© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 225/18 Gesetzgebungskompetenzen zur Regulierung politischer Werbung im Internet Nachfrage zu WD 3 - 3000 - 113/18 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 225/18 Seite 2 Gesetzgebungskompetenzen zur Regulierung politischer Werbung im Internet Nachfrage zu WD 3 - 3000 - 113/18 Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 225/18 Abschluss der Arbeit: 17. Juli 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 225/18 Seite 3 1. Einleitung Die Kurzinformation WD 3 - 3000 - 113/18 stellt die bestehenden Vorschriften dar, die politische Werbung fragmentarisch regeln, und gewährt einen Überblick über einschlägige Gesetzgebungskompetenzen für eine weitergehende Regulierung politischer Werbung im Internet. Die gedachte Regelung soll sicherstellen, dass politische Werbung, etwa in sozialen Netzwerken, stets als solche erkennbar ist. Außerdem soll der Urheber oder Auftraggeber entsprechender Anzeigen offengelegt werden. Zu den in der Kurzinformation genannten Gesetzgebungskompetenzen werden nun verschiedene Nachfragen gestellt. Als weitere mögliche Regelungsgegenstände werden der „Umgang mit persönlichen Daten im Internet zum Zweck der Wahlwerbung“ und der „Zugang zu Endgeräten“ genannt. Generell ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei „politischer Werbung im Internet“ um eine Querschnittsmaterie handelt, deren Regulierung unterschiedliche Kompetenztitel berühren kann. Daher kann es – je nach konkret beabsichtigtem Regelungsinhalt – dienlich sein, von mehreren der genannten Kompetenzen Gebrauch zu machen. 2. Anwendungsvorrang des Unionsrechts Das Unionsrecht überformt die Kompetenzordnung des Grundgesetzes.1 Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts kann nicht nur dazu führen, dass einfaches mitgliedstaatliches Recht unanwendbar wird. Soweit ausschließliche Zuständigkeiten der Europäischen Union bestehen oder soweit die Union im Übrigen von ihren Zuständigkeiten Gebrauch gemacht hat, dürfen Bund und Länder keine dem Unionsrecht widersprechenden Gesetze mehr erlassen. Aspekte der Kommunikation im Internet sind in verschiedenen Sekundärrechtsakten der Union geregelt. Dazu zählen die sogenannte E-Commerce-Richtlinie,2 die sogenannte E-Privacy-Richtlinie3 und die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)4. Die E-Commerce-Richtlinie vereinheitlicht für „Dienste der Informationsgesellschaft“ geltende Regelungen, „die den Binnenmarkt, die Niederlassung der Diensteanbieter, kommerzielle Kommunikationen, elektronische Verträge, die Verantwortlichkeit von Vermittlern, Verhaltenskodizes, Systeme zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten, Klagemöglichkeiten sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten betreffen“, Art. 1 Abs. 2. Soweit die Richtlinie „kommerzielle Kommunikation“ regelt, sind nur solche Kommunikationsformen erfasst, „die der unmittelbaren oder mittelbaren 1 Vgl. dazu nur Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2015, Vorb. zu Art. 70-74 Rn. 22. 2 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr). 3 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation). 4 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 225/18 Seite 4 Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens , einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt“, Art. 2 lit. f. Die E-Privacy-Richtlinie dient ausweislich ihres Art. 1 Abs. 1 der Harmonisierung des Schutzes von Grundrechten und Grundfreiheiten „in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation sowie den freien Verkehr dieser Daten und von elektronischen Kommunikationsgeräten und -diensten in der Gemeinschaft“. Die Richtlinie gilt „in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste in öffentlichen Kommunikationsnetzen“, Art. 3 Abs. 1. In diesem Anwendungsbereich regelt sie insbesondere die Betriebssicherheit, die Vertraulichkeit der Kommunikation und den Schutz von Verkehrs- und Standortdaten. Die DSGVO „enthält Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten“, Art. 1 Abs. 1. Die Verordnung gilt insbesondere für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten. Besonderen Schutz genießen nach der Verordnung solche personenbezogenen Daten, aus denen politische Meinungen hervorgehen, Art. 9. Insbesondere von diesen Vorschriften des europäischen Sekundärrechts dürfte eine mitgliedstaatliche Regelung nicht abweichen. 3. Recht der Wirtschaft, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Der Kompetenztitel des „Rechts der Wirtschaft“ wird sich für die Regulierung politischer Werbung kaum nutzbar machen lassen. „Zu ihm gehören nicht nur diejenigen Vorschriften, die sich auf die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen, sondern auch alle anderen das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen […].“5 Unabhängig davon, ob der Klammerzusatz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Grundgesetz (GG) – „Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen , privatrechtliches Versicherungswesen“ – als abschließend oder nur als beispielhaft zu verstehen ist,6 kann auf das „Recht der Wirtschaft“ die Regulierung eines rein politisch motivierten Verhaltens jedenfalls nicht gestützt werden. Der Kompetenztitel könnte allenfalls herangezogen werden, um etwa das Verhalten von Plattformbetreibern zu regeln, die als wirtschaftliche Akteure an der politischen Kommunikation beteiligt sind. 4. Wahlrecht, Art. 38 Abs. 3 GG Nach Art. 38 Abs. 3 GG bestimmt im Zusammenhang mit der Wahl zum Deutschen Bundestag ein Bundesgesetz „[d]as Nähere“. Die Norm beauftragt und ermächtigt den Bundesgesetzgeber, die in den Absätzen 1 und 2 angesprochenen Bereiche auszugestalten, also das Abgeordnetenrecht und das Wahlrecht. Als Gegenstände des Wahlrechts nennt die Kommentarliteratur „das Wahlverfahren 5 BVerfGE 116, 202, 215 f. 6 Vgl. Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 74 Rn. 50. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 225/18 Seite 5 (Wahlvorbereitung und -durchführung); die Festlegung des Wahltermins sowie die Bestimmung des Wahlalters (soweit sie nicht in Art. 38 Abs. 2 erfolgt ist) und der weiteren Voraussetzungen für die Wahrnehmung des aktiven und passiven Wahlrechts; die Regelung des Erwerbs und des Verlustes der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag; die Festlegung der Wahlkreise sowie der Zahl der Mitglieder des Bundestages.“7 Als Regelung zur Durchführung der Wahl ist von der Kompetenznorm auch § 32 Abs. 1 Bundeswahlgesetz gedeckt: „Während der Wahlzeit sind in und an dem Gebäude, in dem sich der Wahlraum befindet, sowie unmittelbar vor dem Zugang zu dem Gebäude jede Beeinflussung der Wähler durch Wort, Ton, Schrift oder Bild sowie jede Unterschriftensammlung verboten.“ Dieses Verbot „unzulässiger Wahlpropaganda“ steht im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Wahlhandlung. Fraglich erscheint schon, ob sich eine weitergehende Regelung von Wahlwerbung während des Wahlkampfes auf Art. 38 Abs. 3 GG stützen ließe. Jedenfalls gewährt die Norm dem Bund keine Gesetzgebungskompetenz für die generelle Regulierung politischer Werbung unabhängig von der Bundestagswahl. 5. Parteienrecht, Art. 21 Abs. 5 GG Regelungstechnisch verweist die Gesetzgebungskompetenz des Art. 21 Abs. 5 GG wie die des Art. 38 Abs. 3 GG auf die vorangehenden Absätze. Die Norm schafft eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes für das Parteienrecht; eine Gesetzgebungskompetenz der Landesgesetzgeber besteht nicht.8 Die Zuständigkeit für die Regelung des Parteienrechts wird zumeist weit ausgelegt.9 Dazu zählt in jedem Fall die Mitwirkung der Parteien an der Willensbildung des Volkes, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG.10 Daher ist von der Gesetzgebungskompetenz auch § 4 Abs. 1 S. 2 Parteiengesetz gedeckt: „In der Wahlwerbung und im Wahlverfahren darf nur der satzungsmäßige Name oder dessen Kurzbezeichnung geführt werden; Zusatzbezeichnungen können weggelassen werden.“ Damit enthält das Parteiengesetz „Rudimente eines allgemeinen parteipolitischen Wettbewerbsrechts “.11 Diese könnten auf der Grundlage der Bundeskompetenz für das Parteienrecht ausgebaut werden. Hier wären auch Vorschriften für die Werbung im Internet denkbar. Art. 21 Abs. 5 GG setzt allerdings einen Bezug zu politischen Parteien voraus. Eine allgemeine Regelung politischer Werbung beliebiger Akteure ist auf dieser Grundlage nicht möglich. 7 Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. Lfg. 2017, Art. 38 Rn. 164. 8 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 21 Rn. 163 f.; Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 82. Lfg. 2018, Art. 21 Rn. 138 ff.; nicht hierher gehören kommunale Wählervereinigungen, sog. Rathausparteien, vgl. Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 82. Lfg. 2018, Art. 21 Rn. 238 ff. 9 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 21 Rn. 164. 10 Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 82. Lfg. 2018, Art. 21 Rn. 138. 11 Lenski, Parteiengesetz, 2011, § 4 Rn. 22, Hervorhebung hinzugefügt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 225/18 Seite 6 Kommt es zu einer Überschneidung mit Länderkompetenzen, so ist im Einzelfall nach dem Schwerpunkt der Regelung zu fragen:12 „Dabei dürfen die einzelnen Vorschriften eines Gesetzes aber nicht isoliert betrachtet werden. Ausschlaggebend ist vielmehr der Regelungszusammenhang. Eine Teilregelung, die bei isolierter Betrachtung einer Materie zuzurechnen wäre, für die der Bundesgesetzgeber nicht zuständig ist, kann gleichwohl in seine Kompetenz fallen, wenn sie mit dem kompetenzbegründenden Schwerpunkt der Gesamtregelung derart eng verzahnt ist, daß sie als Teil dieser Gesamtregelung erscheint […].“13 Im Bereich des Rundfunks, der grundsätzlich in die Zuständigkeit der Länder fällt,14 hat das Bundesverfassungsgericht eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Zuteilung von Sendezeiten an politische Parteien anerkannt.15 6. Rundfunkrecht und Inhalte von Telemedien Zu den sogenannten Residualkompetenzen der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG zählt das Rundfunkrecht (vgl. auch Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG).16 Damit verknüpft sind neben dem Presserecht bestimmte Regelungen des Rechts der Telemedien. Während der Bund auf Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG im Telemediengesetz (TMG) insbesondere Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie umsetzt,17 bleiben die Länder für die „an die Inhalte von Telemedien zu richtenden besonderen Anforderungen“ (§ 1 Abs. 4 TMG) zuständig. Diese inhaltlichen Anforderungen sind zusammen mit wesentlichen Teilen des Rundfunkrechts im Rundfunkstaatsvertrag (RStV) geregelt, § 1 Abs. 1, 2. Hs. RStV. So regelt § 58 Abs. 1 RStV: „Werbung muss als solche klar erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein. In der Werbung dürfen keine unterschwelligen Techniken eingesetzt werden.“ Hier könnten weitere Vorschriften speziell für politische Werbung in Telemedien aufgenommen werden. *** 12 Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 82. Lfg. 2018, Art. 21 Rn. 141; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 21 Rn. 165. 13 BVerfGE 98, 265, 299. 14 Dazu sogleich unter 6. 15 BVerfGE 12, 205, 240 f. 16 Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 70 Rn. 15. 17 BT-Drs. 16/3078, S. 12.