© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 224/20 Einzelfragen zur Abschiebungshaft Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 224/20 Seite 2 Einzelfragen zur Abschiebungshaft Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 224/20 Abschluss der Arbeit: 19. Oktober 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 224/20 Seite 3 Fragestellung Es wurden verschiedene Informationen zur Abschiebungshaft in Deutschland erbeten. Gefragt wurde nach den allgemeinen Rechtsgrundlagen (1.). Ferner wurde nach der Unterbringung von Asylsuchenden gefragt und um Auskunft zu den Maßnahmen bei ausreisepflichtigen Ausländern sowie zu den Abschiebehaftplätzen und deren Belegung (2.) gebeten. Außerdem wurde nach den Bedingungen der Abschiebungshaft (3.) gefragt. 1. Rechtsgrundlagen Im Aufenthaltsgesetz (AufenthG)1 werden die Einreise, der Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern geregelt, § 1 Abs. 1 S. 4 AufenthG. Das Asylverfahren ist im Asylgesetz (AsylG)2 festgelegt. 2. Unterbringung von Asylsuchenden und ausreisepflichtigen Ausländern 2.1. Unterbringung von Asylsuchenden Asylbewerber werden zunächst in Aufnahmeeinrichtungen (auch: Erstaufnahmeeinrichtungen) eines Bundeslandes untergebracht, damit sie bei der dortigen Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihren Asylantrag stellen können. Für die Bereitstellung von Erstaufnahmeeinrichtungen sind die Bundesländer zuständig, sie haben laut Gesetz eine Pflicht zur Schaffung und Unterhaltung. Dabei sollen die Länder geeignete Maßnahmen treffen, um bei der Unterbringung den Schutz von Frauen und schutzbedürftigen Personen zu gewährleisten, § 44 AsylG. Ausländer, deren Asylanträge im beschleunigten Verfahren nach § 30a AsylG bearbeitet werden, sind verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag in der für ihre Aufnahme zuständigen besonderen Aufnahmeeinrichtung (§ 5 Abs. 5 AsylG) zu wohnen. Wenn das Verfahren eingestellt, der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG als unzulässig oder nach §§ 29a, 30 AsylG als offensichtlich unbegründet, oder die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 71 Abs. 4 AsylG abgelehnt wird, müssen sie bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der Aufnahmeeinrichtung wohnen (§ 30a Abs. 3 AsylG). 2.2. Maßnahmen bei ausreisepflichtigen Ausländern Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Bei Bestehen der Ausreisepflicht muss der Ausländer gemäß § 50 Abs. 2 AufenthG das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt wurde, bis zum Ablauf der Frist verlassen. 1 In englischer Sprache zu finden unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_aufenthg/index.html. 2 In englischer Sprache zu finden unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_asylvfg/index.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 224/20 Seite 4 Zur Sicherung der Abschiebung kommen nach den §§ 61 ff. AufenthG verschiedene Maßnahmen in Betracht. Die zuständigen Ausländerbehörden prüfen in diesem Zusammenhang beispielsweise die Notwendigkeit einer räumlichen Beschränkung, einer Wohnsitzauflage oder eines Ausreisegewahrsams . Die §§ 62 ff. AufenthG regeln die Möglichkeit der Anordnung der Abschiebungshaft. Damit die Abschiebung nicht fehlschlägt, sieht das AufenthG die Möglichkeit der Inhaftierung nach Maßgabe der §§ 62, 62a, 62b AufenthG vor. Dabei wird zwischen der Haft zur Vorbereitung der Abschiebung (Vorbereitungshaft), der Haft zur Sicherung der Durchführung der Abschiebung (Sicherungshaft), der Mitwirkungshaft und dem Ausreisegewahrsam unterschieden. 2.2.1. Abschiebungshaft Erfolgt keine freiwillige Ausreise, so hat die zuständige Behörde gemäß § 58 Abs. 1 AufenthG die Ausreisepflicht mittels Abschiebung durchzusetzen, wenn die Pflicht vollziehbar ist. Die Abschiebung ist gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen anzudrohen. Sie ist unzulässig, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG besteht. Sie kann zudem nach den §§ 60a ff. AufenthG unter bestimmten Voraussetzungen ausgesetzt werden. 2.2.2. Vorbereitungshaft Die Vorbereitungshaft gemäß § 62 Abs. 2 AufenthG kann in Fällen angeordnet werden, in denen über die Ausweisung oder Abschiebungsanordnung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde. Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Die Dauer einer Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der möglicherweise folgenden Sicherungshaft anzurechnen. 2.2.3. Sicherungshaft Die Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 3 AufenthG betrifft insbesondere Fälle, in denen Fluchtgefahr besteht oder eine Abschiebungsanordnung gegen einen Ausländer nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Gemäß § 62 Abs. 4 AufenthG kann die Sicherungshaft bis zu sechs Monate angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. 2.2.4. Mitwirkungshaft Der Sicherungshaft kann eine Mitwirkungshaft vorausgehen, welche gemäß § 62 Abs. 6 AufenthG im Einzelfall zulässig ist, um bestimmte Kooperationshandlungen durchzusetzen. Die Mitwirkungshaft ist auf die Dauer von 14 Tagen beschränkt; eine Verlängerung ist nicht möglich. Die Dauer einer Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der möglicherweise folgenden Sicherungshaft anzurechnen . 2.2.5. Ausreisegewahrsam Der Ausreisegewahrsam gemäß § 62b AufenthG erlaubt unabhängig von einer Fluchtgefahr die Haft eines ausreisepflichtigen Ausländers zur Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebung in sehr eng begrenzten Fällen. Die Dauer des Ausreisegewahrsams ist auf zehn Tage begrenzt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 224/20 Seite 5 2.3. Anzahl der Abschiebehaftplätze In den Ländern standen mit Stand 31. Dezember 2018 insgesamt 487 Abschiebungshaftplätze – verteilt auf Abschiebehaftanstalten in neun Bundesländern – zur Verfügung. Mit Stand 30. Juni 2019 waren 512 Abschiebungshaftplätze – verteilt auf zehn Bundesländer – verfügbar.3 Bundesland 31.12.2018 30.06.2019 Baden-Württemberg 36 51 Bayern 120 120 Berlin 0 10 (nur für Gefährder) Bremen 13 13 Hamburg 20 20 Hessen 20 20 Niedersachsen 48 48 Nordrhein-Westfalen 140 140 Rheinland-Pfalz 32 32 Sachsen 58 58 gesamt 487 512 Statistische Angaben zur Anzahl der Abschiebegefangenen konnten nicht ermittelt werden. 3. Vollzug der Abschiebungshaft Allgemeine Regelungen zum Vollzug der Abschiebungshaft finden sich in § 62a AufenthG, welcher Art. 16 und Art. 17 RL 2008/155/EG (Rückführungsrichtlinie) umsetzt. Für den Vollzug der Abschiebung in den weiteren Einzelheiten sind die Bundesländer verantwortlich und zuständig: – Abschiebegefangene sind getrennt von Strafgefangenen unterzubringen, § 62a Abs. 1 S. 1 AufenthG. – Werden mehrere Angehörige einer Familie inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubringen. Ihnen ist ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten, § 62a Abs. 1 AufenthG. – Den Abschiebungsgefangenen wird gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen, den zuständigen Konsularbehörden und einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen Kontakt aufzunehmen, § 62a Abs. 2 AufenthG. 3 BT-Drs. 19/11676, S. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 224/20 Seite 6 – Bei minderjährigen Abschiebungsgefangenen sind alterstypische Belange zu berücksichtigen, § 62a Abs. 3 S. 1 AufenthG. In Gewahrsam genommene Minderjährige müssen so weit wie möglich in Einrichtungen untergebracht werden, die personell und materiell zur Berücksichtigung ihrer altersgemäßen Bedürfnisse in der Lage sind.4 – Der Situation schutzbedürftiger Personen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen, § 62a Abs. 3 AufenthG. Abschiebegefangene haben das Recht auf medizinische Notfallversorgung und unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten unter besonderer Berücksichtigung der Lebensumstände besonders schutzbedürftiger Personen. Darunter fallen insbesondere Minderjährige , unbegleitete Minderjährige, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Schwangere, Familien mit minderjährigen Kindern und Personen, die Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen schweren Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt geworden sind.5 – Abschiebegefangene haben das Recht, auf Antrag von einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen in der Hafteinrichtung besucht und unterstützt zu werden, § 62a Abs. 4 AufenthG. – Die Abschiebegefangenen haben das Recht, über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln informiert zu werden, § 62a Abs. 5 AufenthG. Mehrere Bundesländer haben zudem eigene Gesetze6 über den Vollzug der Abschiebungshaft und/oder des Abschiebungsgewahrsams erlassen. Die Gesetze enthalten zur näheren Ausgestaltung des Anstaltsverhältnisses und der Befugnisse der Anstaltsleitung in der Regel Vorschriften zu den folgenden Themenfeldern:7 – Grundsätze der Vollzugsgestaltung (Beschränkung der Befugnisse und Freiheitsbeschränkungen auf die Verwirklichung des Zwecks der Abschiebungshaft und die Wahrung der Sicherung und Ordnung der Einrichtung), – Aufnahmeverfahren und Informations- und Beratungspflichten, – Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in der Einrichtung, – Arbeit, Verpflegung, Einkauf, – Begrenzung der Verfügung über Bargeld und andere persönliche Wertgegenstände (zum Schutz vor Entwendung und Erpressung durch andere Abschiebehäftlinge), 4 Vgl. Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Auflage 2020, § 8 Rn. 85. 5 Vgl. Winkelmann, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 62a Rn. 35 f. 6 Siehe Abschiebungshaftvollzugsgesetz Brandenburg (AbschhVG BB), Abschiebungshaftvollzugsgesetz Baden- Württemberg (AHaftVollzG BW), Hamburgisches Abschiebungshaftvollzugsgesetz (HmbAHaftVollzG), Abschiebungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen (AHaftVollzG NRW). 7 Kluth, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch (Hrsg.), 26. Edition, Stand: 01.07.2020, § 62a Rn. 25. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 224/20 Seite 7 – Hausordnung, insbesondere Nachtruhe und Einschluss sowie Freizeit und Sport, – seelsorgliche Betreuung und Religionsausübung, – Besuchsregelungen, – Kommunikation und Mediennutzung, – Durchsuchungen und besondere Sicherungsmaßnahmen (zum Zweck der Gefahrenabwehr), – optisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachung), – medizinische Versorgung, – Beschwerderecht und Beirat. ***