© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 227/16 Akustische Wohnraumüberwachung in Großbritannien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 227/16 Seite 2 Akustische Wohnraumüberwachung in Großbritannien Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 227/16 Abschluss der Arbeit: 28. November 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 227/16 Seite 3 1. Einleitung Der folgende Sachstand hat die akustische Wohnraumüberwachung in Deutschland und Großbritannien zum Gegenstand. Neben einer Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Überwachung wird auf die parlamentarischen bzw. gerichtlichen Kontrollmechanismen eingegangen. Die Ausführungen zur Rechtslage in Großbritannien basieren auf Auskünften der dortigen Parlamentsverwaltung. 2. Rechtslage in Deutschland Den Ausgangspunkt für die Darstellung der Rechtslage in Deutschland bildet das Grundgesetz als Verfassung. Nicht näher eingegangen wird auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die ebenfalls einen Schutz von Wohnräumen gewährleistet, da diese in Deutschland lediglich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat.1 2.1. Begriffsbestimmung und verfassungsrechtlicher Rahmen Unter der akustischen Wohnraumüberwachung wird in Deutschland das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in einer Wohnung mit technischen Mitteln auch ohne Wissen des Betroffenen verstanden. Die Privatheit einer Wohnung ist grundrechtlich geschützt : Die Wohnung ist gemäß Art. 13 Abs. 1 GG unverletzlich. Art. 13 Abs. 3 bis 6 GG regeln den Rahmen, in dem Einschränkungen dieses Grundrechts u.a. in Form der akustischen Wohnraumüberwachung zulässig sind. 2.2. Rechtliche Voraussetzungen Grundsätzlich ist zwischen Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung zu repressiven Zwecken (Strafverfolgung) einerseits und entsprechenden Maßnahmen zu präventiven Zwecken (vorbeugende polizeiliche Verbrechensbekämpfung) andererseits zu unterscheiden. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine akustische Wohnraumüberwachung zu repressiven Zwecken ergeben sich aus Art. 13 Abs. 3 GG. Danach müssen Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine durch Gesetz zu bestimmende besonders schwere Tat begangen hat. Die akustische Überwachung darf nur in der Wohnung durchgeführt werden, in der sich der Beschuldigte vermutlich aufhält. Die Maßnahme darf nur erfolgen, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die akustische Wohnraumüberwachung ist zeitlich zu befristen. Sie bedarf einer richterlichen Anordnung (Entscheidung durch Spruchkörper von drei Richtern, in der Praxis durch eine Strafkammer am Landgericht; Einzelrichterentscheidung bei Gefahr im Verzug). Einfachgesetzlich konkretisiert wird die repressive akustische Wohnraumüberwachung durch §§ 100c bis e, 101 Strafprozessordnung (StPO). § 100c Abs. 2 StPO enthält einen abschließenden Katalog der besonders schweren Straftaten, wie es Art. 13 Abs. 3 GG vorschreibt. Zu nennen 1 Siehe hierzu Braasch, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, JuS 2013, S. 602 (605). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 227/16 Seite 4 sind beispielhaft: Staatsdelikte wie Hochverrat, die Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen , Mord und Menschenhandel sowie weitere schwere Straftaten u. a. aus den Bereichen des Asyl- und Aufenthalts-, Betäubungsmittel- und Waffenrechts. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine akustische Wohnraumüberwachung im präventiven Bereich ergeben sich aus Art. 13 Abs. 4 GG. Nach dieser Bestimmung sind Abhörmaßnahmen zulässig, wenn sie der Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit (z.B. Lebensgefahr) dienen. Wie im repressiven Bereich ist eine richterliche Anordnung nötig, nur bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden (z.B. Behördenleiter wie der Präsident des Bundeskriminalamtes); die richterliche Anordnung ist nachzuholen. Auf Bundesebene ist das Bundeskriminalamt zur akustischen Wohnraumüberwachung zu präventiven Zwecken befugt (§ 20h Bundeskriminalamtsgesetz - BKAG). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Bundeskriminalamtgesetz vom 20. April 2016 festgestellt, dass Teile der Regelung des § 20h BKAG nicht mit den Grundrechten vereinbar sind.2 Die Vorschrift gilt aber nach der Entscheidung des Gerichts mit Einschränkungen bis zum 30. Juni 2018 fort. In den Bundesländern ist die akustische Wohnraumüberwachung zu präventiven Zwecken in den jeweiligen Landespolizeigesetzen geregelt. Eine Sonderregelung für den Einsatz technischer Mittel zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen (z.B. verdeckte Ermittler) enthält Art. 13 Abs. 5 GG. Dabei ist unerheblich , ob die zu schützenden Personen zu repressiven oder präventiven Zwecken eingesetzt werden. Die entsprechenden Voraussetzungen aus Art. 13 Abs. 3 bzw. Abs. 4 GG sind zu wahren. 2.3. Gerichtliche und parlamentarische Kontrolle Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung unterliegen der gerichtlichen Kontrolle der Straf- bzw. Verwaltungsgerichte, je nachdem, ob die Maßnahmen repressiven oder präventiven Zwecken dienen. Nach Abschluss einer Wohnraumüberwachungsmaßnahme wird der Betroffene regelmäßig hierüber unterrichtet und kann deren Rechtmäßigkeit nachträglich gerichtlich klären lassen. Zur Gewährleistung der parlamentarischen Kontrolle formuliert Art. 13 Abs. 6 S. 1 GG für die Maßnahmen der Wohnraumüberwachung in Bundeszuständigkeit eine jährliche Berichtspflicht der Bundesregierung an den Bundestag. Für den Bereich der Strafverfolgung ist die Berichtspflicht in § 100e StPO näher konkretisiert. Der Bericht wird als Bundestagsdrucksache veröffentlicht.3 Er beruht auf statistischen Mitteilungen aus den Ländern und vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, die das Bundesamt für Justiz in einer Tabelle zusammenführt. Art. 13 Abs. 6 S. 2 GG gibt vor, dass die parlamentarische Kontrolle auf der Grundlage des Berichts durch ein vom Bundestag gewähltes Gremium ausgeübt wird. In Erfüllung dieser Pflicht setzt der Bundestag in jeder Wahlperiode das sogenannte Gremium gemäß Art. 13 Abs. 6 GG ein. Den Bundesländern ist 2 BVerfG, NJW 2016, S. 1781 (1792 ff.). 3 Der Bericht für das Jahr 2015: BT-Drs. 18/9660. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 227/16 Seite 5 nach Art. 13 Abs. 6 S. 3 GG die Gewährleistung einer gleichwertigen parlamentarischen Kontrolle aufgegeben. 3. Rechtslage in Großbritannien 3.1. Rechtsrahmen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention Der rechtliche Rahmen für Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung ergibt sich zunächst aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Großbritannien durch den „Human Rights Act 1998“ umgesetzt wird.4 Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. In die Ausübung dieses Rechts darf nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Behörde nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. 3.2. Einfachgesetzliches Regelwerk und Begriffsbestimmungen In Großbritannien sind staatliche Überwachungsbefugnisse insbesondere im zweiten Teil des „Regulation of Investigatory Powers Act 2000“5 (RIPA) geregelt. Der Begriff der Überwachung im Sinne dieses Gesetzes umfasst das Beobachten und Abhören von Personen, das Erfassen ihrer Bewegungen, Unterhaltungen sowie anderer Aktivitäten und Kommunikationen, das Aufzeichnen dieser Informationen und eine etwaige Verwendung technischer Hilfsmittel. Eine verdeckte Überwachung liegt vor, wenn die Überwachung ohne das Wissen der überwachten Person durchgeführt werden soll. Der „Regulation of Investigatory Powers Act 2000“ differenziert zwischen „intrusive surveillance“ und „directed surveillance“: Eine „intrusive surveillance“ liegt vor, wenn ein Vorgang verdeckt überwacht wird, der sich in einem Wohnraum oder einem Privatfahrzeug abspielt. Sie setzt die Anwesenheit einer Person in dem Wohnraum oder Privatfahrzeug und die Verwendung von Überwachungstechnik voraus. Der Inhalt der erlangten Informationen ist für die Einordnung einer Überwachung als „intrusive surveillance“ unerheblich. Relevant ist der einzig der Ort der Überwachung. Von einer „directed surveillance“ spricht man hingegen, wenn keine „intrusive surveillance“ vorliegt, die Überwachungsmaßnahme jedoch in einem Zusammenhang mit einer bestimmten Ermittlung oder Operation erfolgt, sodass die Erlangung privater Informationen über eine Person wahrscheinlich ist. 4 Siehe Home Office, Covert Surveillance and Property Interference – Code of Practice, 2014, S. 8, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/384975/Covert_Surveillance _Property_Interrefernce_web__2_.pdf, zuletzt abgerufen am 17. November 2016. 5 Abrufbar unter: http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2000/23/contents, zuletzt abgerufen am 25. November 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 227/16 Seite 6 3.3. Voraussetzungen für Maßnahmen der „intrusive surveillance“ Maßnahmen der „intrusive surveillance“ bedürfen einer besonderen Anordnung („authorisation“). Nach dem „Regulation of Investigatory Powers Act 2000“ können grundsätzlich die Minister sowie bestimmte „senior authorising officers“ 6 eine solche Überwachungsmaßnahme anordnen. Eine solche Anordnung darf generell nur erteilt werden, wenn die Überwachungsmaßnahme aus bestimmten Gründen für erforderlich gehalten wird und im Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Ziel steht. Mögliche Gründe für die Anordnung einer „intrusive surveillance“ sind – das Interesse der nationalen Sicherheit, – das Verhindern und Verfolgen schwerer Straftaten sowie – das Interesse des wirtschaftlichen Wohls Großbritanniens. Die Befugnis für das Betreten eines Grundstücks oder eine Beeinträchtigung von Eigentum zum Zwecke der Installation eines Überwachungsgeräts ergibt sich für bestimmte Stellen aus dem Abschnitt 5 des „Intelligence Services Act 1994“7 und dem dritten Teil des „Police Act 1997“8. 3.4. Kontrolle der Anordnung einer Maßnahme der „intrusive surveillance“ Anordnungen für die Durchführung von Maßnahmen der „intrusive surveillance“ durch die Geheimdienste, das „Ministry of Defence“ oder die „Armed Forces“ müssen von einem Minister erteilt werden. Sie unterliegen keiner gerichtlichen Kontrolle. Anordnungen für Maßnahmen der Polizei, der „National Crime Agency“ 9, der „Revenue and Customs“ 10 und der „Competition and Markets Authority“ 11 werden durch einen höherrangigen Beamten der jeweiligen Behörde erteilt. Zusätzlich ist die Zustimmung eines „Surveillance Commissioner“ erforderlich. Die Anordnung einer Überwachungsmaßnahme entfaltet grundsätzlich 6 Zu diesem Personenkreis gehören: die Präsidenten der jeweiligen Polizeieinheiten; der „Commissioner“ und die „Assistant Commissioners“ der „Met Police“; der „Commissioner of Police for the City of London“; der „Chief Constable of the Ministry of Defence Police“; der „Provost Marshal“ von „Royal Navy Police“, „Royal Military Police“ und „Royal Air Force Police; der „Chief Constable of the British Transport Police“; der „Director General of the National Crime Agency“ und andere hierzu ernannte Beamte dieser Behörde; ein ernannter höherer Beamter der „Revenue and Customs“; ein ernannter höherer Beamter der Einwanderungsbehörde; und der Vorsitzende der „Competition and Markets Authority“, siehe Abschnitt 32 Abs. 6 RIPA. 7 Abrufbar unter: http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1994/13/contents, zuletzt abgerufen am 25. November 2016. 8 Abrufbar unter: http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1997/50, zuletzt abgerufen am 25. November 2016. 9 Eine nationale Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörde, die unter anderem für den Bereich der organisierten Kriminalität, des Menschenhandels, des Cyber-Verbrechens und der Geldwäsche zuständig ist. 10 Eine nationale Steuer- und Zollbehörde. 11 Eine nationale Behörde zum Schutz des Wettbewerbs. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 227/16 Seite 7 ohne eine solche Zustimmung keine Wirkung. Lediglich in dringenden Fällen bestehen hiervon Ausnahmemöglichkeiten. Das „Office of Surveillance Commissioners“ ist für die Aufsicht über den Einsatz von Maßnahmen verdeckter Überwachung durch die Polizei und anderen öffentlichen Stellen zuständig. Ausgenommen von dieser Aufsicht sind die Geheimdienste. Der „Chief Surveillance Commissioner“ verfasst jährlich einen entsprechenden Bericht für den Premierminister, welcher auch dem Parlament vorgestellt wird. Der aktuelle Bericht für das Jahr 2015-2016 kann im Internet eingesehen werden.12 *** 12 Abrufbar unter: https://osc.independent.gov.uk/wp-content/uploads/2016/07/OSC-Annual-Report-2015-2016- 2.pdf, zuletzt abgerufen am 25. November 2016.