© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 223/16 Das italienische Verfassungsreferendum am 4. Dezember 2016 Aspekte der geplanten Verfassungsreform Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 2 Das italienische Verfassungsreferendum am 4. Dezember 2016 Aspekte der geplanten Verfassungsreform Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 223/16 Abschluss der Arbeit: 6. Oktober 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Quellenlage 4 2. Wesentliche Aspekte der geplanten Verfassungsreform 4 2.1. Senat 5 2.1.1. Zusammensetzung 5 2.1.2. Wahl 5 2.1.3. Aufgaben und Rechte 5 2.1.3.1. Vertretung regionaler und lokaler Institutionen 6 2.1.3.2. Kontrolle der Regierung 6 2.1.3.3. Wahl des Präsidenten der Republik 6 2.1.3.4. Richterwahl 6 2.1.3.5. Verfassungsgerichtliche Prüfung des Wahlrechts 6 2.1.4. Keine Abgeordnetenentschädigung 7 2.2. Gesetzgebungskompetenzen 7 2.3. Gesetzgebungsverfahren 8 2.3.1. Ein-Kammer-Verfahren 8 2.3.2. Zwei-Kammer-Verfahren 8 2.4. Direktdemokratische Elemente 8 2.4.1. Volksinitiative 8 2.4.2. Negativer Volksentscheid 9 2.4.3. Neue direktdemokratische Elemente 9 2.5. Regierungsverordnungen 9 2.6. Abschaffung der Provinzebene 9 2.7. Abschaffung des Rats für Wirtschaft und Arbeit 9 2.8. Verwaltungsprinzipien 10 3. Ziele der Reform und Kritik 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 4 1. Einleitung und Quellenlage Gebeten wurde um eine Darstellung der wichtigsten vorgesehenen Verfassungsänderungen in Italien. Dort plant die Regierung von Matteo Renzi eine umfangreiche Reform der Verfassung der Italienischen Republik1 aus dem Jahr 1947. Abgeordnetenkammer und Senat haben dem Entwurf eines verfassungsändernden Gesetzes in jeweils zwei Sitzungen zugestimmt.2 Aufgrund eines von mehr als 500.000 Unterzeichnern unterstützten Ersuchens und auf Antrag der Regierungsfraktionen, die so eine möglichst breite Legitimation sicherstellen möchten, wird nun ein Verfassungsreferendum durchgeführt. Nach Art. 138 der Verfassung3 tritt das Gesetz daher nur in Kraft, wenn bei dem Referendum am 4. Dezember 2016 eine Mehrheit für das Gesetz stimmt.4 Die geplante Verfassungsreform steht in engem Zusammenhang mit der bereits in Kraft getretenen Wahlrechtsreform, dem sogenannten „Italicum“-Gesetz.5 Zu der geplanten Reform existiert, insbesondere in deutscher und englischer Sprache, noch kaum juristische Fachliteratur.6 Presseberichte7 konzentrieren sich zumeist auf das politische Schicksal des Ministerpräsidenten und die wirtschaftlichen Folgen für Italien. 2. Wesentliche Aspekte der geplanten Verfassungsreform Die geplanten Änderungen betreffen 47 Artikel im zweiten Teil der Verfassung über den Aufbau der Republik („Ordinamento della Repubblica“). Zentrale Anliegen sind die Abschaffung des 1 Der aktuelle italienische Originaltext ist auf der Website des Präsidenten der Republik abrufbar: http://www.quirinale.it/qrnw/costituzione/pdf/costituzione.pdf; eine deutsche Übersetzung findet sich auf der Website des Südtiroler Landtags unter http://www.landtag-bz.org/download/Verfassung_Italien.pdf. Alle Internet- Quellen in diesem Sachstand wurden zuletzt am 5. Oktober 2016 abgerufen. 2 Vgl. die Regierungs-Website zur Reform, http://www.riformeistituzionali.gov.it/riforma-costituzionale/iterdella -riforma-costituzionale/. 3 Alle nachfolgend genannten Artikel sind, soweit nicht anders gekennzeichnet, solche der italienischen Verfassung; Artikel des Reformentwurfs sind mit „E“ gekennzeichnet. 4 Vgl. das Dekret des Präsidenten der Republik vom 27. September 2016, http://www.gazzettaufficiale .it/atto/vediMenuHTML?atto.dataPubblicazioneGazzetta=2016-09-28&atto.codiceRedazionale =16A07091&tipoSerie=serie_generale&tipoVigenza=originario. 5 Gesetz Nr. 52 vom 6. Mai 2015, Gesetzestext abrufbar unter http://www.riformeistituzionali.gov.it/media /2369/legge-elettorale.pdf, eine englischsprachige Zusammenfassung unter http://www.riformeistituzionali .gov.it/riforma-elettorale/english-version/. 6 Einen Überblick in englischer Sprache gewährt Bernardo Giorgio Mattarella, The Ongoing Constitutional and Administrative Reforms in Italy, abrufbar unter http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2832713; detailliertere Informationen in italienischer Sprache sind den Gesetzgebungsmaterialien zu entnehmen: http://documenti.camera.it/leg17/dossier/pdf/ac0500p.pdf, http://documenti.camera.it/leg17/dossier /pdf/ac0500n.pdf (Synopse des alten und neuen Verfassungstexts), http://documenti.camera.it/leg17/dossier /pdf/ac0500q.pdf. 7 Vgl. etwa Oliver Meiler, Nervöser Premier, nervöses Volk, in: Süddeutsche Zeitung vom 27. September 2016, S. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 5 „perfekten“ Zweikammersystems, in dem sich bislang Abgeordnetenkammer und Senat gleichberechtigt gegenüberstehen, und die Neuordnung der Kompetenzverteilung zwischen Staat und Regionen. 2.1. Senat Während die Abgeordnetenkammer im Wesentlichen unverändert beibehalten werden soll, sind im Hinblick auf den Senat zahlreiche Änderungen geplant: Er soll als nachgeordnete zweite Kammer erheblich geschwächt, seine Rolle im Gefüge der Staatsorgane verändert werden. 2.1.1. Zusammensetzung Der Senat hat derzeit 315 direkt gewählte Mitglieder, Artt. 57 ff. Weitere fünf kann der Präsident der Republik als Mitglieder auf Lebenszeit ernennen; Senatoren auf Lebenszeit sind außerdem die ehemaligen Präsidenten der Republik. Künftig soll der Senat nur noch 95 Mitglieder aus den Regionen haben: 74 werden aus den Regionalräten entsandt, 21 sind die Bürgermeister der Hauptstädte der Regionen8. Weitere Senatoren, herausragende Persönlichkeiten auf sozialem, künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet, soll der Präsident der Republik nur noch für eine Amtszeit von sieben Jahren ernennen können, Art. 59(2) E. Lediglich die ehemaligen Präsidenten bleiben Senatoren auf Lebenszeit. 2.1.2. Wahl An die Stelle der Direktwahl tritt für die 74 Vertreter der Regionen die Entsendung durch die Regionalräte. Sie entsenden die Senatoren aus ihrer Mitte für die Dauer ihrer jeweiligen Wahlperiode . Die Sitze werden proportional zur Bevölkerungszahl auf die Regionen verteilt; auf keine Region entfallen weniger als zwei Sitze. Die entsandten Senatoren sollen mittelbar bei den Regionalratswahlen vom Volk bestimmt werden, wobei der genaue Wahlmodus noch nicht feststeht.9 Da die Regionalräte versetzt gewählt werden, würden auch die Senatoren nicht gleichzeitig, sondern sukzessive wechseln.10 2.1.3. Aufgaben und Rechte Neben seiner Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren, die unten im Detail dargestellt wird,11 kommen dem Senat insbesondere die folgenden Aufgaben zu. 8 Die Region Südtirol-Trient entsendet zwei Bürgermeister. 9 Gianfranco Pasquino/Andrea Capussela, Italy’s constitutional reform is ill conceived and can safely be rejected, 27. September 2016, abrufbar unter http://blogs.lse.ac.uk/europpblog/2016/09/27/italys-constitutional-reformis -ill-conceived/. 10 Mattarella (Fn. 6), S. 2. 11 S. unten 2.3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 6 2.1.3.1. Vertretung regionaler und lokaler Institutionen Während die Abgeordneten der Abgeordnetenkammer künftig den (Gesamt-) Staat repräsentieren sollen, sollen die Senatoren die Institutionen der Regionen und Städte repräsentieren („rappresentativi delle istituzioni territoriali“, Art. 57(1) E).12 Der Senat soll die Koordination zwischen gesamtstaatlicher Ebene auf der einen und regionaler und lokaler Ebene auf der anderen Seite sicherstellen sowie die Verwaltung und die Umsetzung der Gesetze auf regionaler Ebene überwachen, Art. 55(5) E.13 2.1.3.2. Kontrolle der Regierung Die Regierung soll künftig nur noch vom Vertrauen der Abgeordnetenkammer abhängig sein, Art. 94 E. Dem Senat soll kein Misstrauensvotum mehr zustehen. 2.1.3.3. Wahl des Präsidenten der Republik Der Präsident der Republik soll weiterhin von beiden Kammern in gemeinsamer Sitzung gewählt werden. Die je nach Wahlgang erforderlichen qualifizierten Mehrheiten werden angehoben, Art. 83(3) E. 2.1.3.4. Richterwahl Bisher werden fünf der 15 Verfassungsrichter von den beiden Kammern in gemeinsamer Sitzung gewählt. Künftig soll das Abgeordnetenhaus drei, der Senat nur noch zwei Richter wählen, Art. 135 E. 2.1.3.5. Verfassungsgerichtliche Prüfung des Wahlrechts Nach Art. 73(2) E kann der Senat mit den Stimmen eines Drittels seiner Mitglieder – ebenso wie die Abgeordnetenkammer mit einem Viertel der Stimmen ihrer Mitglieder – Gesetze über die Wahl zur Abgeordnetenkammer vor ihrem Inkrafttreten dem Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorlegen. Übergangsrechtlich ist geregelt, dass auch das bereits verabschiedete neue Wahlgesetz, das sogenannte „Italicum“-Gesetz, durch entsprechenden Antrag einer verfassungsgerichtlichen Prüfung unterzogen werden kann.14 12 Vgl. auch Mattarella (Fn. 6), S. 2. 13 Mattarella (Fn. 6), S. 1 f. 14 Governo italiano, Dipartimento per le riforme istituzionali, The Reform of the Second Part of the Constitution, abrufbar unter http://www.riformeistituzionali.gov.it/riforma-costituzionale/the-reform-of-the-second-part-ofthe -constitution/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 7 2.1.4. Keine Abgeordnetenentschädigung Da die Senatoren als Mitglieder der Regionalräte oder als Bürgermeister bereits Bezüge erhalten, soll die Abgeordnetenentschädigung für Senatoren entfallen.15 2.2. Gesetzgebungskompetenzen Die Gesetzgebungskompetenzen des Staates und der Regionen sollen neu geordnet werden. Die Änderungen dienen teilweise der Umsetzung verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung.16 Teile der Verfassungsreform von 2001, die zu zahlreichen Streitigkeiten zwischen Staat und Regionen geführt haben, sollen rückgängig gemacht werden oder eine Klarstellung erfahren.17 Die Gesetzgebungszuständigkeit liegt grundsätzlich bei den Regionen, soweit sie nicht ausdrücklich dem Staat zugewiesen ist. In einigen Bereichen, die nun dem Staat zugewiesen werden sollen, findet eine (Re-) Zentralisierung statt.18 Hierzu zählen Transport sowie Häfen und Flughäfen von nationaler Bedeutung (Art. 117(2)(z)), Energieerzeugung und Energietransport (Art. 117(2)(v)), das Verwaltungsverfahrensrecht und das Beamtenrecht (Art. 117(2)(g)).19 Die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung („legislazione concorrente“) nach Art. 117(3) soll abgeschafft werden. Sie ähnelt der früheren deutschen Rahmengesetzgebung. Die betroffenen Regelungsgegenstände gehen überwiegend in die staatliche Zuständigkeit über.20 Teilweise ist die staatliche Zuständigkeit jedoch auf grundsätzliche Bestimmungen („disposizioni generali“, z.B. Art. 117(2)(n)) beschränkt.21 Schließlich sollen auf Antrag der Regierung auf gesamtstaatlicher Ebene Gesetze im Kompetenzbereich der Regionen erlassen werden können, sofern die rechtliche oder wirtschaftliche Einheit der Republik oder das nationale Interesse dies erfordern, Art. 117(4) E. Durch Gesetz soll der Staat Vorgaben für die Haushalte der Regionen und Gemeinden machen können, Art. 119(4).22 15 Governo italiano (Fn. 14); Mattarella (Fn. 6), S. 2. 16 Mattarella (Fn. 6), S. 3. 17 Mattarella (Fn. 6), S. 3. 18 Governo italiano (Fn. 14). 19 Vgl. auch Mattarella (Fn. 6), S. 3. 20 Vgl. zu den einzelnen Kompetenzen die Übersicht in: Camera dei deputati, The New Article 117 of the Italian Constitution, The Main Innovations, 2015, Anlage 1. 21 Kritisch daher Mattarella (Fn. 6), S. 3, der ein tatsächliches Fortbestehen der konkurrierenden Gesetzgebung befürchtet. 22 Vgl. auch Governo italiano (Fn. 14). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 8 2.3. Gesetzgebungsverfahren Entsprechend seiner Zurückstufung zu einer nachgeordneten zweiten Kammer kommt dem Senats auch im Gesetzgebungsverfahren geringere Bedeutung zu: Grundsätzlich findet das Ein-Kammer- Verfahren Anwendung, in dem der Senat lediglich Änderungsvorschläge unterbreiten kann; nur ausnahmsweise wirkt er in einem Zwei-Kammer-Verfahren gleichberechtigt neben der Abgeordnetenkammer an der Gesetzgebung mit.23 2.3.1. Ein-Kammer-Verfahren Nach Art. 70(2) E werden Gesetze grundsätzlich von der Abgeordnetenkammer im Ein-Kammer- Verfahren beschlossen: Gesetzentwürfe können weiterhin von der Regierung oder von Mitgliedern der Abgeordnetenkammer oder des Senats eingebracht werden. Sie werden dann in der Abgeordnetenkammer beraten. Beschließt die Abgeordnetenkammer ein Gesetz, leitet sie es an den Senat weiter, der auf Antrag eines Drittels seiner Mitglieder innerhalb von 10 Tagen darüber berät. Innerhalb weiterer dreißig Tage kann der Senat der Abgeordnetenkammer Änderungsvorschläge unterbreiten, die diese dann annehmen oder ablehnen kann. Das Verfahren soll außerdem dadurch beschleunigt werden, dass die Regierung die Abgeordnetenkammer auffordern kann, über ihre Gesetzesinitiativen innerhalb von 70 Tagen zu beraten und zu beschließen, Art. 72(7) E. 2.3.2. Zwei-Kammer-Verfahren Nur in den Fällen des Art. 70(1) E findet weiterhin das Zwei-Kammer-Verfahren Anwendung, etwa bei Verfassungsänderungen, bei Änderungen des Wahlrechts oder bei der Ratifizierung von Verträgen, die die Mitgliedschaft Italiens in der Europäischen Union betreffen. In diesem Verfahren wirken – wie bisher – beide Kammern gleichberechtigt an der Gesetzgebung mit: Beide Kammern müssen ein Gesetz unabhängig von einander im übereinstimmenden Wortlaut beschließen. 2.4. Direktdemokratische Elemente Für die in der italienischen Verfassung vorgesehenen direktdemokratischen Elemente sollen die Eingangshürden erhöht, das dann folgende Verfahren aber beschleunigt und erleichtert werden.24 2.4.1. Volksinitiative Das Quorum für Volksinitiativen nach Art. 71(3) soll von 50.000 auf 150.000 Unterschriften angehoben werden. Wird das Quorum erreicht, muss die parlamentarische Beratung und Beschlussfassung innerhalb bestimmter Fristen stattfinden. 23 Eine gute Übersicht bietet: Camera dei deputati, The New Legislative Process, According to the Draft of Constitutional Reform, 2015, Anlage 2. 24 Mattarella (Fn. 6), S. 2 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 9 2.4.2. Negativer Volksentscheid Das Quorum von 500.000 Unterschriften für die Herbeiführung eines Volksentscheids über die Aufhebung eines Gesetzes nach Art. 75 wird beibehalten. Liegen jedoch 800.000 oder mehr Unterschriften vor, sinkt das Teilnahmequorum für den Volksentscheid: Erforderlich soll dann nicht mehr die Teilnahme der Mehrheit der Wahlberechtigten sein, sondern nur noch die Mehrheit derer, die an der letzten Wahl zur Abgeordnetenkammer teilgenommen haben. 2.4.3. Neue direktdemokratische Elemente Nach Art. 71(4) E sollen durch Gesetz weitere Elemente direkter Demokratie geschaffen werden, unter anderem ein konsultatives Referendum. 2.5. Regierungsverordnungen Verordnungen, die die Regierung im Fall außerordentlicher Dringlichkeit erlassen kann, sollen in Art. 77 E genauer geregelt werden als bisher. Dabei wird teilweise die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs positiviert.25 2.6. Abschaffung der Provinzebene An zahlreichen Stellen sollen die Provinzen aus dem Verfassungstext getilgt werden.26 Die Provinzen bilden bisher eine zusätzliche Ebene zwischen den Regionen und dem Staat. Ihre Aufgaben wurden bereits 2014 erheblich reduziert.27 Die Verfassungsänderung schüfe die Voraussetzung für ihre endgültige Abschaffung.28 Nach Art. 39(13) des Änderungsgesetzes sollen diese Änderungen auf die Regionen mit besonderem Status und auf die autonomen Provinzen Trient und Bozen keine Anwendung finden. 2.7. Abschaffung des Rats für Wirtschaft und Arbeit Bisher sieht Art. 99 einen Rat für Wirtschaft und Arbeit („Consiglio nazionale dell’economia e del lavoro“, CNEL) vor. Durch den Rat wirken Wirtschaftsvertreter beratend an der Gesetzgebung mit.29 Er soll ersatzlos entfallen. 25 Mattarella (Fn. 6), S. 2. 26 Vgl. etwa Artt. 114(1), 118(1), (2) und (4), 119(1) bis (3), 132(2). 27 Francesco Clementi, Italian constitutional reforms: Towards a stable and efficient government, 23. Juni 2016, abrufbar unter http://www.constitutionnet.org/news/italian-constitutional-reforms-towards-stable-and-efficientgovernment ; Mattarella (Fn. 6), S. 3. 28 ANSA, Italy’s new constitutional reforms, 12. Januar 2016, abrufbar unter http://www.ansa.it/english/news/politics /2016/01/12/italys-new-constitutional-reforms_4a1c0cd5-d06f-4c53-8cfe-cd02109c56fd.html. 29 Vgl. Mattarella (Fn. 6), S. 4, demzufolge der Rat aber nie eine wesentliche Rolle gespielt hat. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 223/16 Seite 10 2.8. Verwaltungsprinzipien Der neue Art. 118(2) E soll künftig Vereinfachung, Transparenz, Effizienz und Verantwortlichkeit als grundlegende Prinzipien der Verwaltung benennen. 3. Ziele der Reform und Kritik Als Ziele der Reform werden vor allem die Stabilisierung der Regierung, die Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens und die Rezentralisierung genannt.30 Die Reform ist sehr umstritten.31 Der Reformprozess wird teils als übereilt, die Diskussion über die Reform als verspätet und nicht mehr wirksam kritisiert.32 Teils wird die Kontrolle der Exekutive im Entwurf für zu schwach, die Position der Regierung entsprechend für zu stark erachtet.33 Die Reform gehe von falschen Annahmen aus und schwäche die Legitimation des Senats und damit das Vertrauen in die politischen Institutionen.34 Ende der Bearbeitung 30 Vgl. statt vieler Clementi (Fn. 27). 31 Einen Überblick über die Positionen und ihre Vertreter bietet Clementi (Fn. 27), am Ende. 32 Francesco Palermo, Verfassungsreform in Italien: der entscheidende Schritt, verfassungsblog.de, 13. Oktober 2015, abrufbar unter http://verfassungsblog.de/verfassungsreform-in-italien-der-entscheidende-schritt/. 33 Pasquino/Capussela (Fn. 9); weitere Nachweise bei Clementi (Fn. 27), der die Reform selbst aber positiv bewertet. 34 Pasquino/Capussela (Fn. 9).