Zur Verfassungs- und Gesetzesmäßigkeit der Bahnprivatisierung - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 - 227/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Zur Verfassungs- und Gesetzesmäßigkeit der Bahnprivatisierung Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 227/08 Abschluss der Arbeit: 10. Juni 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagesverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Fragestellung Bestehen nach erster Durchsicht des Beteiligungsvertrages1 im Hinblick auf - den Gesetzesvorbehalt des Art. 87e Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz, - § 2 Abs. 2 Deutsche Bahn Gründungsgesetz - oder allgemeines Verfassungsrecht Bedenken, privates Kapital mit 24,9 Prozent an den Bereichen Verkehr und Logistik der Deutsche Bahn AG (DB AG) zu beteiligen? 2. Gesetzesvorbehalt des Art. 87e Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz Die Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 200/08 kommt zu dem Ergebnis, dass der Gesetzesvorbehalt des Art. 87e Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz (GG) für das aktuell geplante Privatisierungsmodell 2 nicht greifen dürfte. An diesem Ergebnis ändert sich auch nach einer ersten Durchsicht das Beteiligungsvertrages zwischen Bund, DB AG und DB Mobility Logistics AG (DB ML AG) nichts. Für die Frage des Gesetzesvorbehaltes ist allein entscheidend, ob der Verkauf von Aktien an der Tochtergesellschaft DB ML AG zu einem Einfluss der Minderheitsaktionäre der Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft DB AG führt. Hierfür dürfte der Beteiligungsvertrag letztlich unerheblich sein, denn der Einfluss der Minderheitsaktionäre der Tochtergesellschaft richtet sich nach Aktienrecht. Eine zwischen Gesellschaft und Mehrheitsaktionären wirkende schuldrechtliche Vereinbarung kann das Rechtsverhältnis zwischen Minderheitsaktionär und Gesellschaft grundsätzlich nicht beeinflussen. Gleichwohl muss der Bund über den Beteiligungsvertrag klar vorgeben, dass die DB AG nicht mehr als 24,9 Prozent an der DB ML AG veräußert. Denn der Gesetzesvorbehalt des Art. 87e Abs. 3 Satz 3 GG ist eine „objektive Rechtspflicht“, die den Bund trifft.3 Der Bund darf daher den Verkauf der Anteile nicht in das Ermessen der DB AG stellen. Insoweit macht der Beteiligungsvertrag u. a. in § 7 eine deutliche Aussage, die zudem in die Satzung der DB AG festgeschrieben wird. Würde der Vorstand der DB AG entgegen dieser Vorgabe pflichtwidrig Aktien über einen Anteil von 24,9 Prozent 1 Stand: Entwurf 4. Juni 2008, 17:45 Uhr; durch das Sekretariat des Verkehrsausschusses per e-Post am 5. Juni 2008, 14:07 Uhr, versandte Version. 2 Vgl. BT-Drs. 16/9070 vom 7. Mai. 2008, Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Zukunft der Bahn, Bahn der Zukunft – Die Bahnreform weiterentwickeln. 3 Windthorst in: Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl., 2007, Art. 87e Rn. 35. - 4 - hinaus veräußern, so kommt unter anderem in Betracht, dass das Rechtsgeschäft wegen – aufgrund der Satzungsvorgabe offenkundigen – Missbrauchs der Vertretungsmacht unwirksam ist4. Ferner liefe der Vorstand Gefahr, durch den Aufsichtsrat fristlos abberufen und entlassen zu werden (vgl. § 84 Aktiengesetz).5 3. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Deutsche Bahn Gründungsgesetz Das „Deutsche Bahn Gründungsgesetz“6 sieht in § 2 „Ausgliederung aus dem Vermögen der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft, Auflösung der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft “ Folgendes vor: „(1) Aus der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft sind frühestens in drei Jahren, spätestens in fünf Jahren nach ihrer Eintragung im Handelsregister die gemäß § 25 gebildeten Bereiche auf dadurch neu gegründete Aktiengesellschaften auszugliedern. (2) Nach der Ausgliederung gemäß Absatz 1 kann die Deutsche Bahn Aktiengesellschaft nur auf Grund eines Gesetzes, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, 1. aufgelöst, 2. mit einer der in Absatz 1 genannten Aktiengesellschaften verschmolzen oder 3. auf die in Absatz 1 genannten Aktiengesellschaften aufgespalten werden.“ Die in Abs. 2 Nr. 2 angesprochene Verschmelzung ist ein gesetzlich definierter Rechtsbegriff aus dem Umwandlungsgesetz (UmwG)7. Eine Verschmelzung zweier Gesellschaften liegt nach § 2 UmwG in folgenden Fällen vor: „Rechtsträger können unter Auflösung ohne Abwicklung verschmolzen werden 1. im Wege der Aufnahme durch Übertragung des Vermögens eines Rechtsträgers oder mehrerer Rechtsträger (übertragende Rechtsträger) als Ganzes auf einen anderen bestehenden Rechtsträger (übernehmender Rechtsträger) oder 4 Vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 8. Aufl., 2008, § 82 Rn. 6-7. 5 Vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 8. Aufl., 2008, § 84 Rn. 23f., 38f. 6 Deutsche Bahn Gründungsgesetz vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2386, (1994, 2439)), zuletzt geändert durch Artikel 307 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407). 7 Umwandlungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3210, (1995, 428)), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. April 2007 (BGBl. I S. 542). - 5 - 2. im Wege der Neugründung durch Übertragung der Vermögen zweier oder mehrerer Rechtsträger (übertragende Rechtsträger) jeweils als Ganzes auf einen neuen, von ihnen dadurch gegründeten Rechtsträger gegen Gewährung von Anteilen oder Mitgliedschaften des übernehmenden oder neuen Rechtsträgers an die Anteilsinhaber (Gesellschafter, Partner, Aktionäre oder Mitglieder) der übertragenden Rechtsträger.“ [Hervorhebung durch Verfasser] Eine Auflösung der DB AG ist nach dem aktuellen Privatisierungsmodell nicht vorgesehen . Hieran ändert auch ein Doppelmandat der Konzernvorstände nichts. Der Tatbestand des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Deutsche Bahn Gründungsgesetz ist damit nicht erfüllt. 4. Allgemeines Verfassungsrecht Verfassungsrechtliche Bedenken können sich grundsätzlich in dreifacher Hinsicht ergeben : - Kompetenz - Gesetzgebungsverfahren - Grundrechte. Was die Kompetenzfrage anbelangt, macht das Grundgesetz in Art. 87e Abs. 1 Satz 1 GG eine eindeutige Vorgabe zu Gunsten des Bundes. Ein Gesetzgebungsverfahren ist – wie oben unter Nr. 2 festgestellt – nicht erforderlich. Auch im Hinblick auf Grundrechte ergeben sich keine Bedenken. Dabei ist umstritten, ob der DB AG oder der DB ML AG überhaupt Grundrechtsfähigkeit zukommt.8 Selbst wenn man dies unterstellt, so ist wiederum fraglich, ob überhaupt ein Eingriff in die Vereinigungsfreiheit der DB-AG bzw. der künftigen Aktionäre der DB ML AG vorliegt. Denn ohne gesetzliche Vorgaben haben Gesellschaften weder Struktur noch Aktionsmodus.9 Aber auch diese Frage kann dahingestellt bleiben, da Art. 87e Abs. 3 Satz 3 GG jedenfalls eine spezielle Rechtfertigungsgrundlage für einen etwaigen Eingriff darstellen würde. Entsprechendes gilt, insoweit man auf die allgemeine Handlungsfreiheit der DB-AG bzw. der Aktionäre der DB ML AG nach Art. 2 Abs. 1 GG abstellt. 8 Windthorst in: Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl., 2007, Art. 87e Rn. 48. 9 Vgl. Höfling in: Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl., 2007, Art. 9 Rn. 36, unter Berufung auf BVerfGE 50, 290 (354). - 6 - 5. Ergebnis Nach erster Durchsicht des Beteiligungsvertrages bestehen im Hinblick auf Art. 87e Abs. 3 Satz 3 GG, § 2 Abs. 2 Nr. 2 Deutsche Bahn Gründungsgesetz und allgemeines Verfassungsrecht keine Bedenken, privates Kapital mit 24,9 Prozent an den Bereichen Verkehr und Logistik der Deutsche Bahn AG (DB AG) zu beteiligen.