenden Grundversorgung verpflichtet, deren genauer Umfang allerdings politischer Gestaltungsfreiheit unterliegt.“ 8 Hermes (Fn. 4), § 25 Rn. 48 ff.